Jim Thompson – „Muttersöhnchen“

Samstag, 22. April 2023

(Diogenes, 230 S., Tb.) 
Seit seinem 1942 erschienenen Debütroman „Now and on Earth“, der erst 2011 in deutscher Übersetzung als „Jetzt und auf Erden“ in der Heyne-Hardcore-Reihe erschienen ist, hat sich Jim Thompson zu einem der renommiertesten Noir-Autoren entwickelt, dem aber trotz seiner Arbeit in Hollywood, wo er in den 1950er Jahren die Drehbücher für Stanley Kubricks „Wege zum Ruhm“ und „Die Rechnung ging nicht auf“ ablieferte, und der 1972 einsetzenden Verfilmung seiner Romane (beginnend mit Sam Peckinpahs Klassiker „Getaway“) der verdiente Erfolg versagt geblieben ist. 
Nach mehreren, durch seinen exzessiven Alkoholkonsum verursachten Schlaganfällen starb Thompson verarmt und verbittert 1977 in Hollywood. Sein 1963, vier Jahre nach „The Getaway“ veröffentlichter Roman „The Grifters“ wurde zwar 1990 unter der Regie von Stephen Frears mit Anjelica Huston, John Cusack und Annette Bening verfilmt, zählt aber zu den eher schwächeren Romanen des längst zum Kult-Autor avancierten Thompson
Roy Dillon verdient sich seinen Lebensunterhalt als kleiner Trickbetrüger in Los Angeles, wo in einer Suite im Hotel Grosvenor-Carlton lebt. Seine Freundin Moira Langtry, eine geschiedene Frau in den Dreißigern, drängt darauf, dass er sich beruflich weiterentwickelt, um mit ihr ein gemeinsames Leben aufbauen zu können, doch Roys Mutter Lilly, die gerade mal vierzehn Jahre älter als ihr Sohn ist und mehr als nur mütterliche Gefühle für ihn zu hegen scheint und selbst in der Betrugsbranche für den Buchmacher Bobo Justus tätig ist, verfolgt andere Pläne für ihren Liebling, zumal sie selbst langsam zu alt für das Geschäft wird. 
Nachdem sie einen Einsatz auf der Rennbahn La Jolla verpasst hat und ihrem Chef so ein dickes Loch in der Kasse beschert hat, revanchiert er sich mit der Verbrennung ihrer Hand durch eine Zigarette. Als Roy ebenfalls bei einem Betrugsversuch erwischt und verprügelt wird, lässt Lilly ihren Sohn im Krankenhaus durch die Krankenschwester Carol aufpeppeln und sorgt dafür, dass die ihr verhasste Moira Roy nicht zu sehen bekommt. Obwohl Roy nach einigen Woche wieder genesen ist, lässt Lilly ihren Sohn in ihr Apartment am Sunset Strip östlich der Stadtgrenze von Beverly Hills verfrachten und verlängert die Fürsorge durch Carol, in die sich Roy – wie von Lilly geplant - schließlich verliebt. Doch als Moira versucht, die Dreieinigkeit zwischen Carol, Roy und Lilly zu zerstören, kommt es zur Katastrophe… 
„Vielleicht hatte sie ihn zu hart angefasst; kein Mann ließ sich gern herumkommandieren. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, sich so sehr für Lilly Dillon zu interessieren; jeder Mann war empfindlich, wenn es um seine Mutter ging. Aber wie auch immer, ihr Vorschlag war richtig und vernünftig. Sie würden beide davon profitieren. Es musste einfach so sein. Und wehe, wenn er nicht…!“ (S. 189) 
Nachdem „The Grifters“ zunächst in der Übersetzung von Jürgen Behrens 1983 bei Ullstein unter dem Titel „Die Abzocker“ veröffentlicht und dann in der gleichen Übersetzung zur Verfilmung des Romans als „Grfiters“ neu aufgelegt worden ist, erschien der Titel 1995 bei Diogenes als „Muttersöhnchen“ – diesmal von André Simonoviescz übersetzt. 
Wieder einmal stammen Thompsons Protagonisten aus eher ärmlichen Verhältnissen, die sich durch Betrügereien über Wasser halten. Insofern bietet „Muttersöhnchen“ wenig Neues. Interessant ist vor allem die Viererkonstellation, in der sich der intelligente, aber wenig ehrgeizige Roy Dillon durch die Hingabe gleich dreier Frauen manövrieren muss, wobei diese teilweise nicht die geringsten Skrupel besitzen, ihre Ansprüche an Roy und seine Ersparnisse durchzusetzen. Im Gegensatz zu Thompsons besseren Werken fehlt es bei diesem Werk an dem psychologischen Einfühlungsvermögen. Dass sich in „Muttersöhnchen“ einmal mehr keine wirklichen Sympathieträger ausmachen lassen, verwundert nicht, aber die überraschungsarme Dramaturgie der Story schon. 

 

Stephen King – „Duddits – Dreamcatcher“

(Ullstein, 827 S., HC) 
Nachdem Stephen King Mitte der 1970er Jahre mit „Carrie“, „Brennen muss Salem“, „Shining“ und dem apokalyptischen Epos „The Stand – Das letzte Gefecht“ schnell zum international gefeierten „King of Horror“ avancierte, lieferte er in den folgenden beiden Jahrzehnten nahezu im Jahrestakt – oftmals auch verfilmte - Bestseller wie „Christine“, „Friedhof der Kuscheltiere“, „Es“, „Sie“, „Stark – The Dark Half“, „Needful Things“, „Dolores“ und „The Green Mile“ ab. Nach einem Autounfall im Jahr 1999 rehabilitierte sich King auf eigene Weise, schrieb das Manuskript zu „Duddits – Dreamcatcher“ mit Patronenfüllfederhalter von Waterman innerhalb eines Jahres und widmete sich einem Thema, das bis heute nur sporadisch in Kings umfangreichen Oeuvre anzutreffen ist, der Invasion der Erde durch Außerirdische. 
Schon als Kinder waren Pete, Jonesy, Henry und Biber in der Kleinstadt Derry, Maine, unzertrennlich gewesen. Ein besonderes Verhältnis entwickelten sie dabei zu Douglas „Duddits“ Cavell, einem Jungen mit Down-Syndrom, den sie vor jugendlichen Rowdys gerettet haben und der telepathisch begabt gewesen ist. Über die „Linie“, die Duddits zu sehen in der Lage ist, haben die fünf Freunde sogar ein vermisstes Mädchen aus einem Kanalschacht retten können. 
Über die Jahre haben die vier Freunde zwar Duddits aus den Augen verloren, seit sie aus Derry weggezogen sind, und sehen sich auch nur noch selten, doch einmal im Jahr treffen sie sich im Herbst zu einem Jagdausflug in Bibers Hütte in den Wäldern von Jefferson Tract. In ihrem erwachsenen Leben ist Joe „Biber“ Clarendon ein neurotischer Tischler geworden, Pete Moore ein alkoholsüchtiger Autoverkäufer, während der als Psychiater praktizierende Henry Devlin mit dem Gedanken an Selbstmord spielt und College-Dozent Gary „Jonesy“ Jones sich von einem schweren Autounfall erholt, bei dem er sich eine gebrochene Hüfte zugezogen hat. Der Jagdausflug im Herbst 1999 steht allerdings unter einem besonderen Stern, als in Jefferson Tract Aliens notlanden und sich wie Parasiten in den Menschen einnisten und mit ihren telepathischen Kräften dafür sorgen, sich in ihre Wirte hineinzuversetzen und sie nach ihrem Willen zu manipulieren. Der psychotische Armee-Offizier Abraham Kurtz versucht, im Auftrag der Regierung die Ausbreitung der „Ripleys“ zu verhindern – so wie sie es im Geheimen seit 1947 praktiziert. Es wird nämlich einfach ohne Rücksicht auf Verluste jedes Leben im von den Aliens beanspruchten Gebiet ausgelöscht. Während dieses Vorhabens begegnet Jonesy während der Jagd dem Anwalt Richard McCarthy, der offensichtlich seit einigen Tagen orientierungslos im Wald herumirrt, unter starken Schmerzen und fürchterlichen Blähungen leidet sowie ein verdächtig aussehendes Mal im Gesicht trägt. Trotz seiner Bedenken nimmt Jonesy den Mann mit in die Hütte, wo er zusammen mit Biber miterleben muss, wie der Mann von innen heraus zu verwesen scheint und eine pilzartige Substanz ausscheidet. Währenddessen besorgen Pete und Henry Nahrungsvorräte im Dorf und geraten bei dem einsetzenden Schneefall in einen Autounfall, in dem eine Frau verwickelt ist, die geistig verwirrt erscheint und der einige Zähne fehlen. Für die vier Freunde entbrennt ein Wettlauf gegen die Zeit, geraten sie doch zwischen die Fronten des Militärs und den parasitären Außerirdischen. Bald wird ihnen bewusst, dass nur Duddits sie aus dem Schlamassel befreien und die Invasion beenden kann, obwohl er bereits selbst im Sterben liegt… 
„Duddits, der in seinem Never-Never-Land, von der Außenwelt abgeschnitten, im Sterben lag, hatte seine Botschaften ausgesandt und nur Schweigen zur Antwort bekommen. Schließlich kam einer von ihnen vorbei, aber nur, um ihn mit nichts weiter als einer Tüte voller Pillen und seiner alten gelben Lunchbox von zu Hause zu entführen. Der Traumfänger war auch kein Trost. Sie hatten es mit Duddits immer nur gut gemeint, sogar schon damals an diesem ersten Tag; sie hatten ihn aufrichtig geliebt. Und doch endete es nun so.“ (S. 659) 
Etwas mehr als zehn Jahr nach dem 1988 veröffentlichten „Tommyknockers – Das Monstrum“ bekommt es die Menschheit erneut mit telepathisch begabten Außerirdischen zu tun, doch dient die Geschichte diesmal vor allem dazu, Stephen Kings Trauma zu verarbeiten, von einem betrunkenen Autofahrer fast tot gefahren worden zu sein, auf jeden Fall während der langwierigen Genesung über ein halbes Jahr erhebliche Schmerzen erlitten zu haben. Vor diesem Hintergrund fällt es dem Leser leicht, in der Figur des College-Dozenten Gary „Jonesy“ Jones eine Art Alter Ego des berühmten Schriftstellers zu sehen, der ebenfalls einen schweren Autounfall überlebt hat und seitdem mit den Folgen seiner gebrochenen Hüfte zu kämpfen hat. Entsprechend authentisch wirken die vielen Beschreibungen körperlicher Schmerzen und die Schilderungen schwerer Verletzungen, bei denen nicht nur Zähne ausfallen und viel Blut fließt, sondern auch an Tränen und allen vorstellbaren menschlichen Ausscheidungen in gasförmiger oder flüssiger Form ebenso wenig gespart wird wie an Kraftausdrücken und derbem Humor. 
Wie in den meisten King-Romanen werden auch in „Duddits“ ganz gewöhnliche Menschen mit einer kaum vorstellbaren Krisensituation konfrontiert. King ließ sich dabei ganz offensichtlich von dem Science-Fiction-Klassiker „Invasion of the Body Snatchers“ inspirieren, den er auch namentlich erwähnt, und erzielt das Grauen vor allem aus der Vorstellung, dass die Außerirdischen die Menschheit auf der Gedankenebene infiltrieren und gefügig machen wollen. 
Dass die Heimatstadt der fünf Freunde Derry ist, verweist natürlich auf Kings Meisterwerk „Es“, wobei er immer wieder Elemente daraus aufgreift, vor allem den großen Sturm von 1985, der einen Großteil der Stadt verwüstete und dem auch der Wasserturm zum Opfer fiel. Bei aller sprachlicher Könnerschaft wirkt das Verhältnis zwischen Kurtz‘ psychotischen Trieb, die Außerirdischen zu eliminieren, und der berührenden Geschichte der fünf Freunde etwas unausgeglichen. 
Während die militärischen Protagonisten für meinen Geschmack etwas zu viel Raum erhalten und King fast schon ins Schwafeln gerät, hätten die Episoden, die das Leben der fünf Freunde in Derry und danach umfassen, weitaus ausführlicher dargestellt werden können. So wirkt „Duddits“ wie ein auf Action getrimmter Science-Fiction-Horror, den auch Lawrence Kasdan in seiner Verfilmung „Dreamcatcher“ nicht in den Griff bekommen hat. 

 

Philippe Djian – „Kriminelle“

Freitag, 7. April 2023

(Diogenes, 244 S., HC) 
In den 1980er Jahren avancierte der französische Schriftsteller Philippe Djian zum Liebling der Literaturszene. In Romanen wie „Blau wie die Hölle“, „Erogene Zone“, „Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen“ und „Verraten und verkauft“ ließ Djian seinen Ich-Erzähler als sein Alter ego auf erfrischend frivole wie leichtfüßige und humorvolle Weise über Sex, Gefühlschaos und Schreibblockaden schwadronieren, dass es eine Freude war, sich in die turbulenten Stories zu stürzen. Ende der 1990er Jahre war von diesem schwungvollen Flair nur noch wenig übrig geblieben. 
1994 legte er mit „Assassins“ (dt. „Mörder“ bzw. „Ich arbeite für einen Mörder“) den Auftakt einer Trilogie vor, die er zwei Jahre später mit „Kriminelle“ fortsetzte. 
Francis hat es nicht leicht. Er hat keinen Job, einen scheinbar kaputten Rücken, und das Verhältnis zu seiner fünfundvierzigjährigen Freundin Élisabeth gestaltet sich ebenso kompliziert wie das zu seinem Bruder Marc oder seinem Sohn Patrick, der sich in Théos Frau Nicole verguckt hat, was Francis gut nachvollziehen kann, hat er sich, bevor er mit Élisabeth zusammengekommen ist, doch selbst gut ein Dutzend Mal sich auf Nicole einen runtergeholt. Nun will seine Ex-Frau Christine Patrick mit ihrem neuen Mann Robert, der im Zuckerrohrgeschäft tätig ist, nach Guatemala auswandern. 
Zu allem Überfluss muss sich Francis entscheiden, was er mit seinem Vater anstellen soll, der zu einem Pflegefall geworden ist. Mit seinem Bruder, der als Schriftsteller arbeitet, hat er sich immer wieder über den Tod ihrer Mutter in die Haare bekommen, nachdem sie in ihrer Badewanne ertrunken war. Da für Marc seine Mutter sein Ein und Alles gewesen ist, lässt er sich nicht von seiner Überzeugung abbringen, dass sie von dem zur Gewalt neigenden Vater der beiden Brüder umgebracht worden sei. Die befreundeten Paare haben mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen. Während Monique verzweifelt ist, dass sie keinen Orgasmus mehr bekommt, ist ihr Mann Ralph nur noch an seinem Rennpferd interessiert. Bei einem Picknick an der Sainte-Bob im Mai treten die Konflikte zwischen den Paaren offen zutage… 
„Ich habe die Abenteuer meiner Ex, Patricks Mutter, nie verkraftet. Ich musste älter als fünfzig werden, um mir einen blasen zu lassen, ohne deshalb alle Frauen zum Kotzen zu finden. Aber man wird diese Sachen nie ganz los. Mit Élisabeth würde ich mich gern im Schlamm wälzen und in weißen Laken wach werden. Ich lebe damit, und ich wüsste nicht, was ich anderes tun könnte. Ich glaube, dass ich mich nicht mehr ändere.“ (S. 102) 
Veränderung ist das große Thema in Djians „Kriminelle“. Insofern passt das dem Roman vorangestellte Zitat „Im Grunde könnte jeder irgendein anderer sein. Man muss sich entscheiden.“ von Richard Ford wie die Faust aufs Auge. Allerdings leidet nicht nur Philippe Djians Ich-Erzähler unter dem Mangel am nötigen Willen dazu, auch Francis‘ Mitmenschen verspüren zwar den Drang zu einer Veränderung in ihrem Leben, werden aber nicht glücklich bei dem Versuch, wenigstens mit kleinen Schritten zu einer Verbesserung ihres Lebensgefühls beitragen zu wollen. 
An Handlung ist „Kriminelle“ so arm wie sonst kaum einer von Djians Romanen. Stattdessen beschränkt sich der einst gefeierte Autor darin, die unterschiedlichen Gefühlswelten seiner Figuren in recht substanzlosen, aber ausufernden Dialogen zum Ausdruck zu bringen, ohne dass sich an der Situation der Beteiligten etwas ändert. Zum Ende hin kommt Francis zur Erkenntnis, dass doch alles ganz einfach sei, worauf Élisabeth entgegnet: „Meine Güte, das sagst du, Francis. So einfach nun doch wieder nicht.“ Diese wenigen Zeilen sind bezeichnend für „Kriminelle“, denn es sind keine wirklich schwerwiegenden Probleme, die Francis & Co. hier zu lösen haben. Sie kreisen einfach um sich selbst, dramatisieren unnötig, kommen nicht voran. Diesen Stillstand vermag Djian zwar wie gewohnt sprachlich brillant einzufangen, doch außer den einfallsreichen Beschreibungen einiger erotischer Momente langweilt „Kriminelle“ einfach nur. 

 

Jim Thompson – „Zwölfhundertachtzig schwarze Seelen“

Mittwoch, 5. April 2023

(Diogenes, 268 S., Tb.) 
Die Karriere von Jim Thompson kam erst spät in Gang. Obwohl er seine ersten Romane bereits in den 1940er Jahren veröffentlicht und vergeblich versucht hatte, in Hollywood Fuß zu fassen, blieb er in der Literaturszene ein Geheimtipp und bekam kaum noch seine Alkoholprobleme in den Griff, bevor er in den 1950er Jahren nicht nur eine Flut von Romanen schrieb, sondern auch von Stanley Kubrick beauftragt wurde, die Drehbücher zu seinen beiden Filmen „Die Rechnung ging nicht auf“ (1956) und „Wege zum Ruhm“ (1957) zu schreiben. Doch erst in den 1970er Jahren wurde Thompson so richtig bekannt, als erst Sam Peckinpah „Getaway“ (1972) verfilmte und dann andere Filmemacher nachzogen. So nahm sich der französische Regisseur Bertrand Tavernier 1981 mit „Der Saustall“ des 1964 erschienenen Romans „Zwölfhundertachtzig schwarze Seelen“ an, der zu den witzigsten Werken des 1977 verstorbenen Autors zählt. 
Nick Corey ist Sheriff im Potts County und lebt mit seiner anstrengenden, ewig schimpfenden und respektlosen Frau Myra und ihrem leicht debilen Bruder Lennie im 1280-Seelen-Kaff Pottsville. Für seine zweitausend Dollar im Jahr macht Nick eigentlich nichts, außer den Status quo zu erhalten, allerdings beschleicht ihn vor der anstehenden Wahl das mulmige Gefühl, dass die Bürger in dem Bezirk nicht mehr so zufrieden mit ihm sein könnten. 
Wenn er wirkliche Probleme zu lösen hat – wie zum Beispiel die Beseitigung eines öffentlichen Aborts oder die Eliminierung zweier unbequemer Zuhälter -, reist Nick in den Nachbarbezirk zu seinem Kollegen Ken Lacey, der ihm stets mit Rat und Tat zur Seite steht. Doch die wahren Probleme bereiten ihm die Frauen, denn neben seiner pöbelnden Ehefrau haben auch Rose Hauks und die Prostituierte Amy Mason Ansprüche auf den Sheriff angemeldet. Um sich durch diese kniffligen Herausforderungen zu manövrieren, lässt Corey nicht nur Amys Zuhälter und Roses prügelnden Ehemann Tom über die Klinge springen, sondern lenkt die Ermittlungen in den Mordfällen geschickt in die von ihm gewünschte Richtung, so dass andere Verdächtige in den Fokus rücken… 
„Ich war fast soweit gewesen, hatte fast einen Plan gehabt, wie ich mit einem Schlag nicht nur Rose loswerden konnte, ohne sie mehr als einmal zu sehen, sondern auch gleichzeitig noch das Problem mit Myra und Lennie lösen würde. Und dann hatte Amy gesprochen, und Teile des Plans waren in alle Himmelsrichtungen verweht worden. Ich wusste, dass es mir verdammt schwerfallen würde, sie alle wieder zusammenzubringen – wenn es mir überhaupt jemals wieder gelingen würde.“ (S. 186) 
Auch wenn Jim Thompson gemeinhin dem Noir-Genre zugerechnet und mit Dashiell Hammett, Raymond Chandler und Robert B. Parker in einem Atemzug genannt wird, stechen seine Werke doch in ihrer einzigartigen Konzeption und Figurenzeichnung besonders heraus. „Zwölfhundertachtzig schwarze Seelen“ stellt dabei ein Paradebeispiel für Thompsons zutiefst schwarzen, herrlich lakonischen Humor dar. Sein Protagonist, der ebenso faule wie geile Sheriff Nick Carey, tritt als Ich-Erzähler auf und macht nie einen Hehl daraus, dass er eigentlich nur seine Ruhe haben will, dass er dabei aber alle Mühe hat, die sexuellen Avancen seiner Frauen zu befriedigen und sie glauben zu lassen, dass er ihnen allein gehöre. Zwar wirkt Carey zunächst etwas beschränkt, doch bei der Verschleierung seiner Verbrechen stellt er eine gewitzte Bauernschläue unter Beweis, die Kollegen wie Kontrahenten in arge Bedrängnis bringt. 
Bei aller humorvollen Ausrichtung präsentiert sich „1280 schwarze Seelen“ aber auch als faszinierende Milieustudie der Unterschicht im US-amerikanischen Süden zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Hier werden noch keine raffinierten Beweisführungen verlangt und auch keine rasenden Verkehrssünder zur Rechenschaft gezogen. In Pottsville geht alles seinen langsamen Weg, wird das Miteinander noch von Hörensagen und Rassismus geprägt. Identifikationsfiguren bietet der Roman natürlich nicht, dazu sind sowohl der Ich-Erzähler als auch seine Mitmenschen zu dumpfbackig, zu verdorben oder zu gerissen, aber Spaß macht es natürlich trotzdem. 
Lesenswert ist auch das ausführliche Nachwort von Wolfram Knorr, der nicht nur die eigenartige Natur von Thompsons Helden unter die Lupe nimmt, sondern auch das Werk des heute so gefeierten Schriftstellers mit seinem starken Bezug zur amerikanischen Provinz als „wütende Reflexe eigener Erfahrungen“ beschreibt. 

 

Robert Bloch – „Psycho 2“

Samstag, 1. April 2023

(Heyne, 254 S., Tb.) 
Robert Bloch (1917-1994) hatte zwar schon 1947 angefangen, Romane zu veröffentlichen, aber erst die durch Alfred Hitchcock 1960 verfilmte Geschichte von „Psycho“ wurde Bloch weltberühmt, woraufhin er auch in Hollywood als Drehbuchautor hofiert wurde. So lieferte Bloch die Vorlagen für Filme wie „Das Kabinett des Dr. Caligari“ (1961), „Der Foltergarten des Dr. Diabolo“ (1966), „Totentanz der Vampire“ (1969) und „Asylum“ (1972). Als die Frage nach einer Fortsetzung von Hitchcocks Spannungs-Klassiker konkreter thematisiert wurde, schrieb Bloch 1982 „Psycho 2“, der allerdings nicht die Vorlage für den gleichnamigen Film aus dem Jahr 1983 liefern sollte. 
Zwanzig Jahre nach den Vorfällen in Bates Motel hat Norman Bates in den Gesprächen mit Dr. Clairborne ein Verständnis dafür entwickelt, dass er nicht seine eigene Mutter, sondern eine Person für sich ist, und fühlt sich geheilt. Schließlich braucht er keine Zwangsjacke mehr, keine Gummizelle und keine Medikamente zur Ruhigstellung. Als Bibliothekar kann er sich in dem Sanatorium sogar recht frei bewegen. Als er Besuch von der Nonne Schwester Barbara erhält, die am College Psychologie studiert hat und sich für den Fall interessiert, nutzt Bates die Chance zur Flucht, indem er erst Schwester Barbara außer Gefecht setzt und sich ihrer Kleidung bemächtigt, dann unterwegs auch ihre Begleiterin Schwester Cupertine mit einem Wagenheber erschlägt. 
Als Norman Bates‘ Flucht bemerkt wird, ist die Aufregung natürlich groß. Während er nach Fairvale unterwegs ist, um sich an Mary Cranes Schwester Lila und ihrem Mann Sam Loomis zu rächen, die erst für die Enthüllung der Morde an Mary Crane und den Detektiv Arbogast gesorgt haben, plant Hollywood-Produzent Marty Driscoll mit „Verrückte Lady“ gerade eine Verfilmung von Norman Bates‘ Geschichte. Als die Filmemacher von Norman Bates‘ Flucht erfahren, droht das Projekt zunächst zu platzen, doch gerade die für die Rolle der Mary Crane vorgesehene Jan Harper sieht in dem Film die letzte Chance, ihre Karriere noch voranzubringen, und setzt sich erfolgreich für die Fortsetzung der Planungen ein, schließlich sorgt die Flucht von Norman Bates für zusätzliche Werbung für den Film. Dr. Clairborne soll als fachlicher Berater fungieren und das Drehbuch von Roy Ames auf Herz und Nieren prüfen. Doch Clairbornes Bedenken wegen der Gewaltverherrlichung werden nicht besonders ernst genommen, denn Sex und Gewalt locken nun mal das Publikum in die Kinos. 
Vor allem Regisseur Santo Vizzini will sich nicht auf die Reduzierung der Gewaltdarstellung einlassen, doch als sich merkwürdige Ereignisse auf dem Studiogelände häufen, werden alle Beteiligten etwas nervös… 
„,Verrückte Lady‘ würde ein Triumph werden, denn der Streifen würde die Wirklichkeit zeigen, beinahe so echt wie der Kokain-Film. Es war das Dokumentarische, worauf es ankam. Driscoll verstand das nicht; das einzige, was ihn interessierte, war Geld. Für ihn war der Bankauszug wichtig, aber für den kreativen Künstler war nur der Film von Bedeutung. Die nackte, ungeschminkte Wahrheit in einer Welt, in der die Frauen ihr schmutziges Geheimnis unter den Röcken verbergen. Man musste ein Mann sein wie er selbst, ein Mann wie Norman, um dieses Geheimnis zu enthüllen, um das Böse zu entlarven und zu bestrafen.“ (S. 218) 
Dass die Universal Studios kein großes Interesse an der Verfilmung von Robert Blochs Romanfortsetzung von „Psycho“ zeigten, lässt sich nur zu gut nachvollziehen. Zunächst spielt Norman Bates in dem Roman „Psycho 2“ nur in den ersten Kapiteln eine tragende Rolle, dann verschwindet er vollkommen in der Versenkung, während sich die Handlung nach Norman Bates‘ Flucht aus der Nervenheilanstalt ganz auf die geplante Hollywood-Produktion konzentriert. Hier kommen nicht nur Robert Blochs intimen Kenntnisse der Filmproduktion zum Tragen, sondern auch sein Faible für psychologisch fundierte Charakterisierungen, die stellvertretend für den Autor der Psychiater Dr. Clairborne und später auch sein Chef Dr. Steiner vornehmen. 
Doch im Gegensatz zu „Psycho“ gelingt es der Fortsetzung nicht, die interessante Ausgangssituation durch Norman Bates‘ Flucht, die mit dem Start der Filmproduktion über sein Leben zusammenfällt, bis zum Finale dramaturgisch packend weiterzuführen. Stattdessen geht Bloch mit der Prämisse von Sex und Gewalt in Hollywood-Produktionen hart ins Gericht, was Universal ein weiterer Dorn im Auge gewesen sein dürfte, um ein eigenes Drehbuch für die Fortsetzung von „Psycho“ in Auftrag zu geben und Robert Bloch bei den Filmvorbereitungen außen vor zu lassen und ihn nicht zu einer Vorführung einzuladen. 
So interessant die Einblicke in die Prozesse und Motivationen hinter einer Filmproduktion auch sind, kommt bei „Psycho 2“ einfach keine Spannung auf. Gerade der psychologisch arg konstruiert wirkende Schluss verleiht dem Roman seinen Todesstoß. 

 

John Grisham – „Feinde“

Freitag, 31. März 2023

(Heyne, 542 S., HC) 
Seit seinem 1989 veröffentlichten Debütroman „Die Jury“ vergeht kaum ein Jahr, in dem nicht ein neuer John-Grisham-Roman erscheint. Allerdings hat sich der Hype um seine spannungsgeladenen Justiz-Thriller, die in den 1990er Jahren von so renommierten Filmemachern wie Sydney Pollack („Die Firma“), Alan J. Pakula („Die Akte“), Joel Schumacher („Der Klient“, „Die Jury“) und Francis Ford Coppola („Der Regenmacher“) längst gelegt. Tatsächlich findet Grisham auch kaum noch so sensationell spannende Themen, die Leser und Kinopublikum fesseln. In seinem neuen Roman wärmt der ehemalige Anwalt und demokratische Politiker vertraute Themen auf und spult routiniert einen unterhaltsamen, aber überraschungsarmen Plot runter. 
Biloxi galt schon vor hundert Jahren als „Meeresfrüchte-Hauptstadt der Welt“, verschickte anno 1925 zwanzig Millionen Tonnen an Austern und Garnelen in den Rest des Landes. Verarbeitet wurden die Meeresfrüchte meist von Einwanderern aus Osteuropa, vornehmlich aus Kroatien, und die Einwanderungsbehörden amerikanisierten die für sie oft unaussprechbaren Nachnamen. In der Zeit der Prohibition bekam man in Biloxi nichts von dem Verbot des Handels und Transports von Alkohol mit. Etliche Bars und Clubs florierten in der für Touristen attraktiven Stadt, gegen das florierende Glücksspiel und die kaum verhüllte Prostitution ging die Polizei nicht vor, bekamen die vielen korrupten Beamten doch ein schönes Stück vom Kuchen ab. 
Allerdings zog diese offen zur Schau getragene Akzeptanz illegaler Aktivität auch Verbrecher und Gangster der sogenannten „Dixie-Mafia“ an. Die 1948 geborenen Jungen Keith Rudy und Hugh Malco entwickelten sich als Zehnjährige zu talentierten Baseballspielern und wurden Freunde. Doch als die Jungs älter werden und klar wird, dass sie keine Profikarriere im Sport einschlagen werden, entwickeln sie sich auseinander. Während Hugh seinen Vater Lance früh dabei unterstützt, die Clubs mit dem Glücksspiel am Laufen zu halten, ist Keith von der juristischen Arbeit seines Vater Jesse Rudy fasziniert und unterstützt ihn bei der Kandidatur zum Bezirksstaatsanwalt. 
Zwar geht die erste Wahl, bei dem Jesse mit dem Versprechen angetreten ist, mit dem Verbrechen aufzuräumen, noch verloren, doch im zweiten Anlauf schlägt er seinen Kontrahenten Rex Dubisson. Doch der Kampf gegen das organisierte Verbrechen erweist sich als schwierig. Kontrahenten schalten sich gegenseitig aus, indem sie Auftragskiller nach Biloxi kommen lassen, und Lance Malco agiert immer skrupelloser, um seine Geschäfte zu schützen. 
Als Keith Rudy und Hugh Malco in die Fußstapfen ihrer Väter treten, spitzt sich die Situation nach einem Bombenattentat im Gerichtsgebäude zu, denn Keith lässt nichts unversucht, seinen Freund aus Kindertagen aus dem Verkehr zu ziehen. Da er sich auf die örtlichen Behörden nicht verlassen kann, zieht er State Police und FBI hinzu, die auch erste Erfolge im Kampf gegen das Verbrechen erzielen. Doch an die Malcos heranzukommen, erweist sich als schwieriger… 
„Sie suchten nach professionellen Auftragsmördern, deren Spuren längst erkaltet waren. Sie wateten durch den Morast einer Unterwelt, die ihnen fremd war. Sie kämpften um Gerechtigkeit für Opfer, die selbst Kriminelle waren. Sie versuchten, ohne Aussicht auf Erfolg Bargeldströme nachzuverfolgen.“ (S. 365)
Nach über vierzig Romanen (zu denen neben den Justiz-Thrillern auch Sportlerdramen und eine Jugendbuchreihe zählen) hat John Grisham die Lust am Geschichtenerzählen nicht verloren, allerdings versteht er es nicht mehr zwangsläufig, sein Publikum mit außergewöhnlichen Fällen, faszinierenden Wendungen und starken Figuren in den Bann zu ziehen. 
„Feinde“ liest sich fast wie eine nüchterne Dokumentation über die Geschichte kroatischer Einwanderer, die in der Küstenstadt Biloxi arbeiten und Familien gründen. Grisham lässt sich über den Werdegang der Malcos und Rudys ebenso lang aus wie über die Entwicklung der Stadt vom prosperierenden Handelsschwerpunkt für Meeresfrüchte zu einer Bastion des Glücksspiels und der Prostitution. Dabei gelingt es dem Autor nie, die Distanz zwischen seinen Figuren und seiner Leserschaft zu überbrücken. „Feinde“ spult recht uninspiriert die Lebensläufe, Gemeinsamkeiten und schließlich todbringenden Konflikte zwischen den Rudys und den Malcos ab, ohne dem Plot interessante Akzente oder Wendepunkte zu verleihen, um etwas Spannung zu erzeugen. Zwar zieht Grisham zum Ende hin das Tempo etwas an, doch kommt auch im Finale nicht mehr genügend Schwung auf, um dem Roman Klasse verleihen zu können. 

Dan Simmons – „In der Schwebe“

Donnerstag, 23. März 2023

(Heyne, 332 S., Tb.) 
Dan Simmons wird nicht nur von Kollegen wie Stephen King, Peter Straub und Dean R. Koontz als „brillant“ verehrt, sondern auch wegen seiner Geschichten, die sich mal dem Horror-Genre, dann wieder der Science-Fiction und schließlich des historischen Abenteuerromans zuordnen lassen. Nachdem Simmons für seinen 1985 veröffentlichten Debütroman „Song of Kali“ (dt. „Göttin des Todes“) mit dem renommierten World Fantasy Award ausgezeichnet worden war, legte er 1989 mit dem Horror-Roman „Carrion Comfort“ (dt. „Kraft des Bösen“), dem zum Klassiker avancierten Science-Fiction-Epos „Hyperion“ und „Phases of Gravity“ gleich drei, ganz unterschiedliche Nachfolgewerke vor. 
Während die beiden erstgenannten Romane mehrfach prämiert wurden, fällt „Phases of Gravity“ qualitativ leider stark ab. Der Roman wurde im deutschsprachigen Raum 1994 zunächst unter dem Titel „In der Schwebe“ veröffentlicht, 15 Jahre später unter dem neuen, unnötigen und etwas irreführenden Titel „Monde“ neu aufgelegt. 
Vor sechzehn Jahren war Richard E. Baedecker ein gefeierter Astronaut, der zu den wenigen seiner Zunft zählte, der je einen Fuß auf den Mond gesetzt hat. Mittlerweile ist der über Fünfzigjährige geschieden und arbeitet für eine Flugzeugfirma in St. Louis. Achtzehn Monate nach der Challenger-Explosion macht sich Baedecker auf den Weg nach Indien, um seinen Sohn Scott zu besuchen, der in einem Ashram in Poona nach dem Sinn des Lebens sucht. Während die Begegnung mit seinem Sohn enttäuschend kurz ausfällt, verbringt Baedecker viel Zeit mit Scotts Freundin Maggie Brown, die ihm die wirklichen Sehenswürdigkeiten in Indien nahebringt und ihm von Orten der Macht erzählt. 
Zurück in den USA kündigt Baedecker seinen Job und besucht Glen Oak, wo als Ehrengast zum Old-Settlers-Wochenende eingeladen wurde. Dabei hat der ehemalige Astronaut vor zweiundvierzig Jahren gerade mal drei Jahre mit seiner Familie in dem kleinen Dorf in Illinois gelebt. Seine neue Ungebundenheit nutzt Baedecker, um mit Maggie nach ihrer Heimkehr aus Indien eine Affäre anzufangen und seine beiden Gefährten der Mondmission aufzusuchen. Während Tom Gavin zu einem fundamentalistischen religiösen Eiferer mutierte, machte Dave Muldorff Karriere als Kongressabgeordneter von Oregon. Als Muldorff unter ungeklärten Umständen bei einem Hubschrauber-Absturz ums Leben kommt, verspricht Baedecker dessen schwangerer Frau, seine eigenen Ermittlungen über die Unfallursache anzustellen. 
„,Wiedergeboren zu werden bedeutet nicht, dass man irgendwo angekommen ist‘, sagte Dave. , Es bedeutet, man ist bereit, die Reise anzutreten. Die Pilgerfahrt zu weiteren Orten der Macht, die zum Scheitern verurteilte Suche, um Menschen und Dinge, die man liebt, davor zu bewahren, von den Schlingpflanzen erwischt und nach unten gezogen zu werden.‘“ (S. 255) 
Im Gegensatz zu seinen anderen Werken lässt sich „In der Schwebe“ keinem für Dan Simmons typischen Genres zuordnen. Der Roman erzählt nicht einfach die Lebensgeschichte des bekannten, fiktiven Astronauten Richard E. Baedecker, sondern von der vielleicht wichtigsten Reise seines Lebens, die er nach dem Flug zum Mond unternommen hat. 
Simmons setzt seine Geschichte aus verschiedenen Episoden in Baedeckers Leben zusammen, die aus den Erinnerungen des Protagonisten gespeist werden. Doch wirklich nahe kommt man Baedecker dabei nicht. Sowohl seine Beziehungen zu seinem Sohn als auch zu seinen NASA-Kameraden werden zu oberflächlich abgehandelt, so dass der Leser nur eine Ahnung von deren Charakter vermittelt bekommt. Nicht mal die seltsam geartete Liebesbeziehung zu Maggie verhilft hier nicht zu mehr Klarheit. Zwar bereist Baedecker eine Vielzahl von Orten in diesem Roman, doch scheint das Ziel die Reise selbst zu sein, denn ein signifikanter Erkenntnisgewinn, eine Wandlung in der Persönlichkeit ist nicht auszumachen. Dabei hätte am Ende die Begegnung mit dem weisen Cheyenne-Indianer Robert Sweet Medicine auf dem Bear Butte einige Möglichkeiten geboten, dem Roman eine fundamentale Wendung zu geben. 
So treibt „In der Schwebe“ dem programmatischen Titel folgend etwas ziellos ohne jegliche Spannung dahin. Allein Simmons‘ gewohnt gefälliger Schreibstil verhindert, dass der Roman gänzlich enttäuscht. Wer vorher kein anderes Werk des versierten Schriftstellers gelesen hat, wird dies nach der Lektüre von „In der Schwebe“ bzw. „Monde“ wohl auch nicht mehr tun. 

 

Robert Bloch – „Werkzeug des Teufels“

Donnerstag, 16. März 2023

(Rotbuch, 208 S., Tb.) 
Lange bevor Robert Bloch mit der 1959 veröffentlichten Romanvorlage zu Alfred Hitchcocks Spannungs-Klassiker „Psycho“ weltberühmt wurde, begann bereits in den 1930er Jahren erste, von H.P. Lovecraft beeinflusste Geschichten für das Magazin „Weird Tales“ zu schreiben, ehe er auch andere Pulp-Magazine bediente. Insofern war Bloch von früh an in seiner schriftstellerischen Karriere mit den Mechanismen der sogenannten „Schundliteratur“ vertraut. Bloch veröffentlichte 1947 mit „Der Schal“ seinen ersten Roman, startete aber erst 1954 als Romanautor voll durch, als neben dem hierzulande noch unveröffentlichten Roman „The Will to Kill“ und „The Kidnapper“ (dt. „Die Psycho-Falle“) auch noch der Roman „Spiderweb“ als Teil der Ace-Double-Reihe von Ace Pocketbooks zusammen mit David Alexanders „The Corpse in My Bed“ erschien. Der Rotbuch Verlag veröffentlichte „Spiderweb“ schließlich in der deutschen Erstveröffentlichung als „Werkzeug des Teufels“ in seiner Reihe Hard Case Crime, doch im Vergleich zu früheren Veröffentlichungen in der Reihe von Ed McBain, Mickey Spillane, Lawrence Block und Donald E. Westlake wirkt Blochs „Werkzeug des Teufels“ recht zahm. 
Eddie Haines hätte in seiner Heimatstadt Des Moines, Iowa, eine Karriere als Fernsehsprecher einschlagen können, doch er träumt natürlich wie so viele von dem ganz großen Durchbruch in Hollywood. Doch der will sich durch seinen Agenten Larry Rickert, dem er bereits dreihundert Dollar gezahlt hat, auch nach zwei Monaten einfach nicht einstellen. Haines will in seiner kleinen Einzimmerwohnung gerade mit einem Rasiermesser sein Leben beenden, als es an der Tür klopft, ein Hundertdollarschein unter der Tür durchgeschoben wird und sich der Besucher als Professor Hermann vorstellt, der Großes mit Haines vorhat und ihm Ruhm und Reichtum in Aussicht stellt. 
Hermanns ausgeklügelter Plan beginnt damit, Haines eine neue Identität als Dr. Judson Roberts zu verleihen, ihn unzählige Traktate aus den Bereichen Metaphysik, Okkultismus, Theologie und vor allem Psychologie und Psychiatrie lesen zu lassen, damit er als gutaussehender Lebensberater für betuchte Hollywood-Prominenz fungieren kann. 
Als erstes Opfer, das es zu schröpfen gilt, soll das Filmsternchen Lorna Lewis herhalten, die sich in einer unglücklichen Ehe befindet. Roberts sorgt für das plötzliche Ableben des Mannes, Hermann tarnt den Mord als Autounfall und hat nicht nur seinen Komplizen in der Hand, sondern kassiert ein üppiges Schweigegeld von Lorna. In diesem Sinne soll die Zusammenarbeit zwischen Hermann und Haines/Roberts fortgesetzt werden, doch allmählich bekommt Haines Skrupel bei seinem unmoralischen Tun, das ihn längst nicht zu dem reichen Mann werden lässt, wie der Professor es versprochen hatte. 
Als sich Haines auch noch in Ellen Post, eine wohlhabende Nichte des Senators Leland Post, verliebt, den Hermann auszunehmen gedenkt, plant er, den Spieß umzudrehen und Hermann zu erpressen. Doch der kluge Professor scheint immer einen Schritt voraus zu sein… 
„Nun, da hätten wir es, Mike Drayton war tot, Edgar Caldwell saß in der Patsche und würde es nicht mehr lange machen, und Ellen Post war die Nächste auf der Liste. Ich brachte jedem Unheil, der sich mit mir einließ. Denn ich war eine Marionette namens Judson Roberts, und der Professor hielt die Fäden in der Hand. Allerdings würde er für eine Weile verreist sein. Mir blieben vier oder fünf Tage. Vier oder fünf Tage, um alles wieder in Ordnung zu bringen und zusammen mit Ellen für immer zu verschwinden. Das war meine einzige Chance. Ich musste mir alles genau überlegen und rasch handeln.“ (S. 160) 
Robert Bloch ist nicht nur ein Mann der Horror-, Kriminal- und Science-Fiction-Kurzgeschichten (die in Bänden wie „Die besten Science-Fiction-Stories von Robert Bloch“, „Horror-Cocktail“, „Die Pension der verlorenen Seelen“ und „Boten des Grauens“ erschienen sind), sondern auch der kurzen Romane. In der Effizienz seiner erzählerischen Dramaturgie gleicht er heutigen Bestseller-Autoren wie James Patterson, die sich wenig um eine ausdifferenzierte Figurenzeichnung bemühen, sondern alles auf die Handlungsebene, auf Tempo und Atmosphäre fokussieren. 
Insofern bietet „Werkzeug des Teufels“ auf gerade mal 200 Seiten eine zwar temporeiche Story mit viel Sinn für die Psychologie der Figuren, doch bleiben diese doch recht blutleer. Weder taugt der Ich-Erzähler Eddie Haines als sympathische Identifikationsfigur, noch gewinnen die beteiligten Damen Lorna Lewis und Ellen Post an Profil. Und auch der genial-raffinierte Professor Hermann und sein Handlanger wirken wie Klischees. Dem Etikett „Hard Case Crime“ wird „Werkzeug des Teufels“ also nicht gerecht, doch bietet der Krimi ein solides Lesevergnügen mit dem für Bloch typischen lakonischen Humor. 

 

Raymond Radiguet – „Den Teufel im Leib“

Mittwoch, 15. März 2023

(Pendragon, 224 S., HC) 
Der frühe Tod von begnadeten Künstlern wie Jim Morrison, Ian Curtis, Janis Joplin, James Dean oder Jimi Hendrix scheint sich in der Regel positiv auf ihre nachfolgende kultische Verehrung und Popularität auszuwirken. Posthumen Ruhm erfuhr auch der französische Journalist, Dichter und Schriftsteller Raymond Radiguet, der im zarten Alter von 17 Jahren seinen ersten, weitgehend autobiografischen Roman „Den Teufel im Leib“ veröffentlichte und das Erscheinen seines zweiten Romans „Der Ball des Comte d’Orgel“ schon nicht mehr miterlebte, da er bereits zwanzigjährig an Typhus verstarb. 
Mit seinem 1923 veröffentlichten Erstlingswerk schockierte der junge Mann, der sich im Umfeld der Künstler Jean Cocteau, Max Jacob, George Auric, Francis Poulenc, Picasso und Modigliani bewegte, die literarische Welt, erntete aber auch viel Anerkennung, die letztlich sogar zu mehreren Verfilmungen führte. Nun hat der Bielefelder Pendragon-Verlag den Klassiker mit Illustrationen von Jean Cocteau neu aufgelegt. 
Als der Erste Weltkrieg ausbricht, ist der in einem kleinen Dorf an der Marne aufgewachsene François gerade zwölf Jahre alt und erlebt die folgenden vier Jahre vor allem als eine Zeit großer Ferien. Da seine Mutter ihn für zu jung befand, um in Paris aufs Lycée Henri-Quatre zu gehen, verbrachte François die Zeit zuhause, absolvierte das Lernpensum in wenigen Stunden und hatte so genügend Zeit für ausgiebige Wanderungen am Fluss entlang. 
Bei einem Ausflug an einem Sonntag im April 1917 nach La Varenne lernt François die achtzehnjährige Marthe kennen und verliebt sich in sie. Da er selbst erst fünfzehn ist und Marthe bereits mit einem Soldaten namens Jacques verlobt ist, steht die Liebe zunächst unter einem ungünstigen Stern. François lässt sich jedoch nicht beirren und findet immer neue Ausreden und Tricks, um sich aus dem elterlichen Haus und in die kleine Wohnung seiner Angebeteten zu schleichen. Schwierig wird es erst, wenn Marthes Verlobter im Fronturlaub nach Hause kommt – und erst recht, als Marthe schwanger wird… 
„Wenn das Herz seine Gründe hat, die dem Verstand verborgen bleiben, dann bedeutet das, dass unser Verstand weniger vernünftig ist als unser Herz. Wahrscheinlich ist jeder von uns ein Narziss, der sein Bild liebt und hasst, aber kein anderes ansehen mag. Dieses Gespür für Ähnlichkeit leitet uns im Leben und lässt uns innehalten angesichts einer Landschaft, einer Frau, eines Gedichtes. Bewundern können wir auch andere, aber ohne diesen Ruck zu spüren.“ (S. 108) 
Radiguet war zwar ein mittelmäßiger Schüler, machte sich aber frühzeitig mit den Werken von Stendhal, Proust, Verlaine, Mallarmé, Rimbaud, Baudelaire und Lautréamont vertraut. Deren sprachliche Virtuosität hat sich der Teenager schnell zu eigen gemacht, denn sein Romandebüt „Den Teufel im Leib“ fasziniert hundert Jahre nach seiner Erstveröffentlichung vor allem durch die bildreiche Sprache, die die frühreife Geilheit eines Fünfzehnjährigen sehr reflektiert zum Ausdruck bringt. 
Als das Buch 1923 veröffentlicht wurde, sorgte vor allem der beschriebene Umstand, dass ein tapfer für Frankreich im Krieg kämpfender Soldat von seiner Frau und ihrem minderjährigen Liebhaber betrogen wird, natürlich für einen Skandal. Heute ist es eher die ausführliche, für einen 15-Jährigen wohl typische narzisstische Beschreibung einer leidenschaftlichen, natürlich alles andere als problemfreien Amour fou, die das Interesse des Lesers weckt, denn Radiguet versteht es, die ganze Bandbreite der Empfindungen, Motive und Entscheidungen seines Alter egos lebensnah zu dokumentieren, mitsamt der Täuschungsmanöver und der Ausgrenzung durch Nachbarn und nahestehende Familienmitglieder. 
Die Neuausgabe von „Den Teufel im Leib“ enthält nicht nur Illustrationen von Radiguets Freund und Mentor Jean Cocteau, sondern auch Briefe und Gedichte, die das persönliche Bild um den früh verstorbenen Autors ebenso abrunden wie das kurze Nachwort des versierten Übersetzers Hinrich Schmidt-Henkel. 

 

James Ellroy – „LAPD '53“

Sonntag, 12. März 2023

(Ullstein, 224 S., Tb.) 
Der 1948 in Los Angeles geborene Schriftsteller James Ellroy zählt zu den schillerndsten Vertretern seiner Zunft, wuchs er nach der Scheidung seiner Eltern doch in einer unbeständigen Umgebung auf, trieb sich mit voyeuristischem Eifer auf den Straßen herum und musste im Alter von zehn Jahren damit umgehen, dass seine Mutter einem nie aufgeklärten Sexualverbrechen zum Opfer fiel. Ellroy verschlang in seinen Jugendjahren True-Crime-Reportagen, wobei ihn der als Schwarze-Dahlie-Fall bekanntgewordene Mord an der Nachwuchsschauspielerin Elizabeth Short aus dem Jahr 1948 besonders faszinierte, und Krimis von Mickey Spillane, Raymond Chandler, Ross Macdonald und Joseph Wambaugh, ehe Ellroys Leben selbst von Kleinkriminalität, Obdachlosigkeit, Rassismus, Voyeurismus sowie Alkohol- und Drogenabhängigkeit geprägt wurde. Als er Anfang der 1980er Jahre seine Schriftsteller-Karriere mit den Romanen „Browns Grabgesang“, „Heimlich“, „Blut auf dem Mond“ und „In der Tiefe der Nacht“ startete und den berühmten Fall um „Die Schwarze Dahlie“ als Roman verarbeitete, entwickelte sich auch eine bis heute andauernde Beziehung zum – neben dem britischen Scotland Yard - vielleicht berühmtesten Polizeirevier der Welt, dem Los Angeles Police Department, kurz LAPD genannt. 
Vor zehn Jahren begann James Ellroy zusammen mit dem damaligen Chief of Police William Bratton, an einem Buch mit Tatortfotos zu arbeiten, die in dem einmaligen Los Angeles Police Museum aufbewahrt werden. Aus der Vielzahl aussagekräftiger Bilder haben Ellroy, der LAPD-Veteran Glynn Martin und engagierte Mitarbeiter des einzigartigen Museums für den vorliegenden Band das Jahr 1953 ausgewählt, ein Jahr, in dem nicht nur die Bullen das Sagen hatten, sondern von einem ambitionierten, reformierenden und tüchtigen ebenso wie kompromisslosen und trinkfreudigen Mann namens William „Whiskey-Bill“ H. Parker geprägt wurde, der dem LAPD sechzehn Jahr vorstand und dem Hauptgebäude seinen Namen verlieh, nachdem er 1966 plötzlich verstorben war. 
„LAPD '53“ besticht zunächst einmal durch gestochen scharfe, gut ausgeleuchtete Schwarzweiß-Bilder, auf denen nicht nur „einfache“ Morde und Selbstmorde festgehalten sind, sondern auch so kunstvolle Arrangements, mit denen Menschen gewaltsam – aber auch freiwillig – aus dem Leben geschieden sind, so wie die ausgefeilte Konstruktion aus Rollen, Schnüren und Gewichten, mit der ein Mann im engsitzenden Damenbadeanzug den Erstickungstod herbeiführte. Oder aus dem Ruder gelaufene Überfälle auf die omnipräsenten Schnapsläden. Die Polizisten am Tatort markieren für die Fotos Einschusslöcher und weitere Indizien, Ellroy spinnt dazu die passenden Geschichten. Hier treffen dann True-Crime und Fiktion aufeinander, denn nicht immer ließen sich Tathergang und Motiv zweifelsfrei rekonstruieren. Ellroy beschwört in seinen Beschreibungen und Geschichten immer wieder den Film noir herauf, nennt Filme wie „Schritte in der Nacht“ (1948), „Opfer der Unterwelt“ (1950), „Gewagtes Alibi“ (1949) und die Fernsehserie „Dragnet“ als Bezugspunkte und vergleicht die Protagonisten der vorgestellten Fälle mit bekannten Hauptdarstellern jener Zeit. 
„City Hall ist City Hall. Das prächtigste Gebäude im L.A. von damals und das Markenzeichen des L.A. von heute. Der bemerkenswerteste und bestbekannte städtische Amtssitz im gegenwärtigen Amerika. Und die entschiedenste Manifestation von L.A. und von Bill Parkers LAPD als epischem Epizentrum und durchsetzungsmächtigem starken Arm des Film noir. Yeah, Kater und Kätzchen – wir schreiben 1953. Das Detective Bureau des LAPD arbeitet rund um die Uhr in der City Hall. Was wäre der Film noir ohne City Hall als L.-A.-Fixpunkt, L.-A.-Markenzeichen und fabulös phallisch emporgereckter Mittelfinger des Schicksals?“ 
„LAPD '53“ vermittelt einen interessanten Blick auf das Jahr 1953 aus einer ungewöhnlichen Perspektive. Ellroys oft lakonischen, fast schon vulgären Beschreibungen der soziologischen Verhältnisse, der ausgeübten Verbrechen und der schnörkellosen Polizeiarbeit in Verbindung mit den schonungslos realistischen, unverstellten Tatortfotos, Steckbriefen und Verbrecherfotos aus den Polizeiarchiven wirken wie Standbilder aus den oft zitierten Film noirs jener Jahre, wobei Ellroys Sprache sicher nicht jedermanns Geschmack treffen wird.  
„LAPD '53“ lädt dazu ein, sich selbst Geschichten zu den manchmal verstörenden Bildern auszudenken, liefert aber auch faszinierende Eindrücke damaliger Polizeiarbeit in der „Stadt der Engel“. 

Andrea De Carlo – „Yucatan“

Samstag, 11. März 2023

(Diogenes, 260 S., HC) 
Mit seinen Anfang der 1980er veröffentlichten Romanen „Creamtrain“, „Vögel in Käfigen und Volieren“ und „Macno“ avancierte der 1952 in Mailand geborene Schriftsteller, Musiker und Gelegenheitsfilmemacher Andrea De Carlo zum Sprachrohr einer ganzen Generation und durch die Veröffentlichung im deutschsprachigen Raum durch Diogenes auch hierzulande zum Bestseller-Autor. Mit seinem vierten, im Original 1986 veröffentlichten Roman „Yucatan“ konnte De Carlo allerdings nicht an die Qualität seiner Frühwerke anknüpfen. 
Der jugoslawische Filmemacher Dru Resnik träumt seit Jahren davon, ein Buch des berühmten mexikanischen Schriftstellers Astor Camado zu verfilmen, um den sich etliche Legenden ranken, von dem niemand weiß, wer er wirklich ist, da es noch niemandem gelungen ist, ihn zu fotografieren oder zu interviewen. Es kursierten sogar Gerüchte, dass Camado durch übermäßigen Konsum von Peyotl und Mescalin in den Wahnsinn getrieben worden sei und wie ein Zombie irgendwo im kolumbianischen Urwald lebe. 
Durch den neureichen amerikanischen Produzenten Jack Nesbitt bekommt Resnik nun die Möglichkeit, nicht nur an die Filmrechte für die Bücher seines verehrten Schriftstellers zu erwerben, sondern auch in Mexiko die Orte zu besuchen, an denen seine Bücher spielen. Zusammen mit seinem Assistenten Dave Hollis macht sich Resnik auf den Weg nach Los Angeles, wo sie sich mit dem Schriftsteller und seinen beiden Begleiterinnen Kate und Mirabel treffen. Doch schon die Weiterreise entwickelt sich zu einem Abenteuer. Statt gemeinsam ein Flugzeug zu nehmen, beharrt Camado darauf, getrennt in zwei Autos zu fahren. 
Dann sorgen verstörende anonyme Telefonanrufe und in Hotelzimmer geschmuggelte Nachrichten für ein wachsendes Unbehagen unter der Reisegruppe, der sich schließlich noch ein „spiritual girl“ und ein „physical girl“ anschließen, doch nützlichen Erkenntnissen für den geplanten Film kommen Dru, Nesbitt und Dave nicht wirklich näher… 
„Und es ist völlig unklar, welchem Zweck das Ganze dienen soll, wenn es überhaupt einen hat, es ist völlig unklar, ob wir hier an einer Schnitzeljagd teilnehmen oder an einer spiritistischen Exkursion, oder ob es vielmehr eine Geschäftsreise ist, die mich dazu bewegen soll, bei meiner Arbeit andere Ingredienzien zu verwenden, als ich es bisher gewohnt war. Ich habe mich niemals dazu berufen gefühlt, Botschaften von anderen zu übersetzen und zu verbreiten, kann mir nicht vorstellen, dass ich der ideale Regisseur bin, um einen missionarischen Film zu machen… (S. 192f.) 
Aus der Perspektive des Assistenten, den De Carlo als Ich-Erzähler einsetzt, schildert „Yucatan“ die eigentlich interessante Geschichte eines außergewöhnlichen Filmprojekts. Schließlich kommen ein geheimnisumwitterter, an Carlos Castaneda erinnernder Erfolgsautor, ein ambitionierter Produzent und ein europäischer Filmemacher zusammen, der bei den Cineasten hoch angesehen wird. 
Doch aus der vielversprechenden Idee entwickelt De Carlo tatsächlich nur eine Schnitzeljagd, wie der Filmemacher (dessen Eindrücke immer wieder in kurzen Kapiteln ebenfalls in der Ich-Form eingefügt werden) die Reise von Europa über Los Angeles nach Mexiko und zurück nach Los Angeles empfindet, einzig angetrieben von den mysteriösen Nachrichten, die von einer höheren Macht namens Tu zu kommen scheinen, auf jeden Fall aber ein höheres Verständnis der Gesamtsituation erkennen lassen, so dass Dru, Nesbitt und Dave mit ihrem wechselnden weiblichen Anhang den Hinweisen und Anweisungen auch Folge leisten, was zu den mitunter komischen Szenen führt, dass die Beteiligten Jacken in bestimmten Farben besorgen müssen. 
„Yucatan“ ist allerdings weder witzig noch interessant. De Carlo gelingt es nicht, seinen Figuren ein überzeugendes Profil zu verleihen. Der Roman soll angeblich von der Konfrontation amerikanischer „Technologie-Euphorie“ mit der mythologisch geprägten Welt Mittelamerikas handeln, doch bleibt dieser Anspruch zu abstrakt, um eine fesselnde Geschichte mit interessanten Figuren zu ergeben, die durch die Begegnung mit dem Übernatürlichen nicht mal eine Entwicklung durchmachen. Selbst die punktuell eingestreuten amourösen Abenteuer, die De Carlo eigentlich sinnlich zu inszenieren versteht, verkommen hier zu uninspirierten Begegnungen, die dann auch den gelangweilten Leser erfassen. 
„Yucatan“ plätschert nach einer vielversprechenden Exposition nur noch in gleichmäßig behäbigem Tempo ziellos und ohne Auflösung dahin, so als hätte De Carlo nach wenigen Seiten selbst das Interesse an dem Buch verloren.  

James Patterson – (Alex Cross: 26) „Pain“

Sonntag, 5. März 2023

(Blanvalet, 414 S., Tb.) 
Seit James Patterson 1993 mit „Morgen Kinder wird’s was geben“ den ersten, mit Morgan Freeman in der Hauptrolle als „Im Netz der Spinne“ auch erfolgreich verfilmten Roman um den smarten Detective Alex Cross veröffentlicht hat, legt der Bestseller-Autor nahezu im Jahrestakt einen neuen Thriller in der Reihe vor, die nicht nur zu den langlebigsten, sondern auch erfolgreichsten Thriller-Roman-Serien weltweit zählt. Allerdings erreicht Patterson nach den furiosen ersten Bänden mittlerweile kaum noch deren Intensität und Spannung. Auch der mittlerweile 26. Band, „Pain“, bietet konventionelle Spannung ohne besondere Raffinesse. 
An einem regnerischen Märznachmittag werden Alex Cross, ehemaliger Detective bei der Metropolitan Police von Washington, D.C., und FBI-Verhaltensforscher, und sein früherer Partner und bester Freund John Sampson im Hochsicherheitsgefängnis Greensville, Virginia, der Hinrichtung von Mikey Edgerton beiwohnen, nachdem er als schuldig des Mordes an acht Frauen verurteilt worden war. 
Edgerton selbst beteuert bis zum Ende seine Unschuld und verkündet, von Cross und Sampson hereingelegt worden zu sein, und seine Familie schwört Rache an den beiden mutmaßlich Verantwortlichen. Als sie sich nach Edgertons Exekution auf dem elektrischen Stuhl wieder auf den Weg zurück nach Washington machen, ereilt sie die Nachricht über den Fund einer nackten Frauenleiche. Im Schoß der Toten findet die Polizei eine an Cross gerichtete, von einem mysteriösen „M“ unterzeichnete Nachricht, die darauf hinweist, dass Edgerton womöglich zu Unrecht verurteilt wurde. 
Doch nicht nur Cross wurde von M an der Nase herumgeführt, sondern auch der FBI-Verhaltensforscher Martin Forbes, der angeklagt worden ist, die Verdächtigen eines Sexsklaven-Rings ermordet zu haben. Auf der Jagd nach dem ominösen M meint Cross seinem alten Widersacher Kyle Craig zu begegnen, der eigentlich tot sein sollte. Die raffinierten Methoden, mit denen M sowohl Cross und Sampson als auch dem FBI immer drei Schritte voraus zu sein scheint, erinnern aber tatsächlich an den brillanten Verbrecher. Als auch noch Cross‘ Sohn Ali von M entführt wird, muss sich der fürsorgliche Familienvater und ehrgeizige Ermittler aber mit der Möglichkeit auseinandersetzen, zu spät zu kommen… 
„Ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass M mich in die Enge getrieben hatte, ganz egal, wie dieses Sie wissen, was ich meine, nicht wahr? gemeint gewesen war. Damit war er in meinen Kopf eingedrungen, hatte mich in einen Zustand der Verwirrung und der wachsenden Nervosität versetzt.“ (S. 267) 
Es gehört längst zur erfolgreichen Masche, ist zum unverkennbaren Kennzeichen dieser Thriller-Reihe geworden, dass es der erfolgreiche Verhaltensforscher und Psychotherapeut Alex Cross immer mit den gewieftesten, intelligentesten und grausamsten Verbrecher-Genies zu tun bekommt, die die Menschheit hervorzubringen vermag. In „Pain“ handelt es sich um den geheimnisvollen „M“, der Cross scheinbar seit Jahren schon verfolgt, ihn mit Nachrichten verspottet und die Polizei und das FBI auf falsche Fährten und zu Verdächtigen führt, denen M geschickt Indizien unterjubelt, so dass diese unschuldig verurteilt werden. Man könnte vermuten, dass auch Patterson ähnlich wie John Grisham oder Stephen King ein Plädoyer gegen die Todesstrafe halten oder zumindest das Justizsystem hinterfragen würde, doch weit gefehlt. Die Alex-Cross-Reihe hält wacker die Fahne für die Strafverfolgungsbehörden hoch, proklamiert fleißig, dass jeder geniale Verbrecher überführt werden kann. Es braucht eben nur einen brillanten Ermittler wie Alex Cross, um dem Bösen Einhalt zu gebieten. 
Als Cross zum Ende hin endlich die Möglichkeit erhält, mit seinem Widersacher zu sprechen und ihn mit psychologischem Geschick den Aufenthaltsort von Ali zu entlocken versucht, hätte die Chance bestanden, der Frage nach der Natur des Bösen auf den Grund zu gehen, doch Cross und sein Schöpfer verpassen diese Gelegenheit zugunsten fadenscheiniger Psychologisierungen. 
So bietet „Pain“ letztlich nur die übliche temporeiche Schnitzeljagd, die durch einige private Herausforderungen in der Cross-Familie wie Jannies durch eine langwierige Erkrankung stockende Karriere als Läuferin bzw. Siebenkämpferin etwas aufgelockert wird.  

James Patterson & David Ellis – „Stadt der Vergeltung“

Montag, 27. Februar 2023

(Goldmann, 476 S., Tb.) 
Der gelernte Anwalt David Ellis hat schon einige eigene Romane veröffentlicht und für seinen 2002 veröffentlichtes Debüt „Line of Vision“ sogar gleich den renommierten Edgar Allan Poe Award eingeheimst. Hierzulande ist er vor allem als Co-Autor für den Fließband-Bestseller-Autor James Patterson bekannt, mit dem er beispielsweise die Thriller „Ocean Drive 7“, „Im Netz der Schuld“, „Unerbittlich“, „Todesgier“ und „Todesflammen“ realisiert hat, doch kommen all die Werke, die Patterson mittlerweile mit Co-Autoren umsetzt, nie an die Qualität seiner noch eigenverantwortlich geschriebenen Frühwerke der populären Reihen um Alex Cross und den Women’s Murder Club heran. Das trifft leider auch auf „Stadt der Vergeltung“ zu. 
Nachdem Detective Billy Harney einen Skandal aufgedeckt hatte, der alle wichtigen Akteure, selbst den Bürgermeister von Chicago, zu Fall brachte, Reformen und Versetzungen in Gang setzte und ihm selbst eine Kugel im Kopf einbrachte, steht Harney nach erfolgreicher Reha wieder vor der Rückkehr in den Polizeidienst. Polizeipräsident Tristan Driscoll hat die Turbulenzen zwar unbeschadet überstanden, ist aber nicht zuletzt wegen der schlechten Presse, die dem aufgedeckten Skandal folgte, Harney gegenüber nicht besonders wohlwollend eingestellt. 
Umso überraschter ist der Detective, dass er der jüngst ins Leben gerufenen SOS zugeteilt wird. Die Elite-Einsatztruppe der Special Operations Section soll zwar Schwerverbrechen im gesamten Stadtgebiet von Chicago nachgehen, schwerpunktmäßig aber in der West Side die dort berüchtigten wilden Schießereien unterbinden. Gleich der erste Fall, den Harney mit seiner neuen Partnerin, Carla Griffin, hat es in sich. Eine Schießerei in dem Viertel K-Town fordert vier Opfer. Alles sieht nach einem typischen Vorfall von Gangkriminalität aus, doch unter den Opfern befindet sich auch ein sehr junges Mädchen und ein Baby. Harney suchen unmittelbar Erinnerungen an die Tragödie von vier Jahren heim, als erst seine kleine Tochter an einem Schlaganfall starb und sich dann seine depressive Frau, die Anwältin Valerie Blinderman, mit einem Kopfschuss das Leben nahm. Wegen der daraus resultierenden Proteste aus der Bevölkerung drängen die Verantwortlichen natürlich auf eine schnelle Aufklärung. 
Als Damien „Junior“ Peppers, einer der Todesschützen aus der Truppe von Gangsterboss Jericho, hingerichtet und mit der Tatwaffe in seinem Wagen, entdeckt wird, scheint der Fall bereits aufgeklärt zu sein, doch für Harney sieht die Sache zu einfach aus, und das tote Mädchen, das osteuropäischer Herkunft zu sein schien und als Evie bekannt war, passt für ihn nicht in das Schema einer aus dem Ruder gelaufenen Drogensache. Ebenso wenig wie der wegen Mordes inhaftierte Antoine Stonewald, den Val vor ihrem Tod noch zu verteidigen versuchte. Offenbar versucht ein Mädchenhandel-Ring, seine Spuren zu verwischen, die sogar bis zu einem der letzten Fälle von Harneys Frau zurückreichen… 
„Stadt der Vergeltung“ bietet dem hartgesottenen James-Patterson-Fan gewohnt temporeiche Action im gewohnten Format. In knackig kurzen und entsprechend einfachen Sätzen in zwei- bis vierseitigen Kapiteln bekommt es der Ich-Erzähler Billy Harney mit einem besonders „kniffligen“ Fall zu tun. Dabei geben sich Patterson und sein Co-Autor nicht viel Mühe, ihren Protagonisten allzu sorgfältig einzuführen. Zwar wird der vorgebliche Selbstmord seiner Frau Val in Harneys Träumen und Erinnerungen immer wieder thematisiert und im weiteren Verlauf der Handlung sogar zunehmend in den Mittelpunkt gerückt, doch der eingangs erwähnte Skandal, der Harney gleichsam als Held und Verräter dastehen ließ, wird beispielsweise nicht näher mit Hintergrundinformationen unterfüttert. Stattdessen drücken Patterson und Ellis von Beginn an aufs Tempo, führen unzählige Figuren ein, mit deren Charakterisierung sich nicht lange aufgehalten wird, und bringen eine Geschichte ins Rollen, bei der Drogengeschäfte, Menschenhandel und vor allem Korruption in den eigenen Reihen munter durcheinandergewirbelt werden. Trotz einiger recht konstruiert wirkender Wendungen steuert die Morde zu Beginn auf eine teilweise sehr vorhersehbare Auflösung hin. So stellt „Stadt der Vergeltung“ einen Patterson-typischen Cop-Thriller dar, der über ein sehr hohes Tempo, aber über wenig dramaturgisches Geschick oder tiefgründige Figurenzeichnungen verfügt. Gerade die Beziehungen zwischen Billy, seiner Schwester Patti und ihrem im Gefängnis sitzenden Vater hätten viel sorgfältiger herausgearbeitet werden können.  

Robert Bloch – „Psycho“

Samstag, 25. Februar 2023

(Heyne, 188 S., Tb.) 
Auch wenn Robert Bloch (1917-1994) zwischen Mitte der 1940er Jahre und 1990 eine Vielzahl an Kurzgeschichten, Romanen und Drehbüchern schrieb, bleibt sein Name doch bis heute vor allem mit einem Titel verbunden, der Romanvorlage für Alfred Hitchcocks Spannungs-Klassiker „Psycho“ (1960). Im Gegensatz zu Hitchcock, der durch „Psycho“ seinen Ruf als „Master of Suspense“ zementierte, hatte Bloch durch den Erfolg der Verfilmung nicht viel gewonnen. Wie in früheren seiner Werke beschäftigt sich Bloch auch in „Psycho“ ausgiebig mit den Formen psychischer Dispositionen seiner Figuren. 
Mary Crane, die 27-jährige Sekretärin des Immobilienmaklers Lowery, sieht die Chance für einen Neubeginn ihres Lebens, als am Freitagnachmittag Tommy Cassidy den Kauf eines Hauses als Hochzeitsgeschenk für seine Tochter abschließt und sie damit beauftragt wird, die 40.000 Dollar in bar noch zur Bank zu bringen, bevor sie Feierabend macht. Doch statt das Geld zur Bank zu bringen, macht sich Mary mit dem Geld in ihrem Wagen von Phoenix, Arizona, auf den Weg zu ihrem Geliebten Sam Loomis nach Fairvale, denn das Geld würde ihm ermöglichen, die Schulden, die auf der ihm von seinen Eltern hinterlassenen Eisenwarenhandlung lasten, abzubezahlen und sie zu heiraten. 
Unterwegs tauscht sie ihren Wagen zweimal gegen andere Autos ein, um ihre Spuren zu verwischen, doch bei dem starken Regen während der stundenlangen, 1500 Kilometer weiten Fahrt gerät sie auf eine Nebenstraße, die sie einem nahezu verlassen wirkenden Motel führt. Norman Bates, der feiste, zurückgezogene Besitzer des Motels, das nach dem Bau einer Umgehungsstraße kaum noch frequentiert wird, erweist sich als zuvorkommender Gastgeber und lädt Mary sogar zu einem kleinen Imbiss in seinem Haus ein. Norman findet Gefallen an der attraktiven jungen Frau, weiß aber, dass seine kränkliche Mutter so eine Beziehung ihres geliebten Sohnes nicht tolerieren würde. Mary findet Norman allerdings etwas merkwürdig, sein Interesse an dem Ausstopfen toter Tiere ebenso wie an okkulter Literatur. Tatsächlich ist Normans Mutter so aufgebracht über das Flirten ihres Sohnes mit der jungen Frau, dass sie kurzerhand zum Fleischermesser greift und Mary unter der Dusche köpft. Ihrem Sohn überlässt sie es, die Leiche in einen Teppich zu wickeln und ins Auto des Opfers zu tragen, um dann das Auto im nahegelegenen Sumpf zu versenken. Doch für Norman ist die Angelegenheit damit nicht erledigt, denn Marys jüngere Schwester Lila macht sich Sorgen um Marys Verbleib, nachdem sie am Montag nicht zur Arbeit erschienen ist. Sie reist nach Fairvale, um mit Sam zu überlegen, was mit Mary passiert sein könnte. Und auch der Versicherungsdetektiv Arbogast klappert die Gegend auf der Suche nach Mary Crane ab und entdeckt, dass sich die Gesuchte unter einem falschen Namen in Bates‘ Motel eingetragen hat. Als auch Arbogast sich nicht wie abgesprochen bei Sam und Lila meldet, machen sich die beiden ebenfalls auf den Weg zu dem Motel und bringen Norman in arge Erklärungsnöte… 
„Mutters kleiner Junge zu sein hatte seine Schattenseiten. Solange er andererseits die Gefahren erkannte, konnte er mit ihnen und mit Mutter fertig werden. Sie durfte von Glück sagen, dass er genau wusste, wann er ein Mann zu sein habe, und dass er einiges von Psychologie und auch von Parapsychologie verstand.“ 
Im Gegensatz zur späteren Verfilmung durch Alfred Hitchcock führt Robert Bloch Norman Bates bereits im ersten Kapitel ein und etabliert ihn nicht nur sofort als Hauptperson, sondern verweist mit dessen ungewöhnlichen literarischen Vorlieben auch auf seine möglicherweise ungewöhnliche psychische Verfassung. Anders als Hitchcock macht Bloch auch recht früh auf die ungesunde Beziehung zwischen Norman Bates und seiner Mutter aufmerksam. Interessanterweise nimmt der Autor aber eine andere wichtige Person recht früh aus dem Rennen, indem er Mary Crane als Auslöserin der folgenden Ereignisse bei ihrem Aufenthalt in Bates‘ Motel sterben lässt. 
Mary Crane zählt wie ihre Schwester Lila und letztlich auch Normans Mutter zu den treibenden Kräften dieser Geschichte, während die Männer – Norman Bates ebenso wie Marys Geliebter Sam Loomis und Sheriff Chambers – von den Ereignissen mitgerissen werden, ohne sie zu beeinflussen. Allein der ambitionierte Versicherungsdetektiv Arbogast lässt bei seinen Ermittlungen nicht locker und wird dafür mit dem Tod bestraft. 
Inspirieren ließ sich Bloch – ebenso wie später Tobe Hooper bei „The Texas Chainsaw Massacre“ und Thomas Harris in seinem Roman „Das Schweigen der Lämmer“ – von Ed Gain (1906-1984), der 1957 gefasst wurde, nachdem er eine Händlerin erst ermordet und dann aufgehängt und geköpft hatte. In seiner abgelegenen Hütte fand die Polizei später Leichenteile – darunter Köpfe, Vaginas und Vulven - vieler verschiedener Frauen, die Gain auf Friedhöfen ausgegraben und präpariert hatte. 
Bloch interessieren aber weniger die blutigen Einzelheiten des Mordes an zwei Frauen verurteilten Grabschänders, sondern vor allem die krankhafte Beziehung zwischen Gain und seiner Mutter. Doch vertieft er die psychologische Komponente nicht allzu tief. Schließlich handelt es sich bei „Psycho“ vor allem um einen Spannungsroman, in dem – abgesehen von der Enthauptungsszene unter der Dusche – die Gewalt und schon gar nicht der Sex so suggestiv beschrieben wird wie später in Hitchcocks Verfilmung. 
In vielerlei Hinsicht ist Hitchcocks Verfilmung besser gelungen als Blochs Roman, obwohl sich Hitchcock dicht an der Vorlage hielt, die bis heute völlig im Schatten der Verfilmung steht. 
Bloch schrieb auf Drängen von Universal 1982 noch eine Fortsetzung, doch das Filmstudio entschied sich dann, eine davon losgelöste Geschichte zu erzählen. 1990 veröffentlichte Bloch mit „Psycho House“ noch eine weitere, ebenfalls nicht verfilmte Fortsetzung. Es sollte sein letzter eigenständig geschriebener Roman bleiben… 

 

Jean-Christophe Grangé – „Die marmornen Träume“

Dienstag, 21. Februar 2023

(Tropen, 681 S., HC) 
Der Franzose Jean-Christophe Grangé hat schon seit 1989 erfolgreich Drehbücher für die französische Fernsehserie „Série Noire“ (1984-1991) verfasst, ehe er bereits mit seinem hierzulande 1996 veröffentlichten Romandebüt „Der Flug der Störche“ auch als Schriftsteller den Durchbruch schaffte. Nach den erfolgreichen Verfilmungen seiner Romane „Die purpurnen Flüsse“ und „Das Imperium der Wölfe“ – jeweils mit Jean Reno in der Hauptrolle – avancierte Grangé zu einem der populärsten Thriller-Autoren Frankreichs. Mit seinem neuen Roman bewegt sich der Erfolgsautor auf ungewöhnliches Terrain, taucht tief in die Zeit der Nazis kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ein und lässt ein interessantes Ermittler-Trio Jagd auf den geheimnisvollen Marmormann machen… 
Der brillante Psychoanalytiker Simon Kraus ist zwar von kleiner Statur, verfügt aber über genügend Charisma und Sex-Appeal, dass er gleich reihenweise seine Klienten, allesamt attraktive Frauen hochrangiger Nazi-Funktionäre, erst verführt und dann im Gegenzug für sein Stillschweigen erpresst. Der aus der Gegend um München stammende Schönling hat zwar schon in Paris gelebt und sich in London aufgehalten, doch der Wechsel zwischen den Extremen, die er in Berlin sowohl auf der politischen als auch auf der sozialen Seite seit dem Ende des Ersten Weltkriegs erleben durfte, übten seit jeder einen besonderen Reit auf ihn aus. 
Doch diese lukrativen Geschäfte finden ein jähes Ende, als er von Hauptsturmführer Franz Beewen aufgesucht wird, der die Ermittlungen im Fall der ermordeten Margarete Pohl leitet. Dass die Frau eines SS-Gruppenführers auf bestialische Weise umgebracht worden ist, verstört auch den Psychoanalytiker und Traumforscher. Beewen weiß, dass die Frau Angst vor einem „Marmormann“ gehabt habe, wie sie ihrem Mann erzählte, doch darüber hinaus ist nichts über die Umstände ihres Todes noch ein Motiv erkennbar. Dabei ist mit der 27-jährigen Susanne Bohnstengel schon zuvor eine ähnlich grässlich verstümmelte Leiche an der Museumsinsel aufgefunden worden, die ebenfalls zu Kraus‘ Klientinnen zählte und in ihren Träumen dem Mann mit der marmornen Maske begegnet war. Nachdem Kriminalkommissar Max Wiener mit den Ermittlungen zu den Morden an den beiden Frauen beauftragt worden und plötzlich verschwunden war, liegt es nun also an Beewen, weitere Morde an Frauen zu verhindern, die sich mit ihrem illustren Wilhelmklub regelmäßig im Hotel Adlon treffen. Während Simon Kraus Beewen bei seiner Arbeit dahingehend unterstützt, dass er seine privaten Kontakte zu den Frauen des Wilhelmklubs nutzt, um an weitere Informationen zu gelangen, besucht Beewen die von der adligen Psychiaterin Minna von Hassel geleitete Nervenheilanstalt, in der auch sein Vater untergebracht ist. 
Die alkoholsüchtige Baronin schließt sich Beewen und Kraus bei ihrer Suche nach dem Marmormann an. Sie stoßen auf das Filmplakat zu dem Science-Fiction-Film „Der Geist des Weltraums“ mit Kurt Steinhoff in der Hauptrolle und glauben, durch die Maskenkünstlerin Ruth Senestier endlich eine Spur zum Mörder gefunden zu haben, doch dann stellen sie fest, dass die Morde an den arischen Frauen einem weitaus beängstigenderen Plan folgen… 
„Auf unerklärliche Weise war es Hitler mit seiner wortkargen Art und dem lächerlich Zweifingerbart gelungen, wie ein Filmstar die Frauen in seinen Bann zu schlagen. Er konnte noch so viel in sein Mikrofon schimpfen, übertrieben herumgestikulieren und wie ein Irrer auftreten, der hinter Gitter gehörte – er hatte eine Leidenschaft, eine Begeisterung, eine Blindheit in ihnen geweckt, die nicht abrissen. Hitler, der elektrische Generator der Frauen. 
Minna war also kaum überrascht, dass in den obersten Gesellschaftsschichten Berlins das gleiche Phänomen herrschte. Ungeachtet ihres unbekümmerten Auftretens bildeten die Adlondamen offenbar eine anspruchsvolle, dem Führer vollkommen ergebene Sekte.“ (S. 465) 
Allein für den Mut, als Franzose einen schaurigen Thriller zu inszenieren, der in der finstersten Epoche der deutschen Geschichte verortet ist, gebührt dem versierten Jean-Christophe Grangé Respekt. Ihm gelingt es, die politisch so fatale, gesellschaftlich zerbrochene Atmosphäre im Berlin Ende der 1930er Jahre so authentisch zu beschreiben, dass es einem als Leser ungewöhnlich leicht fällt, sich in diesen Malstrom aus Volksverhetzung, Antisemitismus und Nazi-Adel einzufühlen. 
Das Unbehagen angesichts der perfekt organisierten Schrecken, die dort flächendeckend verbreitet wurden, ist bei der Lektüre des verstörenden Stoffes natürlich ständiger Begleiter. Vor dem Hintergrund des Massenmordes, den die Nazis nicht nur an Juden, sondern u.a. auch an „nicht lebenswerten“, psychisch kranken Menschen verübten, erscheinen die Morde an wohlhabenden Nazi-Ehefrauen zunächst wenig spektakulär, aber Grangé nutzt die brutalen Serienmorde an den prominenten Frauen des Wilhelmklubs für eine Reise in die Finsternis der abartigen Nazi-Ideologie. 
Zwar weist „Die marmornen Träume“ auch einige Längen auf, aber Grangé weiß seinen Figuren jeweils ein starkes Profil zu verleihen. So unterschiedlich die beiden Psychoanalytiker und der SS-Offizier von Herkunft und Ansichten auch sind, vereint sie auf überzeugende Weise der Kampf gegen die ominöse „Operation Europa“, die das Trio weit über Deutschlands Grenzen hinaus führt.  
Grangé ist mit seinem neuen Roman eine gut funktionierende Mischung aus Historien-Drama und Noir-Thriller gelungen, wobei die Ermittlungen immer neue Wendungen nehmen und am Ende zu einem dann doch etwas enttäuschend platten Finale führen.