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Linwood Barclay – „Schweig für immer“

Freitag, 18. März 2016

(Knaur, 505 S., Tb.)
Cynthia Archer wird die Traumata in ihrem Leben einfach nicht los. 1983 zog sie mit dem schon siebzehnjährigen Vince Fleming los, wurde von ihrem zornigen Vater aufgespürt, aus dem Mustang des Jungen gezerrt und nach Hause gebracht, wo sie am nächsten Morgen feststellen musste, dass das Haus leer war. Fünfundzwanzig Jahre lang wusste sie nicht, was mit ihren Eltern und ihrem Bruder geschehen war. Vor sieben Jahren geriet dann erneut das Leben ihrer eigenen Familie in Gefahr. Als Konsequenz der dramatischen Ereignisse hat sich Cynthia nun eine Auszeit von der Familie genommen, nachdem sie ihre vierzehnjährige Tochter Grace versehentlich verletzt hat.
Ihr Ehemann Terry, der als Englischlehrer arbeitet, hat alle Mühe, die Familie zusammenzuhalten. Als die rebellische Grace eines Abends mit ihrem Freund Stuart eine Spritztour unternimmt, endet der Ausflug in einem vermeintlich unbewohnten Haus, aus dem Stuart die Schlüssel für den Porsche in der Garage holen will. Allerdings befindet sich ein weiterer ungebetener Gast in der Wohnung, ein Schuss löst sich, Stuart verschwindet spurlos. Sie ruft ihren Dad an, der sie an einer Tankstelle abholt und mit Grace versucht, die Ereignisse zu rekonstruieren.
Parallel dazu ermittelt Detective Rona Wedmore in einem Mordfall, der sich in der Nachbarschaft der Archers ereignet hat, wo ein unbescholtenes Lehrerehepaar hingerichtet worden ist. Die Ermittlungen führen zu einer Gangster-Truppe, in der auch Vince Fleming seine Finger im Spiel hat …
„Was hatte es mit dem Haus auf sich? Warum war Vince so erpicht darauf, zu erfahren, ob Stuart und Grace dort noch etwas anderes vorhatten, als den Porsche zu stehlen? Warum wollte er wissen, ob sie außer im Keller und im Erdgeschoss sonst noch wo gewesen waren? (…)
Wenn alles herauskam, was für einen Preis würde sie dafür zahlen, dass sie nicht gleich zu Beginn zur Polizei gegangen und mit der Wahrheit herausgerückt war?“ (S. 218) 
Mit „Schweig für immer“ präsentiert der amerikanische, in Kanada lebende Autor Linwood Barclay eine offizielle Fortsetzung seines erfolgreichen Debüts „Ohne ein Wort“ aus dem Jahr 2007. Zwar lässt sich Barclays neues Buch auch ohne Kenntnis des Bestsellers lesen, aber die Zusammenhänge und vor allem die tragische Geschichte der Archer-Familie wird verständlicher, wenn der Leser auch die Geschichte von „Ohne ein Wort“ im Hinterkopf hat, denn Barclay bringt die vergangenen Ereignisse nur sporadisch und bruchstückhaft zur Sprache.
Der Plot entwickelt sich zunächst aus zwei dramaturgisch interessant gestalteten Episoden. Nach dem Mord an dem Lehrerehepaar im Prolog erläutert Ich-Erzähler Terry die momentane angespannte Familiensituation, die in dem heimlichen Ausflug seiner Tochter mit seinem ehemaligen, nicht sehr hellen Schüler Stuart und dessen spurlosen Verschwinden mündet.
Was folgt, sind ganz unterschiedliche Handlungsstränge, Dialoge und Figurenkonstellationen, die in ihrer Komplexität nicht unbedingt förderlich sind für den Spannungsaufbau. Leider gelingt es Barclay im Verlauf der 500 Seiten auch nicht, die unüberschaubaren Stränge sinnvoll zusammenzuführen. Mit dem Auslassen einiger Nebenhandlungen und dem Straffen des Figurenensembles wäre Barclay sicher besser gefahren. So bietet „Schweig für immer“ eher holperige Spannungsliteratur, die wenig nachhallt.
Leseprobe Linwood Barclay - "Schweig für immer"

Michael Connelly – (Harry Bosch: 16) „Black Box“

Sonntag, 28. Februar 2016

(Knaur, 441 S., Tb.)
1992 wurde Detective Harry Bosch mit seinem Partner Jerry Edgar von der Hollywood Division abgestellt, um in South Central von Tatort zu Tatort zu fahren, ohne sich lange mit einem Mord aufzuhalten. Nachdem Plünderer von Geschäft zu Geschäft zogen und die Gangs von South L.A. gegen die Polizei angetreten waren, wurden Bosch, Edgar und zwei Streifenpolizisten am 1. Mai zum Crenshaw Boulevard beordert, wo in einer Durchfahrt eine junge Frau erschossen worden war.
Wie sich herausstellte, hieß die Ermordete Anneke Jespersen und arbeitete für die dänische Zeitung „Berlingske Tidende“, für die sie vor allem Reportagen aus Kriegs- und Krisengebiete fotografierte und schrieb. Doch außer einer Neun-Millimeter-Remington-Patronenhülse war am Tatort nichts Beweiskräftiges zu finden gewesen, der Fall wanderte als ungelöst zu den Akten.
Zwanzig Jahre später bekommt es Bosch in der Abteilung Offen-Ungelöst erneut mit diesem Fall zu tun. Der Ballistikbefund führt Bosch zunächst zum in San Quentin inhaftierten Rolling-Sixties-Mitglied Rufus Coleman und dem Gang-Oberhaupt Truman Story, der allerdings seit drei Jahren tot ist.
„Seine Bemühungen hatten ihn Anneke Jespersen zwar nähergebracht, ihm aber letztlich zu keinerlei Einsichten verholfen, weswegen sie ein Jahr nach Operation Desert Storm in die Vereinigten Staaten gereist war. Er war auf keinen einzigen Hinweis gestoßen, warum sie nach Los Angeles gekommen war. Es gab keine Reportage über Kriegsverbrechen, nichts, was weitere Recherchen, geschweige denn eine Reise nach Los Angeles gerechtfertigt erschien. Woran Anneke Jespersen gearbeitet haben könnte, bliebt ihm weiterhin verborgen.“ (S. 224) 

Durch Jespersens Bruder erfährt Bosch jedoch, dass die Reporterin nicht wie zuvor angenommen Urlaub in den USA gemacht hatte, sondern einer Spur gefolgt war, die bis zu Angehörigen der 237th Company führten, die sowohl im Golfkrieg als auch bei den Unruhen in Los Angeles beteiligt gewesen waren.
Bosch wird von seinem Chef O‘ Toole dazu aufgefordert, sich einem neuen Fall zu widmen und handelt sich eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein, so dass er eine Woche Urlaub nimmt, um sich die vier Männer vorzuknöpfen, die mit der Reporterin auf dem Kreuzschiff „Saudi Princess“ Urlaub von der Front gemacht haben.

Seit der ehemalige Polizeireporter Michael Connelly 1992 mit „Schwarzes Echo“ sein Romandebüt und gleichzeitig den ersten Band um den hartnäckigen Detective Hieronymus „Harry“ Bosch vorgelegt hat, zählt der Pulitzer-Preis-Nominee zu den erfolgreichsten Thriller-Autoren weltweit. Auch mit seinem bereits 16. Band erweist sich Connelly wieder als routinierter Spannungsautor, der seine Leser ohne große Umschweife in die Handlung einführt und ihn sukzessive von einer Spur zur nächsten mitnimmt. Zwischenzeitlich fließt auch etwas von Boschs Privatleben, vor allem mit seiner 16-jährigen Tochter Maddie ein, die ebenfalls Polizistin werden möchte, doch der Plot von „Black Box“ ist ganz auf die Aufklärung eines zwanzig Jahre alten Mordfalls fokussiert.
Wie hartnäckig Bosch dabei auch die Forderungen seines Vorgesetzten ignoriert und sogar dem Polizeichef die Meinung sagt, demonstriert einmal mehr, dass er auf dem Weg zur Lösung eines Falls keine faulen Kompromisse eingeht. „Black Box“ reiht sich souverän in die gute bis hervorragend geschriebene Harry-Bosch-Reihe ein, bietet aber auch keine echten Überraschungen, wenige Einblicke ins Boschs Privatleben und endet recht konventionell in einem actiongeladenen Finale. 

David Morrell – (Thomas De Quincey: 1) „Der Opiummörder“

Montag, 7. Dezember 2015

(Knaur, 524 S., Tb.)
Mit fast drei Millionen Einwohnern ist London im Jahr 1854 die größte Stadt der Welt. Entsprechend groß ist die Aufregung und Angst, als ein Mörder den Besitzer eines Ladens, dessen Frau und die beiden Töchter grausam abschlachtet. Der vierzigjährige Detective Inspector Sean Ryan und sein junger Constable Joseph Becker übernehmen die Ermittlungen und stellen anhand der Fußabdrücke und eines wenig später gefundenen Rasiermessers fest, dass der Täter aus gut betuchten Kreisen stammen muss.
Commissioner Mayne sieht sofort Parallelen zu den Morden von Ratcliffe Highway, die London im Dezember 1811 erschütterten. Der Klöpfel eines Schiffszimmermanns mit den Initialen J.P. ist nämlich auch bei den aktuellen Morden am Tatort aufgetaucht.
Als Täter wurde damals der junge Seemann John Williams ausgemacht, der sich allerdings im Gefängnis erhängt hat. Für die neuen Morde hat der einflussreiche Lord Palmerston auch schon einen Verdächtigen: den skandalumwitterten Sensationsautoren Thomas De Quincey, der nicht nur seine Opiumsucht öffentlich gemacht hat, sondern sich mit seinem Aufsatz „Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“ als Experte für diese Art von Mehrfachmorden ausgewiesen hat.
Während Palmerston De Quincey ins Gefängnis sperrt, um die Bevölkerung zu beruhigen, machen sich Ryan, Becker mit De Quinceys Hilfe auf die Suche nach dem wirklichen Täter …
„Die Nachricht von den Morden hatte sich unverkennbar selbst hier, am südlichen Ufer der Themse und weit entfernt vom Ratcliffe Highway, auf die Stimmung der Menschen ausgewirkt. Die Fußgänger bewegten sich nicht mehr gemächlich voran. Die Mienen waren nachdenklich und wachsam. Ein Mann, der Bratkartoffeln von einem Karren verkaufte, machte den Eindruck, als misstraute er jedem, der sich ihm näherte, aus Angst, von einem Kunden angegriffen zu werden. Becker hatte die Erlaubnis erhalten, seine Uniform gegen Zivilkleidung auszutauschen, damit er weniger Aufmerksamkeit erregte. Es war ein weiterer Schritt hin zu seinem Ziel, Polizeidetektiv zu werden, aber jetzt wünschte er sich, es sei unter anderen Umständen geschehen.“ (S. 159) 
Die Spuren führen schließlich nach Indien, wo das britische Königreich massiv seine Hände im Opiumschmuggel hat …
Der promovierte Literaturwissenschaftler David Morrell ist mit seinen „Rambo“-Romanen zu einem international anerkannten Spannungsautoren avanciert, der mit „Der Opiummörder“ für sich neues Terrain erobert. Inspiriert von Jon Amiels Darwin-Biopic „Creation“ hat sich Morrell zwei Jahre lang intensiv mit den historischen Fakten auseinandergesetzt, die das Leben in London in der Mitte des 19. Jahrhunderts geprägt haben – vor allem hat er sich intensiv die Schriften von Thomas De Quincey zu Gemüte geführt, die nicht nur Wegbereiter für Freuds Theorien des Unterbewussten waren, sondern auch zur Erfindung des Detektivromans geführt haben.
„Der Opiummörder“ ist nicht nur spannend geschrieben, sondern führt dem Leser das London jener Zeit ganz lebendig vor Augen. Morrell gelingt es, in der meisterhaft konstruierten Atmosphäre starke Figuren zusammenzuführen, wobei wechselnde Erzählperspektiven für zusätzliche Abwechslung in einem ohnehin sehr kurzweiligen und packenden historischen Thriller in bester Jack-the-Ripper-Tradition sorgen.
Leseprobe David Morrell - "Der Opiummörder"

Peter Abrahams – „Kopflos“

Sonntag, 1. März 2015

(Knaur, 413 S., Tb.)
Jeden Donnerstag flüchtet die Kunstexpertin Francie in die auf einer Insel gelegene Hütte ihrer Freundin Brenda, um dort für ein paar Stunden ihre geheime Affäre mit dem Radio-Moderator Ned Demarco zu genießen. Doch es dauert nicht lange, da bekommt ihr zur Zeit arbeitsloser Mann Roger Wind von den amourösen Abenteuer seiner Frau und plant den perfekten Mord. Mit einem nachgewiesenen IQ von 181 überlegt sich der Wissenschaftler das passende Szenario, um ja nicht mit dem ersehnten Tod seiner Frau in Verbindung gebracht zu werden, und nimmt Kontakt zu dem Mörder Whitey Truax auf, der gerade auf Bewährung im Resozialisierungswohnheim in New Hampshire lebt und gern Rogers Jobangebot annimmt, zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt ein Gemälde aus der Inselhütte zu holen.
Doch der ausgeklügelte Plan geht schrecklich schief, und während Francie die Affäre mit Ned zu beenden versucht, nachdem dessen Frau Annie ihre geschätzte Tennis-Doppelpartnerin geworden ist, hat Roger alle Hände voll zu tun, Schadenbegrenzung zu betreiben und Beweise aus dem Weg zu räumen.
„Wie kompliziert konnte es sein, den Radioburschen ebenfalls Whitey vorzuwerfen? Vermutlich schwierig, gestand er sich ein, als ihm nicht augenblicklich eine Lösung einfiel, aber er war dazu geschaffen, Probleme zu lösen. Das war sein Metier. Die Herausforderung war einfach ein wenig größer, das war alles. Er würde zu seinem Recht kommen. Auf der anderen Seite der Tür erreichte Francie lautstark und vulgär den Höhepunkt. Komm nur, du Nutte. Roger stellte sich vor, wie sie im Beerdigungsinstitut im offenen Sarg lag, ihr Gesicht ausdruckslos.“ (S. 191) 
Der amerikanische Schriftsteller Peter Abrahams wurde für seine mittlerweile achtzehn Krimis bereits mehrfach für den begehrten Edgar Award nominiert, was an sich schon eine Anerkennung seiner Qualitäten bedeutet. Auch in seinem 1998 veröffentlichten Thriller „A Perfect Crime“, der jetzt unter dem Titel „Kopflos“ bei Knaur erschienen ist, kreiert Abrahams ein interessantes Szenario, das nicht nur durch die vertrackten Beziehungen der beiden Ehepaare und des von Roger ins Spiel gebrachten Ex-Häftlings geprägt wird, sondern auch von den psychischen Befindlichkeiten in diesem Intrigen-Puzzle, bei dem bald kein Teil mehr zum anderen passen will.
Doch je mehr Roger die Übersicht über sein vermeintlich perfektes Verbrechen zu verlieren droht, umso mehr verliert Abrahams auch die stringente Linie seines Spannungsaufbaus und springt wie seine durch die Vorgänge irritierten Protagonisten etwas kopflos durch die Handlung, wodurch die obligatorischen Wendungen an Wirkung einbüßen.
Nichtsdestotrotz bietet „Kopflos“ anregende Krimiunterhaltung mit psychologisch gut gezeichneten Figuren in einem zum Ende hin nicht ganz so überzeugenden Plot.
Leseprobe Peter Abrahams - "Kopflos"

Kim Zupan – „Die rechte Hand des Teufels“

Sonntag, 16. November 2014

(Knaur, 331 S., Tb.)
Im Alter von über siebzig Jahren lässt sich der Auftragskiller John Gload eines Tages widerstandslos auf seinem Grund und Boden von den drei Deputys Weldon Wexler, Voyle Dobek und Valentine Millimaki festnehmen und in eine der Krankenzellen des County-Gefängnisses wegsperren, wo er auf seinen Prozess wartet. Da Wexler der dienstältere Deputy ist und dazu ein lädiertes Knie beklagt, fällt dem jungen Deputy Millimaki die Nachtschicht zu, in der er mit dem schlaflosen Gefangenen immer vertrauter ins Gespräch kommt.
Millimakis Vorgesetzter erhofft sich von den Unterredungen Hinweise auf all die verborgenen Leichen, die Gload im Laufe seiner jahrzehntelangen Karriere irgendwo hinter sich gelassen hat. Tagsüber macht sich Millimaki mit seinem Spürhund Tom auf die Suche nach Vermissten. In letzter Zeit hat er allerdings wenig Glück, die Gesuchten auch lebend vorzufinden.
„Millimaki saß im Dreck und starrte ausdruckslos auf das Grab, wie betäubt von Schlafmangel. Gload schien durchaus fähig zu sein, Güte zu zeigen, aber das war vielleicht nur eine rudimentäre Eigenschaft, wie die Schwimmhäute und die unvollständigen Gliedmaßen von Contergan-Kindern – etwas halb entwickeltes Groteskes, das ihn wegen der Erinnerung daran, wie es gewesen wäre, intakt zu sein, noch bemitleidenswerter machte. Für uns Übrige, dachte Millimaki, ist die Entfernung zwischen Vernunft und Raserei kurz, die Grenze, die das Ungeheuer bändigt, so dünn wie Pergament und genauso brüchig. Es war in jedem vorhanden, dachte er. In ihm selbst. Eine halbe Sekunde blinder Wut, und das Beil fährt herab. Er starrte den aufgewühlten Flecken Erde an, wo noch vor so kurzer Zeit ein Leichnam gelegen hatte. Ab einem bestimmten Punkt, dachte er müde, war es nur noch Fleisch.“ (S. 149f.) 
In seinem Debütroman „Die rechte Hand des Teufels“ schildert der aus Montana stammende amerikanische Autor Kim Zupan die fast freundschaftliche Beziehung zwischen einem des Lebens und des Tötens müden Auftragsmörder und einem jungen Deputy. So verschieden sie zunächst sein mögen, werden sie doch durch die Leichen verbunden, die Gload zu verantworten hat und die Millimaki zu finden hofft, aber auch durch die Frauen in ihrem Leben, die ihre eigenen Wege gehen. Gload erzählt zwar von einigen Morden aus seiner Anfangszeit als Killer, doch verwertbares Material kann Millimaki seinem Boss nicht liefern.
Zupan erweist sich in seinem Debüt als sprachgewandter Stilist, der gekonnt die Atmosphäre und die psychischen Befindlichkeiten gerade des jungen Deputys einzufangen versteht, während den alternden Gefangenen immer eine geheimnisvolle Aura umgibt, die selbst während der vertrautesten Gespräche nie aufgebrochen wird. Das einzige Manko von „Die rechte Hand des Teufels“ liegt in dem Spannungsaufbau begründet. Zupan wechselt immer wieder abrupt die Zeiten und Orte des Geschehens, ohne dass Sinn und Zweck von ganzen Abschnitten erkennbar wären.
Aber Zupan ist fraglos ein Autor, dessen Namen sich Krimidrama-Fans merken sollten, denn sein stark assoziativer Schreibstil hat auf jeden Fall ebenso hypnotische Qualitäten wie seine Fähigkeit der interessanten Figurenzeichnung.

Steve Mosby – „Kind des Bösen“

Sonntag, 13. Oktober 2013

(Knaur, 431 S., Tb.)
Ausgerechnet an seinem freien Vormittag, als er mit seiner Frau Rachel einen Termin bei ihrer Hebamme wahrnehmen wollte, bekommt Detective Andrew Hicks von seiner Partnerin Laura Fellowes zu einem Tatort gerufen wird. Scheinbar ohne Grund wurde der 32-jährigen Vicky Gibson vor ihrer Wohnung, die sie mit ihrer Mutter bewohnt hat, der Kopf zu Brei geschlagen. Wenig später wird ein Obdachloser aufgefunden, der auf ähnliche Weise ermordet worden ist, doch Hicks und seiner Truppe gelingt es einfach nicht, einen Zusammenhang zwischen den beiden Fällen herzustellen. Schließlich werden im abgelegenen Garth-Komplex gleich drei weitere ähnlich zugerichtete Leichen lokalisiert.
Einem Bekennerbrief zufolge spielt der Täter mit der Macht des Zufalls. Die Opfer an sich bedeuten ihm nichts. Es zählt allein ausgetüftelter Code, nach dem die grausamen Taten verübt werden. Während der Ermittlungen hat Hicks aber nicht nur einen Serienkiller zu fassen, der ohne erkennbares Schema äußerst brutal zu Werke geht, sondern muss auch mit einem Kommissar aus einem Nachbarbezirk zusammenarbeiten, bei dem Hicks ein merkwürdiges Gefühl hat. Dazu wird er immer wieder von Erinnerungen an seine Kindheit heimgesucht und besucht mit seiner hochschwangeren Frau eine Paartherapie. Die Probleme werden nicht einfacher, als weitere Morde verübt werden, unter anderem an einem Mann, den Hicks von einem früheren Fall her kennt, der ihm noch immer nachhängt. Ein Hoffnungsschimmer tut sich auf, als die Ermittler auf ein Internet-Forum stoßen, auf dem Videos mit vertrautem Modus Operandi zu sehen sind.
„Was hatte jemanden dazu gebracht, so etwas zu tun? Wenn man den Briefen Glauben schenkte, gab es einen Grund – ein Muster, das es zu suchen galt -, die Wirklichkeit war aber eine andere. Also mussten die Briefe eine Lüge sein. Schon allein die Szene hinter mir im Wald war nicht das Produkt rationalen Denkens. Das dahinten war nicht das Werk eines gesunden Menschen: nacheinander seine Opfer in eine übelriechende Grube zu zerren, um ihren langsamen, qualvollen Tod zu filmen. So handelt keine Person, die einen Code erstellt und der Morde nichts bedeuteten. Nein, das war das Werk eines Mannes, der das Leiden genießt und Kraft daraus gewinnt. Keinesfalls jemand, dem der Tod gleichgültig war. Es war jemand, der sich daran ergötzte. Und das passte nicht zusammen.“ (S. 325) 
Der britische Thriller-Autor Steve Mosby hat seit seinem Hardcover-Erfolg mit „Der 50/50-Killer“ auch in Deutschland schnell eine Fangemeinde erschließen können. Seither sind mit „Spur ins Dunkel“, „Tote Stimmen“ und „Schwarze Blumen“ Romane erschienen, die nicht immer die Erwartungen erfüllt haben, die das gefeierte Debüt geweckt hat.
Auch „Kind des Bösen“ beginnt etwas schwerfällig, indem Mosby etliche Episoden einführt, deren Zusammenhang sich erst nach und nach erschließt. Dazu fällt es schwer, Inspektor Hicks, der die Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählt, wirklich Sympathien entgegenzubringen, zumal auch die Ehekrise nur aus seiner Sicht dargestellt wird und kaum eine Weiterentwicklung erfährt. Wenn die Story aber an Fahrt aufnimmt, erweist sich Mosby durchaus als Meister der Dramaturgie und atmosphärischer Erzählweise. Am Ende werden all die losen Fäden, die im Laufe des Romans gesponnen wurden, zwar schlüssig zusammengeführt, doch wirklich überzeugend kommt der Plot nicht immer rüber, zumal die Motivation des Täters eher unbefriedigend erläutert wird. So besticht „Kind des Bösen“ vor allem durch die extrem brutal ausgeführten Mordtaten, weniger durch psychologisch nachvollziehbare Figurenzeichnung.
Leseprobe Steve Mosby – “Kind des Bösen”

John Katzenbach – „Der Sumpf“

Montag, 15. Juli 2013

(Knaur, 717 S., Tb.)
Matt Cowart, Reporter beim Miami Journal, hat schon einige Leitartikel geschrieben, in denen er die Todesstrafe verurteilt. Dennoch staunt er nicht schlecht, als ihn eines Tages in der Redaktion ein Brief von Robert Earl Ferguson erreicht, der seit drei Jahren im Todestrakt des Staatsgefängnisses Starke in Florida sitzt. Wie er in dem Brief darlegt, hat er an einem Maitag 1987 seine Großmutter in Pachoula, Escambia County, besucht und wurde zu einer Vernehmung wegen Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung ins Präsidium des Sheriffs gebracht, wo er nach eigenen Angaben sechsunddreißig Stunden ohne Essen und Trinken gefangen gehalten und mit einem Telefonbuch verprügelt wurde, bis er ein Geständnis ablegte. Dies zu widerrufen, sei ihm nicht gelungen. Trotz fehlender Beweise hätten ihn die durchweg weißen Geschworenen und der weiße Richter schließlich zum Tode verurteilt.
Ferguson beteuert seine Unschuld und bittet den Reporter um seine Hilfe. Als zusätzlichen Köder gibt Ferguson an, den wahren Täter zu kennen. Nachdem sich Cowart mit dem Fall vertraut gemacht hat, ist er neugierig geworden und kontaktiert erst Fergusons Anwalt, dann besucht er den Todeskandidaten im Gefängnis. Da der Prozess gegen Ferguson offensichtlich eine Farce gewesen ist, beschließt Cowart, mit den beteiligten Detectives Brown und Wilcox zu sprechen und den Fall neu aufzurollen.
„Seine Fahrt nach Pachoula hatte ihn beflügelt, hatte ihm eine Fülle von Antworten beschert, aber ebenso viele Fragen aufgeworfen, die ihm unter den Nägeln brannten. Von dem Moment an, als Tanny Brown wütend eingeräumt hatte, dass Ferguson von Wilcox geohrfeigt worden war, hatte er die Reportage halb fertig im Kopf. Dieses kleine Geständnis hatte ihm die Augen für ein ganzes Lügengespinst geöffnet. Auch wenn Matthew Cowart nicht wusste, was genau zwischen den beiden Detectives und ihrer Beute vorgefallen war, zweifelte er nicht, dass es genügend Fragen, genügend Ungereimtheiten gab, die seinen Artikel rechtfertigten und vermutlich auch zur Wiederaufnahme des Verfahrens reichten. Jetzt richtete sich sein ganzer Reporterinstinkt auf das zweite Element. Wenn Ferguson das kleine Mädchen nicht umgebracht hatte, wer dann?“ (S. 142f.) 
Ferguson bringt mit dem ebenfalls zum Tode verurteilten, sehr geständigen psychopathischen Serienkiller Blair Sullivan einen Mann ins Spiel, der Cowart tatsächlich einen Beweis liefert, nämlich den Aufenthalt des Messers, mit dem das Mädchen getötet worden ist, doch nach wie vor sind viele der am Prozess Beteiligten der Meinung, Ferguson sei nach wie vor der Täter …
Der ehemalige Gerichtsreporter John Katzenbach hat „Der Sumpf“ bereits 1992 geschrieben, ein Jahr später wurde das Werk auch auf Deutsch veröffentlicht und schließlich in Hollywood mit Sean Connery unter dem Titel „Just Cause – Im Sumpf des Verbrechens“ verfilmt. Mittlerweile ist Katzenbach mit Romanen wie „Der Patient“, „Die Anstalt“ und „Das Opfer“ auch hierzulande zu einem renommierten Bestseller-Garanten avanciert, was es legitim erscheinen lässt, das vorliegende Frühwerk in neuer Übersetzung wiederzuveröffentlichen. Tatsächlich zählt „Der Sumpf“ zu Katzenbachs besten Werken. Noch intensiver, als es beispielsweise John Grisham vermag, gelingt es dem Autor, nicht nur einen packenden Fall um die Fragen nach Schuld, Gerechtigkeit und Todesstrafe zu konstruieren, er lässt auch dabei den Leser wie den recherchierenden Reporter stets im Ungewissen, wie sich das Verbrechen tatsächlich abgespielt haben mag. Dieses Szenario wird durch die Etablierung gleich zweier außergewöhnlicher Todeskandidaten effektvoll auf die Spitze getrieben.
Aber ebenso wie die wendungsreich inszenierte Suche nach der Wahrheit fasziniert „Der Sumpf“ durch die sorgfältige Charakterisierung aller wichtigen Figuren, angefangen von dem getrennt lebenden Reporter, der nicht nur den Verlust von Frau und Tochter zu verschmerzen hat, sondern auch kaum Freunde hat und sein Lebenselixier aus seinem Beruf zieht.
Darüber hinaus präsentiert der Thriller die faszinierende Abhängigkeit zwischen Medien und Strafverfolgungsbehörden. Der Zwiespalt, den beide Parteien bei der Erreichung ihrer jeweiligen Ziele empfinden, wenn es um eine Zusammenarbeit geht, wird in „Der Sumpf“ eindrucksvoll thematisiert.
Fazit: Wann immer der Leser ein Gespür dafür zu bekommen scheint, wer tatsächlich für den Mord an dem Mädchen verantwortlich gewesen ist, sorgen neue Entwicklungen und Entdeckungen wieder für neue Unsicherheiten – bis zum packenden Finale.
 Leseprobe: John Katzenbach – „Der Sumpf“

Linwood Barclay – „Fenster zum Tod“

Samstag, 25. Mai 2013

(Knaur, 589 S., Pb.)
Der 35-jährige Thomas Kilbride ist schizophren, verfolgt aber seit seiner Kindheit das ambitionierte Projekt, Karten und Stadtpläne auf der ganzen Welt in sich aufzusaugen. Als er die Webseite Whirl360.com kennenlernt, geht ein Traum für ihn Erfüllung. Systematisch nimmt er sich am Computer in seinem Zimmer, das er eigentlich nur zum Essen und Verdauen verlässt, Stadt für Stadt vor und prägt sich die einzelnen Straßen, ihre Häuser, Fassaden und Geschäfte ein, die auf der Website einzusehen sind. Eines Tages entdeckt er auf einer seiner Entdeckungstouren in der Orchard Street in Manhattan, wie der Mord an einer Frau am Fenster fotografiert worden ist.
Sein Bruder Ray, der als Illustrator in Burlington lebt, sich nach dem Tod des Vaters aber auch um Thomas kümmern muss, begegnet dieser Beobachtung zunächst mit Skepsis, weil sein Bruder auch glaubt, für die CIA zu arbeiten und ihren Agenten helfen zu können, wenn sie nach dem Ausfall elektronischer Hilfsmittel schnell fliehen müssen. Thomas drängt seinen Bruder, mit dem Foto nach Manhattan zu erfahren und vor Ort Näheres zu diesem mutmaßlichen Vorfall in Erfahrung zu bringen.
„Ich hatte mir einen Ausdruck der Szene am Fenster mitgenommen. Während der Zug den Hudson entlangfuhr, sah ich ihn mir noch einmal ganz genau an. Ich musste zugeben, von dem Bild ging eine besondere Wirkung aus. Dass der Kamerawagen von Whirl360 bei seinem Einsatz in Manhattan buchstäblich im Vorbeifahren einen gerade stattfindenden Mord aufgenommen haben sollte, schien mir im Gegensatz zu Thomas sehr weit hergeholt. Allerdings immer weniger, je länger ich das Foto betrachtete. Es sah tatsächlich so aus, als würde hier ein Mensch erstickt, als hätte sich jemand von hinten angeschlichen, ihm eine Tüte über den Kopf gestülpt und festgezogen.“ (S. 232f.) 
Ray und Thomas müssen bald erfahren, dass sich hinter dem vertuschten Mord die in Gefahr geratene Politikerkarriere des Gouverneur-Kandidaten Morris Sawchuck und die geheime lesbische Beziehung seiner Frau Bridget verbergen. Sawchucks mit allen Wassern gewaschener Wahlkampfmanager Howard Talliman und sein skrupelloser Handlanger Lewis Blocker lassen nicht locker, bis sie alle weiteren Spuren und Zeugen beseitigt haben, und machen sich auf die Suche nach Thomas Kilbride, der von den Überwachungskameras über dem besagten Appartement erfasst worden ist …
Seit seinem 2007 veröffentlichten Debüt „Ohne ein Wort“ hat sich der amerikanische, in Kanada lebende Linwood Barclay als erfolgreicher Thriller-Autor etabliert. Sein neues Werk „Fenster zum Tod“ beginnt als interessante Variation von Hitchcocks Suspense-Klassiker „Das Fenster zum Hof“, entwickelt aber ganz schnell eine eigene Dynamik, die auf der einen Seite vor allem dem interessanten Bruder-Paar zu verdanken ist, andererseits aber auch der Geschichte um die eigenwillige Auftragskillerin Nicole. Spannend und wendungsreich erzählt Barclay ein vielschichtiges und faszinierendes Katz-und-Maus-Spiel, bei dem der Ich-Erzähler Ray Kilbride auch der Frage nachgeht, ob der Tod seines Vaters wirklich ein Unfall gewesen war und was der Eintrag „Kinderprostitution“ in der Chronik auf dem Laptop seines Vaters zu bedeuten hat.
Das furiose Finale wirkt zwar wieder etwas arg konstruiert, doch das mindert das kurzweilige Lesevergnügen nur minimal.
Leseprobe: Linwood Barclay – “Fenster zum Tod”

Clive Barker – „Das erste Buch des Blutes“

Sonntag, 17. März 2013

(Knaur, 304 S., Tb.)
“Blutbücher sind wir Leiber alle; wo man uns aufschlägt: lesbar rot.”
Dieses Motto, das der in Liverpool geborene Clive Barker seiner ersten Kurzgeschichten-Sammlung aus dem Jahre 1984 voranstellt, beschreibt treffend das, was den neugierigen Leser auf den kommenden gut 300 Seiten erwartet, nämlich das jeweils unvermittelte Eintauchen in eine Welt, in der es kein Erbarmen und keine Reue gibt, nur unvorstellbares Grauen, Leid und … viel Blut.
Gleich in der Auftaktgeschichte „Das Buch des Blutes“ führt uns Barker ohne große Einleitung auf die Straßen der Toten, die sich gelegentlich mit unserer Welt kreuzen, beispielsweise in dem einzeln stehenden Haus am Tollington Place 65, wo sich die Toten offensichtlich besonders lautstark zu Wort melden. Das hat zumindest das Institut für Parapsychologie der Universität Essex herausgefunden, das dort das zwanzigjährige Medium Simon McNeal als Medium eingesetzt hat. Der junge Mann hat sich allerdings nur einen Spaß erlaubt, der ihm Ruhm und umschwärmte Fernsehauftritte versprach. Doch die Toten lassen nicht gern mit sich spielen und bereiten dem Schwindler höllische Qualen.
In der vielleicht besten Geschichten der Sammlung, „Der Mitternachts-Fleischzug“, muss Leon Kaufman feststellen, dass seine große Liebe New York doch nicht so vollkommen ist, wie er sich das zwanzig Jahre lang vorgestellt hat und seit einem Vierteljahr, das er nun in der Stadt seiner Anbetung verbracht hat, erleben muss. Den eindrucksvollsten Beweis dafür bekommt Kaufman in dem ständigen Blutvergießen präsentiert, das die Straßen überschwemmt. Momentan treibt ein Schlächter in der U-Bahn sein Unwesen, und eines Tages wird Kaufman mit Schlächter konfrontiert.
„Sein Bewusstsein weigerte sich anzuerkennen, was seine Augen hinter der Tür sahen. Er verwarf das Schauspiel als widernatürlich-absurd, als geträumten Nachtmahr. Sein Verstand sprach ihm die Wirklichkeit ab, aber sein Fleisch war sich ihrer gewiss. Sein Körper starrte vor Entsetzen. Seine Augen konnten mit unbeweglich offenen Lidern die grausige Szene hinter dem Vorhang nicht ausblenden. Er stand an der Tür, während der Zug weiter dahinratterte, während sein Blut aus seinen Gliedmaßen zurückströmte und sein Hirn aus Sauerstoffmangel ins Taumeln geriet.“ (S. 57 in der Bertlesmann-Buchclub-Ausgabe). 
Ein Verwahrungszentrum für jugendliche Gewalttäter stellt die Bühne für „Schweineblut-Blues“ dar, in der ein ehemaliger Cop mit dem Verschwinden eines Jungen konfrontiert wird, dessen Geist offensichtlich noch in den Mauern der Anstalt haust. Doch das eigentliche Grauen spielt sich auf dem etwas abgelegenen Farmgelände ab, wo ein Schwein ganz besondere Opfer fordert. In „Das Geyatter und Jack“ wird das fruchtlose Bemühen eines Dämons beschrieben, sein Opfer Jack Polo in den Wahnsinn zu treiben, „Sex, Tod und Starglanz“ bietet eine etwas andere Variation des bekannten „Phantom der Oper“-Motivs. In der abschließenden Geschichte „Im Bergland: Agonie der Städte“ macht sich ein schwules Paar aus England mit dem Auto ins ehemalige Jugoslawien auf und wird Zeuge einer außergewöhnlichen Schlacht von zwei Zwillingsstädten, die jeweils ihre ganze Bevölkerung mobilisieren.
Mit seinem literarischen Debüt hat der Drehbuchautor, Theater- und Filmregisseur, Maler und Autor Clive Barker dem Horror-Genre unzweifelhaft ganz neue Impulse verliehen und war so Wegbereiter für den kurzzeitig aufflammenden „Splatterpunk“, in dem Horror ohne jegliche Tabus inszeniert worden ist. Barker erweist sich mit seinem ersten Output in literarischen Gefilden als einfallsreicher Geschichtenerzähler, der sich nicht lange mit einer Exposition aufhält, sondern den Leser und seine Protagonisten unvermittelt aus dem Alltag ins Grauen stößt, wo blutrünstige Dämonen, sexbesessene Monster und Welten voller Schmerzen ihr Dasein fristen. Dabei präsentiert sich Barker als sezierender Beobachter mit großem Stilbewusstsein. Es sollten noch fünf weitere Bücher des Blutes folgen sowie eine Vielzahl großartiger Horror- und Fantasy-Romane, mit denen sich Clive Barker als Meister seines Faches etablierte.

Michael Connelly – (Mickey Haller: 4) “Der fünfte Zeuge”

Sonntag, 10. März 2013

(Knaur, 637 S., Tb.)
Nachdem der Ermittler Harry Bosch in “Der Mandant” seinen Halbbruder, den Strafverteidiger Mickey Haller, eingeführt hat, durfte dieser in Connellys letzten Roman „Spur der toten Mädchen“ erstmals an vorderster Front sich eines Falles annehmen. In „Der fünfte Zeuge“ taucht Bosch nur noch als Randnotiz auf. Dafür hat es Haller mit einem extrem kniffligen Fall zu tun …
Als Strafverteidiger hat Mickey Haller gerade ein Werbepakt für die spanischsprachigen Radiosender gekauft und alle Hände voll damit zu tun, gegen Zwangsräumungen vorzugehen und die Rechtmäßigkeit von Zwangsvollstreckungen zu überprüfen, was den ehemaligen Hausbesitzern, die auf einmal ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen können, in den meisten Fällen zumindest etwas Luft verschafft. Doch dann kommt mit Lisa Trammel auf Haller eine Mandantin zu, die nicht nur ihre Ratenzahlungen eingestellt hat, sondern beschuldigt wird, Mitchell Bondurant ermordet zu haben, den Chef der Bank, die der Angeklagten das Haus wegnehmen will. Die Verteidigung baut darauf, dass die gerade mal 1,60 Meter messende Trammel den viel größeren Mann unmöglich mit einem Hammer erschlagen haben kann, außerdem plant Haller einen anderen Verdächtigen vorzuführen, Louis Opparizio, der mit seiner Firma ALOFT im Zuge der Zwangsversteigerungen den Papierkram für Banken wie WestLand National erledigte.
„Ich hatte nur ein Ziel, und die Entscheidung der Geschworenen hing davon ab, ob ich es erreichte. Ich musste den Mann im Zeugenstand zum Äußersten treiben. Er war nur hier, weil er seiner Gier und Eitelkeit aufgesessen war. Er hatte es gegen den Rat seiner Anwälte abgelehnt, sich hinter seinem Aussageverweigerungsrecht zu verstecken, und die Herausforderung angenommen, sich mir vor vollem Haus in einem Kampf Mann gegen Mann zu stellen. Meine Aufgabe war, ihn diese Entscheidung bereuen zu lassen. Meine Aufgabe war, ihn dazu zu bringen, sich vor den Geschworenen auf sein im fünften Zusatzartikel garantiertes Recht zu berufen, die Aussage zu verweigern. Wenn er das tat, kam Lisa Trammel frei.“ (S. 570 f.) 
Doch bis dahin ist es für Haller ein ungemein schwerer Weg, denn die gegen seine Mandantin vorgelegten Beweise scheinen erdrückend zu sein, auch wenn sie von der Staatsanwaltschaft sehr spät dem Gericht vorgelegt worden sind. Daneben bemüht sich Haller, seine Ex-Frau und die gemeinsame Tochter nicht zu vernachlässigen, um sich alle Optionen offen zu halten, seine Familie wieder zusammenzuführen.
Als langjähriger Polizeireporter weiß der amerikanische Bestseller-Autor Michael Connelly, wo er spannende Geschichten findet, und er versteht es hervorragend, sie auch so zu erzählen, dass selbst über 600 Seiten zu einem echten Pageturner werden. Mit „Der fünfte Zeuge“ hat Connelly einen packenden Fall, ein sympathisches Team, eine schwierige Beweislage und eine undurchsichtige Angeklagte. All das verwebt der Autor zu einem rasant geschriebenen Justiz-Thriller mit überraschendem Finale.
Leseprobe Michael Connelly – „Der fünfte Zeuge“

Jeff Lindsay – “Dexter”

Sonntag, 17. Februar 2013

 (Knaur, 493 S., Tb.)
Während in den USA bereits die siebte Staffel der erfolgreichen Krimi-Serie “Dexter” gestartet ist, erscheinen in Deutschland die der Serie zugrundeliegenden Romane von Jeff Lindsay mittlerweile stark verzögert. So mag es die treuen „Dexter“-Zuschauer zunächst etwas verwundern, dass in dem schlicht „Dexter“ betitelten fünften Roman, der in den USA bereits 2010 veröffentlicht worden ist, Blutspuren-Analyst Dexter Morgan jetzt erst die Geburt seiner Tochter Lily Anne feiert, vor allem dürfte er sich darüber wundern, dass Dexters Bruder Brian, der als „Kühllasterkiller“ in Buch/Staffel 1 sein Unwesen trieb, noch immer unter den Lebenden weilt.
Während Dexter durch die Geburt seiner Tochter zunehmend und irritierenderweise menschliche Regungen zu verspüren scheint, schleicht sich Brian in Dexters Familie ein, was dem misstrauischen Dexter überhaupt nicht zusagt. Derweil ermittelt seine Schwester Deborah in einer Fall einer mutmaßlichen Entführung, weshalb sie sich nicht nur mit dem FBI herumschlagen muss, sondern auch auf der Suche nach einem „Goth hoch zwei“, einem Vampir, ist, der ausgerechnet zur Familie von Miamis populären Stadtrat Acosta zählt und bei all seinen bisherigen Verbrechen von seinem Vater freigekauft worden ist – beste Voraussetzungen also für Dexter, sich des jungen Mannes persönlich anzunehmen, um ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen. Doch als sich seine Schwester nach zunächst vorschriftsmäßiger Polizeiart auf die Suche nach dem vermissten Mädchen macht, stoßen die beiden Morgans auf einen Zirkel, in dem der Genuss von Menschenfleisch ganz oben auf der Lustskala steht. Dass während der Ermittlungen aber immer wieder Dexters Bruder auf der familiären Bildfläche erscheint, irritiert Dexter auf beunruhigende Weise.
„Ich wusste nach wie vor nicht, was er im Sinn hatte, warum er immer wieder bei uns auftauchte. Konnte es sein, dass es ihn wirklich nach einer Art Familienanbindung verlangte? Schwer vorstellbar – andererseits hätte ich das vor Lily Anne von mir auch nicht geglaubt, und doch lag ich hier, schwor allen dunklen Freuden ab und schmiegte mich an den Busen einer echten Familie. Vielleicht sehnte sich Brian nach denselben einfachen menschlichen Banden. Vielleicht wollte auch er sich ändern. Und vielleicht klatschte ich dreimal in die Hände, und die Fee Tinkerbell erwachte wieder zum Leben. Das war in etwa ebenso wahrscheinlich; Brian war sein ganzes Leben auf dem Dunklen Pfad gewandert, er konnte sich nicht ändern, nicht so grundlegend. Er musste andere Gründe dafür haben, sich in mein Leben zu drängen, und früher oder später würden sie offenbar werden.“ (S. 375) 
Doch die Auflösung hebt sich Lindsay natürlich bis zum Schluss auf. Bis dahin darf der Leser auf ebenso amüsante wie spannende Weise verfolgen, wie Dexter mit seinen inneren Dämonen kämpft, um zu dem liebenden Familienvater zu werden, der er de facto ja ist, womit er sich aber mit der leiblichen Tochter Lily Anne erst so richtig auseinanderzusetzen beginnt. Auf gewohnt kurzweilige, extrem unterhaltsame Art gehen bei Lindsays Romanen Dexters außergewöhnliche Zwiesprache mit seinem dunklen Begleiter und die parallel verlaufende Polizeiarbeit Hand in Hand. Der typische Dexter-Humor, Deborahs unflätige Schimpftiraden und eine außergewöhnliche Krimi-Handlung machen auch „Dexter“ zu einem Thriller-Vergnügen der etwas anderen Art.
Leseprobe Jeff Lindsay – “Dexter”

Howard Linskey – “Crime Machine”

Sonntag, 5. August 2012

(Knaur, 378 S., Tb.)
David Blake arbeitet als „Berater“ für Bobby Mahoney, Gangsterboss im englischen Newcastle. Als er mit seiner Frau Laura aus dem Thailand-Urlaub zurückkehrt, wird er von Bobbys wichtigstem Vollstrecker in Empfang genommen und zum Chef kutschiert, was nur Ärger bedeuten kann. Tatsächlich wird David mit der Information konfrontiert, dass die übliche Übergabe vor seinem Urlaub nicht stattgefunden habe.
David Blake macht sich auf die Suche nach Geordie Cartwright, der für ihn die Übergabe übernehmen sollte, doch Geordie ist verschwunden. Zusammen mit Vollstrecker Finney klappert David verschiedene Clubs ab, bis er einen Tipp erhält, dass Geordie wohl Spielschulden hatte und nebenbei Geschäfte mit einem Russen abwickelte. Schließlich entdecken sie den Gesuchten mit einem Loch im Kopf. Doch Geordie ist nicht der Einzige, der auf der Abschussliste aus Bobby Mahoneys Crew steht. David hat alle Hände voll zu tun, herauszufinden, wer seinem Boss das Revier streitig machen will, und die Übergabe nachzuholen …
„Die Übergabe war eine Versicherungspolice. Bestechungs- und Schmiergeld. Mit der Übergabe kauften wir Einfluss und Informationen. Dadurch bekamen wir die Erlaubnis zugesichert, in unserem Revier Geschäfte machen zu dürfen. Die Übergabe war all das und mehr. Die Organisation, die wir bezahlten, gab es schon sehr lange. Ihr Einfluss reichte sehr weit. Aber sie hatte keinen Eintrag im Handelsregister. Wir zahlten bar und stets pünktlich, abgesehen vom letzten Mal. Also, was hatten wir davon? Zunächst einmal würden die uns fertigmachen, wenn wir es nicht täten – oder jemand anders würde es tun, mit ihrer Zustimmung. Man könnte die Übergabe als Steuer betrachten, die wir abdrückten, und wenn wir es nicht täten, stünden viele andere Schlange, die bereit wären, viel Geld zu bezahlen für die Erlaubnis, ein Unternehmen unserer Größe führen zu dürfen.“ (S. 165) 
Mit seinem Debütroman „Crime Machine“ präsentiert der britische Journalist Howard Linskey eine höchst unterhaltsame Schnitzeljagd, die durchaus als Drehbuchvorlage für einen Guy-Ritchie-Film („Revolver“, „Bube, Dame, König, grAs“) taugen könnte. Vor allem fasziniert der coole, zuweilen auch brutale Thriller als überzeugende Gangstermilieustudie mit einem sympathischen Protagonisten und einem schlichten Plot, der zum Ende hin zum Glück an Fahrt aufnimmt.
Lesen Sie im Buch: Howard Linskey "Crime Machine"

Michael Connelly – (Mickey Haller: 3) „Die Spur der toten Mädchen“

Samstag, 7. Juli 2012

(Knaur, 493 S., Tb.)
Neben der Alex-Cross-Reihe von James Pattersson zählen die Harry-Bosch-Romane von Michael Connelly zu den beliebtesten Krimi-Romanserien. Nach dem Wechsel der Reihe vom Heyne-Verlag zu Knaur fiel der Auftakt mit „Neun Drachen“ noch nicht so überzeugend aus, aber mit seinem neuen Werk kehrt der amerikanische Bestseller-Autor wieder zu alter Stärke zurück.
Allerdings steht in „Spur der toten Mädchen“ nicht der Ermittler Harry Bosch im Vordergrund, sondern wieder Strafverteidiger Mickey Haller, den Connelly mit seinem Roman „Der Mandant“ einführte und der zugleich als Ich-Erzähler fungiert. Haller staunt nicht schlecht, als er mit Gabriel Williams, dem Bezirksstaatsanwalt von Los Angeles, zum Mittagessen ins feine Water-Grill-Restaurant eingeladen wird und dort ein interessantes Angebot erhält: Haller soll als Sonderankläger für die Staatsanwaltschaft den Fall Jason Jessup neu aufrollen. Jessup war vor über zwanzig Jahren verurteilt worden, ein zwölfjähriges Mädchen entführt und ermordet zu haben. Doch die Spermaspuren auf dem Kleid des Opfers, die zur Verurteilung führten, stammten nicht von Jessup, wie eine DNA-Analyse später ergab, so dass der Oberste Gerichtshof des Staates Kalifornien das Urteil schließlich vor einer Woche revidierte. Nun blieben der Staatsanwaltschaft sechzig Tage, ein neues Verfahren gegen Jessup anzustrengen oder den Inhaftierten auf freien Fuß zu setzen. Zusammen mit seiner Ex-Frau Maggie McPherson als Anklagevertreterin und Harry Bosch als Ermittler macht sich Haller auf die Suche nach Zeugen von damals. Bosch hängt sich derweil an die Fersen des vorläufig auf freien Fuß gesetzten Jessup und beobachtet, dass dieser nachts immer wieder Parks am Mulholland Drive aufsucht und dort meditiert.
„Bosch spürte, wie sich eine tiefe Entschlossenheit seiner bemächtigte. Eine Entschlossenheit, die mit der wachsenden Gewissheit einherging, dass es sich bei diesem Mord nicht um einen Einzelfall handelte. Wenn Wallings Theorie richtig war – und er hatte keinen Grund, daran zu zweifeln -, war Jessup ein Wiederholungstäter. Und nachdem er vierundzwanzig Jahre auf Eis gelegt worden war, konnte er sich jetzt wieder frei in der Stadt bewegen. Es würde nicht lange dauern, bis er wieder den finsteren Zwängen nachgab, die ihn schon damals zu seinen tödlichen Taten getrieben hatten. Bosch fasste einen raschen Entschluss. Wenn Jessup unter Stress geriet und der Zwang zu töten ihn das nächste Mal überkam, wäre er zur Stelle, um dem Mann das Handwerk zu legen.“ (S. 196) 
Es erweist sich jedoch alles andere als einfach, die zwölf Geschworenen vollkommen von der Schuld des Angeklagten zu überzeugen. Die Hauptzeugin der Anklage, Sarah Geason, die Jessup unzweifelhaft als Täter identifizieren will, hat nämlich eine bewegte Drogen- und Sanatoriums-Vergangenheit hinter sich. „Spur der toten Mädchen“ erweist sich als spannungsreicher Gerichtsthriller, bei dem die Figuren zwar wieder einmal etwas blass bleiben, doch wird dieses Manko durch den spektakulären Fall in den Schatten gestellt. Connelly, der 1992 mit „Schwarzes Echo“ seinen Harry-Bosch-Siegeszug begonnen hatte, versteht es als ehemaliger Gerichtsreporter souverän, seine Leser mit einem packenden, stets authentisch wirkenden Plot zu fesseln, der keine Längen kennt und auf ein Finale zusteuert, das allerdings so manchen Leser etwas unbefriedigt zurücklassen könnte. 

Linwood Barclay – „Weil ich euch liebte“

Sonntag, 27. Mai 2012

(Knaur, 527 S., Tb.)
Weil seine Baufirma nicht mehr ganz so gut läuft, besucht Glens Frau Sheila einen Buchhaltungskurs, um ihrem Mann unter die Arme greifen zu können. Nach dem plötzlichen Tod seines Vaters und einem offensichtlich selbst verschuldeten Brand, der eines seiner Gebäude vernichtete, steht Glen Garber mit dem Rücken zur Wand. Aber es kommt noch schlimmer: Als Sheila nach einem ihrer Kurse nicht nach Hause kommt, macht sich Glen auf die Suche und entdeckt ihren Wagen an einer Unfallstelle. So wie es aussieht, hat Sheila in volltrunkenem Zustand ein anderes Fahrzeug gerammt und damit sich selbst und zwei weitere unschuldige Menschen getötet.
Doch dies ist nur der Anfang einer ganzen Reihe von merkwürdigen Todesfällen. Nachdem Glens achtjährige Tochter Kelly völlig verstört wieder von den Slocums abgeholt wurde, wo sie bei ihrer Freundin Emily übernachten wollte, stirbt Emilys Mutter nach einer Reifenpanne an einem Pier – offensichtlich ist sie ins Wasser gefallen und ertrunken. Als Glen seine Tochter ins Verhör nimmt, warum sie so überstürzt nach Hause wollte, erzählt ihm Kelly von zwei merkwürdigen Telefonaten, die Ann im Schlafzimmer geführt hat, wo sich Kelly im Kleiderschrank versteckte. Natürlich will auch Anns Ehemann Darren Slocum, Polizist in Milford, wissen, worum es in diesen Telefonaten ging, und will von Kelly alles erfahren, was sie gehört hat.
„Dachte ich nicht genau dasselbe, was Sheila anging? Ihr Tod war ein Unfall, aber die näheren Umstände waren mir suspekt. Hatte ich nicht genau dasselbe getan wie Darren Slocum jetzt? Als ich mit den anderen Kursteilnehmern und dem Lehrer sprach, war ich da nicht auch auf der Suche nach der Wahrheit gewesen? Als ich das Haus auf den Kopf stellte, um rauszufinden, ob meine Frau irgendwo Alkohol versteckt hatte, den ich nicht finden sollte, suchte ich da nicht auch nach einer Antwort?“ (S. 155) 
Glen Garber glaubt nicht an die von der Polizei angenommene Trunkenheits-Theorie und unternimmt eigene Ermittlungen. Als er von einem Detektiv angesprochen wird, stößt er auf einen blühenden Handel mit minderwertigen Kopien von Handtaschen, Medikamenten und Baumaterialien, in den Sheila und Ann verstrickt gewesen sein sollen. Um dahingehende Spuren zu beseitigen und unterschlagenes Geld zurückzubekommen, sorgt ein skrupelloser Drahtzieher des Imitathandels für weitere Tote.
Linwood Barclay versteht es blendend, mit dem plötzlich alleinerziehenden Bauunterunternehmer einen sympathischen Helden in Szene zu setzen, der sich nicht nur mit dem fragwürdigen Pfusch einiger seiner treusten Mitarbeiter herumschlagen muss, sondern auch die näheren Umstände des Todes seiner Frau in Erfahrung bringen will und dabei auf mehr dunkle Geheimnisse, Affären und betrügerische Geschäfte erfährt, als ihm lieb sein kann, was schließlich auch das Leben seiner geliebten Tochter in Gefahr bringt. Die realistische Erzählweise und der kritisch kommentierte Handel mit billig produzierten Imitaten macht „Weil ich euch liebte“ zu einem jederzeit packenden Thriller-Highlight, in dem allein der übertrieben konstruierte Showdown mit Hollywood-typischen „überraschenden“ Wendungen das Lesevergnügen etwas trübt.
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Matt Dunn – „Aus. Ende. Gelände.“

Montag, 27. Juni 2011

(Knaur, 431 S., Pb.)
Am 16. Januar ruft Edward seinen besten Freund Dan, den blendend aussehenden Moderator der „Antiquitäten-Roadshow“ an, um ihm mitzuteilen, dass seine langjährige Lebensgefährtin Jane nach Tibet abgehauen ist. Immerhin hat sie ihm einen Brief hinterlassen, in dem sie ihm vorwirft, sich zu sehr gehen gelassen zu haben. In genau drei Monaten will sie wieder zurückkehren und sich mit Teddy weiterunterhalten. Also hat Edward drei Monate Zeit, sich wieder in Form zu bringen und für Jane wieder attraktiv zu werden.
Er heuert eine Personal Fitness-Trainerin an, verzichtet auf Pizza und Alkohol und muss sich ständig mit Dan auseinandersetzen, der ihm die Frauenwelt näherzubringen versucht. Allerdings ist der ungemein treue Edward gar nicht daran interessiert, Tricks zu lernen, wie man möglichst viele Frauen möglichst schnell ins Bett bekommt, so wie es Dans Lebensphilosophie ist. Edward möchte einfach nur seine Jane zurückhaben. Denn bald schon wird ihm klar, wie sehr er sein Mädchen vermisst.
„Schon beim Aufwachen oder besser gesagt beim Aufstehen spüre ich sofort, dass etwas nicht so ist, wie es sein sollte. Ich komme erst langsam richtig zu mir, denn ich habe nicht besonders gut geschlafen. Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass ich zum ersten Mal seit vielen Jahren nicht die ganze Nacht um das Federbett kämpfen musste. Was immer die Ursache für meine Unruhe war, bin ich mir der leeren Stelle, wo eigentlich Jane liegen sollte, sehr bewusst.
Während ich meine erste Zigarette des Tages rauche, wird mir mit einem Schaudern bewusst, dass sie zum ersten Mal in all den zehn Jahren nicht wie gewohnt in unmittelbarer Reichweite ist, wenn man einmal von gelegentlichen Geschäftsreisen oder Familientreffen absieht. Auch wenn wir uns mal gestritten hatten, lagen wir doch immer im selben Bett, bisweilen Rücken an Rücken in eisigem Schweigen, bis einer von uns eine Hand oder einen Fuß ausstreckte.“ (S. 37)
Bereits mit den ersten Seiten weckt Matt Dunn das Mitleid seiner Leser für den armen Tropf Edward, der offensichtlich aufgegangen ist wie ein Hefekloß und vor allem in Gegenwart von Dan-Playboy unbemerkt in dessen Schatten verblasst. Es ist schon witzig zu verfolgen, wie die Lebensphilosophien dieser so grundverschiedenen Freunde sich aneinander reiben, und doch lässt sich Edward immer wieder von seinem so Frauen-erfahrenen Freund antreiben und zu den schlechtesten, gelegentlich aber auch solchen Ideen anstiften, die zwar seinen Geldbeutel mächtig erleichtern, dafür aber sein Heim, sein Outfit und sein Äußeres auf Vordermann bringen, bis Edward tatsächlich selbstbewusster mit Frauen umzugehen versteht.
„Aus. Ende. Gelände.“ lässt sich wunderbar leicht und schnell weglesen, ohne den Intellekt, aber auch nicht wirklich das Zwerchfell großartig zu beanspruchen.

Michael Connelly - (Harry Bosch: 14) „Neun Drachen“

Freitag, 11. März 2011

(Knaur, 479 S., Tb.)
Harry Bosch und sein Familien-gestresster Partner Ignacio Ferras bekommen einen Überfall auf einen Getränkemarkt in South Normandie zugeteilt, wo zunächst alles nach einem Raubüberfall aussieht, bei dem der Ladenbesitzer John Li erschossen wurde. Der Täter hat zur Sicherheit die Überwachungs-DVD mitgenommen, doch auf den beiden DVDs, die zurückgelassen wurden, entdeckt Bosch einen ersten Hinweis auf eine Schutzgeldzahlung, die Li geleistet hat. Durch die Mithilfe von Detective David Chu von der Asian Gang Unit nimmt Bosch den Verdächtigen Bo-Jing Chang fest, der zur chinesischen Triade Yung Kim – Tapferes Messer – gehören soll.
Allerdings bleibt den Beamten nur das Wochenende, um Chang wegen Mordes dranzukriegen, sonst müssen sie ihn wieder auf freien Fuß setzen. Doch die Durchsuchung von Changs Wohnung, Auto und Handy bringt nicht die gewünschten Ergebnisse. Da bekommt Bosch eine Videobotschaft seiner 13-jährigen Tochter Maddie zugeschickt, die mit ihrer Mutter in Hongkong lebt. Das Entführungsvideo enthält ein paar Hinweise auf den Aufenthaltsort seiner Tochter. Bosch nimmt den nächsten Flieger nach Hongkong, um mit seiner Ex-Frau Eleanor und ihrem neuen Lebensgefährten Sun Yee nach Maddie zu suchen.
„Er würde seine Tochter finden und nach Hause bringen. Oder er würde bei dem Versuch, sie zu befreien, sterben. Sein ganzes Leben lang hatte Harry Bosch geglaubt, eine Mission zu haben. Und um diese Mission durchführen zu können, musste er kugelsicher sein. Er musste sich und sein Leben so gestalten, dass er unverwundbar war, dass ihm nichts und niemand etwas anhaben konnte. Das alles hatte sich an dem Tag geändert, an dem er der Tochter vorgestellt worden war, von der er nicht gewusst hatte, dass er sie hatte. In diesem Moment hatte er gewusst, dass er gleichzeitig gerettet und verloren war. Von jetzt an war er mit der Welt für immer auf eine Weise verbunden, wie sie nur ein Vater kannte.“ (S. 227 f.)
Auch wenn „Neun Drachen“ ein ungewöhnlich persönlicher Fall für Detective Harry Bosch ist, fällt die Spannung recht moderat aus. Dabei wird weder besonders ausführlich auf die Triaden-Thematik eingegangen, noch auf den Menschenhandel in Hongkong. Ebenso unsicher wie Bosch ist, wem er bei seiner Suche nach seiner Tochter trauen kann, wird auch der Leser etwas unsicher durch den Plot geführt, der zumindest mit einer elegant aus dem Hut gezauberten Lösung aufwartet. 

Steve Mosby - „Spur ins Dunkel“

(Knaur, 377 S., Tb.)
Es sind einige Wochen vergangen, seit Amy einen Abschiedsbrief auf dem Küchentisch hinterlassen hatte, in dem sie ankündigte, einige Probleme in den Griff bekommen zu müssen, aber sie würde auf jeden Fall zurückkommen. Doch ihr Freund Jason ist mittlerweile überzeugt, dass seiner Amy etwas zugestoßen sein muss. Er durchstöbert diverse Internet-Foren und bewegt sich unter dem Namen Amy17 in einem virtuellen Sex-Chatroom, wo er auch gleich einen Interessenten aufgabelt, von dem er hofft, nähere Informationen zum Aufenthaltsort von Amy zu erfahren. Als die Polizei bei ihm auftaucht, befürchtet er schon, dass sie tot aufgefunden wurde, doch tatsächlich geht es um Claire Warner, eine weitere Internet-Chat-Bekanntschaft, die er schließlich einmal in Schio getroffen hatte.
Kaum ist die Polizei gegangen, taucht ein alter Mann namens Walter Hughes bei Jason auf, der mit ihm über Claire reden will. Zusammen mit seinem Freund, dem Computer-Experten Graham, versucht Jason den wenigen Hinweisen nachzugehen, die er in Bezug auf Amy hat, lässt ihren Computer untersuchen und stößt schließlich auf eine Art Snuff-Literatur, die detailliert Vergewaltigungen dokumentiert.
„Es gibt einen tiefen Abgrund, in den man fallen kann und den man eigentlich nur entdeckt, wenn man jemanden sehr gernhat. Niemand bringt einem das je bei, und niemand redet viel darüber, es gehört zu den Dingen, die man selbst und allein lernen muss. Das erste Mal, wenn man in dieses Loch fällt, kommt es einem vor, als werde der Sturz nie enden, und wenn man dann hinabstürzt, dass man niemals entkommen wird, dass man aus einem so tiefen, dunklen Loch nie wieder herausklettern kann.“ (S. 49)
Je mehr sich Jason in diesen erschreckenden Kreisen bewegt, umso mehr gerät sein eigenes Leben völlig aus den Fugen und in tödliche Gefahr.
„The Third Person“ war 2003 der erste Roman des britischen Thrillerautors Steve Mosby, der hierzulande vor allem mit seinem zweiten Werk „Der 50/50-Killer“ bekannt geworden ist. „Spur ins Dunkel“, so der deutsche Titel des Debüts, lässt zumindest schon den eleganten Stil des Autors erkennen, wirkt aber als geschlossene Erzählung noch viel zu umständlich. Was als spannende Suche nach einer vermissten Lebensgefährtin beginnt, verstrickt sich zunehmend in eine immer verworrene Verschwörung, die weit über illegale Sex-Websites hinausgeht, unzählige Tote nach sich zieht und am Ende gar keinen Durchblick mehr zulässt.
Leseprobe “Spur ins Dunkel”

Jeff Lindsay – „Des Todes dunkler Bruder“

Sonntag, 12. Dezember 2010

(Knaur, 351 S., Pb.)
Eigentlich arbeitet Dexter Morgan als Spezialist für Blutanalysen bei der Polizei von Miami, doch seine Passion gilt der Bestrafung von Serienkillern, die durch das Netz der polizeilichen Ermittlungen schlüpfen. Gerade hat sich Dexter eines Priesters angenommen, der nicht nur im St. Anthony’s Waisenhaus Kinder umgebracht hat, sondern offensichtlich zuvor schon in anderen Städten, da wird Miami von einer neuen Mordserie erschüttert.
Der Killer entzieht seinen Leichen das sämtliche Blut und zerschneidet sie mit chirurgischer Perfektion. Dexters Adoptivschwester Deborah, die ebenso wie ihr verstorbener Vater Harry und Dexter bei der Polizei arbeitet, sieht hier die Chance, von der Sitte weg zur Mordkommission befördert zu werden, braucht aber dafür Dexters außergewöhnliche Intuition. Diese führt zu der Vermutung, dass der Killer seine Opfer in einem gestohlenen Kühltransporter verarbeitet. Als Deb und Dexter die nächste kunstvoll verpackte und blutleere Leiche im Tor des heimischen Eishockeystadions finden, beschleicht Dexter das ungute Gefühl, dass der Täter sehr viel mit ihm selbst gemein hat. Detective LaGuerta kann zwar bald mit einer Verhaftung vor der Presse glänzen, doch Dexter weiß, dass die bizarre Mordserie noch längst nicht beendet ist …
Mit seinem Debütthriller „Darkly Dreaming Dexter“ ist dem amerikanischen Autor Jeff Lindsay im Jahre 2004 ein grandioser Wurf gelungen, der CBS Showtime zu einer brillanten Fernsehserie inspiriert hat, in der Michael C. Hall die perfekte Besetzung für den geheimnisvollen Blutanalyse-Spezialisten Dexter Morgan darstellt. Dass der Roman die Grundlage für eine über mehrere Staffeln erfolgreiche TV-Serie bieten kann, ist dabei nicht nur der charismatischen wie enigmatischen Hauptfigur zu verdanken, deren faszinierende und beunruhigende Vergangenheit erst allmählich und nur stückchenweise enthüllt wird. Auch Dexters Schwester Deborah und seine Kollegen bieten viel Raum, um in einer spannenden wie unterhaltsamen Thriller-Serie ausgefüllt zu werden. Lindsay hat sein Debüt dabei so spannend wie humorvoll geschrieben, dass Fortsetzungen zum Glück nicht lange auf sich warten ließen.

Jeff Lindsay – „Die schöne Kunst des Mordens“

Freitag, 3. Dezember 2010

(Knaur, 413 S., Pb.)
Dexter ist gerade von seinen Flitterwochen mit Rita aus Paris zurückgekehrt, da wird seine ganz spezielle Fähigkeit, Tatorte zu lesen, auch schon wieder vom Miami Police Department, wo er als Blutanalyst arbeitet, beansprucht. Zunächst wird er an einen Tatort gerufen, wo die unterhalb des Brustkorbs ausgeweideten Leichen eines blassen, übergewichtigen Paars in den Dreißigern am Strand wie ein Obstkorb inszeniert worden waren. Während Dexter und seine Schwester Deborah noch den Tatort inspizieren, kommt schon der nächste Mord rein, diesmal aus Fairchild Gardens, wo die kopflose Leiche eines Mannes wie ein Blumenstrauß – mir Gedärmen statt Blumen –sitzend an einem Baum lehnte.
Doch selbst mit diesem Fund ist der Arbeitstag für Dexter noch nicht zu Ende. Rita versucht sich gerade an französischer Küche, als er zum nächsten Tatort gerufen wird. Diesmal handelt es sich um einen Mann, dessen Brustkorb von den üblichen Inneren befreit und mit Eis und Bierflaschen gefüllt worden ist. Als Dexter und Deborah überlegen, für wen diese kunstvollen Morde inszeniert wurden, fällt Dexter die Tourismusbranche ein. Offensichtlich will jemand den Sonnenstaat Miami madig machen. Erste Anlaufstelle für die Ermittler ist also die Behörde für Fremdenverkehr, wo sich tatsächlich eine erste Spur auftut. Doch als Deborah und Dexter den Verdächtigen Alex Doncevic aufsuchen, wird Deborah niedergestochen. Doncevic wird zwar wenig später verhaftet, doch da es nicht seine Fingerabdrücke auf der Waffe sind, wird Doncevic wieder auf freien Fuß gesetzt. Dexter tut, was er tun muss und lässt seinen „Dunklen Passagier“ Gerechtigkeit walten, während Deborah im Krankenhaus nur langsam wieder zu Kräften kommt. Doch Dexter muss einsehen, dass er den falschen Mann erwischt hat. Nun macht nämlich Doncevic‘ Liebhaber und Compagnon Brandon Weiss Jagd auf Dexter und seine Liebsten …
Mit seinem ersten Dexter-Roman „Des Todes dunkler Bruder“ hat Jeff Lindsay nicht nur einen außergewöhnlichen Psychothriller vorgelegt, sondern gleich die Vorlage zu der erfolgreichen Fernsehserie „Dexter“, in der Dexter Morgan tagsüber als Blutanalyst für das Miami Police Department arbeitet und nachts die bösen Buben aus dem Verkehr zieht, die durch das Rechtssystem geschlüpft sind. Das ist nicht nur im Fernsehen höchst unterhaltsam, sondern lässt sich nun mittlerweile bereits zum vierten Mal auch wunderbar spannend mit viel schwarzem „Dexter“-Humor lesen. Im vierten Dexter-Roman ist besonders interessant, wie Dexter feststellt, dass Ritas Kinder Cody und Astor ebenfalls eine dunkle Seite in sich haben.
„Ich musterte die beiden, und es kam mir fast so vor, als wohnte ich einem religiösen Wunder bei. Sie wussten vom Schattenmann – ihrem Dunklen Passagier. Ebenso wie ich trugen sie in sich und waren so vertraut mit seiner Existenz, dass sie ihm einen Namen gegeben hatten. Es bestand nicht der geringste Zweifel – sie befanden sich bereits in derselben dunklen Welt, in der ich lebte. Es war ein tiefgreifender Moment der Verbundenheit, und ich wusste, dass ich das Richtige tat: Sie waren meine Kinder und die des Dunklen Passagiers – und die Vorstellung, dass wir dadurch stärker als durch Blutsbande miteinander verbunden waren, war nahezu überwältigend.“ (S. 52)
Darüber hinaus erfährt der Leser, wie Dexter durch seinen Vater Harry mit dem Dunklen Passagier vertraut gemacht worden ist und wie seine Schwester mit dem Wissen umgeht, dass sich Dexter durch seine Selbstjustiz-Aktionen strafbar macht. Alles in allem bietet der neue „Dexter“-Roman einmal tiefere Einblicke in die geheimnisvolle Seele von Dexter Morgan, dazu eine Menge Humor und ganz nebenbei auch eine spannende Kriminalgeschichte.