Philippe Djian – „Betty Blue – 37,2° am Morgen“

Mittwoch, 6. November 2019

(Diogenes, 396 S., Tb.)
Eigentlich könnte der Ich-Erzähler in Philippe Djians ein erfolgreicher Schriftsteller sein. Stattdessen droht sein handgeschriebenes Manuskript in einem Pappkarton in Vergessenheit zu geraten, während er seinen Lebensunterhalt als Mädchen für alles in einer Bungalow-Anlage verdient und sich nebenbei mit der temperamentvollen Betty vergnügt, die er seit einer Woche kennt. Da der Vermieter mit diesem Arrangement nicht so ganz einverstanden ist, erklärt sich der verhinderte Schriftsteller bereit, alle Bungalows neu zu streichen, damit Betty auch weiterhin bei ihm wohnen kann. Betty platzt dabei so richtig der Kragen und leert einen Farbeimer über dem Wagen des verhassten Vermieters. So bekommt der Protagonist in den Mittdreißigern einen ersten Vorgeschmack auf die Temperamentsausbrüche seiner Freundin.
Doch das ist erst der Anfang. Als Betty das Manuskript findet, ist sie von dem Text so begeistert, dass sie es persönlich abtippt und Kopien an verschiedene Verleger aus dem Telefonbuch schickt. Der Absender eines garstigen Ablehnungsschreibens bekommt es schließlich persönlich mit Betty zu tun. Um weiteren Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, zieht das Paar zunächst bei Eddie und Lisa ein, wo sie in Eddies Pizzeria arbeiten, dann verschafft Eddie den beiden einen Job im Klavierladen, den seine verstorbene Mutter betrieben hat. Hier findet der verkannte Schriftsteller genügend Zeit, um an einem neuen Manuskript zu arbeiten, aber Bettys Anfälle nehmen immer besorgniserregendere Züge an …
„Sie müsste einsehen, dass das Glück nicht existiert, dass das Paradies nicht existiert, dass es nichts zu gewinnen oder zu verlieren gibt und man im wesentlichen nichts ändern kann. Und wenn du glaubst, die Verzweiflung ist alles, was einem dann bleibt, dann irrst du dich noch einmal, denn auch die Verzweiflung ist eine Illusion.“ (S. 282) 
Mit seinem dritten Roman nach „Blau wie die Hölle“ und „Erogene Zone“ ist Philippe Djian Mitte der 1980er Jahre der internationale Durchbruch gelungen, angefeuert durch die erfolgreiche Verfilmung des Roman durch Jean-Jacques Beineix („Diva“) aus dem Jahre 1986. Wie in vielen von Djians Romane hadert auch in „Betty Blue“ der Ich-Erzähler mit seinem Schicksal als verkannter Schriftsteller. Es ist ihm auch egal. Hauptsache, er verdient etwas Geld, hat genügend Zeit, sich in der Sonne zu fläzen, mit Betty zu bumsen und etwas zu trinken. Mehr erwartet er gar nicht vom Leben. Doch an Bettys Seite kann er sich nicht einfach weiter so durch das Leben treiben lassen, denn Betty erwartet mehr von einem so talentierten Schriftsteller.
Während sie alles daransetzt, mit ihrem Liebsten aus dem Alltagstrott auszubrechen, bleibt ihm nicht anderes übrig, als mit ihr mitzuziehen. Djian erzählt diese außergewöhnlich leidenschaftliche Liebesgeschichte in einem rasanten, präzisen Stil, der in jedem Absatz deutlich macht, was vor allem der empathische Ich-Erzähler empfindet, der schließlich meint, auch Betty so gut zu kennen, wie es niemand sonst vermag. Die Beziehung zwischen den beiden und vor allem Bettys dem Borderline-Syndrom geschuldetes überschäumendes Temperament machen Stimmung und Tempo des Romans aus, wobei sich Tragik und Humor überzeugend die Waage halten. So ist Djian mit „Betty Blue – 37,2° am Morgen“ ein ebenso gefühlvoller wie aufrüttelnder Roman über Liebe, Treue, Loyalität und Leidenschaft gelungen, wie es ihm später in dieser Intensität kaum noch gelingen sollte.

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