Nach dem Umzug von Vallendar bei Koblenz ins emsländische Meppen durfte sich der dreizehnjährige Martin Schlosser zwar darauf freuen, nicht mehr sechs Stunden im vollgefurzten PKW bis zu den Großeltern in Jever verbringen zu müssen, sondern nur noch zwei Stunden zu brauchen, doch davon abgesehen hält das neue Zuhause nicht viele Freuden für den Pubertierenden bereit. Mit seinen Geschwistern Volker, Wiebke und Renate verbindet Martin nicht mehr viel, dafür vermisst er seine Freunde, von denen ihm sein bester Kumpel Michael regelmäßig per Brief Bericht erstattet, wie langweilig ihm ständig sei.
Martin kickt in der C-Jugend vom SV Meppen und träumt schon von einer Karriere als Weltklassespieler, der irgendwann zusammen mit Jupp Heynckes, Sepp Maier und Dieter Müller in der Nationalelf stürmen würde. Doch während seine Lieblingsmannschaft von Borussia Mönchengladbach zum dritten Mal hintereinander Meister wird, kommt seine eigene Mannschaft ziemlich oft heftig unter die Räder, so dass ihm irgendwann die Lust am Training vergeht.
Wenig erbaulich erweisen sich auch die Arbeitseinsätze in Papas Keller, wenn dieser wieder sägt, schraubt und hämmert, oder im Garten beim Unkrautjäten.
„Im Treppenhaus hatte Volker einen ziehengelassen. Wiebke übte Tonleitern, Mama kramte auf dem Dachboden Teppichreste für Renates neue Wohnung zusammen, Papa brachte den fertiggeknüpften Lampenschirm testhalber überm Esstisch an, und in meinem Stern-Horoskop stand der schlaue Ratschlag: Ärgern Sie sich nicht weiter mit dieser Gesellschaft herum. Kehren Sie ihr den Rücken zu, für immer! Nichts lieber als das. Alle Brücken abbrechen und untertauchen, um irgendwo anders ein neues Leben anzufangen.“ (S. 336)Sinnlos erscheint dazu der Unterricht in der Schule. Martin ist sich sicher, dass er die mathematischen und physikalischen Lehrsätze, die er pauken muss, nie wieder im Leben benötigen wird. Dafür verdient er sich mit kurzen Aufsätzen zu ausgesuchten Fragestellungen in der Zeit jeweils 25 Mark und verguckt sich in seine Mitschülerin Michaela …
Nach dem ersten Band („Kindheitsroman“) der nach wie vor fortgesetzten Chronik des Lebens von Gerhard Henschels Alter Ego Martin Schlosser sind der Ich-Erzähler und sein Publikum in Martin Schlossers Pubertät angekommen, die nach dem Umzug von Vallendar nach Meppen von den Pflichten bei der Hausarbeit, Fußballtraining, Konfirmandenunterricht und wenig erbaulichem Schulalltag geprägt sind. Der Briefwechsel mit seinem Freund Michael und die Freuden an der politischen und kulturellen Bildung halten Martin zum Glück bei der Stange. Beim Lesen von Mario Puzos „Der Pate“ und der Biografien von Anthony Quinn und Curd Jürgens bleiben vor allem die Schilderung von erotischen Erlebnissen in Erinnerung.
Henschel, der als akribischer Chronist seiner Zeit gilt, verbindet wie in „Kindheitsroman“ und den nachfolgenden Werken die Eckpunkte seines eigenen Lebens mit Anekdoten aus dem zeitgeschichtlichen Geschehen. Hier sind vor allem die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, die Aktivitäten der RAF, die Auseinandersetzungen zwischen der CDU und CSU und Günter Wallraffs Undercover-Einsatz in der BILD-Redaktion zu nennen, dazu fließen Reflexionen über Alben der Beatles, Joan Baez und Insterburg & Co sowie Filme mit John Wayne, Roman Polanski und Alain Delon ein, Kommentare zu den Boxkämpfen von Muhammed Ali und den Spielen sowohl der Gladbacher als auch der Nationalmannschaft.
Die Aneinanderreihung verschiedenster Anekdoten aus dem Leben von Martin Schlosser geriert sich einmal mehr als amüsantes Sammelsurium von Ereignissen, die die Welt, vor allem aber den aufgeweckten wie humorvollen Ich-Erzähler Mitte der 1970er Jahre bewegt haben. Das bietet vor allem für Schlossers Zeitgenossen einen unerschöpflichen Fundus an Erinnerungen an die Zeit, in der sie aufgewachsen sind, und macht neugierig auf die Fortsetzung, in der hoffentlich auch die Frage beantwortet wird, ob Michaela Martins Gefühle erwidert.
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