(Laurence King, 224 S., Pb.)
Über das Medium Film lässt sich bekanntlich vortrefflich schreiben, allerdings gibt dieses Medium in seiner über 120-jährigen Geschichte so viel her, dass es schon einen interessanten Ansatz braucht, um Filmbücher auch an das richtige Publikum zu bringen. Während Verlage wie Bertz + Fischer und Schüren ausführliche und analytische Bände zu ausgesuchten Themen oder Regisseuren für Hardcore-Cineasten veröffentlichen, stehen bei Taschen beispielsweise die Filmbilder im Vordergrund, die von längst nicht so in die Tiefe gehenden, aber durchaus kompakten Texten begleitet werden.
Ian Haydn Smith, der in der Berliner Dependance des britischen Laurence King Verlags bereits „Eine kurze Geschichte der Fotografie“ vorgelegt hat und neben seiner Arbeit für die Kinomagazine „Curzon“ und BFI Filmmakers“ vor allem für seinen Bestseller „1001 Movies You Must See Before You Die“ bekannt ist, wählt für seinen Überblick „Eine kurze Geschichte des Films“ einen bemerkenswerten Ansatz, der vor allem Filmliebhaber ansprechen dürfte, die in die theoretischen Grundlagen einsteigen möchten und nach einem kurzen Abriss über die Geschichte des Mediums sowie dessen im Laufe der Zeit ausgestalteten Genres suchen.
„Der Experimentalfilm, die Dokumentation, der Kurzfilm, die Animation – alle verdienen eine eigene geschichtliche Darstellung. Mit einer oberflächlichen Einordnung würde man ihnen nicht gerecht. Dieses Buch versucht zu beschreiben, wie kommerzielles, unabhängiges und künstlerisches Kino im Laufe eines turbulenten Jahrhunderts entstand, florierte und sich anpasste“, schreibt der Autor in seiner Einleitung und handelt seine ausgewählten Themen jeweils auf gerade mal einer Seite ab.
So bekommt der Leser zunächst einen knackigen Überblick über eine Vielzahl von Filmgenres, vom Western und Monumentalfilm über den Kriegs-, Horror-, Gangster- und Propagandafilm bis zur Dokumentation, dem Blockbuster, Ghettodrama, Italowestern und Musical, wobei auch weniger populäre Genres wie der Mockumentary, Jidai-Geki (Samuraifilm), Racefilm und Kino der Langsamkeit Berücksichtigung finden – jeweils mit einer kurzen Charakterisierung und geschichtlichen Entwicklung, illustriert durch einen stilbildenden Meilenstein (wie „Ben Hur“ für den Monumentalfilm, „Stagecoach“ für den Western und „Der Leopard“ für den Kostümfilm) und Nennung bekannter Regisseure, die das jeweilige Genre geprägt haben.
Den Hauptteil nimmt die Vorstellung von 50 ausgesuchten Filmen auf jeweils zwei Seiten in chronologischer Reihenfolge ein. Hier zeigt sich ebenso wie bei den zuvor ausgewählten „Meilensteinen“ der einzelnen Filmgenres der sehr persönliche Geschmack des Autors, wobei auch in der Filmgeschichte recht gut bewanderte Leser sicher den einen oder anderen Film finden werden, der ihnen bislang noch nicht untergekommen ist. Neben allseits bekannten Werken wie Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“, Langs „Metropolis“, Hitchcocks „Vertigo – Aus dem Reich der Toten“, Godards „Außer Atem“, Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“, Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“, Spielbergs „Der weiße Hai“, Scorseses „Taxi Driver“, Ridley Scotts „Blade Runner“, Tarantinos „Pulp Fiction“ und zuletzt Cuaróns preisgekrönter Netflix-Produktion „Roma“ begegnen uns hier auch allgemein weniger vertraute Filme wie Murnaus „Sonnenaufgang“, Vigos „Atalante“, Bertoluccis „Der große Irrtum“, Akermans „Jeanne Dielman“ und Claire Denis‘ „Der Fremdenlegionär“.
Es ist gerade diese Mischung aus dem Wiedersehen mit vertrauten Meisterwerken und der Neugierde auf noch unbekannte, aber offensichtlich sehenswerte Filme, die „Eine kurze Geschichte des Films“ so interessant machen. Ian Haydn Smith erweist sich dabei als äußerst sachkundiger Autor, der nicht nur Genres und die 50 ausgesuchten Filme fundiert und kompakt zu umreißen versteht, sondern auch technische Sachverhalte gut verständlich beschreibt. Wer sich nämlich noch tiefer in die Materie begeben möchte, kann sich im Anschluss noch mit verschiedenen Strömungen wie Deutscher Expressionismus, Nouvelle Vague, Neuer Deutscher Film, Cinéma du Look, New Queer Cinema, Dogma 95 oder New French Extremity beschäftigen und sich filmischen Mitteln und Techniken wie Method Acting, Cinéma vérité, 3D, Schärfentiefe, Parallelmontage, Unsichtbarer Schnitt und Panoramaschwenk annähern. Ein ausführliches Register rundet dieses informative Buch für Filmfreunde jedweder Ausprägung ab. Bestenfalls macht „Eine kurze Geschichte des Films“ Lust auf weiterführende Literatur oder animiert einen dazu, die vorgestellten Listen, die per se keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben können, mit eigenen Lieblings-Filmen zu ergänzen.
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