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Stephen King – „Carrie“

Montag, 25. Mai 2020

(Weltbild, 288 S., HC)
Seit ihr Vater auf einer Baustelle ums Leben gekommen ist, lebt die 16-jährige Carietta „Carrie“ White mit ihrer allein erziehenden, fanatisch religiösen Mutter in der Carlin Street in der Kleinstadt Chamberlain. Bereits im zarten Alter von drei Jahren ließ sie per Telekinese einen Steinregen auf das Dach ihres Elternhauses regnen, als ihr ihre Mutter im religiösen Wahn die Augen herausschneiden wollte. Seither ist es nicht zu weiteren unerklärlichen Zwischenfällen dieser Art gekommen, noch hat jemand geahnt, dass Carrie über telekinetische Kräfte verfügen würde. Als Carrie jedoch ausgerechnet in der schulischen Gemeinschaftsdusche erstmals ihre Periode bekommt, ohne zuvor aufgeklärt worden zu sein, wird sie von ihren Mitschülerinnen noch mehr gehänselt als ohnehin schon, was eine unglückliche Kettenreaktion auslöst.
Während sich einige Mädchen anschließend dafür schämen, die hilflose und völlig verängstigte Carrie so massiv gedemütigt haben, setzen andere bereits zum nächsten Schlag an. Sue Snell ist aber so reumütig, dass sie selbst auf die Teilnahme am kommenden Frühlingsball verzichtet, damit ihr Freund Tommy Ross Carrie dazu einladen kann. Carrie vermutet hinter dieser vermeintlich netten Geste zunächst ein weiteres böses Spiel, das mit ihr getrieben wird, doch auch durch ihre mitfühlende Lehrerin Miss Desjardin bestärkt beginnt Carrie, sich von den emotionalen Fesseln ihrer Mutter zu befreien, sich ein Kleid zu nähen und sich tatsächlich auf den Ball zu freuen.
Doch ihre ersten düsteren Vorahnungen bewahrheiten sich, und Carrie entfesselt einen furchtbaren Sturm der Zerstörung …
„Niemand war hier drin – und falls doch, dann versteckte Er/Es sich vor ihrer Kraft. Gott hat sein Antlitz abgewandt, und warum auch nicht? Diese Gräuel waren genauso sein Werk wie das ihre. Und darum hatte sie die Kirche verlassen, hatte sie verlassen, um nach Hause zu gehen und Momma zu suchen und das Werk der Zerstörung zu vollenden.“ (S. 235) 
Nach zwei nach wie vor unveröffentlichten Romanen und den drei erst später unter dem Pseudonym Richard Bachman erschienenen Werken „Amok“, „Todesmarsch“ und „Menschenjagd“ war „Carrie“ bereits der sechste Roman aus der Feder von Stephen King, aber der erste, der schließlich 1974 auch das Licht der Welt erblickte und sogleich zu einem großen Erfolg avancierte. Wie seine späteren Bestseller „Feuerkind“, „The Dead Zone“ und „Shining“ thematisiert King in „Carrie“ eine übersinnliche menschliche Tätigkeit, verknüpft sie hier mit dem Erwachsenwerden eines pubertierenden Mädchens und einem stark religiös gefärbten persönlichen Umfeld, das seinen Teil dazu beiträgt, die telekinetischen Fähigkeiten der 16-jährigen Protagonistin in zerstörerischer Wut entfesseln lässt.
King beschreibt eindringlich die schweren Nöte, die das junge Mädchen sowohl zuhause als auch im schulischen Umfeld erleiden muss, macht mehr oder weniger den religiösen Wahn ihrer Mutter, die ihre Tochter als Produkt einer teuflischen Verfehlung betrachtet, dafür verantwortlich, dass Carries bislang nur latent zum Ausdruck gekommene Fähigkeit, Dinge allein durch ihre Gedanken zu bewegen, so zerstörerische Ausmaße annimmt. Dabei sorgen die immer wieder eingefügten dokumentarisch wirkenden Auszüge aus den Aussagen vor dem staatlichen Untersuchungsausschuss der sogenannten White-Kommission, der wissenschaftlichen Schrift „Als der Schatten explodierte. Der Fall Carietta White: Dokumentierte Tatsachen und spezifische Schlussfolgerungen“, Zeitschriften-Artikel und Nachrichten-Agentur-Meldungen dafür, dass das Ausmaß der fürchterlichen Ereignisse bereits früh bekannt gemacht wird, nimmt so allerdings auch die Spannung und lässt den Plot etwas zerfasern.
Mit der 16-jährigen Carrie ist Stephen King allerdings eine glaubwürdige Figur gelungen, die vor allem in der Verkörperung durch Sissy Spacek in der gleichnamigen Verfilmung von Brian De Palma im Jahr 1976 an Popularität gewann.
Leseprobe Stephen King- "Carrie"

Stephen King – „Love“

Freitag, 8. Mai 2020

(Heyne, 734 S., HC)
Lisey Landon hat ihr Leben lang im Schatten ihres berühmten Mannes Scott gelebt, der als Schriftsteller nicht nur außerordentlich erfolgreich war, sondern u.a. auch mit dem renommierten Pulitzerpreis und dem National Book Award ausgezeichnet wurde. Lisey hat in all den Jahren ihrer Ehe nur ein Interview für eine bekannte Frauenzeitschrift gegeben, in der Artikelserie „Ja, ich bin mit ihm verheiratet!“. Doch seit Scott vor zwei Jahren gestorben ist, brütet Lisey darüber, was sie mit dem Nachlass ihres Mannes machen soll, wobei Kritiker bereits Vergleiche mit Yoko Ono herangezogen haben, um Liseys Umgang mit dem literarischen Erbe ihres Mannes zu beschreiben. Sie hat ihren Mann aber lange genug gekannt, um zu wissen, dass er eine Spur mit Hinweise für sie ausgelegt hat, und Lisey kommt nicht drumherum, die von Scott sogenannte „Bool-Jagd“ endlich in Angriff zu nehmen.
Vor allem Professor Woodbody von der Anglistikfakultät der University of Pittsburgh, Scotts Alma Mater, erweist sich als besonders hartnäckig in seinem Interesse an dem verstorbenen Bestseller-Autor. Sein Seminar „Scott Landon und der amerikanische Mythos“ war immer gut besucht und er hatte dieses Jahr vier Doktoranden, die über Liseys Mann promovierten. Als sich Lisey endlich an den Stapeln an Zeitschriften, Jahresberichten, Fakultätsbulletins und Universitätsjournalen macht, wird sie immer wieder von den verschiedensten Erinnerungen heimgesucht, liebevollen wie unheimlichen.
Ihre Erinnerungen wie die Spur der Hinweise, die Scott für sie hinterlassen hat, führen Lisey schließlich in ein von Dämonen bevölkertes Reich, aus dem es ein Mann namens Zack McCool in diese Welt geschafft hat, Lisey in Angst und Schrecken zu versetzen, denn in seinem Bemühen, Scotts Nachlass in die Finger zu bekommen, kennt er kein Erbarmen. Lisey setzt alles daran, ihre geliebte, leider immer wieder in katatonische Zustände fallende Schwester Amanda aus der psychiatrischen Anstalt Greenlawn zu holen und zusammen diese fremde und doch so vertraute Welt aufzusuchen, die Scott so passend als Pool bezeichnet hat.
„Dies ist der Pool, zu dem wir alle hinuntergehen, um zu trinken, zu schwimmen und ein wenig vom Ufer aus zu angeln; es ist auch der Pool, auf den einige Unerschrockene mit ihren zerbrechlichen Holzbooten hinausfahren, um Jagd auf die Großen zu machen. Es ist der Pool des Lebens, der Quell jeglicher Inspiration, und sie vermutet, dass verschiedene Menschen ihn verschieden sehen, aber allen Versionen sind zwei Dinge gemeinsam: Er liegt stets ungefähr eine Meile weit im Märchenwald und ist stets traurig. Weil dieser Ort nicht nur von Fantasie geprägt wird.“ (S. 494) 
Der unermüdlich produktive Stephen King hat in seinen Werken immer wieder über das außergewöhnliche Schicksal von Schriftstellern geschrieben, am eindrucksvollsten sicher in den vom übersinnlichen Horror geprägten „Shining“ und „Stark – The Dark Half“, aber auch in dem sehr realistisch anmutenden „Sie“. Mit „Lisey’s Story“ – so der Originaltitel von Stephen Kings 2006 veröffentlichten Roman – hat der aus Maine stammende Autor eines seiner persönlichsten Werke abgeliefert, das nicht umsonst seiner Frau Tabitha gewidmet ist.
Es lassen sich viele Parallelen zwischen der Geschichte von Stephen und Tabitha „Tabby“ King auf der einen Seite und Scott und Lisey Landon auf der anderen entdecken, die offensichtlichste ist der Umstand der vielen Schwestern, die sowohl Tabitha King als auch Lisey Landon aufzuweisen haben. Und so handelt ein Großteil des Romans auch von dem „Schwesternding“ vor allem zwischen Lisey und Amanda. Doch der Fokus liegt auf der innigen wie schwierigen Beziehung zwischen Scott Landon und seiner Frau.
Landon hat seiner Frau von Beginn an klar gemacht, dass es ihnen in finanzieller Hinsicht sehr gut gehen werde, in emotionaler allerdings wären sie wohl eher bettelarm. Lisey weiß, dass ihr Mann das Opfer eines unberechenbaren, alleinerziehenden Vaters gewesen ist, der Scotts Bruder Paul getötet hat, um die „Bösmülligkeit“ aus ihm zu vertreiben, und Scotts Vater selbst Opfer des ihn umfangenden Wahnsinns geworden war.
Anschaulich, mit vielen wunderbaren Vergleichen versehen, beschreibt King den außergewöhnlichen Schaffensprozess eines Autors, die ungewöhnlichen Reisen in den Mythen- und Sprachenpool, und souverän gelingt es King, die jeweiligen Übergänge zwischen den Welten zu illustrieren.
„Love“ ist fraglos ein ungewöhnlicher Roman, selbst für Kings Maßstäbe. Dass seine Romane oft eine sehr lange Anlaufzeit benötigen, ist weithin bekannt, aber in „Love“ fällt auch der Hang zur Weitschweifigkeit in einem an sich kaum erwähnenswerten Plot auf, was viele von Kings „Deep Space Cowboys“ – wie Landon in dem Roman seine Stammleser nennt – verstören dürfte.
Dafür sind die besonderen Beziehungen, die zwischen Geschwistern und Eheleuten herrschen, wunderbar einfühlsam und einfallsreich beschrieben.
Leseprobe Stephen King - "Love"

Stephen King – „The Stand – Das letzte Gefecht“

Freitag, 17. Januar 2020

(Bechtermünz Verlag, 1199 S., HC)
In der etwas nördlich von Arnette, Texas, an der US 93 gelegenen Tankstelle saßen die Sozialhilfeempfänger Norman Bruett und Tommy Wannamaker, die in der Rechnerfabrik Teilzeit arbeitenden Henry Carmichael und Stu Redman, der Rentner Victor Palfrey und Tankstellenbesitzer Bill Hapscomb sitzen abends gemütlich beim Bier zusammen, als ein alter Chevy auf die Zapfsäulen zusteuert und sie umpflügt. Für die Insassen kommt jede Hilfe zu spät. Offensichtlich waren sie bereits vor dem Unfall schwer erkrankt, so dass der Fahrer keine Kontrolle mehr über seinen Wagen hatte. Wie sich schnell herausstellt, ist aus einem geheimen Militärlabor ein mutiertes Grippevirus entwichen, dessen Ausbreitung das Militär nicht verhindern konnte. Mit einer Ansteckungsquote von 99,4 Prozent rafft „Captain Trips“ in kürzester Zeit nicht nur die Bevölkerung von Texas, Maine und Nebraska dahin, sondern auf der ganzen Welt. Allerdings sind einige Tausende immun gegen das Virus. Sie werden von unterschiedlichen Träumen heimgesucht, die zum einen von einer alten schwarzen Frau namens Abagail Freemantle und andererseits von einem dunklen Mann namens Randall Flagg handeln.
Die Überlebenden der Supergrippe machen sich auf den Weg, wohin ihre Träume sie führen. Während sich die Anhänger der über hundertjährigen Frau auf den Weg in Richtung Nebraska machen, wo die gutmütige Frau in einem Haus nahe einem Maisfeld lebt, ziehen die weniger gottesfürchtigen Menschen nach Las Vegas, wo Flagg eine schlagkräftige Truppe zusammenstellt, um die Herrschaft über die neue Welt nach der Pandemie an sich zu reißen. In Boulder, Colorado, gründet sich schließlich eine Freie Zone unter der Schirmherrschaft der alten Dame. Stu Redman, der sich unterwegs in die schwangere Studentin Frannie Goldsmith aus Ogunquit, Maine, verliebt hat, wird zum ersten Marshall ernannt und führt schließlich auch das Übergangskomitee an, dem auch der taubstumme Nick Andros und der ehemalige Star-Musiker Larry Underwood angehören.
Mutter Abagail, die Boulder auf sich allein gestellt verlässt, um für eine Sünde zu büßen, schickt nach ihrer Rückkehr Stu, Larry, Glen Bateman und den alten Richter Farris auf den Weg nach Las Vegas, um den Dunklen Fürsten zu vernichten, doch kehren nicht alle wieder lebend zurück. Zudem hat Randall Flagg auch in Boulder Anhänger, darunter Harold Lauder, dessen Liebe zu Frannie nicht erwidert worden ist, und Nadine Cross, die wiederum nicht bei Larry landen konnte und bei der Mutter Abagail bereits bei ihrer ersten Begegnung ein merkwürdiger Schauder befiel.
„Sie war noch nicht darüber hinaus, Angst um sich selbst zu empfinden, und einen Augenblick dachte sie, diese seltsame Frau mit den weißen Strähnen im Haar würde fast beiläufig die Hand ausstrecken und ihr das Genick brechen. Den einen Augenblick lang, den dieses Gefühl anhielt, bildete sich Mutter Abagail tatsächlich ein, das Gesicht der Frau wäre verschwunden und sie würde in ein Loch in Raum und Zeit sehen, ein Loch, aus dem zwei dunkle und verfluchte Augen sie betrachteten – Augen, die verloren und verzweifelt und hoffnungslos waren.“ (S. 688) 
Als Stephen King 1978 seinen apokalyptischen Roman „The Stand“ an den Mann bringen wollte, hatte er gerade mal die drei Romane „Carrie“, „Brennen muss Salem“ und „Shining“ veröffentlicht, so dass es seinem Verleger zu riskant erschien, ein 1200-Seiten-Epos von einem noch nicht wirklich etablierten Autor herauszubringen. Zwölf Jahre später sah die Sache schon wieder ganz anders aus, so dass die zuvor um 400 Seiten gekürzte Version nun doch in seiner ursprünglichen Fassung erscheinen konnte.
In „The Stand – Das letzte Gefecht“ entwirft King ein nicht allzu unrealistisches Szenario. Schließlich haben sowohl Reaktorunfälle als auch verschiedene Viren-Epidemien immer wieder zu drastischen Massensterben und Notfallmaßnahmen geführt. King nimmt sich sehr viel Zeit, die Folgen der verbreiteten Seuche auf einer sehr persönlichen Ebene zu schildern, was ihm zugleich die Möglichkeit gibt, seine wichtigsten Figuren in ihren jeweiligen Lebensumständen vorzustellen. Statt also die Auswirkungen von „Captain Trips“ auf der ganzen Welt zu thematisieren, beschränkt sich King auf ein sehr überschaubares Figuren-Ensemble und verortet sie auch gleich auf der guten und der bösen Seite. Dabei konzentriert er sich aber sehr auf die Menschen, die sich in Boulder um Mutter Abagail versammeln, um wieder eine Zivilisation, Recht und Ordnung aufzubauen, wobei schnell deutlich wird, dass immer mehr Probleme in einer Gemeinschaft auftreten, je größer sie wird.
Randall Flagg, der auch in Kings wichtigstem Werk um den Dunklen Turm die Nemesis des Revolvermanns darstellt, bleibt eher der dunkle Schatten im Hintergrund, eine Vorstellung vom Bösen, die aber auch ihre Anhänger findet. King beschreibt die Konfrontation zwischen den Guten in der Freien Zone und den Bösen im einstigen Spielerparadies von Las Vegas in biblischen Dimensionen, wobei ganz offen Bezüge zu göttlichen und teuflischen Visionen thematisiert werden. Trotz der epischen Ausmaße von „The Stand“ bleiben viele Figuren aber recht blass. So werden zwar die Schicksale von Stu Redman, Frannie Goldsmith, Larry Underwood und Nick Andros sehr eindringlich geschildert, dass sie dem Leser schnell ans Herz wachsen, aber sobald sich die Geschehnisse auf die Freie Zone konzentrieren, verliert das Drama an erzählerischer Kraft. Und auch die Konfrontation zwischen den beiden Menschengruppen verläuft am Ende eher enttäuschend. So ist „The Stand – Das letzte Gefecht“ in seiner vollständigen Ausgabe zwar ein sehr ambitioniertes, in seiner Umsetzung aber nicht immer überzeugendes Werk um den Kampf zwischen Gut und Böse geworden.

Stephen King – „Das Institut“

Mittwoch, 18. September 2019

(Heyne, 768 S., HC)
Der zwölfjährige Luke Ellis ist so klug, dass an der Broderick-Schule für außergewöhnliche Kinder nichts mehr für ihn getan werden kann. Stattdessen schlägt der Beratungslehrer Jim Greer Lukes Eltern vor, Luke – der bereits zuvor ein entsprechendes Interesse geäußert hatte – am MIT in Cambridge Ingenieurwissenschaften und auf der anderen Flussseite in Bosten Englisch am Emerson College studieren zu lassen. Tatsächlich schafft Luke die Aufnahmeprüfungen mit links, doch bevor er seine akademische Laufbahn verfolgen kann, wird eines Nachts in sein Elternhaus eingebrochen und er selbst entführt, nachdem seine Eltern ermordet worden sind.
Stunden später wacht Luke an einem weit entfernten und abgeschieden im Wald gelegenen Ort auf, einem Institut, das sich der streng geheimen Aufgabe verschrieben hat, die paranormalen Talente der jungen Gäste zu fördern. Die Methoden, die im Vorderbau angewendet werden, um die telekinetischen und telepathischen Fähigkeiten der internierten Kinder anzukurbeln, sind alles andere als angenehm. Luke, dessen schwach ausgeprägte telekinetische Begabung bislang nur ausreichte, um ein leeres Pizzablech oder einen Papierkorb zu verschieben, entwickelt durch die Behandlung sogar telepathische Fähigkeiten, die er vor seinen Peinigern aber geheim hält. Doch als er herausfindet, dass seine Eltern gestorben sind und die Experimente im Hinterbau fortgesetzt werden, von wo die Kinder nicht mehr zurückkehren, reift nicht nur in Lukas der Plan zur Flucht …
„Momentan war Mrs. Sigsby, diese Bitch, hauptsächlich mit Luke beschäftigt. Stackhouse ebenfalls. Genauer gesagt galt das für das gesamte Personal vom Institut, denn alle wussten, dass Luke geflohen war. Dass die alle aufgeschreckt und abgelenkt waren, war ihre Chance. Eine solche Gelegenheit würden sie nie wieder bekommen.“ (S. 539) 
Stephen King, unbestrittener „King of Horror“, hat schon in seinen Frühwerken wie „Carrie“, „The Dead Zone“ und „The Shining“ Figuren mit paranormalen Fähigkeiten ins Zentrum seiner unheimlichen Erzählungen gestellt. In dieser Hinsicht kehrt der bereits 72-Jährige zu seinen schriftstellerischen Wurzeln zurück, die ihm zu Weltruhm verhalfen. Seine Meisterschaft, das geschilderte Grauen in einer ganz alltäglichen, kleinbürgerlichen Umgebung reifen zu lassen, kommt auch in „Das Institut“ zum Tragen. Allerdings neigt King wie selten zuvor zu weitschweifigen Ergüssen, die zwar in diesem Fall den schrecklichen Alltag im Institut vor Augen führen, aber da die Handlung währenddessen nicht wirklich vorankommt, hätte King sich durchaus 200 Seiten sparen können. Zunächst führt King nämlich 50 Seiten lang den in Florida gescheiterten Polizisten Tim Jamieson ein und lässt ihn in der Kleinstadt DuPray, South Carolina, als Nachtklopfer anheuern. Der Leser hat sich gerade mit Jamieson und einigen Figuren in DuPray angefreundet, wird der Plot beiseitegelegt und erst nach 350 weiteren Seiten wieder aufgenommen.
In der Zwischenzeit lernen wie den hochintelligenten Luke und seine Eltern, die Machenschaften im Institut und Lukes Leidgenossen Kalisha, Nick, George, Iris und Avery kennen. Zwar beschreibt King den Alltag und die an den Kindern durchgeführten Tests sehr anschaulich, doch entwickelt sich die Geschichte dabei kaum weiter. Stattdessen folgt die Handlung sehr vorhersehbaren Bahnen, lässt aber auch keinen Zweifel daran, dass etwas faul ist in den USA unter der Herrschaft von Donald Trump. Zum Glück bekommt der Roman im letzten Viertel wieder die Kurve, wenn sich – natürlich – die Wege von Tim Jamieson und Luke Ellis kreuzen (sonst hätten die ersten 50 Seiten keinen Sinn gemacht) und es – wie vorauszusehen – zum Showdown zwischen den Guten und den Bösen kommt.
Leseprobe Stephen King - "Das Institut"

Stephen King – „Jahreszeiten: Frühling & Sommer“

Dienstag, 27. August 2019

(Bastei Lübbe, 352 S., Tb.)
Ende August 1947 erfuhr der leitende Bankangestellte Andy Dufresne, dass seine Frau Linda mit dem Golfprofi Glenn Quentin eine Affäre hatte. Nach einem heftigen Streit und Lindas Wunsch nach einer Scheidung in Reno wurde das Liebespaar in Quentins Liebesnest erschossen aufgefunden. Die Jury sah es als erwiesen an, dass Dufresne seine Frau und ihren Liebhaber mit je vier Schüssen niederstreckte, nachdem er sich zwei Tage vorher in der Pfandleihe eine Waffe gekauft und eine hohe Lebensversicherung für sich und seine Frau abgeschlossen hatte, durch die er 50.000 Dollar bei einem Freispruch erhalten würde. Stattdessen wurde Andy, der stets seine Unschuld beteuert hat, im Alter von dreißig Jahren zu einer lebenslangen Haft in Shawshank verurteilt, wo er sich mit Red anfreundet, einem Mann, der wegen Mordes an seiner Frau einsitzt und für die Häftlinge alles Mögliche besorgt, Pralinen, Alkohol, Pornomagazine und Scherzartikel.
Andy fragt Red nach einem Gesteinshammer und Poliertüchern, mit denen er Steine bearbeiten kann, dann nach einem Poster mit Rita Hayworth, die über die Jahre anderen Pin-up-Girls wie Jane Mansfield und Raquel Welch weichen muss. Als Andy 1963 durch einen Mitgefangenen einen Hinweis darauf bekommt, dass seine Unschuld bewiesen werden könnte, macht ihm der Gefängnisdirektor Norton allerdings einen Strich durch die Rechnung, und Andy verfolgt ernsthafte Pläne für einen Ausbruch …
„Er hatte fünfhundert Dollar im Arsch stecken, als er reinkam, aber irgendwie hat der Kerl noch etwas anderes mit reingebracht. Vielleicht ein gesundes Selbstwertgefühl oder die Ahnung, dass er auf lange Sicht gewinnen würde … Vielleicht war es auch ein Gefühl der Freiheit, das ihn innerhalb dieser gottverdammten grauen Mauern nicht verließ. Er trug eine Art inneres Licht mit sich herum.“ (S. 50) 
Mit der vier Novellen umfassenden „Jahreszeiten“-Anthologie hat Stephen King 1982 den eindrucksvollen Beweis angetreten, dass er nicht einfach nur der erfolgreichste Horror-Schriftsteller aller Zeiten, sondern einfach ein guter Geschichtenerzähler ist. „Pin-up“ ist eine wunderbare Geschichte über Hoffnung und Freundschaft, und die 1994 durch Frank Darabont erfolgte Verfilmung unter dem Titel „Die Verurteilten“ zählt bis heute fraglos zu den besten Stephen-King-Verfilmungen überhaupt – ohne auch nur eine Spur von übersinnlichen Elementen in sich zu tragen. Stattdessen gibt sich King viel Mühe, den Gefängnisalltag in Shawshank, die Beziehungen der Insassen untereinander eindrücklich zu beschreiben. Am meisten Raum nehmen die Erinnerungen des Ich-Erzählers Red über Andy Dufresne ein, der sich mit seiner ernsten, unaufdringlichen Art nicht nur gegen die sexuellen Übergriffe der „Schwestern“ zur Wehr gesetzt hat, sondern auch die Bestände der Bibliothek aufgestockt den Wärtern bei ihren Steuererklärungen und Investitionsplänen ausgeholfen hat.
In „Der Musterschüler“ entdeckt der 13-jährige Todd Bowden, dass sein Nachbar Arthur Denker der gesuchte NS-Verbrecher Kurt Dussander ist. Nachdem er ihm eine Zeitlang hinterherspioniert und Fotos von dem ehemaligen Kommandanten des Vernichtungslagers Patin gemacht hat, stellt er ihn zuhause zur Rede und erpresst ihn dazu, ihm alles über die begangenen Verbrechen zu erzählen. Todd ist so fasziniert von den Erzählungen des alten Mannes, dass seine zuvor hervorragenden schulischen Leistungen darunter zu leiden beginnen. Die Beziehung zwischen Todd und Dussander entwickelt eine gefährliche Eigendynamik, denn beide beginnen unabhängig voneinander, Obdachlose zu töten … „Der Musterschüler“, 1998 von Bryan Singer verfilmt, fesselt vor allem durch die psychologische Spannung, die zwischen dem bislang unentdeckten Kriegsverbrecher und dem neugierigen Jungen über die Jahre entsteht, bis aus dem Jungen ein junger Mann wird, der durch die Erzählungen des Alten selbst zum Morden animiert wird. 

Stephen King – „Jahreszeiten: Herbst & Winter“

Montag, 26. August 2019

(Bastei Lübbe, 332 S., Tb.)
Vern Tessio, Teddy Duchamps, Gordie Lachance und Chris Chambers verbringen im Sommer 1960 ihre Ferien überwiegend in einem Baumhaus auf einem unbebauten Grundstück in Castle Rock, wo sie Blackjack mit niedrigen Einsätzen spielen und „Master Detective“-Mordgeschichten lesen. Doch die Ferienroutine wird auf aufregende Weise unterbrochen, als Vern eines Nachmittags völlig aufgelöst am Baumhaus eintrifft und seinen Freunden von dem Gespräche berichtet, die sein Bruder Billy mit dessen Freund Charlie Hogan geführt hat: Offensichtlich haben sie den vor drei Tagen im vierzig Meilen entfernten Chamberlain verschwundenen Junge Ray Brower im Wald bei den Bahngleisen an der Harrow Road gefunden und darüber beraten, wie sie sich nun verhalten sollen. Die vier Freunde wissen jedenfalls, was sie zu tun gedenken: Sie erzählen ihren Eltern, dass sie gemeinsam zelten wollen, und machen sich auf den Weg zu der vermeintlichen Leichenfundstelle. 
„Wir waren alle ganz verrückt danach, die Leiche des toten Jungen zu sehen – einfacher und ehrlicher kann ich es nicht ausdrücken. Ob sie nun ganz harmlos aussehen oder uns mit tausend scheußlichen Träumen den Schlaf rauben würde, war uns gleichgültig. Wir wollten die Leiche sehen. Langsam waren wir so weit, dass wir glaubten, wir hätten es verdient.“ (S. 157) 
Allerdings sind die vier Jungs nicht die einzigen, die nach Browers Leiche suchen, auch Billy und Charlie machen sich mit ihrem Wagen auf den Weg zurück zu ihrem Fund …
Als sich Stephen King nach der erfolgreichen Veröffentlichung seines ersten Romans „Carrie“ mit seinem Redakteur Bill Thompson über ein mögliches zweites Buch sprach, hatte King bereits zwei Manuskripte fertig, von denen „Brennen muss Salem“ als nächster Roman erscheinen sollte – auch wenn Stephen King damit möglicherweise als Horror-Schriftsteller abgestempelt sein würde. Mit seinen nachfolgenden Romanen „Shining“, „Dead Zone – Das Attentat“, „The Stand – Das letzte Gefecht“, „Feuerkind“ und „Cujo“ bewies King schließlich, dass ein Schriftsteller auch nur mit Horrorgeschichten sein Geld verdienen kann, allerdings wollte er auch demonstrieren, dass er nicht nur solche Geschichten schreiben kann.
Mit „Jahreszeiten“ veröffentlichte King 1982 vier Novellen, mit denen der Autor bewies, dass er einfach ein begnadeter Geschichtenerzähler ist, der nicht auf übersinnliche Elemente zurückgreifen muss, um Spannung zu erzeugen. Aus dem ursprünglichen Paperbackband „Frühling, Sommer, Herbst & Tod“ wurden später zwei Taschenbücher, von denen „Die Leiche“ und „Atemtechnik“ im zweiten Band Verwendung fanden. „Die Leiche“ stellt eine wunderbare Coming-of-Age-Geschichte des Ich-Erzählers Gordie Lachance dar, der seine Erinnerungen an den erschreckenden Leichenfund mit zwei Geschichten garniert, die er nicht nur seinen Freunden unterwegs zum Besten gibt, sondern auch Zeugnis von seinen frühen Schriftsteller-Bemühungen ablegen. Vor allem beweist King mit dieser 1986 auch wunderbar von Rob Reiner verfilmten Geschichte, wie einfühlsam er sich in die Befindlichkeiten von Jungen in den 1960er Jahren hineinversetzen kann, um ihre viel zu frühe Begegnung mit dem Tod zu thematisieren.
Etwas drastischer geht es in der nur knapp 100 Seiten umfassenden Geschichte „Atemtechnik“ zu, in der ein New Yorker Anwalt erzählt, wie er in einen Herrenclub aufgenommen wird, in dem Männer sich zu lockeren Gesprächen treffen und vor allem am Donnerstag vor dem Weihnachtsabend unheimliche Geschichten erzählen. In diesem Fall gibt der Ich-Erzähler die Geschichte wieder, in der der Arzt Emlyn McCarron davon erzählt, wie er eine junge Frau auf die Geburt ihres Kindes vorbereitete, wobei er ihr eine besondere Atemtechnik beibringt, die später tatsächlich bei der ihrer Entbindung eine entscheidende Rolle spielen wird …
Auch mit „Atemtechnik“ demonstriert King, wie er sein Publikum im Nu zu fesseln versteht, und das überraschende wie erschreckende Finale bleibt dem Leser lange im Gedächtnis, auch wenn die Story gegenüber den anderen drei hervorragenden Novellen der Gesamt-Anthologie abfällt.

Stephen King/Peter Straub – „Der Talisman“

Donnerstag, 22. August 2019

(Heyne, 714 S., Pb.)
Seit der zwölfjährige Halbwaise Jack Sawyer mit seiner Mutter, der Schauspielerin und „B-Movie-Königin der 1960er Jahre“ Lily Cavanaugh, zunächst aus dem Haus am Rodeo Drive in Los Angeles in eine Mietwohnung nach New York und von dort aus in einen stillen Badeort an der Küste von New Hampshire geflüchtet ist, sind Ordnung und Regelmäßigkeit aus seinem Leben verschwunden. Warum seine Mutter auf der Flucht zu sein scheint, kann Jack nur vermuten. Offensichtlich hat seine sterbenskranke Mutter Probleme mit Morgan Sloat, dem ehemaligen Geschäftspartner seines bei einem Jagdunfall verstorbenen Vaters. Die Zeit im heruntergekommenen Hotel Alhambra Inn and Gardens versucht sich der Junge mit Ausflügen in den nahegelegenen Freizeitpark Arcadia Funworld zu vertreiben, wo sein schwarzer Freund Speedy Parker arbeitet. Durch ihn wird Jack mit der mystischen Welt der Territorien jenseits der uns vertrauten Realität bekannt gemacht und erfährt von den sogenannten Twinnern, Doppelgängern der Menschen aus unserer Welt.
So ist die über die Territorien herrschende Königin Laura DeLoessian die Twinnerin von Jacks Mutter und liegt ebenfalls im Sterben. Jack obliegt es, in den Westen zu reisen, um dort einen Talisman zu finden, mit dem nicht nur verhindert werden kann, dass Morgan von Orris, Twinner von Morgan Sloat, die Macht über die Territorien an sich reißt, sondern der auch das Leben seiner Mutter/der Königin retten soll. Zunächst hilft noch eine Flasche mit einem widerlich schmeckendem Gesöff Jack dabei, zwischen den Welten zu „flippen“, später reichen Gedanken daran aus. Unterwegs hat Jack aber einige Gefahren zu bestehen, denn Morgan von Orris und seine Schergen, vor allem der bösartige Sunlight Gardener, haben längst mitbekommen, dass ausgerechnet Jack Sawyer angetreten ist, seine diabolischen Pläne zu vereiteln. Dabei bekommt er unerwartete Unterstützung von einem friedfertigen, tapferen Wolf und seinem besten Freund Richard, dem realitätsverhafteten Sohn von Morgan Sloat …
„Jack war sich vage bewusst, dass er mehr versucht hatte, als nur seiner Mutter das Leben zu retten; dass er von Anfang an versucht hatte, etwas Größeres zu bewerkstelligen. Er hatte versucht, ein gutes Werk zu tun, und ihm war gleichermaßen vage bewusst, dass ein derart verrücktes Unterfangen immer Zähigkeit erzeugte.“ (S. 560) 
Als die beiden bekannten Horror-Autoren Stephen King und Peter Straub Ende der 1970er Jahre den Plan entwickelten, gemeinsam einen Roman zu schreiben, hatte sich King durch seine Bestseller „Carrie“, „Brennen muss Salem“, „Shining“ und „The Stand“ bereits den Titel „King of Horror“ erworben, Peter Straub begann sich mit „Geisterstunde“ und „Schattenland“ einen Namen im Genre zu machen. Allerdings verzögerte sich das Projekt bis in die frühen 1980er Jahre. Die beiden Autoren wechselten sich beim Verfassen der einzelnen Kapitel ab, schrieben an den jeweiligen Anfängen und Enden aber gemeinsam, überarbeiteten die Kapitel des jeweils anderen und waren so bemüht, einen einheitlichen, neuen Stil zu kreieren.
Wie die einleitenden und abschließenden Zitate bereits nahelegen, ist das Fantasy-Epos vor allem von Mark Twains „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ beeinflusst, fraglos aber auch von klassischen Heldenepen, in denen Jungen durch eine abenteuerliche Mission zum Mann heranreifen. Die Geschichte von Freundschaft, Mut, Verrat, Angst und Tod ist weder neu noch originell, bis zum Ende sogar erschreckend vorhersehbar. Nervig ist vor allem die ausufernde Episode, in der Jack von Wolf begleitet wird, und auch sonst wartet „Der Talisman“ mit einigen unnötigen Längen auf.
Für Fantasy-Freunde ist „Der Talisman“ eine nicht unbedingt zwingende Empfehlung, Stephen Kings Zyklus um den „Dunklen Turm“ ist da weit packender und interessanter gelungen. Nichtsdestotrotz hat sich Steven Spielberg frühzeitig die Filmrechte gesichert, und nachdem das Projekt schon fast abgehakt zu sein schien, soll nach dem Erfolg von „Es“ nun Fernsehserien-Regisseur Mike Barker („The Handmaid’s Tale“, „Broadchurch“, „Fargo“) die längst überfällige Adaption von „Der Talisman“ übernehmen, dem King und Straub übrigens mit „Das schwarze Haus“ noch eine Fortsetzung angedeihen ließen.
Leseprobe Stephen King & Peter Straub - "Der Talisman"

Stephen King – (Der dunkle Turm: 3) „tot.“

Samstag, 2. Februar 2019

(Heyne, 454 S., Pb.)
Roland von Gilead, der ehemalige Junkie Eddie Dean und die aus den beiden schizophrenen Persönlichkeiten Odetta Susannah Holmes und Detta Susannah Walker hervorgegangene Susannah Dean ziehen vom Westlichen Meer ins Landesinnere von Mittwelt, wo Roland in einem großen, alten Wald seinen beiden Gefährten nicht nur das Schießen, sondern auch den Kodex der Revolvermänner beibringt. Zum Glück lernen Eddie und Susannah schnell, denn sie werden von einem kolossalen Bärroboter angegriffen, eines der Tiere, die das Alte Volk dafür abgestellt hat, die zwölf Portale der sechs Balken zu beschützen, die in der Mitte zusammenlaufen und dort den Dunklen Turm stützen.
Nachdem Susannah die Antenne auf dem Kopf des Bären getroffen hat, können die drei Gefährten des Ka-tet dem Pfad des Balkens in die Richtung des Dunklen Turms fortsetzen, allerdings scheint Roland langsam den Verstand zu verlieren. Indem er nämlich den Killer Jack Mort davon abgehalten hat, den jungen Jake Chambers in New York vor ein Auto zu stoßen, wodurch Jake schließlich in dem Gasthaus in Rolands Welt gelandet ist, blieb Jake am Leben und in seiner eigenen Welt, aber Roland erinnert sich nach wie vor an Jakes Grenzübergang in Rolands Mittwelt.
Ähnlich ergeht es auch dem Jungen. Er hat keine Erinnerung daran, wie er seinen Abschlussaufsatz geschrieben hat, und als er ihn zurückbekommt und entdeckt, was für einen Nonsens er unter dem Titel „Mein Verständnis von Wahrheit“ abgeliefert hat, versteht er noch weniger, dass eine besondere Auszeichnung dafür erhält. Drei Wochen später ist Jake irgendwie bewusst, dass er gar nicht leben dürfte, und macht sich auf den Weg durch die Straßen von New York, bis er auf einem Baugelände eine einzelne Rose entdeckt, die er zu beschützen gedenkt, denn in ihr sieht er ein Symbol des Guten. Als er das heruntergekommene Haus auf dem Gelände betritt, begegnet Jake einem fürchterlichen Dämon, der ihn fast tötet, aber durch einen von Eddie geschnitzten Schlüssel gelingt es Roland, Jake im letzten Moment zu retten in seine Welt hinüberzuziehen. Zusammen mit dem Billy Bumbler Oy, einem rudimentär sprechenden Hundewesen, folgt das Ka-tet weiter dem Pfad des Balkens zum Dunklen Turm und muss sich mit der tückischen, rätselbegeisterten Einschienenbahn Blaine der Mono arrangieren, um einer Bande zu entkommen, die dem Ka-tet in einer von Krieg verwüsteten Großstadt mächtig zusetzen …
„Es war nur ein weiterer Showdown auf einer verlassenen Straße. Das war alles, und das war genug. Es war Khef, Ka und Ka-tet. Dass es immer zu dieser Konfrontation kam, zum Showdown, war ein Eckpfeiler seines Lebens und die Achse, um die Ka sich drehte. Dass der Kampf diesmal mit Worten ausgefochten werden würde und nicht mit Kugeln, spielte keine Rolle, es würde dennoch ein Kampf um Leben und Tod werden.“ (S. 445) 
Mit seinem dritten von insgesamt acht Bänden umfassenden Epos von Rolands Reise zum Dunklen Turm fügt Stephen King eine weitere turbulente Etappe hinzu, die in „Schwarz“ mit Rolands Jagd nach dem Mann in Schwarz begann und in „Drei“ mit Rolands Rekrutierung seiner drei Begleiter fortgesetzt wurde. In „tot.“ haben sowohl Roland als auch Jake vor allem mit dem Paradoxon zu kämpfen, wie Jake in seiner eigenen Welt und in Mittwelt sein kann, nachdem Roland Jakes Mörder vor dem einschneidenden Ereignis töten konnte. Aber vor allem lernt das Ka-tet das Landesinnere von Mittwelt kennen, die liebenswerten Einwohner von River Crossing ebenso wie die batteriegesteuerten Tierwächter der Portale und die Kriminellen in der Stadt, die wie ein postapokalyptisches New York aussieht, und natürlich der Einschienenbahn Blaine der Mono, der Jake bereits in einem Kinderbuch begegnet ist.
Der Roman entwickelt dabei eine mythische Wucht wie Tolkiens „Der Herr der Ringe“ und zuvor die großen mythischen Reisen unbedarfter, aber mutiger Helden zu ihrer Bestimmung. Dabei entwickelt King ein immenses Maß an Ideenreichtum, das weit über die Grenzüberschreitungen der beiden Welten und einiger interessanter Fabelwesen und Monster hinausgeht, aber er fordert von seinen Lesern auch einiges ab, was die komplexen Zusammenhänge, Zeitsprünge und Erinnerungen an merkwürdige Ereignisse angeht.
Im Vergleich zu „Drei“ fällt „tot.“ wegen seiner allzu verschachtelten Konstruktion etwas ab, aber die einfühlsame Entwicklung der sympathischen Figuren, die andauernden Unwägbarkeiten einer phantastischen Reise und der Cliffhanger sorgen am Ende dafür, die Spannung und das Interesse des Lesers aufrechtzuerhalten.
Leseprobe Stephen King - "tot."

Stephen King – (Der Dunkle Turm: 2) „Drei“

Freitag, 25. Januar 2019

(Heyne, 464 S., Pb.)
Nachdem Roland von Gilead, der letzte Revolvermann seiner Art, mit dem Mann im Schwarz ein stundenlanges Palaver abgehalten hat, bei dem Roland mit Tarotkarten („Der Gefangene“, „Herrin der Schatten“ und „Tod“) die Zukunft vorausgesagt worden ist, stirbt der Mann in Schwarz und Roland sieht am Ufer des westlichen Meeres dem Sonnenuntergang entgegen. Mit der einbrechenden Dunkelheit krabbeln aber auch Monster-Hummer aus dem Meer, Roland verliert bei der überraschenden Attacke zwei Finger seiner rechten Hand und einen Zeh. Trotz der einsetzenden, von Fieber und Schüttelfrost begleiteten Blutvergiftung setzt Roland seine Suche nach dem Dunklen Turm fort und findet bald die erste der Türen, die ihm der Mann in Schwarz prophezeit hatte.
Als er sie durchschreitet, schlüpft er in den Körper des Junkies Eddie Dean, der gerade für seinen Boss Balazar eine Ladung Kokain nach New York bringen soll. Eine aufmerksame Stewardess kommt Eddies Verhalten und vor allem der Wechsel seiner Augenfarbe von Braun zu Blau seltsam vor und sorgt dafür, dass Eddie nach der Landung der Maschine vom Zoll in Empfang genommen wird. Doch zwischenzeitlich hat Roland es geschafft, das Kokain in seine Welt zu bringen, so dass Eddie nach zweistündigem Verhör endlich zur eigentlichen Übergabe bei Balazar fahren kann.
Doch hier kommt es zu einem weiteren Zwischenfall, bei dem nicht nur Eddies Bruder Henry umkommt, sondern auch die ganze Drogenhändlerbande. Eddie folgt Roland durch die Tür nach Mittwelt und macht sich am Strand entlang auf den Weg zur nächsten Tür mit der Aufschrift „Die Herrin der Schatten“.
Nachdem er zuvor Eddie im New York der 1980er Jahre aufgegriffen hat, landet Roland nun in den 1960er Jahren im Körper einer schwarzen Rollstuhlfahrerin, deren Persönlichkeit sich durch ein traumatisches Erlebnis in ihrer Vergangenheit gespaltet hat, in die wohlerzogene und wohlhabende Odetta Holmes und in die vulgäre, teuflisch raffinierte Detta Walker, was für Eddie und Roland für ihre zukünftige Reise zum Dunklen Turm eine besondere Herausforderung bedeutet, denn sobald Detta in dem beinlosen Körper der Schwarzen das Sagen hat, drohen sowohl dem schwerkranken Roland als auch dem erschöpften Eddie ungemütliche Zwischenfälle. Gemeinsam gelingt es ihnen schließlich, auch die dritte Tür zu erreichen.
Mit Hilfe des Wirtschaftsprüfers Jack Mort, der zum Spaß Leute umbringt und so auch einst den Jungen Jake vor ein Auto gestoßen hatte, den Roland auf der ersten Etappe seiner Reise im Gasthaus kennengelernt hatte und später opfern musste, kommt Roland endlich an die nötige Menge Penicillin, um seine Entzündung zu heilen. Nach der Rückkehr in seine Welt erwartet Roland, Eddie, Jack und Odetta/Detta eine weitere Überraschung …
„Es war der Turm. Der Dunkle Turm.
Er stand am fernen Ende einer Ebene, die im brutalen Licht einer sterbenden Sonne die Farbe von Blut hatte. Er konnte die Treppe nicht sehen, die spiralförmig nach oben führte, immer weiter hinauf innerhalb der Hülle aus Stein, aber er konnte die Fenster sehen, die sich an dieser Treppe entlang erstreckten, und er sah die Geister aller Menschen, die er je gekannt hatte, an ihnen vorübergehen. Immer weiter gingen sie hinaus, und ein heftiger Wind trug den Klang von Stimmen zu ihm, die seinen Namen riefen.“ (S. 456) 
Nachdem „Schwarz“, der erste von insgesamt acht Bänden (wenn man den Spin-off-Roman „Wind“ dazuzählt) von Stephen Kings epischer Saga um den Dunklen Turm, noch eine Zusammenfassung jener Geschichten darstellte, die King zwischen 1978 und 1981 im The Magazin of Fantasy & Science Fiction veröffentlicht hatte und die Jagd von Roland nach dem Mann in Schwarz thematisierte, wirkt „Drei“ weitaus stimmiger in Dramaturgie und Erzählton.
„Schwarz“ war noch deutlich von Robert Brownings Gedicht „Childe Roland to the Dark Tower Came“ ebenso inspiriert wie von Spaghetti-Western, Fantasy- und Horror-Elementen, mit „Drei“ begibt sich Stephen King nun ganz in das Reich der Fantasy und der archetypischen Suche des Narren nach dem Gral, der hier die Form des Dunklen Turms annimmt.
Unterhaltsam schildert der Autor, wie Roland der Prophezeiung folgend seine Gefährten auf der Reise einsammelt, wobei der persönliche Hintergrund der ganz unterschiedlichen Charaktere und ihr Eintritt in Rolands Welt so glaubwürdig aufgearbeitet wird, dass „Drei“ eine ganz eigene Atmosphäre entwickelt. Was den Plot dabei so spannend macht, ist das untrügliche Wissen aller Beteiligten, dass Roland jeden von ihnen opfern wird, um den Dunklen Turm zu erreichen, trotzdem begleiten sie ihn. Auch der Leser ist gespannt, wie die Reise in dem nächsten Band „tot“ fortgesetzt wird.
Leseprobe Stephen King - "Drei"

Stephen King – (Der Dunkle Turm: 1) „Schwarz“

Mittwoch, 23. Januar 2019

(Heyne, 237 S., Pb.)
In einer postapokalyptischen Welt, die der unseren nicht ganz unähnlich ist, macht sich Roland von Gilead, seines Zeichens der letzte Revolvermann, in einer unwirtlichen Wüste, die nicht einmal Teufelsgras wachsen lässt, auf die Suche nach dem Mann in Schwarz. Seit über zwei Monaten ist er ihm auf der Spur und hat in den „endlos, schreiend monotonen fegefeuerähnlichen Einöden“ nicht mal die Spur eines Lagerfeuers des Gesuchten gefunden. Doch den Mann in Schwarz zu finden ist nur die erste Etappe seiner Reise sein, die ihn letztlich zum Dunklen Turm führen soll.
Als er nach ein paar Tagen auf eine Hütte und den darin wohnenden Grenzbewohner Brown trifft, erzählt er ihm von seinen Erlebnissen in der Geisterstadt Tull, wo er sich mit einem Mädchen namens Allie vergnügt, bis er auf eine dämonische Priesterin stößt, die vom Mann in Schwarz verzaubert wurde und den Revolvermann dazu bringt, die Bewohner der ganzen Stadt niederzuschießen. Schließlich stößt er in einem Rasthaus an einer längst vergessenen Kutschenstraßen auf den Jungen Jake, der in unserer Welt bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist, und nun in Mittwelt noch einmal stirbt, weil ihn Roland auf seinem Weg zum Dunklen Turm opfern muss.
„So endet es, dachte er. Immer wieder endet es so. Es gibt Suchen und Straßen, die unablässig weiter führen, und alle enden am selben Ort … auf dem Schlachtfeld.
Abgesehen vielleicht von der Straße zum Turm.“ (S. 118) 
Als Roland den Mann in Schwarz endlich in einem Golgatha, einer Stätte der Schädel, eingeholt hat, kommt es nicht zum erwarteten Showdown zwischen dem geheimnisvollen Zauberer und dem letzten Revolvermann. Stattdessen sitzen sie am Lagerfeuer bei einer Zigarette zu einem Palaver beisammen, denn Roland braucht Antworten, die ihm nur der Mann in Schwarz geben kann, der sich schließlich als alter Bekannter aus der Heimat des Revolvermanns herausstellt …
Inspiriert von Robert Brownings erzählenden Gedicht „Childe Roland to the Dark Tower Came“ hat Stephen King im März 1970 angefangen, sein letztlich acht Bände umfassendes, in über dreißig Jahren entstandenes Epos um den Dunklen Turm als Fortsetzungsroman zu schreiben. Die in „Schwarz“ versammelten Geschichten sind zwischen 1978 und 1981 zunächst in „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ veröffentlicht worden und 1982 erstmals vereint in Buchform erschienen. Eine klar definierte Erzählstruktur hat Stephen King in „Schwarz“ noch nicht gefunden. Immer wieder wird die Reise des Revolvermanns von Geschichten unterbrochen, die den Leser zurück in wegweisende Episoden aus Rolands Leben führt, unter denen die Auseinandersetzung mit seinem Lehrer Cuthbert eine zentrale Bedeutung erfährt. Hier wird der Grundstein für eine epische Erzählung gelegt, die in einer unbestimmten Zeit spielt, mit Themen wie Verrat und Erlösung, Mut und Verzweiflung, Liebe und Zerstörung, Traum und Erinnerung, Leben und Tod spielt und dabei verschiedene Genres wie Horror, Western, Fantasy und Science Fiction streift.
Wenn am Ende dieses ersten, für Stephen King ungewöhnlich schmalen Romans der Mann in Schwarz dem Revolvermann die Tarotkarten legt, ist damit bereits der weitere Weg von Roland vorgegeben. King hat mit der Arbeit an seinem Lebenswerk bereits 1970 begonnen, als er sich von Brownings Gedicht, aber auch von Spaghetti-Western, der Artussage und Fantasy-Werken wie Tolkiens „Der Herr der Ringe“ inspirieren ließ. „Schwarz“ wirft dabei mehr Fragen nach Rolands Suche und dem Dunklen Turm auf, als sie zu beantworten, aber dafür nahm sich King schließlich noch weitere Jahre und Romane Zeit …
Leseprobe Stephen King - "Schwarz"

Richard Bachman – „Todesmarsch“

Sonntag, 13. Januar 2019

(Heyne, 316 S., Tb.)
In einer vom Militär beherrschten Zukunft, in der die Menschen meistgehend verarmt sind, bietet allein der jährliche „Todesmarsch“ männlichen Jugendlichen zwischen 14 und 17 die Möglichkeit, lebenslangen Luxus zu erreichen. Allerdings ist die vom „Major“ organisierte Veranstaltung für alle Beteiligten die reinste Tortur, und nur der einzig Überlebende darf sich über den Gewinn freuen. Alle anderen werden nach drei Warnungen, die auf jeweilige Unterschreitung der Schrittgeschwindigkeit von vier Meilen die Stunde folgen und die jeweils erst nach einer weiteren Stunde gestrichen werden, von Soldaten aus einem den Marsch begleitenden Panzerfahrzeug erschossen.
Unter den einhundert Teilnehmern befindet sich auch der 16-jährige Raymond Davis Garraty aus Pownal, Maine. Zu Beginn des Marsches freundet er sich mit verschiedenen Jungs an, mit dem durchtrainierten Peter McVries, dem unterhaltsamen Hank Olson, dem geselligen Südstaatler Art Baker und Harkness, der über den Marsch später ein Buch schreiben will, aber schon früh aus dem Rennen scheidet. Mit dem rätselhaften Stebbins und dem aggressiv auftretenden Gary Barkovitch sind aber auch einige nicht so angenehme Zeitgenossen mit von der Partie. Die Gespräche unter den Teilnehmern drehen sich meist um die Familien und die Motivation, an dem Marsch teilzunehmen, und vielen der jungen Menschen wird klar, dass ihnen der tödliche Ernst der Angelegenheit gar nicht bewusst gewesen ist. Ray sehnt sich vor allem danach, seine Freundin Janice, die er über alles liebt, mit der er aber noch nicht geschlafen hat wiederzusehen. Sie wartet zusammen mit seiner Mutter in Freeport auf ihn. Doch bis dahin ist es ein ziemlich langer Weg …
„Dies war das erste Mal, dass er sich wirklich wünschte, diesen Marsch zu gewinnen. Selbst am Start, als er sich noch frisch und kräftig gefühlt hatte – zu der Zeit, als die Dinosaurier noch die Erde bevölkerten -, hatte er nicht bewusst den Wunsch gehabt zu gewinnen. Das war das Ganze nur eine Herausforderung gewesen. Aber die Gewehre schossen keine kleinen roten Zettel ab, auf denen PÄNG! geschrieben stand. Dies war kein Baseball und auch kein anderes Spiel, es war die brutale Realität.“ (S. 286) 
Ähnlich wie in seinem nachfolgenden Roman „Menschenjagd“, den Stephen King ebenfalls unter seinem Pseudonym Richard Bachman veröffentlichte, entwirft der 1979 entstandene Roman „Todesmarsch“ eine düstere Zukunftsvision einer desillusionierten, verarmten Gesellschaft, die von skrupellosen Militärschergen regiert wird und die durch makabre, aber die Massen begeisternde Spiele die unwahrscheinliche Möglichkeit (hier stehen sie bei 1:100) haben, ihr zukünftiges Leben in Reichtum und Luxus zu verbringen.
Wie weit auseinander Traum und Realität liegen, müssen die einhundert jugendlichen Teilnehmer des Todesmarsches auf die ganz bittere Art erfahren, wenn sie nach und nach ihre eben noch neben ihnen laufenden Kameraden dabei beobachten müssen, wie sie kraftlos auf der Straße in sich zusammensacken und von gezielten Gewehrschüssen niedergestreckt werden.
King begnügt sich wieder mit sehr rudimentären Skizzierungen der gesellschaftlichen Verhältnisse in der nicht näher definierten Zukunft. Hier sorgen allein die Gespräche zwischen den Gehern für ein paar Hintergründe (so wurde Rays Vater eines Tages einfach von Soldaten abgeholt und nicht mehr wiedergesehen). Interessant ist vor allem der fortschreitende körperliche wie psychische Verfall der Teenager-Jungen, was dem Autor sehr glaubwürdig gelingt. Je mehr Ray zum Ende des Marsches hin erleben muss, wie die ihm ans Herz gewachsenen Freunde/Konkurrenten wegsterben, umso deutlicher wird ihm bewusst, wie sinnlos die Teilnahme am Todesmarsch gewesen ist.
Der existentiellen Geschichte entspricht ein ebenso reduzierter Schreibstil, der sich ganz auf die Begebenheiten auf der Marschstrecke konzentriert und neben den Beobachtungen, wie der körperliche Verfall der Teilnehmer voranschreitet, vor allem die psychischen Befindlichkeiten wiedergibt, die in den Gesprächen der Jugendlichen untereinander zum Ausdruck kommen. Der Leser wird so nie vom Geschehen abgelenkt und läuft quasi mit den Jugendlichen mit, teilt ihre Sehnsüchte und Todesängste.
Leseprobe Richard Bachman - "Todesmarsch"

Richard Bachman – „Menschenjagd“

Mittwoch, 9. Januar 2019

(Heyne, 254 S., Tb.)
Im Jahre 2025 klafft die Schere zwischen Arm und Reich so weit auf wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Davon weiß auch der arbeitslose Benjamin Richards ein Lied zu singen, der mit seiner Frau Sheila und seiner anderthalbjährigen Tochter Cathy in Co-Op-City lebt, einer Slum-ähnlichen Wohnsiedlung in der Südstadt, die durch einen Kanal von den in der Nordstadt lebenden Reichen getrennt ist. Um die in den Sozialwohnungen untergebrachten Unterprivilegierten ruhig zu halten, sorgen die öffentlichen Fernsehanstalten über die kostenlos installierten Fernseher mit einer Flut von Unterhaltungsshows für Dauerberieselung, darunter so populäre Shows wie „Tretmühle zum Reichtum“, bei der jeder der chronisch Herz-, Leber- oder Lungenkranken, für jede Minute, die sie auf dem Laufband überleben, zehn Dollar erhalten.
Als Bens Tochter an einer Lungenentzündung zu sterben droht, weil sich die Familie keine Medizin leisten kann und Ben seine Frau für den Lebensunterhalt auch nicht anschaffen lassen will, durchläuft er beim örtlichen Fernsehsender das Bewerbungsprogramm für die Shows und wird schließlich für die populärste Show angenommen: Bei „Menschenjagd“ bekommt er zwölf Stunden Vorsprung vor seinen Jägern und erhält – bzw. seine Ehefrau, denn bislang hat keiner der Kandidaten überlebt – für jede Stunde, die er seinen Häschern entkommen konnte, einhundert Dollar. Dafür muss er allerdings jeden Tag zwei Kassetten mit Aufnahmen von jeweils zehn Minuten zum Sender schicken, mit denen er beweisen kann, dass er sich noch unter den Lebenden befindet.
Allerdings gibt er durch den Poststempel auch seinen Aufenthaltsort preis. Hinweise aus der Bevölkerung werden gut belohnt, doch gelingt es Richards, einige Helfer zu finden, die ihm neue Papiere und eine gute Tarnung verschaffen. Doch die Angst weicht dem Flüchtigen nicht von der Seite …
„Richards lief rasch ins Badezimmer. Er war völlig ruhig und ignorierte seine Angst wie ein Mann auf einem hohen Felsvorsprung, der nicht an den Abgrund denkt, der sich vor ihm auftut. Wenn er überhaupt einen Ausweg finden sollte, dann nur, indem er einen klaren Kopf behielt. Wenn er in Panik geriet, würde er bald sterben.“ (S. 87) 
Gut ein Vierteljahrhundert bevor seine US-amerikanische Kollegin Suzanne Collins ihre Jugendbuch-Trilogie „Die Tribute von Panem“ vorlegte, schrieb Stephen King in seinem vierten Roman unter seinem kurzzeitigen Pseudonym Richard Bachman 1982 seinen düsteren Sci-Fi-Thriller „Menschenjagd“, der auch als Vorlage für die Verfilmung „Running Man“ mit Arnold Schwarzenegger in der Hauptrolle (1987) diente. King braucht nur wenig Raum, um seine Leser in das vertraute „Brot und Spiele“-Szenario einzuführen. Die grassierende Arbeitslosigkeit, die tiefe Riss in der Gesellschaft, die einlullende Macht des Fernsehens, die Gier nach Blut und die Sehnsucht nach Erlösung sind die Eckpfeiler, auf denen der Plot von „Menschenjagd“ aufgebaut ist.
Sein Protagonist Ben Richards ist King als rebellischer, aber familienliebender und tapferer Underdog von Anfang an so sympathisch gelungen, dass der Leser gleich mit dessen Schicksal mitzufiebern beginnt. Zwischenzeitlich werden noch einige wenige andere Figuren eingeführt, wovon sich Mrs. Williams als Geisel zum Ende hin als die interessanteste erweist. Trotz einiger unglaubwürdiger Entwicklungen im Schlussviertel bietet „Menschenjagd“ ein bei allen gesellschaftskritischen Aspekten nicht besonders tiefgründiges, aber temporeiches und kurzweiliges Lesevergnügen.

Richard Bachman – „Der Fluch“

Sonntag, 6. Januar 2019

(Heyne, 347 S., Tb.)
Bisher hat der übergewichtige Anwalt William „Billy“ Halleck satte 249 Pfund auf die Waage gebracht, doch durch einen folgenschweren Autounfall hat sich Halleck den Fluch eines Zigeuners mit verfaulender Nase eingefangen, der ihm nach dem anhängigen Gerichtsverfahren an der Wange berührte und ein „Dünner“ zuraunte. Zu dem Gerichtsverfahren kam es überhaupt erst, weil Halleck von seiner ansonsten eher prüden Frau Heidi während einer Autofahrt erstmals mit der Hand befriedigt wurde und er durch sein vermindertes Reaktionsvermögen im Augenblich seines Orgasmus eine Zigeunerin zu Tode gefahren hat, die plötzlich zwischen zwei parkenden Autos hindurch auf die Straße gelaufen war.
Da der Polizeibeamte vor Ort es versäumte, bei Halleck einen Alkoholtest zu machen, der örtliche Polizeichef Duncan Hopley den Vorfall nicht mit der nötigen Sorgfalt verfolgte und schließlich auch der mit ihm befreundete Richter Carry Rossington Halleck schließlich freigesprochen hat, konnte Halleck wieder seinen Angelegenheiten nachgehen, während die ungeliebten Zigeuner der Stadt verwiesen wurden.
Doch da er erschreckend schnell an Gewicht verliert, fängt Halleck wirklich an den Fluch zu glauben, denn weder sein Hausarzt Dr. Houston noch der Aufenthalt in einer privaten Spezialklinik können keine körperliche Ursache für Hallecks rapiden Gewichtsverlust finden. Als auch noch Rossington und Hopley von ähnlichen Verwünschungen betroffen zu sein scheinen, bleibt Halleck nichts anderes übrig, als den Vater der Toten, Taduz Lemke, ausfindig zu machen, um ihn dazu zu bewegen, den Fluch wieder zurückzunehmen. Er engagiert zunächst einen Privatdetektiv, um die Spur des reisenden Zigeunervolks nachzuvollziehen, und schließlich den Mafioso und Restaurantbesitzer Richard Ginelli, ihn bei der zu leistenden Überzeugungsarbeit zu unterstützen. Der nimmt diesen Freundschaftsdienst ernster, als Halleck zunächst lieb ist. Mit der Zeit beginnt Halleck aber auch auf seine Frau wütend zu werden …
„Ja, es war ihre Schuld gewesen, aber das hatte der alte Zigeuner nicht gewusst, und deshalb hatte Halleck den Fluch abbekommen und mittlerweile insgesamt einundsechzig Pfund in kürzester Zeit abgenommen. Und sie saß da und hatte dunkle Ringe unter den Augen und ihre Haut war viel zu bleich, aber diese dunklen Ringe würden sie nicht töten, nicht wahr? Nein. Und auch die bleiche Haut nicht. Der alte Zigeuner hatte sie nicht angefasst.“ (S. 84) 
„Der Fluch“ war 1984 der letzte von insgesamt fünf Romanen, die Stephen King unter dem Pseudonym Richard Bachman seit 1977 veröffentlicht hatte, bevor die wahre Identität des Autors durch einen aufmerksamen Buchhändler gelüftet wurde. Der 1996 durch Tom Holland unter dem Titel „Thinner – Der Fluch“ verfilmte Roman passt auch qualitativ am ehesten in die Werksbiografie von Stephen King, der im Roman selbst seinen Protagonisten sagen lässt, dass sich seine Geschichte wie ein Stephen-King-Roman anhört.
Mit dem Fluch durch den Zigeuner fügt Bachman alias Stephen King seiner Geschichte genau den übernatürlichen Aspekt hinzu, der einen Großteil seiner Romane und Kurzgeschichten ausmacht, und der Autor erweist sich auch in „Der Fluch“ als Meister darin, das Grauen in den Alltag einer gutbürgerlichen Familie einzuführen. Er thematisiert mit dem Roman aber auch das nach wie vor leider sehr aktuelle Ausgrenzen gesellschaftlicher Minderheiten und die Selbstverständlichkeit, mit der Dinge so lapidar geregelt werden, dass den „Stützen der Gesellschaft“ möglichst wenig ans Bein gepinkelt wird. Sobald Halleck allerdings den mit ihm befreundeten Mafioso um Mithilfe bittet, entgleitet Bachman/King die Glaubwürdigkeit der Story etwas, ehe sie mit einem augenzwinkernden Finale wieder die Kurve bekommt.

Richard Bachman – „Sprengstoff“

Donnerstag, 3. Januar 2019

(Heyne, 344 S., Tb.)
Ein Jahr, nachdem der Ausbau der Stadtautobahn beschlossene Sache ist, besorgt sich der vierzigjährige Barton George Dawes in Harveys Waffengeschäft im November 1973 eine .44er Magnum und ein vierhundertsechziger Weatherbee-Gewehr. Zwar weiß George noch nicht so recht, was er damit anfangen will, aber auf jeden Fall lässt er es sich nicht ohne weiteres gefallen, dass durch den geplanten Ausbau der 784 seine ganze Existenz den Bach runtergeht. Denn mit den Baumaßnahmen ist auch der Abriss seines Hauses in der Crestallen Street West verbunden, in dem er mit seiner Frau Mary seit zwanzig Jahren lebt, ebenso wie des Gebäudes der Blue-Ribbon-Wäscherei.
Während sein Chef Steve Ordner davon ausgeht, dass sich George darum kümmert, das Fabrikgebäude in Waterford als Ersatz zu kaufen, denkt auch Mary, dass sich ihr Mann um ein neues Heim kümmert. Doch George denkt gar nicht daran, kampflos den Platz zu räumen. Als Ordner erfährt, dass George den Deal hat platzen lassen, setzt er ihn vor die Tür, kurz darauf trennt sich auch Mary von ihm und zieht zu ihren Eltern. George, der es bis heute nicht verwunden hat, dass er vor drei Jahren seinen Sohn durch einen Gehirntumor verlor, nimmt derweil Kontakt zum Mafioso Magliore auf, der ihm eine große Menge Sprengstoff besorgen soll. Sein Plan, den Ausbau der Autobahn zu sabotieren, nimmt immer konkretere Formen an …
„Was machte er hier auf dem Fußboden in seinem Wohnzimmer, seine Knie umklammernd und zitternd wie ein Alkoholiker in der Gosse? Oder ein Geisteskranker, ein bescheuerter Psychopath, das kam der Sache wohl näher. War er das wirklich? War er geisteskrank? Nicht so etwas Komisches und Harmloses wie ein Spinner oder ein Knallkopf oder einfach nur ein Verrückter, sondern ein wirklicher, echter Psychopath? Der Gedanke erfüllte ihn erneut mit Schrecken.“ (S. 160f.) 
Zwischen 1977 und 1984 veröffentlichte Stephen King unter dem Pseudonym Richard Bachman fünf Romane, 1985 kam ein Buchhändler hinter dieses gut gehütete Geheimnis, was King aber nicht daran hinderte, noch einmal als Bachman 1996 zunächst „Regulator“ und schließlich 2007 „Qual“ zu veröffentlichen.
„Sprengstoff“ ist 1981 nach „Amok“ (1977) und „Todesmarsch“ (1979) der dritte Bachman-Roman und weist überhaupt keine übernatürlichen Elemente auf. Stattdessen erzählt der Roman von dem einsamen Kampf eines Mannes, dem im Leben durch den Tod seines Sohnes schon alles Wichtige genommen worden ist und nun nicht auch noch seinen Arbeitsplatz und sein Heim aufgeben will. Stattdessen setzt er die Entschädigung für die Enteignung seines Hauses dazu ein, den Stadtvätern einen Denkzettel zu verpassen. Schließlich ist es zur Zeit der Energiekrise für George absolut nicht nachzuvollziehen, warum eine neue Autobahn gebaut werden muss. Er steigert sich so in sein Vorhaben hinein, von dem ihm auch die andere Stimme in seinem Kopf nicht abhalten kann, den Bau zu sabotieren.
Wie verbohrt George dabei ist, macht sich vor allem in der Beziehung zu seiner Frau bemerkbar, um die er sich überhaupt nicht mehr bemüht. Und auch wenn Georges Beweggründe nachvollziehbar sind, driftet er zunehmend in den Wahnsinn ab. King gelingt es, die Story sehr geschickt und komprimiert so zu erzählen, dass der Leser Sympathien für George entwickelt und unbedingt erfahren will, wie sich dessen Pläne weiterentwickeln. Hier erweist sich King als Meister der psychologischen Thrillers.

Stephen King – „Erhebung“

Dienstag, 13. November 2018

(Heyne, 144 S., HC)
Eigentlich sollte der Webseitenentwickler Scott Carey mit seinem Gardemaß von über 1,90 Meter und der Wohlstandswampe locker über hundert Kilo auf die Waage bringen, doch in den letzten Wochen hat er auf unerklärliche Weise dreizehn Kilo abgenommen, ohne dass es ihm anzusehen wäre. Als er seinem Freund, dem pensionierten Hausarzt Bob Ellis, davon berichtet, muss dieser erstaunt feststellen, dass Scott sowohl mit Klamotten als auch nackt genauso viel wiegt.
Da Bob von so einem Fall noch nie gehört hat, kann er seinem Freund auch nicht helfen, aber er versteht, dass Scott keinen regulären Arzt aufsuchen will, um nicht zu einem medizinischen Versuchskaninchen Zudem hat er auch noch Probleme mit dem lesbischen Nachbarehepaar Deidre McComb und Missy Donaldson, das seine Hunde beim Joggen regelmäßig auf seinem Rasen ihre Geschäfte verrichten lässt. Seine Bemühungen, die beiden Damen für das Problem zu sensibilisieren, schlägt allerdings fehl.
Auf der anderen Seite kann Scott es aber auch nicht ertragen, wie die übrige Bevölkerung von Castle Rock über die beiden Restaurantbetreiberinnen herzieht. Der jährliche Stadtlauf trägt allerdings viel dazu bei, das weithin geächtete Paar doch in die Gemeinschaft zu integrieren. Und Scott hat damit begonnen, seinen Frieden mit dem unaufhaltbaren Prozess seines Gewichtsverlustes zu machen.
„Scott hatte Angst – alles andere wäre töricht gewesen -, war jedoch auch neugierig. Und noch etwas. Glücklich? War es das? Ja. Wahrscheinlich war das irrsinnig, aber es traf eindeutig zu. Auf jeden Fall fühlte er sich irgendwie auserwählt. Doctor Bob hätte das wohl für verrückt gehalten, aber Scott war da anderer Ansicht. Wieso sollte er sich schlecht fühlen, was er doch nicht ändern konnte?“ (S. 75) 
Ob nun als Autor unzähliger Kurzgeschichten oder von (selten) kürzeren und (in der Regel) umfangreichen Romanen, Stephen King hat sich seit seinem Durchbruch Mitte der 1970er Jahre zu einem vielseitigen Erzähler, der seine Leser in jeder Hinsicht zu packen versteht. Das gelingt ihm auch mit der Novelle „Erhebung“ auf Anhieb. Sein sympathischer Protagonist Scott weckt beim Leser sofort Neugier für sein außergewöhnliches Problem und Mitgefühl für das Schicksal, das ihm offensichtlich droht. Doch „Erhebung“ – der Titel deutet es bereits an – drückt überhaupt nicht auf die Tränendrüse, sondern versteht sich als Plädoyer für Toleranz und Offenheit, was gerade in Zeiten von Trumps Präsidentschaft ebenso wie weltweit populistischer Umtriebe ein wohltuendes Zeichen setzt. Wie sich Scott und die beiden zunächst etwas feindselig wirkenden Damen anfreunden und damit die ganze Stadt zu einem lebensfreundlicheren Ort machen, ist einfach bezaubernd geschrieben.
Leseprobe Stephen King - "Erhebung"

Stephen King – „Der Outsider“

Sonntag, 2. September 2018

(Heyne, 752 S., HC)
Als die Polizei von Flint City im Mordfall des elfjährigen Frank Peterson ermittelt, der furchtbar geschändet im Stadtpark aufgefunden wurde, meinen nicht nur verschiedene Zeugen ausgerechnet den beliebten Englischlehrer und Trainer der Jugendbaseballmannschaft Terry Maitland in der Nähe des Tatorts gesehen zu haben, auch die forensischen Beweise weisen auf Maitland als Täter hin. Detective Ralph Anderson ordnet eine öffentlichkeits- und medienwirksame Verhaftung mitten in einem Spiel an. Zwar kann Maitland ein glaubwürdiges Alibi für den fraglichen Tatzeitpunkt vorweisen, weil er mit seinen Englischlehrer-Kollegen auf einer Sommertagung in Cap City gewesen und bei einem Vortrag des Gastredners Harlan Coben sogar gefilmt worden ist.
Die Bevölkerung hat den bislang unbescholtenen Mann längst als Kindermörder abgestempelt. Als auch noch Frank Petersons Mutter an einem Herzinfarkt stirbt, sein Bruder Ollie Terry Maitland auf dem Weg zum Gericht erschießt und dabei selbst von Detective Anderson niedergestreckt wird, befindet sich die Stadt im Ausnahmezustand. Maitlands Anwalt Howie Gold engagiert Alec Pelley, einen Reservisten der Highway Patrol, um herauszufinden, wie Terry Maitland offenbar an zwei Orten gleichzeitig gewesen sein kann. Dazu holt er sich die Unterstützung der Ermittlerin Holly Gibney, die einst mit ihrem inzwischen verstorbenen Partner Bill Hodges bei „Finders Keepers“ einige außergewöhnliche Fälle gelöst hatte.
Offenbar gab es in der Vergangenheit ähnliche Fälle, bei denen Männer scheußliche Verbrechen begangen hatten und zu den Tatzeiten auch an anderen Orten gesehen worden waren. Die Verweise auf eine mythische, mexikanische Gestalt namens el Cuco, einen Outsider, bringen Detective Anderson fast um den Verstand.
„Ralph konnte an keine Erklärung glauben, die gegen die Gesetze der Natur verstieß, nicht nur als Detective, sondern auch als Mensch. Frank Peterson war von einer echten Person getötet worden, nicht von einer Schauergestalt aus einem Comicheft. Was blieb dann übrig, egal, wie unwahrscheinlich es war?“ (S. 276) 
Stephen Kings neuer Roman kommt gleich zur Sache: Ein grausamer Mord an einem elfjährigen Jungen führt schnell zu einem scheinbaren Ermittlungserfolg, wird aber durch ein ebenso stichhaltig wirkendes Alibi des vermeintlichen Täters zu einer sehr komplizierten Angelegenheit, die leider weitere Todesfälle nach sich zieht. Bis zur Hälfte des Romans findet sich der Leser in einem nahezu klassischen Krimi wieder, der durch immer wieder eingestreute Niederschriften von Vernehmungsprotokollen an Form gewinnt, aber erst mit dem Verweis auf Edgar Allan Poes Geschichte von William Wilson und seinem Doppelgänger beginnt eine übernatürliche Komponente in die Ermittlungsarbeit einzufließen und diese immer mehr zu bestimmen. Daran hat vor allem Holly Gibney einen großen Anteil, die zuletzt in dem dritten und abschließenden Bill-Hodges-Abenteuer „Mind Control“ einen Fall mit übersinnlichen Fähigkeiten lösen konnte. Die gemeinsame Zusammenarbeit zwischen der weltoffenen Ermittlerin und dem skeptischen Detective zählt zu den Höhepunkten eines meisterhaft erzählten Thrillers, wie er nur aus der Feder des „King of Horror“ stammen kann, der in den Plot immer wieder Verweise auf ein durch Donald Trump zunehmend verunsichertes Land einstreut. Während der streitbare amerikanische Präsident sein Land immer mehr in die Isolation treibt und die Grenzen nach außen abschottet, können die US-amerikanischen Bürger nicht mehr sicher sein, welchen Nachrichten und welchen Nachbarn sie noch vertrauen können …
Vielleicht ist mit „Der Outsider“ der Grundstein zu einer neuen Mini-Reihe gelegt, in der die sympathische Holly Gibney eine Hauptrolle spielt. Mit Ralph Anderson gibt sie nämlich ein ebenso interessantes wie effektives Gespann ab. 
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Stephen King – „Christine“

Samstag, 19. Mai 2018

(Bastei Lübbe/Heyne/Weltbild, 703 S., HC)
Arnie Cunningham und Dennis Guilder wuchsen im gleichen Wohnblock in Libertyville auf und sind seit der Grundschule miteinander befreundet. Während Dennis als Kapitän der Football- und Baseballmannschaft und Ass der Schulschwimmstaffel auch auf der Highschool immer eine gute Figur machte, musste er seinen pickelgesichtigen, zu kurz geratenen und schmächtigen Freund davor bewahren, als geborener Verlierer ständig verprügelt zu werden. Nur als Mechaniker hatte Arnie wirklich Talent, doch konnten seine Eltern, die beide an der Universität in Horlicks lehrten, sich nicht vorstellen, ihren einzigen Sohn in einer Autowerkstatt arbeiten zu lassen. Die Freundschaft zwischen Arnie und Dennis wird im Jahr 1978 allerdings einer harten Bewährungsprobe unterzogen, als sich der 17-jährige Arnie in einen 1958er Plymouth Fury verliebt, der zwar in einem erbärmlichen Zustand ist, den er aber mit Begeisterung für 250 Dollar dem pensionierten Berufssoldaten Roland D. LeBay abkauft, den Namen „Christine“ vom Vorbesitzer übernimmt und ihn in dem Garagen- und Werkstattbetrieb von Will Darnell zu restaurieren beginnt.
Dennis bekommt seinen Freund kaum noch zu sehen. Die Fortschritte, die Christines Restaurierung macht, sind allerdings bemerkenswert, und mit ihr macht auch Arnie eine erstaunliche Veränderung durch. Aus dem ehemaligen Verlierer wird ein überraschend gutaussehender junger Mann mit glattem Teint und kräftiger Statur, der sogar den Highschoolschwarm Leigh Cabot als Freundin gewinnt. Arnie zieht nicht nur den Neid und Zorn der Gang von Buddy Repperton auf sich, die eines Nachts Christine auf dem Parkplatz am Flughafen schrottreif demolieren, sondern auch die Sorgen seiner Eltern, Leigh und Dennis.
Als nach und nach Buddy Repperton und seine Jungs brutal auf der Straße ermordet werden, geraten Arnie und seine Christine zwar in den Fokus der Ermittlungen von Detective Rudolph Junkins, doch Arnie kann für jede Tat ein stichfestes Alibi aufweisen, und an Christine in nicht der kleinste verdächtige Kratzer zu entdecken. Die unheimlichen Vorfälle, an denen der Plymouth Fury beteiligt zu sein schien, häufen sich allerdings, und nachdem Leigh beinahe an einem Stückchen Hamburger in dem Wagen erstickt wäre, machen sich Dennis und Leigh daran, das Geheimnis von Christine aufzudecken. Doch dafür begeben sich die beiden in höchste Gefahr.
„Es gibt keine Möglichkeit zu unterscheiden, was wirklich war und was meine Fantasie hinzugedichtet haben könnte; es gibt keine Trennungslinie zwischen objektiver Wahrheit und subjektiver Sicht, zwischen Realität und grausiger Halluzination. Aber es war nicht Trunkenheit; das kann ich Ihnen versichern. Sollte ich etwas angesäuselt sein, so verflüchtigte sich dieser Zustand sofort. Was folgte, war ein stocknüchterner Trip durch das Land der Verdammten.“ (S. 580) 
Als Stephen King „Christine“ 1983 veröffentlichte, war er schon längst ein gefeierter Bestseller-Autor, dessen Bücher „Carrie“, „Shining“, „Brennen muss Salem“, „Dead Zone“ und eine Sammlung von Kurzgeschichten unter dem Titel „Die unheimlich verrückte Geisterstunde“ bereits von renommierten Regisseuren wie Stanley Kubrick, Brian De Palma, David Cronenberg und George A. Romero verfilmt worden waren. So nahm sich John Carpenter noch vor Veröffentlichung von „Christine“ der Geschichte an, stellte seine Verfilmung ebenfalls 1983 fertig und verhalf so dem Roman zu zusätzlicher Popularität. Das 700-Seiten-Werk hat es auch wieder in sich.
Wie schon in früheren Werken lässt King auch hier das übernatürliche Grauen in Form ganz gewöhnlicher Menschen und Dinge in einer an sich unauffälligen Kleinstadt auftreten. Dabei lässt er den größten Teil des Romans aus der Perspektive von Arnies bestem Freund Dennis erzählen, der seine Erinnerungen aus einer zeitlichen Distanz von fünf Jahren dokumentiert. King nimmt sich viel Zeit, die Atmosphäre der ausgehenden 1970er Jahre und das feste Band der Freundschaft zwischen Arnie und Dennis zu schildern, vor allem aber die Veränderungen, die sowohl Christine als auch ihr Fahrzeughalter Arnie durchmachen. Zwar weist der Roman durchaus Längen auf, aber wie der „King of Horror“ ganz langsam die Spannungsschraube anzieht und den Fokus auf die Verbindung zwischen LeBay, Arnie, Dennis und Leigh legt, ist einmal mehr einfach nur meisterhaft. 
Leseprobe Stephen King - "Christine"