Stephen King – „Love“

Freitag, 8. Mai 2020

(Heyne, 734 S., HC)
Lisey Landon hat ihr Leben lang im Schatten ihres berühmten Mannes Scott gelebt, der als Schriftsteller nicht nur außerordentlich erfolgreich war, sondern u.a. auch mit dem renommierten Pulitzerpreis und dem National Book Award ausgezeichnet wurde. Lisey hat in all den Jahren ihrer Ehe nur ein Interview für eine bekannte Frauenzeitschrift gegeben, in der Artikelserie „Ja, ich bin mit ihm verheiratet!“. Doch seit Scott vor zwei Jahren gestorben ist, brütet Lisey darüber, was sie mit dem Nachlass ihres Mannes machen soll, wobei Kritiker bereits Vergleiche mit Yoko Ono herangezogen haben, um Liseys Umgang mit dem literarischen Erbe ihres Mannes zu beschreiben. Sie hat ihren Mann aber lange genug gekannt, um zu wissen, dass er eine Spur mit Hinweise für sie ausgelegt hat, und Lisey kommt nicht drumherum, die von Scott sogenannte „Bool-Jagd“ endlich in Angriff zu nehmen.
Vor allem Professor Woodbody von der Anglistikfakultät der University of Pittsburgh, Scotts Alma Mater, erweist sich als besonders hartnäckig in seinem Interesse an dem verstorbenen Bestseller-Autor. Sein Seminar „Scott Landon und der amerikanische Mythos“ war immer gut besucht und er hatte dieses Jahr vier Doktoranden, die über Liseys Mann promovierten. Als sich Lisey endlich an den Stapeln an Zeitschriften, Jahresberichten, Fakultätsbulletins und Universitätsjournalen macht, wird sie immer wieder von den verschiedensten Erinnerungen heimgesucht, liebevollen wie unheimlichen.
Ihre Erinnerungen wie die Spur der Hinweise, die Scott für sie hinterlassen hat, führen Lisey schließlich in ein von Dämonen bevölkertes Reich, aus dem es ein Mann namens Zack McCool in diese Welt geschafft hat, Lisey in Angst und Schrecken zu versetzen, denn in seinem Bemühen, Scotts Nachlass in die Finger zu bekommen, kennt er kein Erbarmen. Lisey setzt alles daran, ihre geliebte, leider immer wieder in katatonische Zustände fallende Schwester Amanda aus der psychiatrischen Anstalt Greenlawn zu holen und zusammen diese fremde und doch so vertraute Welt aufzusuchen, die Scott so passend als Pool bezeichnet hat.
„Dies ist der Pool, zu dem wir alle hinuntergehen, um zu trinken, zu schwimmen und ein wenig vom Ufer aus zu angeln; es ist auch der Pool, auf den einige Unerschrockene mit ihren zerbrechlichen Holzbooten hinausfahren, um Jagd auf die Großen zu machen. Es ist der Pool des Lebens, der Quell jeglicher Inspiration, und sie vermutet, dass verschiedene Menschen ihn verschieden sehen, aber allen Versionen sind zwei Dinge gemeinsam: Er liegt stets ungefähr eine Meile weit im Märchenwald und ist stets traurig. Weil dieser Ort nicht nur von Fantasie geprägt wird.“ (S. 494) 
Der unermüdlich produktive Stephen King hat in seinen Werken immer wieder über das außergewöhnliche Schicksal von Schriftstellern geschrieben, am eindrucksvollsten sicher in den vom übersinnlichen Horror geprägten „Shining“ und „Stark – The Dark Half“, aber auch in dem sehr realistisch anmutenden „Sie“. Mit „Lisey’s Story“ – so der Originaltitel von Stephen Kings 2006 veröffentlichten Roman – hat der aus Maine stammende Autor eines seiner persönlichsten Werke abgeliefert, das nicht umsonst seiner Frau Tabitha gewidmet ist.
Es lassen sich viele Parallelen zwischen der Geschichte von Stephen und Tabitha „Tabby“ King auf der einen Seite und Scott und Lisey Landon auf der anderen entdecken, die offensichtlichste ist der Umstand der vielen Schwestern, die sowohl Tabitha King als auch Lisey Landon aufzuweisen haben. Und so handelt ein Großteil des Romans auch von dem „Schwesternding“ vor allem zwischen Lisey und Amanda. Doch der Fokus liegt auf der innigen wie schwierigen Beziehung zwischen Scott Landon und seiner Frau.
Landon hat seiner Frau von Beginn an klar gemacht, dass es ihnen in finanzieller Hinsicht sehr gut gehen werde, in emotionaler allerdings wären sie wohl eher bettelarm. Lisey weiß, dass ihr Mann das Opfer eines unberechenbaren, alleinerziehenden Vaters gewesen ist, der Scotts Bruder Paul getötet hat, um die „Bösmülligkeit“ aus ihm zu vertreiben, und Scotts Vater selbst Opfer des ihn umfangenden Wahnsinns geworden war.
Anschaulich, mit vielen wunderbaren Vergleichen versehen, beschreibt King den außergewöhnlichen Schaffensprozess eines Autors, die ungewöhnlichen Reisen in den Mythen- und Sprachenpool, und souverän gelingt es King, die jeweiligen Übergänge zwischen den Welten zu illustrieren.
„Love“ ist fraglos ein ungewöhnlicher Roman, selbst für Kings Maßstäbe. Dass seine Romane oft eine sehr lange Anlaufzeit benötigen, ist weithin bekannt, aber in „Love“ fällt auch der Hang zur Weitschweifigkeit in einem an sich kaum erwähnenswerten Plot auf, was viele von Kings „Deep Space Cowboys“ – wie Landon in dem Roman seine Stammleser nennt – verstören dürfte.
Dafür sind die besonderen Beziehungen, die zwischen Geschwistern und Eheleuten herrschen, wunderbar einfühlsam und einfallsreich beschrieben.
Leseprobe Stephen King - "Love"

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