Gerhard Henschel – „SoKo Heidefieber“

Dienstag, 5. Mai 2020

(Hoffmann und Campe, 284 S., Pb.)
Kurz nach seiner Lesung aus seinem dritten Regionalkrimi „Heidefieber“ in der Bad Bevenser Buchhandlung Patz wird der Schriftsteller Armin Breddeloh ermordet im nahegelegenen Nixengrund aufgefunden. Der zuständige Pathologe stellt fest, dass das Opfer nicht nur zu Tode stranguliert wurde, sondern seine am Tatort aufgefundenen Augen entfernt und durch Glasaugen ersetzt worden sind. Mit dem Fall werden Hauptkommissar Gerold Gerold und Oberkommissarin Ute Schubert aus Uelzen beauftragt, die schnell herausfinden, dass Breddoloh wie eines der Opfer in seinem Roman „Heidefieber“ zu Tode gekommen ist. Ins Visier der Ermittler gerät zunächst einer von Breddelohs direkten Konkurrenten, Waldemar König aus Schneverdingen. Doch der Fall Breddeloh stellt nur den Anfang einer ganzen Reihe von Morden an populären Regionalkrimi-Autoren in ganz Deutschland dar, die auf die gleiche Weise getötet werden wie die in ihren Büchern beschriebenen Opfer.
Kriminalhauptkommissar Henning Riesenbusch vom Bundeskriminalamt beruft in Wiesbaden die SoKo Heidefieber ein, doch von dem Täter fehlt bislang jede Spur. Einige aufgeregte Kollegen der aufsehenerregend ermordeten Krimiautoren bitten um Personenschutz, andere flüchten ins vermeintlich sichere Ausland. Während Frank Schulz in Griechenland Opfer einer Verschwörung wird und sich nach einem Aufenthalt im Gefängnis mühsam über Albanien und Montenegro erst zu Fuß, dann in dem Wohnmobil wohlwollender deutscher Touristen zurück nach Deutschland durchkämpfen muss, kommen Gerold und Schubert zwar kaum mit der Aufklärung der Mordserie voran, dafür aber sich einander näher. Um dem Täter auf die Spur zu kommen, vertiefen sich die Kommissare in die Werke weiterer potentieller Opfer.
„Wie geht’s wohl weiter? Fragte Ute sich vor dem Umblättern und tippte auf ‚schlug den Mantelkragen hoch‘. Doch sie täuschte sich:
schloß die Mantelknöpfe, um den gut sichtbaren Samenerguß auf seiner Hose den Blicken zu entziehen. Den Blicken der zukünftigen Opfer. Wen würde er sich morgen vornehmen? Vielleicht die Alte mit dem Wickeldutt? Oder die junge Grazie mit den Gazellenbeinen? O mi, o mei, dachte Ute. Sie legte das Buch weg, seifte sich ein und vertrieb den sündhaften Gedanken, daß der Mann, den sie jagten, in gewisser Hinsicht etwas Sinnvolles tue.“ (S. 207) 
Der in Hannover geborene und im Hamburger Umland lebende Gerhard Henschel hat seine satirischen Sinne in Magazinen wie „Kowalski“, „Titanic“ und „konkret“ geschärft und es durch seine mehrbändige Chronik seines Alter Egos Martin Schlosser auch als Schriftsteller zu großer Popularität gebracht. Dass er aber auch noch andere als seine eigenen Geschichten zu erzählen hat, versucht er mit seinem ebenfalls stark satirischen „Überregionalkrimi“ zu demonstrieren, der zwar in dem Kurort Bad Bevensen und Umgebung seinen Anfang nimmt, aber seinen Plot zügig über ganz Deutschland und seine Grenzen hinaus entwickelt.
Im Gegensatz zu seinen fast schon episch angelegten Martin-Schlosser-Romanen zieht Henschel in „SoKo Heidefieber“ die Zügel straff an. Tempo und Wortwitz bewegen sich stets auf so hohem Niveau, dass die Aufklärung der an Einfallsreichtum kaum zu überbietenden Mordserie zur Nebensache wird. Henschel macht sich einen bildgewaltigen Spaß daraus, die hiesige Regionalkrimi-Szene, die Allüren der Autoren und das literarische Niveau des Nischengenres durch den Kakao zu ziehen. Die spektakulär und übertrieben in Szene gesetzte Mordserie betrachten nicht wenige Spötter als „angewandte Literaturkritik“. Bei den durchaus amüsanten Kapriolen, die der Autor bei seinem Road Trip durch die regionalen Besonderheiten (samt ihrer manchmal schwer zu verstehenden Dialekte) der Republik schlägt, bleiben die Figuren allerdings sehr blass. Allein die sympathischen, auch amourös miteinander verbandelten Kommissare und der aus Griechenland sich mühsam in die Heimat zurückkämpfende Frank Schulz gewinnen in dem turbulent inszenierten Krimispaß etwas an Profil, die Nebenfiguren verkommen zu Karikaturen ihrer Profession und tragen wenig zum Unterhaltungswert des Romans bei.
Wer also einen konventionellen Regionalkrimi erwartet, wird mit „SoKo Heidefieber“ nicht glücklich werden, da der Krimi-Plot nur als Alibi für die satirische Betrachtung der Regionalkrimiszene dient. Aber auch auf Martin-Schlosser-Fans dürfte der Klamauk bei aller sprachlicher Finesse etwas zu übertrieben wirken.

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