Der Geschäftsmann Ryszard Malik wird eines Abends von seiner Frau Ilse nach ihrer Rückkehr vom Theater tot hinter der geöffneten Haustür aufgefunden – mit je zwei Schüssen in die Brust und in den Unterleib. Wenig später wird auch der wegen einer Tätlichkeit einem Schüler gegenüber suspendierte Lehrer Rickard Maasleitner ebenfalls mit einer Berenger 7,65 Millimeter erschossen, wiederum in die Brust und in die Geschlechtsteile. Hauptkommissar Van Veeteren und seine Kollegen tappen zunächst völlig im Dunkeln. Zwar war Maasleitner bei seinen Kollegen nicht besonders beliebt, aber ein Mordmotiv lässt sich bei beiden Opfern im näheren Bekanntenkreis einfach nicht finden.
Winnifried Lynch, die neue Freundin von Van Veeterens Kollege Reinhart, vermutet, dass es sich bei dem Täter um eine in ihrer Ehre verletzte Frau handeln müsse, doch bringt diese Annahme die Ermittlungen zunächst nicht weiter. Dann entdeckt einer der Ermittler die beiden Opfer gemeinsam auf einem etwa dreißig Jahre alten Foto, auf dem die Abgangsklasse der Militärstabsschule von 1965 abgebildet ist, neben den beiden getöteten Männern noch 33 weitere Absolventen. Die Identifizierung und Befragung der übrigen Soldaten kommt aber nur schleppend voran, ohne wichtige Erkenntnisse für die beiden Mordfälle zu bringen. Schließlich könnten sich unter den Männern auf dem Foto sowohl weitere Opfer als auch der Täter befinden …
„Die Fragen blieben offen. Gab es überhaupt eine kleinere Gruppe innerhalb der Gruppe? Wenn nicht – wenn der Mörder hinter ihnen allen her war, dann musste es sich um einen Verrückten handeln. Mit einem unbegreiflichen, irrationalen und vermutlich vollkommen schwachsinnigen Motiv. Niemand hat eine in welcher Hinsicht auch immer annehmbare Begründung, 31 Menschen einen nach dem anderen zu erschießen.“ (S. 175)Mit seinem vierten, hierzulande 1998 erstmals veröffentlichten und mit dem Schwedischen Krimipreis ausgezeichneten Van-Veeteren-Roman „Die Frau mit dem Muttermal“ präsentiert Håkan Nesser keinen konventionellen Whodunit-Plot, sondern beschreibt eher den ermüdenden Alltag einer an sich schlagkräftigen Ermittlertruppe, deren Vorgehen aber auch sehr behäbig wirkt. Das trifft aber auch den Plot zu. Die (namentlich noch nicht bekannte) Täterin wird gleich im ersten Kapitel vorgestellt, das Motiv lässt sich bereits erahnen, wird aber erst zum Ende hin konkretisiert. Bis dahin dreht sich vor allem alles um den Alltag der Opfer bis zu ihrem Ableben, das durch die mysteriösen, anonymen Anrufe, mit denen den Adressaten der The-Shadows-Hit „The Rise and Fall of Flingel Bunt“ aus den 1960ern vorgespielt wird.
Verwertbare Spuren und ein erkennbares Motiv können weder Van Veeteren noch seine Kollegen Münster, Reinhart, Moreno, Heinemann, Jung und Rooth bei den Befragungen von Kollegen und Familienangehörigen der Opfer und den Untersuchungen der Tatorte ausmachen. Die nur allmählich aufgebaute, kaum spürbare Spannung resultiert einzig aus der Frage nach möglichen weiteren Opfern, bis die mutmaßliche Täterin endlich gefasst wird. Bis dahin wechselt Nesser ständig die Perspektive zwischen den einzelnen Ermittlern, die allesamt ungewöhnlich blass bleiben, den Opfern und der Täterin. Das bringt zwar etwas Fluss in den schlichten Plot, aber die Handlung wenig voran. Vor allem die unzähligen, nicht verwertbaren Befragungen ermüden auf die Dauer, machen aber deutlich, wie der Alltag der Ermittler üblicherweise aussieht.
Es ist nur bedauerlich, dass Van Veeteren, der sonst auch mit seiner schwierigen Beziehung zu seinem Vater und den Frauen in seinem Leben portraitiert wird, hier überhaupt nicht an Kontur gewinnt, außer dass er klassische Musik hört, Schach und Badminton spielt. Mit dem abschließenden ausführlichen Geständnis der Täterin wird der Fall schließlich ganz unspektakulär zu Ende geführt. Von den bisherigen Van-Veeteren-Büchern ist „Die Frau mit dem Muttermal“ das bislang schwächste.
Leseprobe Hakan Nesser - "Die Frau mit dem Muttermal"
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