Jason Starr – „Seitensprung“

Mittwoch, 27. Mai 2020

(Diogenes, 394 S., Pb.)
Einst war Jack Harper ein vielversprechender Rock-Gitarrist, der bei einem seiner Gigs seine jetzige Frau Maria kennengelernt hat. Zwar hat er es ihr und ihrem gemeinsamen Sohn Jonah zu verdanken, seine Alkoholsucht in den Griff bekommen zu haben und seit Jahren trocken zu bleiben, doch in den letzten Jahren kriselt es an jeder Ecke in seinem Leben. Statt seinen Traum als Rock-Musiker zu verwirklichen, schlägt er sich eher recht als schlecht als Immobilienmakler in Manhattan durch und hat sich von seiner Frau entfremdet. Nach vier Jahren ohne Sex kommt ihm der Tipp seines alten Musiker-Kollegen Rob McEvoy gerade recht, der ihn auf das Seitensprung-Portal Discreet Hookups hinweist.
Als Jack mal wieder Marias kalte Schulter zu spüren bekommt, erliegt er schließlich der Versuchung, legt sich auf der Dating-Seite ein Profil an und kommt dort sofort mit einer Frau in Kontakt, die nicht nur Jacks Leidenschaft für die Rockmusik, sondern auch für Van Gogh teilt. Wie ihm Sophie alias „Fugitive Red“ offenbart, wird sie von ihrem gewalttätigen Mann oft geschlagen, sehnt sich aber selbst nach hartem Sex. Jack kann das ausgemachte Treffen kaum abwarten, doch als ihr Townhouse betritt, erwartet ihn eine böse Überraschung: Sein Date liegt nämlich mit einer Krawatte um ihren Hals offensichtlich tot auf ihrem Bett. Bei den sinnlosen Wiederbelebungsversuchen fällt Jack auch noch eine blutende Wunde am Kopf auf. Der wahre Alptraum beginnt für Jack aber, als er den Notruf wählt und sich mit dem unbarmherzigen Detective Barasco konfrontiert sieht, der auch Maria über den Vorfall im Townhouse informiert. Als Maria ihn aus der gemeinsamen Wohnung wirft, ihm dem Umgang mit Jonah verbietet und alle Kreditkarten sperrt, ist Jack endgültig am Tiefpunkt seines Lebens angelangt. Doch es kommt noch schlimmer …
„Nur weil ich manchmal verrückte Dinge machte, hieß das noch lange nicht, dass ich wirklich verrückt war. Ich war nüchtern, ich war Vater, ich war ein guter Mensch. Ich hatte einige Fehler begangen, ja, aber ich war auf dem richtigen Weg, und nichts von alledem hatte sich geändert, als ich Sophie Ward kennenlernte. Aber stimmte das auch, oder war mein Glaube, dass ich nicht verrückt war, wieder nur eine Rechtfertigung?“ (S. 282) 
Jason Starr hat es bereits in seinen hochgelobten vorangegangenen Werken wie „Top Job“, „Ein wirklich netter Typ“, „Hard Feelings“ und „Twisted City“ hervorragend verstanden, Männer im besten Alter von einer Katastrophe in die nächste schlittern zu lassen, bis sie durch unkluge Entscheidungen nur noch die Scherben ihres einst vielversprechenden, nun völlig verkorksten Lebens aufsammeln können. „Seitensprung“ macht da keine Ausnahme. Jason Starrs Ich-Erzähler Jack Harper wirkt wie ein typischer Thirtysomething, wie ein Mann, der seine Träume als junger Mann begraben hat und einen richtigen Job finden musste, mit dem er zum Familienunterhalt wenigstens etwas mehr beisteuern kann; ein Mann, der seinen Sohn über alles liebt, aber mit seiner Frau nur noch wenig gemein hat. Dass er zumindest mit dem Gedanken an eine Affäre spielt, dass ihn der Chat mit einer sexwilligen Frau antörnt und sein angeschlagenes Selbstbewusstsein aufpoliert, wirkt nur zu verständlich. Doch indem er den Seitensprung tatsächlich vollziehen will, ist Jacks Schicksal besiegelt.
Souverän dreht der New Yorker Autor ganz langsam an der Spannungsschraube, lässt seinen Protagonisten von einem Unglück ins nächste taumeln. Die Moral der Geschichte, dass der Betrug an seinem Ehepartner schreckliche Folgen nach sich zieht, bleibt kaum verborgen, aber Starr konzentriert sich eher genüsslich auf das unaufhaltsame Desaster, auf das sich Jack Harper mit jeder weiteren eigentlich gut gemeinten Entscheidung und Handlung zubewegt.
Die extrem einfache Sprache und der stringent inszenierte Plot ziehen den Leser wie ein Sog in das Geschehen, allerdings nimmt das Geschehen zum Ende hin zunehmend groteskere und unglaubwürdigere Züge an.
„Seitensprung“ macht mit seinem gefälligen Ton und dem unterschwellig makabren Humor fraglos Spaß, bewegt sich allerdings auf allzu vertrauten Pfaden, verliert durch die unglaubwürdige Wendung an Anziehungskraft und bietet dem Jason-Starr-Fan letztlich wenig Neues.
Leseprobe Jason Starr - "Seitensprung"

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