(Lübbe, 478 S., HC)
Der 1968 in Fort Worth, Texas, geborene Cody McFadyen hat sich mit seiner Reihe um die unerschrockene wie geniale FBI-Ermittlerin Smoky Barrett auf eine besondere Nische des literarischen Thrillers spezialisiert, die in der Welt des Films dem Genre des „Torture Porns“ ihre Entsprechung finden würde. Dabei geht es nicht in erster Linie um die besonders raffinierte Lösung komplexer Morde – auch wenn es uns die Klappentexte der Bücher weismachen wollen -, sondern vor allem um die Darstellung der grausamsten Verbrechen, die man sich nur vorstellen kann.
Das fängt bei McFadyen bereits damit an, dass er seine Ich-Erzählerin, die kleine, aber taffe FBI-Agentin Smoky Barrett, dem Publikum zunächst als Opfer eines psychopathischen Killers macht. Joseph Sands drang in ihr Haus ein, fesselte ihren Mann Matt, vergewaltigte Smoky vor seinen Augen mehrere Male und zerschnitt ihr mit einem Messer das Gesicht, bevor er Matt tötete. Smoky konnte sich zwar befreien, doch als sie ihren Peiniger töten wollte, erschoss sie auch ihre Tochter Alexa, die er als Schutzschild missbrauchte.
Nach einer langen Therapie bei Dr. Childs konnte sie wieder ihren Dienst ausüben und machte sich mit ihrem bewährten Team aus dem misanthropischen James, der lebenslustigen Callie und dem zuverlässigen Alan weiter auf die Jagd nach Serienkillern. McFadyen folgt in seiner Dramaturgie den Gesetzen der Hollywood-Sequels von Torture-Porn-Filmen wie „Saw“ und „Hostel“ – mit jedem Teil muss es blutiger und brutaler werden, um das Publikum bei der Stange zu halten. Leider macht McFadyen den Fehler, dieses Gesetz über die Qualität seiner Geschichte zu setzen, so dass er mit „Die Stille vor dem Tod“ am Tiefpunkt der Reihe angelangt ist.
Obwohl Smoky Barrett bereits seit siebeneinhalb Monaten schwanger ist, lässt sie sich nicht davon abbringen, mit ihrem Team zu einem besonders grausamen Tatort nach Colorado zu fliegen, wo innerhalb eines Wohnblocks drei Familien bestialisch abgeschlachtet wurden. Als Smoky den von Polizisten – eigentlich - abgesicherten Tatort betritt, wird sie von einem Teenager-Mädchen mit einer Schrotflinte bedroht. Sie erzählt Smoky von zwei absolut bösen Männern, die Grausamkeiten nur zu ihrem Vergnügen verüben, sich an der Hoffnungslosigkeit und Resignation ihrer Opfer weiden würden. Das Vorgehen dieser beiden Männer wäre einer Person bekannt geworden, die der Kirche des Fundamentalen Ich angehören, aber einen eigenen Plan verfolgen würde.
Das Mädchen erzählt Barrett von einem Bunker, der unter dem Gelände liegen würde, und einem Milgram-Experiment, dann wird sie wie von ihr vorhergesagt erschossen. Da sich Smoky vor Angst eingenässt hat, wird sie von Alan und Callie zu den Darbys in der Nachbarschaft gebracht, wo sie sich duschen und umziehen kann. Wenig später gelingt es Ben Darby, seine Frau Veronica zu erschießen, Smoky in seine Gewalt zu bringen und in den Bunker zu entführen, wo sich der Marine-Offizier als sadistischer Psychopath entpuppt. Zwar gelingt es Smoky, Ben zu töten, doch als sie durch die Flure des hochmodern eingerichteten Bunkers streift, packt sie das pure Grauen, denn hier finden sich nicht nur eine exakte Kopie der Bürotoilette, sondern auch eine kunstvolle Videoprojektion, die das Massaker von Nanking im Jahr 1937 wiedergeben, Glaskäfige, in denen nackte Menschen wie Tiere gehalten werden, und sogar eine Vitrine, in der detailgetreu die Nacht nachgestellt wurde, in der Matt und Alexa starben. In den darauffolgenden Monaten hat sich Assistant Director Jones offensichtlich als Verräter erwiesen, der sich ohne ein Abschiedsbrief in seinem Badezimmer erhängte. Außerdem ist Smokys Haus bis auf die Grundmauern abgebrannt, ihr Mann Tommy hat nach einem Kampf fast ein Auge verloren, und James ist, nachdem seine Mutter getötet wurde, völlig untergetaucht. Natürlich fängt sich Smoky nach den traumatischen Erlebnissen wieder – mit Unterstützung ihres Therapeuten Dr. Childs. Zusammen mit ihrem Team macht sie James in einem Hotel in Las Vegas ausfindig, bringt ihn dazu, zur Gruppe zurückzukehren und Jagd auf die beiden bösen Männer zu machen, die sich als der Wolf und der Folterer der Öffentlichkeit vorstellen und Ungeheuerliches vorhaben…
„Noch nie bin ich einer Kreatur gegenübergetreten, die eine so schallende Ohrfeige für die Schöpfung war. Ich muss meinen ganzen Willen aufbringen und meinen Verstand beruhigen mit dem Gedanken, dass die Bestie in Ketten ist; schließlich ist es so, dass als säße ich einem leibhaftigen Raubtier gegenüber, so nahe, dass ich seinen stinkenden Atem riechen kann.“ (S. 440)
Was verbreitet noch mehr Grauen als EIN sadistischer Serienvergewaltiger und -mörder? Na klar: EIN GANZER HAUFEN sadistischer Serienvergewaltiger und -mörder! Nach diesem offenbar simplen Rezept versucht der auf Superlative des Grauens spezialisierte McFadyen in seinem fünften Smoky-Barrett-Roman dem zuvor schon Unvorstellbaren noch eins draufzusetzen. Allerdings hängt er seine Leserschaft diesmal schon auf den ersten fünfzig Seiten komplett ab, wenn er eine hochschwangere FBI-Agentin an einen Tatort mit drei abgeschlachteten Familien ziehen lässt, die dann auch noch unter den unglaublichsten Umständen gekidnappt und in ein „Museum des Todes“ verschleppt wird, das sich als größtes Schreckenskabinett entpuppt, das sich der menschliche Geist in seinen düstersten Winkeln nur vorstellen kann.
Detailliert beschreibt McFadyen die umfassenden Überwachungssysteme, die Arrangements von Vergewaltigung, Folter und Mord in den ausgestellten Vitrinen; Material, das bis in die intimsten Bereiche auch von Smoky Barretts Leben vordringt. Gut 100 Seiten verbrennt McFadyen mit den Beschreibungen und Empfindungen, die seine Protagonistin beim Durchqueren des groß angelegten Bunker-Projekts erlebt, bis seine Heldin von ihren Kollegen entdeckt wird.
Statt jedoch endlich mit der Ermittlungsarbeit zu beginnen, fügt der Autor einen Zeitsprung ein, wobei ihm zwei Zeitungs-Kolumnen und ein Internet-Blog dazu dienen, die Ereignisse in der Zwischenzeit zu thematisieren. Da soll auf einmal der so vertrauenswürdige Vorgesetzte von Smoky Barrett, AD Jones, seine eigenen Leute verraten und ein Video von Barretts Vergewaltigung an den Wolf, den Folterer und ihre Gruppe verscherbelt und sich dann umgebracht haben? Merkwürdigerweise wird diese Theorie nicht weiter verfolgt, sondern als gegeben hingenommen, ebenso das Abfackeln von Barretts Haus, wo sich der starke Tommy – mit Unterstützung von Smokys Adoptivtochter Bonnie - natürlich gegen einen russischen Hünen durchsetzen konnte, und der grausame Mord an der Mutter von Smokys Kollegen James, den sie dann erst einmal aus der selbstgewählten Versenkung aufspüren muss.
Alles in allem ist es einfach starker Tobak, den McFadyen hier präsentiert. Irgendwann lässt der Autor seine Protagonistin fragen: „Glaubst du, das könnte funktionieren? In der wirklichen Welt?“ Diese Frage muss der Leser eindeutig verneinen. Zumal die fadenscheinige Auflösung, wer als Kopf hinter der Bande steckt, dem ganzen Irrsinn noch die Krone aufsetzt. Trotz des offenen Endes will man hoffen, dass „Die Stille vor dem Tod“ das Ende der Smoky-Barrett-Reihe und den schriftstellerischen Ambitionen von Cody McFadyen bedeutet.