(Lübbe, 446 S., HC)
Mit seinen ersten beiden Romanen um die Top-FBI-Ermittlerin Smoky Barrett, „Die Blutlinie“ und „Der Todeskünstler“, hat der sich kalifornische Weltenbummler und Schriftsteller Cody McFadyen in die internationalen Bestseller-Listen und die Herzen hartgesottener Thriller-Fans geschrieben. Als Markenzeichen entpuppte sich dabei die detailverliebte Brutalität, die nicht nur die ermittelnde Ich-Erzählerin zu spüren bekam, sondern nun auch die Opfer der Serienkiller erleiden müssen, die Barrett mit ihren hochqualifizierten und ebenso motivierten Kollegen James, Alan und Callie zur Strecke bringen wollen. Insofern stellte sich für den nachfolgenden Band die Frage, ob McFadyen in dieser Hinsicht noch einen draufsetzen wollte oder sich auf literarische Qualitäten besinnen würde.
Auf persönlichen Wunsch von FBI-Direktor Rathbun wird FBI-Agentin Smoky Barrett ins ferne Virginia geschickt, wo sie sich mit dem Mord an der jungen Lisa Reid beschäftigen soll.
Der Fall ist nicht nur deshalb besonders spektakulär, weil das Opfer in einem Flugzeug 10.000 Meter über der Erde erstochen wurde, was erst nach der Landung aufgefallen ist, sondern sie ist die offiziell verstoßene Tochter des texanischen Kongressabgeordneten Dillon Reid – verstoßen deshalb, weil es sich bei Lisa eigentlich um den transsexuellen Dexter handelt, der sich zu einer Geschlechtsumwandlung entschieden hat. Die politische Dimension, die eine besondere Sensibilität im Umgang mit der Presse erfordert, macht Smoky aber weniger zu schaffen als die Tatsache, dass bei der Obduktion des Opfers an der Einstichstelle ein Silberkreuz mit einem Totenschädel und der eingravierten Zahl 143 entdeckt wird. Natürlich wird der vermeintliche Sitznachbar der jungen Frau tot in seiner Wohnung aufgefunden. Als wenig später auch in Los Angeles eine junge Frau auf die gleiche Weise ermordet und ebenfalls mit einem Silberkreuz – diesmal mit der Zahl 142 – aufgefunden wird, sind sich Smoky und ihre Kolleg:innen sicher, es mit einem Serienmörder zu tun zu haben. Dabei entspricht die runde Wunde am rechten Brustkorb jener Stichwunde, die der heilige Longinus Jesus nach dessen Tod mit einem Speer zugefügt haben soll, was Barretts Team in die Kreise katholischer Gemeinden führt.
Schließlich tauchen im Internet Videos von einem selbsternannten „Prediger“ auf, in denen er seine vermeintlich geläuterten Opfer mit den Sünden ihrer Vergangenheit konfrontiert. Schließlich kündigt der Prediger in seinem neuen Video an, als nächstes ein junges Mädchen zu töten, sollte ihn das FBI vorher nicht geschnappt haben. Barrett und ihrem Team läuft die Zeit davon…
„Er ist gerissen. Seine Ideen sind nicht neu, doch die Art und Weise, wie er sie verbreitet, lässt Umsicht und eine gewisse Ehrfurcht erkennen. Er verbirgt kein anderes Motiv hinter dem, was er sagt. Er glaubt an seine eigenen Worte. Sie sind es, die ihn vorantreiben. Doch was sind das für Worte? Letztendlich geht es um Wahrheit und Wahrhaftigkeit, um Lügen und Sünde und ihre religiöse Bedeutung.“ (S. 362)
Cody McFadyen überrascht zunächst mit einer gelungenen Einführung, die nicht nur einmal rekapituliert, was Smoky Barrett vor ca. drei Jahren ihr selbst und ihrer Familie durch den Serienkiller Julian Sands angetan worden ist, sondern sehr einfühlsam mit dem Gespräch zwischen der Ermittlerin und der Mutter von Lisa Reid die Probleme thematisiert, die mit der transsexuellen Natur des Kindes einer hochrangigen Politikers zusammenhängen. Allerdings wird dieser Aspekt der Geschichte nicht genauer aufgearbeitet, sondern dient nur als Auftakt weiterer grausamer Morde, die sehr schnell deutlich machen, dass der Täter irgendwie hinter die intimsten Geheimnisse seiner Opfer gekommen sein muss, die ihre Sünden gebeichtet und sich längst auf einem tugendhaften Pfad befunden haben, als der Killer sie vor die Kamera zerrte.
Zu ¾ des Buches schildert McFadyen nicht nur die einzelnen Schritte der Ermittlungsarbeit von Barretts Team, sondern lässt auch einige private Themen in die Handlung einfließen, so Callies bevorstehende Hochzeit, für die sich die ehemalige CIA-Auftragskillerin Kirby als Wedding Planner engagiert, James‘ überraschendes Outing als Homosexueller sowie der Wunsch von Smokys Adoptivtochter Bonnie, endlich auf eine normale Schule gehen zu dürfen, nachdem sie zuvor von Smokys Freundin Elaina Privatunterricht erhalten hatte.
Doch je mehr sich das FBI dem Prediger nähert, desto mehr driftet McFadyen wieder in alte Verhaltensmuster zurück, beschreibt die abartigsten Verbrechen, in denen Geistliche Inzest ausüben und zehnjährige Mädchen junge Kätzchen genussvoll erwürgen und verbuddeln. Spätestens wenn McFadyen in die verirrte Gedankenwelt des psychopathischen Predigers einzutauchen versucht, werden bis zum Erbrechen religionsphilosophische Fragen erörtert, die dem überkonstruierten Finale die ganze Spannung rauben. Wer aber eine unbändige Lust verspürt, in die tiefsten nur vorstellbaren Abgründe des menschlichen Denkens und Handelns einzutauchen, ist mit „Das Böse in uns“ bestens bedient.
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