Nino Filastò - „Fresko in Schwarz“

Donnerstag, 18. Juni 2009

(Aufbau, 280 S., HC)
Der Florentiner Anwalt Corrado Scalzi gilt als Alter ego des ebenfalls in Florenz lebenden Rechtsanwalts und Krimiautors Nino Filastò, der seinen Avvocato Scalzi bereits vier knifflige Fälle lösen ließ. Auch sein neuer Auftrag lässt sich mit konventionellen Polizeimethoden, denen Scalzi wie überhaupt dem juristischen Apparat sehr skeptisch gegenübersteht, kaum lösen. Der in ärmlichen Verhältnissen lebende Bibliothekar Jacopo „Ticchie“ Branca, ein Experte für das alte Florenz, wird nämlich eines Tages über einem Buch aus dem 17. Jahrhundert erdrosselt in der kleinen Kammer einer Bibliothek aufgefunden, in die er sich während seiner Recherchen stets einsam zurückzog.
Doch in letzter Zeit teilte er den Arbeitsplatz mit einem weiteren Bibliothekar, Signor Chelli, der Branca murmeln hörte, dass ihn die Erkenntnisse aus dem Buch zum Millionär machen könnten. Chellis Bemühungen, bei der Polizei seine Aussage protokollieren zu lassen, fruchten wenig. Stattdessen stellt Scalzi eigene Forschungen über die Bedeutung des Buches und den kryptischen handschriftlichen Notizen des Ermordeten an, die ein befreundetes Mädchen aus der Nachbarschaft in Ticchies Wohnung gefunden hatte. Das unter einem Pseudonym von einem Rechtsgelehrten aus Bologna verfasste Buch beschäftigt sich mit einem alten Manuskript, das im florentinischen Gefängnis „Le Stinche“ von zwei Verfassern geschrieben wurde und die Umstände des Todes des großen Künstlers Masacchio zum Inhalt hatte, über dessen Lebensende so gut wie nichts publik geworden ist. Darin wird nicht nur beschrieben, dass Masacchio vergiftet worden ist, sondern auch einer Geheimgesellschaft namens „Fedeli d’Amore“ vorstand, die der Heiligen Römischen Kirche in ihrem Inquisitionswahn natürlich ein Dorn im Auge war. Scalzi muss aber erst die letzten beiden dem Buch entrissenen Seiten ausfindig machen, ehe er das Geheimnis nicht nur von Brancas, sondern auch Masacchios Tod lösen kann… Spannendes, wunderbar die italienische Kultur einfangendes Renaissance-Pendant zu Umberto Ecos Mittelalter-Krimi „Der Name der Rose“.

Richard David Precht - „Die Kosmonauten“

Sonntag, 14. Juni 2009

(Kiepenheuer & Witsch, 384 S., HC)
1990 ist ein denkwürdiges Jahr. Im Weltraum dreht der letzte sowjetische Kosmonaut, Sergej Krikaljow, einsam seine Runden. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in ihre Kleinstteile und der Inflation ist kein Geld mehr vorhanden, die Mir auf die Erde zurückkehren zu lassen. Dreiundfünfzig Kilometer unter ihm sieht es auf seinem Heimatplaneten auch nicht viel besser aus. In Deutschland herrscht nach Mauerfall und Wiedervereinigung eine ganz eigene Stimmung, in der sich eines Tages Georg und Rosalie über den Weg laufen.

Georg hatte seinen unbefriedigenden Bürojob gekündigt und wartet in Köln an der Haltestelle auf die S-Bahn. Rosalie erblickt den Fremden und lächelt ihn an, was sie selbst am meisten erstaunt. Sie nehmen die gleiche Bahn, kommen ins Gespräch, steigen am Kölner Dom aus, gehen ins Museum und stellen schnell fest, wie viele Gemeinsamkeiten sie doch haben. Georg will nach Berlin gehen, ein anderes Leben leben. Rosalie kommt einfach mit, nachdem sie sich von ihrem Freund getrennt hat. Das glückliche Paar nimmt sich eine sanierungsbedürftige Wohnung im Osten Berlins, lernt nette Leute wie das Künstlerpärchen Franziska und Edgar kennen, den Hotelbesitzer Leonhard, aber mit dem Alltag kehrt bald Tristesse in die anfangs so aufregende Beziehung ein. Rosalie lernt bald einen anderen kennen... Precht schildert im poetischen, bilderreichen wie rasanten Stil das Auf und Ab einer ganz besonderen, irgendwie aber alltäglichen Beziehung mit all ihren Schmetterlingsträumen und trüben Alltagsproblemen. Das macht den Roman so sympathisch.

Bret Easton Ellis - „Glamorama“

Samstag, 13. Juni 2009

(Diana, 828 S., Tb.)
Mit „American Psycho“ hat sich der junge amerikanische Schriftsteller Bret Easton Ellis nicht nur als skandalträchtiger Autor etabliert, sondern auch als scharfzüngiger Beobachter der oberflächlich glamourösen Yuppie-Szene der 80er und 90er Jahre erwiesen. Mit seinem bereits fünften Roman gewährt uns Ellis einmal mehr Einblick in die Abgründe der schillernden von prominenzgeilen Welt Manhattans. Hier ist das aufstrebende 28jährige Model Victor Ward gerade dabei, DEN Szene-Club schlechthin zu eröffnen. Da müssen die Sitzordnungen der eingeladenen Stars abgestimmt, Ersatz für den plötzlich verschwundenen Star-DJ gefunden und etliche Telefonate geführt und Termine abgesprochen werden. Schließlich muss man sich auch um die Geliebte und die Schauspielkarriere kümmern.
Auf der Suche nach Geld, Macht und Ruhm gerät Victor allerdings bald in den Sog des Verbrechens. Ein Auftrag führt ihn nach London und Paris, wo er Kontakt zu einer terroristischen Vereinigung aufnimmt, die Hotels und Flugzeuge sprengt. Auf einmal scheint es keine Fluchtmöglichkeit für Victor mehr aus diesem Sumpf von Verbrechen und Gewalt zu geben. Ellis schildert aus Victors Perspektive ganz unverblümt die oberflächlichen Umgangsformen der Model- und Promiszene, was sich trotz des enormen Umfangs des Buches sehr kurzweilig und amüsant verfolgen lässt.

Bret Easton Ellis - „Lunar Park“

(Kiepenheuer & Witsch, 457 S., HC)
Mit seinen sämtliche Ausschweifungen der dekadenten 80er-Jahre-College-Jugend und Yuppies beschreibenden Romanen „Unter Null“, „American Psycho“, „Glamorama“ und „Einfach unwiderstehlich“ ist Bret Easton Ellis zu einer nicht nur literarischen, sondern auch populärkulturellen Kultfigur avanciert und bildete mit seinem Freund Jay McInerney das so genannte Brat-Pack und lebte seinen Ruhm mit allen Allüren und Ausschweifungen in allen Extremen aus.
Sein neues Buch stellt allerdings keine Fortsetzung dieser anfangs noch skandalträchtigen, mittlerweile aber kaum noch schockierenden Werke dar, sondern beginnt als klassische Autobiografie, in der Ellis überraschend offen Zeugnis über seine wirklich wilden Zeiten ablegt. Womit andere Autoren angesichts der Fülle an schlagzeilenträchtigen Episoden ein ganzes Buch füllen würden, dient Ellis aber nur als 50seitiges Intro, um sich dann in Roman-Form einem heiklen Kapitel seiner jüngeren Vergangenheit zu widmen: Ellis’ Entschluss, einen Schlussstrich unter sein ausschweifendes Leben zu setzen und mit seiner Frau Jayne und den beiden Kindern in einen ruhigen Vorort zu ziehen, bedeutet nämlich nicht das Ende seines aufregenden Lebens, sondern fügt ihm einen geheimnisvollen Höhepunkt hinzu. In der neuen Gegend verschwinden nämlich Jungen im Alter seines Sohnes Robby spurlos, dann geschehen auch noch Morde genau nach dem Schema, wie Patrick Bateman sie als psychopathischer Killer in „American Psycho“ begangen hat. 
Als dann auch noch Aimee Light verschwindet, mit der Ellis gern eine Affäre begonnen hätte, und ein Video auftaucht, das die letzten Minuten im Leben seines Vaters zeigt, beginnt Ellis, der weiterhin vor allem dem Alkohol, aber auch Drogen zuspricht, an seinem Verstand zu zweifeln – vor allem, als eines Nachts ein Monster im Haus auftaucht … „Lunar Park“ erinnert eher an Stephen Kings „Stark“ oder „Das geheime Fenster“ als an frühere Werke von Ellis. Interessante Einblicke in das Leben eines literarischen Superstars gewährt das Buch aber allemal.

 

Michael Chabon - „Junge Werwölfe“

Freitag, 12. Juni 2009

(dtv, 256 S.,Tb.)
Hierzulande ist der 1963 geborene amerikanische Schriftsteller Michael Chabon durch die Verfilmung seines Bestsellers „Wonderboys“ und durch das mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Meisterwerk „Die unglaublichen Abenteuer von Kavalier und Clay“ bekannt geworden. Nun legt er mit „Junge Werwölfe“ eine herrliche Sammlung von Kurzgeschichten vor, die überwiegend in Magazinen wie GQ, Harper’s, Enquire, Playboy und im New Yorker veröffentlicht wurden.
Da versucht der elfjährige Paul seinen bereits halbwegs aus der elterlichen Wohnung ausgezogenen Vater zurückzugewinnen, indem er vorgibt, seine Mitschülerin Virginia in den Hals gebissen zu haben, obwohl der sich stets als Werwolf bezeichnende Timothy Stokes für diesen Übergriff verantwortlich zeichnete. In „Haussuche“ versuchen Daniel und Christy Kite ihre ebenfalls vom Scheitern bedrohte Ehe dadurch zu kitten, dass sie sich eine efeubedeckte Villa im pseudonormannischen Stil zu kaufen beabsichtigen. Allerdings scheint so einiges an dem Haus sehr merkwürdig zu sein. Und in „Greens Buch“ begegnet Marty Green bei einer Feier der jungen Ruby Klein, auf die er, als sie noch ein Mädchen war, aufgepasst und sie im Schlaf unter ihrem Höschen geküsst hatte. Chabon erzählt auf meisterhafte, gefühlvolle und detailfreudige Weise von den Problemen des Erwachsenwerdens, von schmerzhaften Trennungen, ungewöhnlichen Freundschaften und extremen Situationen.

Michael Chabon - „Die unglaublichen Abenteuer von Kavalier & Clay“

(Kiepenheuer & Witsch, 811 S.,)
Als der jüdische Junge Josef Kavalier 1939 von Prag zu seinen Verwandten nach Brooklyn in New York flüchten kann, beginnt eine seltsame wie wunderbare Freundschaft zwischen ihm und seinem Vetter Sammy Clay. Angetrieben von dem Wunsch, möglichst viel Geld zu verdienen, um auch dem Rest seiner Familie die Überfahrt ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten finanzieren zu können, können sie den Comic-Verleger Sheldon Anapol dafür begeistern, ihren eigenen Comic-Superhelden, den Eskapisten, bei Empire Comics herauszubringen. Das Kunststück gelingt. Während der von Houdini inspirierte Entfesselungskünstler gegen das Böse in der Welt kämpft und schließlich sogar Hitler beseitigt, kommen die beiden Comic-Autoren zu Ruhm und Geld.
Doch bald lernen Joe und Sam auch die Schattenseiten des Lebens kennen. Joe flüchtet aus Angst vor familiärer Verantwortung zum Militär und nach Alaska. Nach seiner Rückkehr scheint nichts mehr so, wie es einmal war... Michael Chabon („Die Wonderboys“) schuf mit seinem neuen, 2001 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Roman ein farbenfroh inszeniertes, humorvolles, warmherziges und turbulentes Portrait einer außergewöhnlichen Männerfreundschaft und gewährt dabei gleichzeitig einen Blick in die Welt der Comic-Superhelden, der jüdischen Vorstellung vom Golem und der Entfesselungskunst.

Lee Child - (Jack Reacher: 7) „Der Janusmann“

Samstag, 6. Juni 2009

(Blanvalet, 478 S., HC)
Sechs Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Militärdienst, wo er als Spitzenermittler tätig gewesen ist, führt Jack Reacher ein recht anonymes Leben. Doch dann begegnet ihm ein Mann, der eigentlich tot sein müsste. Doch die markanten Narben auf der Stirn von der eigentlich tödlichen Schussverletzung lassen keine Zweifel aufkommen. Als er die Herkunft des Cadillacs zu ermitteln versucht, erhält Reacher Besuch von zwei Agenten des Justizministeriums. Die Spur des Cadillacs führt nämlich zu Zachary Beck, einem Teppich- und mutmaßlichen Drogenimporteur.
Mit einer fingierten Entführung von Becks Sohn Richard, die Reacher zu vereiteln weiß, erschleicht sich Reacher Becks Vertrauen und wird bald zu seinem Sicherheitschef. Während er auf eigene Faust nach Quinns Aufenthaltsort sucht, soll Reacher für die Federal Agents eine bei Beck eingeschleuste, aber seit einiger Zeit verschwundene Agentin ausfindig machen. Doch sobald Reacher in der Höhle des Löwen gelandet ist, entwickeln sich die Dinge ganz und gar nicht wie geplant, und Reacher muss immer wieder an seine ehemalige Untergebene Dominique Kohl denken, die er vor zehn Jahren auf Quinn angesetzt hatte. Auf einmal ist Reacher nur so von Leichen umringt und muss selbst um sein Leben bangen … 
Mit „Der Janusmann“ ist Lee Child ein glänzender Agententhriller gelungen, der mit viel Detailliebe, zwischenmenschlichen Verwicklungen, Lug und Betrug gespickt ist und geradezu nach einer Verfilmung schreit.