Als Doug Liman im Jahr 2002 „Die Bourne Identität“ mit Matt Damon und Franka Potente in den Hauptrollen verfilmte, war noch nicht abzusehen, dass er mit dem virtuos inszenierten Spektakel den Maßstab für das Action-Kino neu definierte und damit auch eine realistischere Ausrichtung des vergleichbaren James-Bond-Franchises bewirken sollte. Kaum vorstellbar war auch die Tatsache, dass „Die Bourne Identität“ auf einem Thriller beruht, den der 2001 verstorbene Genre-Spezialist Robert Ludlum bereits 1980 veröffentlicht hatte. 1988 verfilmte bereits Roger Young den Roman als Fernseh-Zweiteiler mit Richard Chamberlain und Jocelyn Smith in den Hauptrollen, wobei er sich weit enger an die Romanvorlage hielt als Liman 14 Jahre später.
Kurz vor der französischen Küste bei Ile de Port Noir wird ein schwer verletzter Mann durch die Besatzung eines Fischerbootes geborgen und zu einem englischen Arzt auf die Insel gebracht. Geoffrey Washburn kümmert sich aufopferungsvoll um seinen ungewöhnlichen Patienten, versorgt seine Schusswunden und entdeckt dabei ein Stück Zelluloid, das dem Mann unter die Haut an der rechten Hüfte eingesetzt worden war. Die Daten eines Nummernkontos bei der Gemeinschaftsbank in Zürich sind jedoch der einzige Hinweis auf die Identität des Mannes, der sich an nichts vor seinem folgenschweren „Unfall“ erinnern kann, schon gar nicht an seinen Namen.
Nach seiner Genesung lässt sich der Mann, der sich Jean-Pierre nennt, mit einem gefälschten Pass versorgen und nach Marseille bringen, um von dort nach Zürich zu fliegen, wo er in dem Schließfach der Bank nicht nur ein Guthaben von mehr als fünf Millionen Dollar und den Verweis auf eine Firma namens Treadstone Seventy-One vorfindet, sondern auch seinen Namen: James Charles Bourne! Doch noch bevor Bourne die Bank verlassen kann, wird er von Wachmännern attackiert. Bourne kann jedoch fliehen und sich in einem Hotel verstecken. Dort kidnappt er die kanadische Volkswirtschaftlerin Dr. Marie St. Jacques.
Anfangs sträubt sich die Regierungsbeamte, Bourne bei seiner Flucht zu unterstützen, doch als sich ihre Wege trennen und Bourne sie später von ihrem Vergewaltiger befreit, verlieben sich die beiden und gehen gemeinsam den Hinweisen nach, die aufklären sollen, wer Jason Bourne wirklich ist. Dabei gibt es nicht nur Verbindungen zu einem weltweit operierenden Auftragskiller namens Cain, sondern dem allseits gefürchteten Killer Carlos, dessen Rang Cain offensichtlich ablaufen will. Die US-amerikanischen Geheimdienste sind mehr als beunruhigt über die Entwicklungen in Zürich und Paris, sehen jedoch eine Chance, Cain zu Carlos zu führen und damit beide unliebsamen Killer auf einen Schlag zu eliminieren. Bourne ist sich bewusst, dass er seine weiteren Schritte ohne seine Geliebte würde unternehmen müssen…
„Er war wieder in das Labyrinth zurückgekehrt und wusste, dass es kein Entrinnen gab. Aber er würde weiter nach seiner wahren Identität forschen – ohne Marie. Die Entscheidung war unumstößlich. Es würde keine Diskussionen, keine Debatte geben, keine Vorwürfe. Er wusste, wer er war… was er gewesen war; er war schuldig im Sinne der Anklage – wie er das vermutet hatte.“ (S. 311)
Mit seinem ersten „Bourne“-Roman hat Ludlum einen modernen Klassiker des Agenten-Thrillers geschaffen, der allerdings nur das Grundgerüst für die 22 Jahre spätere Verfilmung durch Doug Liman bildet. Während Liman und seine Drehbuchautoren Tony Gilroy und William Blake Herron den Fokus auf die spektakulär inszenierte Nahkampf-Action, exotische Drehorte und eine zwingende Verschlankung des Plots und Figurenarsenals gelegt haben, hat sich Ludlum in „Die Bourne Identität“ ganz auf das Verwirrspiel der verschiedenen US-amerikanischen Abwehrdienste, die Jagd auf den internationalen Auftragsmörder Carlos (der in der Verfilmung überhaupt nicht vorkommt) und Jason Bournes Suche nach seiner wahren Identität konzentriert.
Die Liebesbeziehung zwischen Bourne und Marie (die im Gegensatz zur naiv wirkenden Figur in der Verfilmung als aufgeweckte Wissenschaftlerin auf Augenhöhe mit Bourne agiert) ist Ludlum nicht unbedingt glaubwürdig gelungen, dafür bietet die Geschichte eines Agenten, der nur in bruchstückhaften Erinnerungen eine Idee von seiner wahren Natur vermittelt bekommt, genügend Stoff für häufige Ortswechsel, ein irgendwann unüberschaubares Figurenarsenal und moderate Action.
Und die Auflösung hält ganz bewusst die Möglichkeit für weitere Fortsetzungen offen, die allerdings noch weniger mit den ebenfalls nachfolgenden Verfilmungen zu tun haben.
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