Eigentlich strebte der 1983 geborene Johnny eine Karriere als Schriftsteller an, doch irgendwann blieben seine Ambitionen auf der Strecke, ohne auch nur eine Idee entwickelt zu haben. Stattdessen schrieb er für die Firma JoeSeal Tweets mit pseudophilosophischen Lebensweisheiten aus der Sicht einer Dose Holzbeize. Ähnlich katastrophal verhielt es sich mit seinen Frauengeschichten. Nur Sophia hat er wirklich lieben können. Als sie sich von ihm trennte, schien sein Leben keinen Sinn mehr zu machen. Gegen seine selbstdiagnostizierte Depression fing er an, Ketamin einzunehmen, schließlich in einer so hohen Dosis, bis er leblos (?) auf dem Boden seines Londoners Studio lag und sich selbst von oben betrachten konnte. Derart losgelöst von seiner körperlichen Hülle findet sich Johnny irgendwo in Kalifornien wieder, umgeben von Mammutbäumen, und von irgendwo oben aus den Ästen pinkelt Jon Bon Jovi herunter, der 1994 für Johnny der coolste Typ der Welt gewesen ist.
Gemeinsam machen sich die beiden auf eine Odyssee durch die Vereinigten Staaten bis nach New York, mal mit Johnnys altem Freund Paul, mit dem er eigentlich vorhatte, dreißig Staaten in dreißig Tagen zu durchqueren und dessen zerschmetterten Körperteile er dann nach einem Autounfall vom Asphalt klauben musste, dann auch mit seiner Ex Sophia oder dem Hund Fisher an Bord.
Die Fahrt dient vor allem Johnny dazu, alte Erinnerungen und Wunden aufzuarbeiten: die Demütigung, dass sein ein Jahr älterer Bruder das geschafft hat, was er selbst nicht zustande bringen konnte, nämlich ein Buch zu veröffentlichen – wenn auch nur eine krude Mischung aus „Breakfast Club“ und „Alien“ -; die ersten Küsse und Masturbations-Erfahrungen, endlose One-Night-Stands, Überlegungen zu den Menschen, die beim Basejumping ums Leben gekommen sind.
Besonders ausgiebig wird natürlich die gescheiterte Beziehung mit Sophia aufgearbeitet, wobei sich Johnny sicher sein kann, dass Jon Bon Jovi immer einen passenden Kommentar parat hat.
„Die glücklichsten Momente waren die, wenn wir beide still lasen, uns einander gegenüberlagen wie fallen gelassene Streichhölzer, das Geräusch von Papier, umgeblätterten Seiten, befriedigte Körper, die ihr Gewicht verlagern, leben, atmen. (…) Ich erinnere mich an jedes Detail.Der aus London stammende Journalist und Autor Dan Dalton lässt es in seinem Debütroman offen, in welchem Bewusstseinszustand sich sein Ich-Erzähler Johnny Ruin befindet, ob er sich im medizinindizierten Delirium befindet oder schon im Todestraum. Jedenfalls spielt sich das Geschehen fernab jeder Realität vor allem in den meist melancholischen Erinnerungen des liebeskranken und sonst auch ganz unzufriedenen Anti-Helden ab.
Das einzige Problem ist, dass ich nicht sicher bin, ob es wirklich passiert ist. Jedenfalls nicht so. Erinnerung ist größtenteils Erfindung. Ich kann mich nicht erinnern, woran ich mich erinnere. Vielleicht war unser Schweigen ja gar nicht glücklich. Vielleicht habe ich das erfunden.“ (S. 141)
Dabei durchstreift Johnny sprunghaft Kindheitserinnerungen und wahllose Sex-Datings, garniert diese aber immer wieder mit einer erfrischenden Prise Humor, sei es durch die amüsanten Beispieltweets für JoeSeal oder die trockenen Kommentare seines Begleiters und Helden Jon Bon Jovi. Aus nahezu jeder Zeile des Romans spricht die große, aber auch zerstörerische Leidenschaft, mit der Johnny Sophia geliebt hat, aber es wird nur seine Version der Geschichte, der schöngefärbten Erinnerungen präsentiert.
Zwischen all die verzweifelten Rufen nach Liebe drängen sich Szenen der Freundschaft mit Paul, der von Konkurrenz geprägten Beziehung zu seinem Bruder, der unzähligen One-Night-Stands. Wie Dalton dabei die Verzweiflung einer verlorenen Liebe und vertanen Chancen mit einer Mischung aus Melancholie und feinem Humor zum Ausdruck bringt, macht den ungewöhnlichen Road Trip zu einem abenteuerlichen, erfrischenden Leseerlebnis.
Leseprobe Dan Dalton - "Johnny Ruin"
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen