Seit seinem Welt-Bestseller „Der Alchemist“ zählt der brasilianische Schriftsteller Paulo Coelho zu den spirituellen Gurus seiner Zunft und bringt seinen Lesern in leicht verständlicher Sprache Weisheiten aus unterschiedlichen esoterischen Traditionen nahe. Mit seinem neuen Buch, das passend zum fünfzigjährigen Jubiläum des legendären Jahres 1968 erscheint, als die bekannte Mehrheitsgesellschaft mit ihren leistungsorientierten, konservativen Werten durch die Hippie-Bewegung aufgebrochen wurde und eine Gegenkultur entstand, die eine antiautoritäre und enthierarchisierte Weltordnung anstrebte, lässt Coelho seine eigene Geschichte Revue passieren.
Statt aber die autobiografische Variante der Ich-Perspektive zu wählen, entschied sich der Autor, „Hippie“ in der dritten Person zu erzählen, um auch den anderen Figuren, mit denen der junge Coelho damals zu tun hatte, eine eigene Stimme zu geben.
Im September 1970 galten der Piccadilly Circus in London und der Dam in Amsterdam als die hippesten Orte der Welt. Statt sich über die traditionellen Medien zu informieren und auszutauschen, gab es unter den Hippies eine sogenannten „Unsichtbare Zeitung“, eine Mund-zu-Mund-Informationskette, in der sich über anstehende Konzerte und angesagte Reiserouten unterhalten wurde. Dabei war Arthur Frommers „Europe On Five Dollars a Day“ ein unverzichtbarer Ratgeber. Um sich wie viele seiner Gleichgesinnten auf einen sogenannten Hippie-Trail begeben zu können, zieht es den dreiundzwanzigjährigen Paulo zunächst nach Amsterdam, von wo er sich für hundert Dollar in einem „Magic Bus“ über die Türkei, den Libanon, Iran, Irak, Afghanistan, Pakistan und Indien bis nach Kathmandu begeben würde. Als seine engste Reisegefährtin erweist sich die hübsche Holländerin Karla, der von einer Wahrsagerin prophezeit wurde, dass sie einen Begleiter finden würde.
Gemeinsam mit ihren Freunden Rahul, Ryan und Mirthe suchen sie nach spiritueller Erleuchtung.
„Viele Gefühle bewegen das Herz des Menschen, wenn er beschließt, sich dem spirituellen Weg zuzuwenden. Es kann aus einem edlen Beweggrund sein wie etwa Glaube, Nächstenliebe oder Barmherzigkeit. Oder es kann nur aus einer Laune heraus geschehen, aus Angst vor dem Alleinsein, aus Neugier oder aus dem Wunsch heraus, geliebt zu werden. Letztlich spielt es keine Rolle, welches der ursprüngliche Beweggrund war. Der wahre spirituelle Weg ist stärker als die Gründe, die uns zu ihm geführt haben.“ (S. 129)Doch der Weg zum Glück jenseits konventioneller Konsumfreuden und kleinbürgerlicher Werte ist von etlichen Gefahren gesäumt. So muss der „Magic Bus“ wegen des Bürgerkriegs in Jordanien etwas länger Station in Istanbul machen als geplant, und Paolo wird das Angebot gemacht, als Drogenkurier einen guten Schnitt zu machen. Natürlich widersteht er der dämonischen Versuchung und wendet sich lieber den Derwischen in Istanbul zu …
„Hippie“ stellt fünfzig Jahre nach den gesellschaftlichen Umbrüchen von 1968 auch ein Prequel zu Coelhos schriftstellerischem Werk dar. Als sich der Autor damals auf den Hippie Trail begab, war zwar schon der Wunsch vorhanden, Schriftsteller zu werden, doch fehlte dem jungen Mann noch die Lebenserfahrung, um interessante Geschichten schreiben zu können. Vor allem im letzten Drittel des Buches, als Paulo in Istanbul der Derwisch-Tradition auf den Grund zu gehen versucht, geben sich die spirituellen Weisheiten ein munteres Stelldichein. Das wirkt oft sehr plakativ, als würden Sinnsuchende die Lehren von Rabindranath Tagore, Paulus von Tarsus, Rumi und Kabir in ihrer Essenz auf leicht verständliche Weise aneinandergereiht, so dass der Leser zumindest ein Gefühl dafür bekommt, wohin die eigene spirituelle Reise hinführen könnte. Auf jeden Fall gewährt „Hippie“ einen interessanten Einblick in einen Lebensabschnitt des Autors, der auch weniger schöne Ereignisse aus dem Jahre 1968 rekapituliert, der sein weiteres Leben und Schaffen prägen sollte.
Leseprobe Paolo Coelho - "Hippie"
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