Kent Haruf – „Unsere Seelen bei Nacht“

Montag, 30. September 2024

(Diogenes, 200 S., HC) 
Gerade mal sechs Romane hat der 2014 verstorbene, aus Colorado stammende Kent Haruf zwischen 1984 und 2015 geschrieben, allesamt in der fiktiven Kleinstadt Holt, Colorado, angesiedelt. Sein posthum veröffentlichter Roman „Unsere Seelen bei Nacht“ ist zugleich sein bekanntester, wurde er doch erfolgreich 2017 mit Jane Fonda und Robert Redford verfilmt. Seither hat Diogenes es sich zur Aufgabe gemacht, das überschaubare Gesamtwerk von Haruf dem deutschen Publikum zugänglich zu machen. Sein letztes und bekanntestes Buch machte dabei den Anfang. 
Die 70-jährige Witwe Addie Moore und ihr Nachbar Louis Waters sind zwar Nachbarn, nur einen Häuserblock voneinander entfernt, nur einen Häuserblock voneinander entfernt, haben bislang aber recht wenig miteinander zu tun gehabt. Bis Addie eines Maiabends bei Louis klingelt und ihn unverblümt fragt, ob er sich vorstellen könne, ab und zu bei ihr vorbeizukommen und bei ihr im Bett zu schlafen. Es gehe nicht um Sex, sondern einfach darum, die Nacht zu überstehen und miteinander zu reden. Louis bittet um etwas Bedenkzeit ob dieses überraschenden Angebots, steht aber schon nächsten Abend bei ihr vor der Tür. Das Arrangement funktioniert wunderbar, vertreibt es den beiden Witwern doch auf vertraute Weise die Einsamkeit. Abend für Abend kommt Louis zu Addie, trinkt mit ihr am Tisch ein Glas Bier, sie ein Glas Wein, dann gehen sie zu Bett und erzählen einander, wie sie ihre Liebsten verloren haben, wie ihre Ehen waren und welche Fehler man gemacht hat. 
Natürlich bleibt die Beziehung zwischen Addie und Louis in einer Kleinstadt wie Holt nicht lange ein Geheimnis, aber das Paar kümmert sich kaum darum. 
„Ich will nur friedlich vor mich hin leben und darauf achten, was Tag für Tag passiert. Und abends herkommen und bei dir schlafen. 
Ja, genau das tun wir. Wer hätte gedacht, dass wir in unserem Alter noch einmal so etwas erleben. Dass noch längst nicht alle Veränderungen und Aufregungen hinter uns liegen, wie sich herausstellt. Dass wir noch nicht körperlich und geistig vertrocknet sind. 
Und dabei tun wir nicht mal das, was die Leute glauben.“ (S. 163) 
Spannend wird es, als sich Addies Sohn Gene von seiner Frau trennt und seinen knapp sechsjährigen Sohn Jamie zu Addie bringt… 
In dem nicht mal 200 Seiten umfassenden Kurzroman hält sich Kent Haruf nicht lange mit Nebensächlichkeiten bzw. einer Einführung seiner Hauptfiguren auf und fällt gleich mit der Tür ins Haus, so wie auch Louis mit Addies unorthodoxen Antrag überrascht wird. Dabei dreht sich „Unsere Seelen bei Nacht“ letztlich um die wesentliche Frage, ob man sich im hohen Alter damit abfinden muss, allein zu bleiben, wenn der Partner gestorben ist. So offen, wie Addie die Lösung dieses Problems angeht, dürften die wenigsten das Thema umsetzen. Sowohl Addie als auch Louis finden schnell heraus, wie sehr es sich lohnt, sich auch im gesetzten Alter noch auf einen anderen Menschen einzulassen, sich mit ihm über alles zu unterhalten, was einem wichtig ist, einander nah zu sein, ob mit oder ohne Sex. Gemeinsam gehen Addie und Louis schließlich auch die Herausforderung an, dass mit Addies Enkel neuer – vorübergehender – Zugang ins Haus schneit und dass nicht jeder damit klarkommt, was Addie und Louis miteinander angefangen haben. 
Kent Haruf bleibt in „Unsere Seelen bei Nacht“ immer dicht bei seinen Figuren, verzichtet weitgehend auf Beschreibungen und lässt seine Figuren durch pointierte Dialoge Form annehmen. Da Addie und Louis so sympathisch und bodenständig sind, fällt die Identifikation mit ihnen leicht. Und Kent Haruf ist ein Meister darin gewesen, mit einfachen Mitteln tiefgründige Weisheiten über das Zusammenleben, das Vertrauen und die Liebe zu vermitteln.


Robert R. McCammon – „Botin des Schreckens“

Samstag, 28. September 2024

(Knaur, 622 S., Tb.) 
Der US-amerikanische Schriftsteller Robert R. McCammon zählte mit seinen seit den späten 70er Jahre veröffentlichten Romanen wie „Baal“, „Höllenritt“, „Blutdurstig“ und „Wandernde Seelen“ zur zweiten Garde des Horror-Genres, das fest in den Händen von Größen wie Stephen King, Dean Koontz, Peter Straub, James Herbert, Ramsey Campbell und Clive Barker lag. Nachdem McCammon dem Genre den Rücken kehren wollte, ging es mit seiner Karriere allerdings bergab, obwohl er dann erst seine besseren Bücher veröffentlichte. Den Auftakt machte 1990 der Psychothriller „Mine“, der hierzulande von Knaur im vertrauten Design seiner Horror-Reihe veröffentlicht und als solches auch vermarktet wurde. 
Laura Clayborne, Chefredakteurin bei der in Atlanta erscheinenden „Constitution“, freut sich auf ihr erstes Baby, schreibt bis zur Entbindung aber weiterhin Buchrezensionen für den Kulturteil der Zeitung. Unter den Büchern, die gerade mit der Post eingetroffen sind, befindet sich auch „Verbrennt dieses Buch!“ von dem Alt-Hippie Mark Treggs, was sie an ihre eigene Hippie-Zeit zurückdenken lässt. Währenddessen stößt Mary „Terror“ Terrell, Gründungsmitglied der terroristischen Vereinigung „Sturmfront“ auf eine geheimnisvolle Botschaft im „Rolling Stone“-Magazin, die sie mit dem damaligen Befehlshaber Jack Gardiner in Verbindung bringt. 
Nachdem die Polizei fünf der zehn Sturmfront-Mitglieder schon vor Jahren liquidiert hatte, die seit August 1969 für verschiedene terroristische Attentate verantwortlich gewesen waren, befinden sich die fünf übrigen Sturmfrontler auf der Flucht. Mary will sich sofort auf den Weg zum in der Botschaft verschlüsselt erwähnten Treffpunkt machen, will ihrem geliebten Jack aber auch ihr „gemeinsames“ Kind präsentieren. Da es Mary selbst nicht vergönnt gewesen ist, Kinder zu bekommen, beschließt sie, eines zu entführen. 
Da kommt ihr Lauras frisch geborener David gerade recht, den sie ihr als Krankenschwester verkleidet direkt aus den mütterlichen Armen entführt. Laura, die gerade erst erfahren hat, dass ihr Mann seit Wochen schon eine Affäre hat, merkt schnell, dass das FBI wenig in der Hand hat, um die bald als Mary Terror identifizierte Entführerin ausfindig zu machen. Doch Laura ist eine zu allem entschlossene Mutter, ihr Kind zurückzugewinnen. Über Mark Treggs findet Laura den Kontakt zur ehemaligen Sturmfrontlerin Bedelia „Didi“ Morse und so eine echte Vorstellung davon, wo Mary Terror mit Lauras Baby hinwill. Mit Earl van Diver, einem ehemaligen Polizisten, den Mary damals schwer verletzt hatte, befindet sich noch ein weiterer Jäger auf Mary Terrors Fährte… 
„Westwärts, nach Kalifornien, dachte er. Auf der Suche nach Jack Gardiner. Es war alles auf Band. Das drahtlose SuperSnooper-Abhörgerät, das er in einer getöpferten Vase in Bedelia Morse‘ Wohnzimmer versteckt hatte, hatte ihre Stimmen eingefangen. Nach Kalifornien sollte es also gehen, dem Land der Spinner und der Schwulen. Ein guter Platz, um einem Alptraum den Garaus zu machen.“ (S. 426) 
Nach seinen letzten Horror-Romanen „Nach dem Ende der Welt“ und „Die schwarze Pyramide“ bewies McCammon mit „Botin des Schreckens“, dass er auch ohne übernatürliche Horror-Elemente spannende und vor allem glaubwürdigere Geschichten zu erzählen vermag. Sorgfältig bereitet er die schicksalhafte Begegnung der jungen Mutter Laura Clayborne und der psychisch labilen Mary Terrell vor, indem er beide Figuren ausführlich einführt, so dass nach der Entführung von Lauras David, den Mary nur Drummer nennt, schnell klar wird, dass weder Laura noch Mary von ihren jeweiligen Missionen abzubringen sind. 
Zwar kommt „Botin des Schreckens“ nicht ohne Längen aus, doch die Verfolgungsjagd, die die beiden Frauen von Atlanta bis nach Kalifornien führt, wobei sie immer wieder auf gewaltsame Weise aneinandergeraten, ist trotz des vorhersehbaren Finales gut und packend geschrieben. Vor allem die Motivationen der beiden Frauen sind psychologisch tiefgründig und glaubhaft ausgearbeitet. Mit „Unschuld und Unheil“ (bzw. „Boy’s Life“) und „Durchgedreht“ untermauerte McCammon sein schriftstellerisches Talent, bevor er sich eine zehnjährige Auszeit nahm, um mit der „Matthew Corbett“-Reihe eindrucksvoll zurückzukehren.



Luca Kieser – „Pink Elephant“

Mittwoch, 25. September 2024

(Blessing, 302 S., HC) 
Der aus Tübingen stammende Luca Kieser, der sowohl Ethik und Philosophie als auch Sprachkunst studierte, zählt fraglos zu den vielversprechenden Talenten unter den deutschsprachigen Autoren, landete doch bereits sein 2023 veröffentlichtes Romandebüt „Weil da war etwas im Wasser“ auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. Nun legt er mit dem Coming-of-Age-Roman „Pink Elephant“ nach, haderte allerdings zunächst mit seinem Ansatz, als weißer Schriftsteller eine Geschichte über die Freundschaft zwischen einem deutschen Jungen aus der Mittelschicht und zwei Jungen mit Migrationshintergrund zu erzählen. 
Vincent stammt aus einer klassischen Mittelschichtsfamilie, der Vater Arzt, die Mutter Assistentin eines Landtagsabgeordneten mit Ambitionen zum Oberbürgermeister. Doch statt mit Gleichaltrigen seines Schlages in Tübingen abzuhängen, freundet sich Vince während der Fußball-WM in Deutschland im Jahr 2006 mit Ali und Tarek an. Die Faszination für die für viele fremdartige Kultur begnügt sich nicht mit Postern von Bushido und Tupac in seinem Zimmer, Vincent probiert auch verschiedene Mittel aus, seine allzu weiße Haut zu bräunen. Seine Eltern haben dafür wenig Verständnis, können aber wenig dagegen tun, dass ihr Sohn sogar die Schule schwänzt, um mit seinen neuen Freunden Shisha zu rauchen, Wodka zu klauen, Döner abzustauben oder einfach nur Playstation zu zocken. 
Als sich Ali verzweifelt aus dem Fenster stürzt, weil er dem durch den älteren „O“ ausgeübten Druck nicht mehr gewachsen ist, und schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert wird, muss sich Vincent entscheiden, welche Weichen er für sein weiteres Leben stellt… 
„Es gab Witze, die ich nicht verstand. Und es gab Witze, die ich nicht verstehen konnte. Hier wusste ich jetzt nicht, worüber sie lachten, keiner von den dreien war Türke – mein Blick rutschte die Beine hinab, und das Logo meiner Schuhe leuchtete zu mir herauf. Es kam mir auf einmal vor wie ein Zeichen dafür, dass ich von nichts eine Ahnung hatte.“ (S. 232) 
Mit „Pink Elephant“ liefert Luca Kieser definitiv einen etwas anderen Coming-of-Age-Roman ab, denn Teenager-Freundschaften zwischen „weißen“ Deutschen und Teenagern mit Migrationshintergrund finden in der deutschsprachigen Literatur kaum statt. Die heimische Fußball-WM von 2006 gibt den dabei nicht nur den zeitlichen Rahmen der Geschichte vor, sondern fungiert mit den Spielen der Gruppenphase und den K.O.-Spielen auch als Orientierung für die Punkte auf der Timeline, wenn die Zeitebenen fast unmerklich wechseln. Aber auch Alis Fenstersturz sorgt für die zeitliche Einordnung der Handlung, die sich grob in die Zeit vor Alis Verzweiflungstat und in die danach einteilen lässt. 
Kieser setzt sich dabei kaum mit dem elterlichen Umfeld der drei Freunde auseinander, hier müssen Eckpunkte zu ihrem beruflichen Umfeld reichen, so sehr ist der kompakte Roman auf Vincent, Tarek und Ali fixiert. Und auch hier bekommt die Leserschaft nur ungefähre Einblicke in das Seelenleben der Figuren. Das erschließt sich eher aus der Handlung, den immer wieder eingestreuten Zitaten aus Songs von Eko Fresh, Summer Cem, Azad, Massiv und natürlich Bushido, die als thematisches Leitmotiv gelten dürfen. Es ist nicht leicht für Vincent, sich im Spannungsfeld zwischen Seinesgleichen auf der einen und Ali und Tarek auf der anderen Seite zu finden und zu behaupten. Natürlich spielen hier spießbürgerliche Traditionen und rassistische Ressentiments eine Rolle, wobei Kieser nicht davor gefeit ist, einige Klischees zu bedienen. Echte Tiefe gewinnen seine jugendlichen Protagonisten nämlich nicht. Auf der anderen Seite stellt „Pink Elephant“ ein authentisch wirkendes Abbild der multikulturellen Lebenswirklichkeit nicht nur von „weißen“ deutschen Teenagern dar und überzeugt durch eine lebendige, mitreißende Sprache. 

Jan Weiler – „Munk“

Samstag, 21. September 2024

(Heyne, 382 S., HC) 
Mit Romanen wie „Maria, ihm schmeckt’s nicht“, „Antonio im Wunderland“, „Das Pubertier“ und „Der Markisenmann“ avancierte der Kolumnist, Drehbuchautor und Schriftsteller Jan Weiler zu einem bemerkenswerten Bestseller-Phänomen, das sich mittlerweile auf Hörbücher und -spiele ebenso erstreckt wie auf die Krimi-Reihe um Kommissar Martin Kühn. Mit seinem neuen Roman „Munk“ hat Weiler die 52 Folgen seines in der Neuen Zürcher Zeitung erschienenen Fortsetzungsromans „Die Summer aller Frauen“ zu einem ausführlicheren Roman verarbeitet. 
Nachdem der international bekannte Architekt Peter Munk auf der Zugfahrt seiner Heimatstadt Freiburg nach Zürich seine Handschuhe vergessen hatte, machte er sich nach dem Absolvieren seines Geschäftstermins auf den Weg ins Kaufhaus Globus, um dort neue Handschuhe zu erwerben. Dass er dort glaubte, Nadja wiederzusehen, die ihn wegen eines Perkussionisten verlassen hatte, setzte dem 51-Jährigen offenbar so zu, dass er auf der Rolltreppe einen Herzinfarkt erlitt. 
Nach der Entlassung aus der Herzklinik des Zürcher Krankenhauses befindet sich Munk nun auf dem Weg der Besserung, doch nimmt er sich eine Auszeit und wählt das auch wegen seiner Diskretion gern von Prominenten frequentierte Mönchhof-Resort aus, um sich den Ursachen für den Infarkt zu stellen. Da er mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, sich gesund ernährt, weder raucht noch trinkt und über eine sportliche Figur verfügt, scheinen körperliche Gründe nicht dafür verantwortlich gewesen zu sein. Nach den üblichen Anwendungen, Spaziergängen und viel Zeit zum Lesen macht Munk erst am dritten Tag die Bekanntschaft von Doktor Grenzmann, der dem Architekten nach dem ersten Kennenlernen die Aufgabe stellt, sich über die Beziehungen seines Lebens Gedanken zu machen und eine Liste der wichtigsten Personen anzufertigen. 
Munk denkt an seinen Vater zurück, der ein skrupelloser Bauunternehmer und Nazi war, von dem er sich – auch nach dessen Tod - so weit wie möglich zu entfernen versucht. Doch im Zentrum von Munks Betrachtungen stehen die 13 Frauen, mit denen er im Laufe seines Lebens eine wie auch immer geartete Beziehung unterhielt. Da die Beziehung mit Nadja noch so frisch hinter ihm liegt, rekapituliert er das Kennenlernen in einer Galerie und die unglückselige Verquickung von Privat- und Arbeitsleben als Erstes, um sich dann daran zu erinnern, wie er nach einer Party in den 1980ern ganz unspektakulär seine Jungfräulichkeit mit Judith verlor und wie die Schlittschuhläuferin Nicole seine erste große Liebe wurde. Munk hatte wenig erquickliche Affären im Ausland mit Ana und Harper, aber auch mit der jungen Influencerin Fanny und Claudia, die er in die Flucht schlug, weil er keine Kinder haben wollte, und Andrea… 
„Den anderen ein Wohlgefallen zu sein, war ein Leitspruch des Hermann Munk. Er verwendete ihn häufig, meist als mahnenden Appell in Richtung seiner Kinder. Für ihn selbst galt dieses Credo indes nicht. Aber bei Peter Munk hinterließen diese Worte ihre Wirkung. Er fand die Vorstellung nicht abwegig, dass man sich immer bemühen sollte, der Umwelt gutzutun. Er bemühte sich darum und als er Andrea kennenlernte, wollte er diesen Anspruch doppelt und dreifach gerecht werden, denn er wollte sie heiraten. Die Beziehung mit ihr war dann so, als würde er in ein brennendes Haus laufen.“ (S. 147)
Wenn man ohne jegliche Vorwarnung mit gerade mal 51 Jahren einen Herzinfarkt erleidet oder durch eine ähnlich drastische Zäsur dem Tod gerade so von der Schippe gesprungen ist, stimmt es einen im Idealfall nachdenklich und begibt sich in die Ursachenforschung. Bei Jan Weilers Protagonisten wird dies durch die Anleitung seines Arztes in einer schicken Reha-Klinik in Gang gesetzt, worauf sich der gutsituierte und beruflich erfolgreiche, in Liebesdingen aber wenig geschickte Architekt Peter Munk vor allem mit den Frauen in seinem Leben auseinandersetzt. Das Spektrum reicht vom unbeholfenen Gefummel in Teenagerjahren über sehr kurze Affären mit diebischen und ehebrecherischen Frauen bis zu heiratswilligen Kandidatinnen mit Kinderwunsch und einer Beziehung am Arbeitsplatz mit einer Influencerin, deren Vater Munk fast hätte sein können. 
Bereits diese vielschichtige Aufzählung macht deutlich, dass Munk mit fast jeder Art von Frau bzw. der klischeehaften Vorstellung solcher Frauen im Bett gewesen ist. Das liest sich zwar kurzweilig, vor allem wenn es mit authentisch wirkenden Details wie der Atmosphäre in dem Eisstadion in den 80ern oder der Streamingprojekte mit dem Gesamtwerk von Regisseuren wie Hitchcock, Kurosawa, Scorsese und Fellini gespickt ist, doch hinterlässt keinen bleibenden, schon gar nicht originellen Eindruck. 
Auch wenn „Munk“ weitgehend aus der Perspektive des Protagonisten erzählt wird, kommen zwischendurch aber auch die Meinungen der beteiligten Frauen zum Ausdruck, allerdings hätte Weiler auf eine Vereinigung der weiblichen Perspektiven am Ende ruhig verzichten können. 

Robert R. McCammon – „Blutdurstig“

Montag, 9. September 2024

(Knaur, 496 S., Tb.) 
Nach „Baal“, „Höllenritt“ und „Tauchstation“ legte der US-amerikanische Schriftsteller Robert R. McCammon 1981 seinen vierten Roman vor, der hierzulande erstmals 1988 unter dem Titel „Blutdurstig“ erschien. Man merkt diesem Frühwerk noch deutlich an, dass McCammon zwischen den bereits etablierten Horror-Autoren Stephen King, Dean R. Koontz und Peter Straub seine eigene Stimme zu finden versucht. 
Ende Oktober zählt Detective Captain Andy Palatazin zu den Polizisten, die Jagd auf einen Serienmörder machen. Nachdem ein Polizeibeamter den Mund einer der ermordeten Frauen mit toten Kakerlaken vollgestopft vorfand, dauerte es nicht lange, bis Gayle Clarke vom Los Angeles Tattler den Killer in ihrer Schlagzeile als „Kakerlak“ bezeichnete. Allerdings hinterließ der Kakerlak seit dreizehn Tagen keine Toten, keine Briefe mehr. Doch während der Mann namens Walter Benefield bereits auf der Suche nach seinem nächsten Opfer ist, breitet sich in Los Angeles eine weitaus größere Bedrohung aus. In dem Schloss, in dem einst dem Horrorfilmstar Orlen Kronsteen der Kopf abgehackt worden war, hat sich der Vampirfürst Prinz Vulkan mit seiner rechten Hand Falco eingenistet, der nach nichts weniger strebt, als ganz Los Angeles mit Untoten zu bevölkern. Als am Hollywood Memorial zwanzig Gräber geschändet und die Särge abtransportiert werden, haben weder die Öffentlichkeit noch die Polizei einen Schimmer, was ihnen da blüht, auch nicht, als weitere Friedhöfe auf ähnliche Weise verwüstet werden. Doch Palatazin, der aus dem ungarischen Krajeck stammt, bekommt bald mehr als eine Ahnung, was in der Stadt der Engel vor sich geht… 
„Wie viele hatten den Ruf des Meisters bereits vernommen? Wie viele irrten nachts bereits blutdürstig durch die Straßen? Tausend? Fünftausend? Zehntausend? Es würde schleichend geschehen, wie damals, vor so langer Zeit, in Krajeck, - bis die Stadt dem Meister und seiner Brut preisgegeben wäre. Er musste es einfach jemandem erzählen, der ihm glauben würde. Aber wem? Wem?“ (S. 255) 
Als die Gefahr auch anderen Menschen bewusstwird, scheint es schon zu spät zu sein, denn ein Sandsturm hat alle Zufahrtswege der Stadt unpassierbar gemacht… 
McCammon hat bereits in seinen ersten Werken zumindest ein erzählerisches Talent an den Tag gelegt, das zumindest in sprachlicher Hinsicht zu überzeugen verstand. Allerdings hapert es auch in seinem vierten Roman an einer originellen Geschichte. Die Vampir-Thematik haben andere Autoren wie Bram Stoker mit seinem Klassiker „Dracula“ und Stephen King (mit „Brennen muss Salem“) bereits ausgeschöpft. Dean Koontz dagegen hat nie einen Vampir-Roman geschrieben – aus gutem Grund, wie sich bei „Blutdurstig“ zeigt, denn McCammon reiht nur die vertrauten Elemente einer Vampirgeschichte aneinander. Selbst Prinz Vulkans Gehilfe Benefield kann seine literarische Herkunft von Draculas Diener Renfield nicht verhehlen. Dazu kommen das verwunschene Schluss als Vampir-Residenz, die Särge mit Erde aus der Heimat, Knoblauch, Kruzifixe und das ganze Gedöns – und leider auch viel zu viele Figuren, die nur oberflächlich charakterisiert werden. Der Sandsturm, der Los Angeles einkesselt, muss da als einzige originelle Idee herhalten, doch reicht das bei weitem nicht aus, um aus „Blutdurstig“ einen interessanten Roman zu machen.


Michael Connelly – (Renée Ballard: 5, Harry Bosch: 24) „Wüstenstern“

Dienstag, 3. September 2024

(Kampa, 416 S., HC) 
Es war ein kluger Schachzug des renommierten Thriller-Autors Michael Connelly, vor einigen Jahren mit Renée Ballard eine neue, interessante Figur einzuführen, die ausführlich in ihrem ersten Abenteuer „Late Show“ vorgestellt wurde, bevor sie nach ihrer Strafversetzung in die Nachtschicht beim LAPD unweigerlich den berühmt-berüchtigten Kollegen Harry Bosch kennenlernte. Seit dem zweiten Ballard-Band „Night Team“ werden die Bande zwischen Ballard und Bosch zunehmend enger geknüpft. Im fünften Ballard- und bereits 24. Bosch-Roman stehen die Zeichen einmal mehr auf Veränderung. 
Ein Jahr ist es her, dass Detective Renée Ballard aus Frust vor allem über Politik, Bürokratie und Frauenfeindlichkeit den Dienst quittiert und die Late Show verlassen hat, doch statt wie geplant mit dem bereits pensionierten Bosch gemeinsam als Privatermittler weiterzumachen ließ sie sich vom Polizeichef mit dem Angebot überreden, bei einer Rückkehr zum LAPD sich ihre neue Stelle aussuchen zu dürfen. Sie hatte sich zunächst für die Robbery-Homicide Division in Downtown entschieden und darf nun nach ausdrücklicher Initiative von Stadtrat Jake Perlman nun die neue Einheit Offen-Ungelöst leiten. Bosch nimmt ihr Angebot an, als Ehrenamtlicher dabei zu helfen, den nach wie vor ungeklärten Mord an Perlmans kleiner Schwester zu bearbeiten. 
Für Bosch bietet diese Tätigkeit zudem die Möglichkeit, sich um einen weiteren Fall zu kümmern, der zu den schlimmsten zählt, den Bosch und seine Kollegen nie aufklären konnten: Finbar McShane hat 2013 die vierköpfige Gallagher-Familie mit einer Nagelpistole ausgelöscht und ihre Leichen in der Wüste verscharrt, doch beweisen konnte ihm Bosch nichts. Neben Bosch sind noch der ehemalige FBI-Mann Thomas Laffont, Lilia Aghzafi von der Las Vegas Metro, der pensionierte Deputy District Attorney Paul Masser, die empathisch begabte Genealogin Colleen Hatteras und Lou Rawls, der auf Drängen des Stadtrats dazugestoßen ist, mit an Bord. 
Die Zusammenarbeit im Team läuft nicht ganz reibungslos, auch nicht zwischen Ballard und Bosch, doch dann hat Bosch eine Idee, die zunächst dem Pearlman-Mord neuen Schwung verleiht, denn ein Wahlkampfbutton bringt den Fall mit einem weiteren ungeklärten Mord in Verbindung… 
„Die Wahlen von 2005 hatten am 8. November stattgefunden, nur drei Tage nach dem Mord an Laura Wilson. Irgendwann während des Wahlkampfs hatte sie einen Unterstützerbutton bekommen, der in ihrer Krimskramsschublade gelandet war. Was, wenn überhaupt etwas, bedeutete das? War es Zufall, dass Laura Wilson einen Button bekommen hatte, der für einen Kandidaten warb, dessen Schwester elf Jahre zuvor von dem Mann ermordet worden war, der auch sie umbringen sollte?“ (S. 106) 
Michael Connelly zählt zu den ganz wenigen Thriller-Autoren, die trotz jahrelanger Erfolgswelle nie oder sehr selten an Qualität einbüßen. Das liegt vor allem daran, dass er seine Ermittler nicht nur interessante Fälle bearbeiten lässt, sondern in der detaillierten Beschreibung des Polizeialltags, ohne dabei den langweiligen Aspekten wie stundenlanger Beschattung zu viel Aufmerksamkeit zu widmen. Stattdessen lässt Connelly sein Publikum den Ermittlern über die Schulter schauen, so dass man sich als Leser und Leserin mitten im Geschehen glaubt. Dazu gewährt der Autor tiefe Einblicke in die Politik der Strafverfolgung, wenn etwa wichtige Entscheidungen ausgesessen werden, bis eine entscheidende Wahl erfolgt ist und sich die politische Stimmung verändert hat. 
Connelly versteht es geschickt, die Fälle Pearlman und Gallagher parallel laufen zu lassen, um zum Finale hin die Zügel zu straffen und die Handlung mit etwas Action und Spannung zu würzen. So lässt man sich als Krimi- und Thriller-Fan gern unterhalten!