Anthony Lee - „Der Deal“

Freitag, 10. April 2009

(Europa, 413 S., HC)
Dass ein Krimi/Thriller mit einem Mord anfängt, ist nicht weiter ungewöhnlich, doch Anthony Lee beginnt seinen Debütroman mit einem Auftakt, der einem fulminanten Showdown gleicht. „Du legst ihn nicht um. Er sagte es sich noch mal. Der Gedanke war wie ein Erwachen.“ Martin Quinn entschließt sich, seinen besten Freund Felix Pasko am Leben zu lassen. Eigentlich sind die beiden zu Felix’ Landhaus in den Catskills gefahren, um Felix’ Vater zu hintergehen, damit sich der ungeliebte Sohn endlich aus den Fängen des übermächtigen Vaters befreien kann.
Doch die Sache läuft völlig aus dem Ruder. Denn auf einmal erscheint Terry auf der Bühne, will die beiden umlegen, schießt erst auf Martin, dann auf den flüchtenden Felix, legt dem tot geglaubten Martin die Pistole in die Hand, was Terry zum Verhängnis wird. Gerade als Martin Terry niederstreckt, taucht das FBI auf und klagt Martin wegen Mordes an. Der sieht seine Chance nur noch in einem Deal, da das FBI scharf auf Felix’ Vater ist. In Rückblenden erfährt der Leser, wie die Freundschaft von Martin und Felix beginnt, wie sie dieselbe Frau lieben, wie sie ihre Geschäfte im russischen Mafia-Milieu von New York machen und ihren eigenen Club „Anastasia“ führen. Der komplexe Roman ist zugleich packender Thriller wie die Geschichte des Aufwachsens zweier Männer in engen familiären Bindungen, intensive Milieubeschreibung und auch die Geschichte einer Frau zwischen zwei Männern.

Philippe Fichot/Die Form - „The Visionary Garden 2“

(Ultra Mail Prod., 192 S. mit CD, HC)
Bereits vor zehn Jahren präsentierte Die-Form-Mastermind Philippe Fichot mit dem auf 999 Exemplare limitierten Fotoband „The Visionary Garden“ einen ersten umfassenden Einblick in sein fotographisches Werk, nachdem zuvor schon die Artworks zu seinen Veröffentlichungen und vor allem das Booklet zur ersten Auflage der „Archives & Doküments“-LP-Box sehr stark zum Ausdruck brachten, dass Die Form nicht nur im musikalischen Kontext als S/M-Projekt funktionierte, sondern auch stets mit einer ausgeprägten visuellen Struktur verbunden gewesen ist.
Davon zeugten nicht zuletzt die obligatorischen Filmprojektionen bei den Live-Performances und auch die Darstellungen auf der Bühne an sich. Mit „The Visionary Garden 2“ ist bei dem in Hong Kong ansässigen Label/Verlag Ultra Mail Prod. keine echte Fortsetzung des damals gut 100 Seiten starken Buchs erschienen, sondern eine fast auf den doppelten Seitenumfang erweiterte Neuauflage von Fichots oftmals mehr als verstörenden Schwarz/Weiß-Fotographien. Im Mittelpunkt seiner stark künstlerisch bearbeiteten Bilder stehen mit allen möglichen Utensilien gefesselte, halb oder völlig nackte Frauen, die Lust, Schmerz und Tod in sich zu vereinen scheinen. Die durchweg entspannten Gesichtszüge lassen aber eher auf freiwillige Opferbereitschaft hinzudeuten - die Frau als willfähriges Objekt der ausgefallensten männlichen Begierden … In den neueren Bildern aus der „Extremum“-, „Zoopsia“- und „InHuman“-Phase nimmt der Tod in Skelettform konkretere Züge an, andere Bilder weisen fast surrealen Charakter auf. Es ist schon eine sehr eigene Ästhetik, die Fichot zum Ausdruck bringt. Für S/M-Anhänger auf jeden Fall ein opulenter Sinnesreigen … Die damals separat von Hyperium veröffentlichte „Soundtrack zum Buch“-CD „The Visionary Garden“ ist nun in remasterter Qualität dem Buch beigelegt und enthält zudem mit „The Scavenger“ einen bislang unveröffentlichten Film aus dem Jahre 1982.

Wolfgang Flür - „Kraftwerk - Ich war ein Roboter“

(Hannibal/vgs, 300 S., Pb.)
Mit Tim Barrs kürzlich, bislang leider nur auf Englisch erschienener Kraftwerk-Biographie wurde eine längst überfällige Lücke geschlossen, was die ausführliche Auseinandersetzung mit einer der bedeutendsten deutschen Kulturexporte angeht. Tim Barr und sein englischer Kollege Dave Thompson („Industrial Revolution“) waren es schließlich auch, die ex-Kraftwerker Wolfgang Flür zu seinen ganz persönlichen Erinnerungen anregten, die er in „Kraftwerk - Ich war ein Roboter“ auf sehr unterhaltsame Weise niederschrieb. Tim Barr wollte nämlich unveröffentlichte Fotos von früheren Kraftwerk-Auftritten zusammenstellen, und als Flür in seinem Aluminium-Koffer stöberte, geriet er in eine Art Rausch, als er seinen „deutschgedanklichen Kulturbeutel“ durchwühlte, ließ Erinnerungen an Hotelzimmer, Flugzeuge und andere Länder wieder aufleben, zu denen alte Polaroids, Zeitungsartikel, Pressefotos und anderes mehr die entsprechenden Initialzündungen lieferten. Und Thompson wollte der von Journalisten meistgestellten Frage nachgehen, warum Flür Kraftwerk verlassen habe, was den ehemaligen Kraftwerk-Trommler letztlich zu dem vorliegenden Buch inspirierte.
Dabei geht es Flür vor allem darum, dass man sein „romantisches Herz“ und seine „teutonische Seele“ besser versteht, weshalb er oft in eine frühere Zeit zurückblendet, „als die Lust am Leben und der Spaß am Klang in mir geweckt wurden“. Flür langweilt den Leser dabei nicht mit den Arbeitsprozessen, präzisen Anordnungen, dem Aufbau des elektronischen Instrumentariums oder technischen Fachausdrücken, die man zunächst mit einer die elektronische Musik maßgeblich beeinflussten Band wie Kraftwerk zwangsläufig assoziiert, sondern stellt eher Erlebnisse in den Vordergrund, die die zwischenmenschlichen Beziehungen der Kraftwerk-Mitglieder erhellen. Doch zunächst beschreibt Flür seine Kindheit, seine Entwicklung vom Beatnik zum Mod, seine aufkeimende Leidenschaft für das Trommeln, in dessen Felle er all seine Energien und seinen ständigen Liebeskummer schlug. Ausführlicher beschreibt Flür natürlich die Anfänge und den Werdegang von Kraftwerk, die Entstehung und Ausbreitung des Phänomens „Krautrock“ in Amerika aus ganz persönlicher Perspektive, die sich vor allem in Reisebeschreibungen durch Amerika im Jahr 1975 niederschlägt. Schließlich die längere Kreativpause, die Trennung von Kraftwerk und die Gründung des eigenen Projekts Yamo. Angereichert mit vielen s/w- und Farbfotos aus Flürs Privatarchiv, bietet „Kraftwerk - Ich war ein Roboter“ einen informativen, intimen, eben sehr persönlichen Einblick in die Geschichte Kraftwerks, wie ihn nur ein direkt Beteiligter geben kann.

Tim Barr - „Kraftwerk - From Düsseldorf to the Future (with Love)“

(Ebury Press, 216 S., Pb)
Es ist ja schon seltsam, dass das ultimative Buch über die so einflussreiche Düsseldorfer Electro-Formation Kraftwerk aus dem englischsprachigen Raum kommt, aber auf den zweiten Blick ist dieses Phänomen doch wieder nicht so überraschend, wie man anfangs glauben mag. Schließlich ist der Einfluss von Kraftwerk auf die britische Industrial- und Dance-Szene der 80er Jahre (mit Bands wie Ultravox, The Human League, Cabaret Voltaire und Heaven 17) sowie die amerikanische und europäische Electro-, House- und Techno-Szene weitaus größer gewesen als auf die deutsche Musikszene.
Tim Barr, der als Experte für die Detroiter Techno-Szene gilt und über elektronische Musik für Blätter wie „The Face“, „NME“ und „Melody Maker“ geschrieben hat, versucht mit seinem Buch „Kraftwerk“ das Geheimnis zu lüften, das die stets im Verborgenen agierende Düsseldorfer Band seit gut zwanzig Jahren umgibt.
Nachdem Barr in einem historischen Überblick auf prägnante Weise die Katalysator-Funktion von Musik für gesellschaftliche Veränderungen seit den 50er Jahren rekapituliert, beginnt er Kraftwerks Geschichte mit dem Zeitpunkt, als die Popkultur mit den Beatles hoffähig geworden war und die Titelblätter der Boulevardpresse belegte. Die Bedeutung von Kraftwerk in diesem Prozess wird schon allein durch die Tatsache deutlich, dass die Düsseldorfer Band die erste gewesen ist, die die alleinbestimmende Rolle der amerikanischen und britischen Künstler - von Elvis über Chuck Berry, The Who, The Beatles bis zu den Rolling Stones - bei der Formulierung einer neuen Sprache in der Pop- und Rockgeschichte beenden konnte und fortan die elektronische Musik rund um den Globus beeinflussen sollte.
Barr behält bei der Verfolgung von Kraftwerks Geschichte stets das musikalische Umfeld im Blick, auf das das Quartett seinen Einfluss ausüben sollte, aber auch die Inspirationen, der Kraftwerk unterlagen. Durch eigene Interviews, ausgewählte Zitate, Schwarz-Weiß-Fotos und eine ausführliche Diskografie (samt Bootlegs) ist dem Autor ein leicht verständliches, aber umfassendes und interessantes Portrait einer Band gelungen, deren Bedeutung einem nach der Lektüre von „Kraftwerk“ erst richtig bewusst wird.

J.G. Ballard - „Kristallwelt“

Mittwoch, 8. April 2009

(Edition Phantasia, 159 S., Pb.)
Als der Lepraarzt Dr. Sanders mit dem wöchentlichen Passagierschiff von Libreville nach Port Matarre reist, erholt sich Kamerun noch von einem missglückten Staatsstreich, bei dem Rebellen zehn Jahre zuvor die Smaragd- und Diamantminen in Mont Royal erobert hatten. Zu seinen Reisegefährten zählen Pater Balthus, der Sanders auf die drückende Dunkelheit in Port Martarre hinweist, und der undurchsichtige Ventress, dem Sanders in der gemeinsamen Kajüte die Pistole aus dessen Koffer entwendet und dem er während seiner Reisen immer wieder auf mysteriöse Weise begegnet. Er selbst ist auf dem Weg zu seinen beiden Freunden Max und Suzanne Clair, die gemeinsam eine kleine Klinik betreiben. Im letzten Brief seiner ehemaligen Geliebten Suzanne liest Sanders von einem schillernden Wald, wo das Licht „alles mit Diamanten und Saphiren“ überzieht.
Nachdem Sanders eine kurze Affäre mit einer Frau erlebt hat, die Suzanne sehr ähnlich sieht, trifft er seine Freunde endlich nach einer abenteuerlichen Odyssee, doch merkt er schnell, dass mit den beiden etwas nicht stimmt. Er stellt aber auch fest, dass Suzanne in ihrem Brief keineswegs übertrieben hat. Der Wald ist tatsächlich von leuchtenden Kristallen überzogen und breitet sich weiter aus. Ähnliche Phänomene wurden bereits in Florida und Russland entdeckt. Die Bewohner und auch die Reisenden geraten bei dem prächtigen Farbenspiel fast in religiöse Verzückung … Das 1966 erstmals von Ballard veröffentlichte Buch „Kristallwelt“ wurde mit seinen halluzinatorischen, surrealistischen Qualitäten bereits zu seiner Zeit ein absolutes Kultbuch und erscheint nun in neuer, vollständiger Übersetzung von Joachim Körber und darf so auch heute noch mal zu einem Kultbuch werden …

Alan Hollinghurst - „Die Schönheitslinie“

Montag, 6. April 2009

(Blessing, 572 S., HC)
Nachdem bereits das 1988 veröffentlichte Debüt des britischen Autors Hollinghurst, „Die Schwimmbadbibliothek“ im Jahre 1983 spielte, begibt sich auch das Szenario seines neuen Romans in dieses, vor Thatchers zweiter Amtszeit stehendes Jahr, wo sich mit Nick Guest der Sohn eines Antiquitätenhändlers ins noble Notting Hill begibt, wo er von den Eltern seines Collegefreundes Toby Fedden aufgenommen wird.
Nicks Gastvater Gerald Fedden ist Staatssekretär bei der „eisernen Lady“, so dass Nick schnell die High Society in London kennen und lieben lernt. Etwas schwieriger gestaltet sich das homosexuelle Coming-Out des Zwanzigjährigen, da man zu jener Zeit erst ab 21 Sex mit Männern haben durfte. Im privaten Park gleich in der Nähe der Fedden-Residenz hat Nick sein erstes schwules Sex-Erlebnis und kann jahrelang seine homosexuelle Gesinnung geheim halten. Drei Jahre später ist Nick mit Wani liiert, mit dem er ein exklusives Lifestyle-Magazin auf die Beine bringen will, aber außer Parties feiern bekommen die beiden nicht viel auf die Reihe. Derweil spürt man, dass die Heimlichtuerei nicht lange gut gehen kann, und tatsächlich: als Nicks sexuelle Gesinnung öffentlich wird, ist es mit aller Herrlichkeit und dem Schwelgen im Luxus bald vorbei … Hollinghurst versteht es mit schonungsloser Offenheit und enorm viel erzählerischer Raffinesse, die Faszination der Jugend für den Luxus und einen abgehobenen Lifestyle darzustellen.

Philip K. Dick - „Auf der Suche nach Valis“

(edition phantasia, 495 S., HC)
Der amerikanische Sci-Fi-Autor Philip K. Dick ist vor allem durch seine verfilmten Romanvorlagen zu „Blade Runner“, „Total Recall“ und „Minority Report“ zu einem höchst populären Phänomen geworden, gilt aber auch als einer der visionärsten Schriftsteller, die Amerika je hervorgebracht hat. 1974 glaubt Dick beim Anblick eines goldenen Fisch-Kettenanhängers, das er gleich als Symbol für die im Römischen Reich verfolgten Christen erkennt) eine Art göttliche Vision zu haben, wird von Datenübermittlungen per Laserstrahl, Durchsagen aus einem abgeschalteten Radio und Berichten aus der Zukunft in Werbespots heimgesucht.
Schließlich wird ihm auch offenbart, dass das Universum, in dem wir leben, nur eine Täuschung ist. Die letzten acht Jahre seines Lebens (Dick starb 1982 an den Folgen eines Schlaganfalls) verbrachte er damit, das Rätsel dieser Visionen zu entschlüsseln. In seinem Alterswerk, der „Valis“-Roman-Trilogie, wagte Dick einen Blick hinter die Kulissen der Realität und das Geheimnis der Raum-Zeit-Matrix, in der wir leben. Darüber hinaus verfasste Dick ein über achttausend Seiten umfassendes Tagebuch, seine ganz persönliche Exegese, die jetzt erstmals in Auszügen in deutscher Übersetzung erscheint. Für den Normalsterblichen stellenweise kaum nachzuvollziehen, macht „Auf der Suche nach Valis“ wenigstens das Ringen Dicks um Verständnis des ihm Widerfahrenen deutlich. Wenn man zuvor nicht die „Valis“-Trilogie gelesen haben sollte, die sehr zum besseren Verstehen dieser Lektüre beiträgt, hilft einem wenigstens die schöne Einführung von Lawrence Sutin und das Nachwort von Terence McKenna. Das Buch ist auf eine handnummerierte Auflage von 250 Exemplaren limitiert.

Philip K. Dick - „Minority Report“ + “Die große Philip K. Dick Edition“

(Heyne)
Obwohl der amerikanische Schriftsteller Philip K. Dick mit seinen visionären Geschichten nicht nur das Science-Fiction-Genre maßgeblich erneuert, sondern mit seinen literarischen Vorlagen für Filmklassiker wie „Blade Runner“ und „Total Recall“ bemerkenswerte Beiträge zum Thema Authentizität der Wirklichkeit abgeliefert. Pünktlich zum Start des neuen Steven-Spielberg-Films „Minority Report“ hat der Heyne-Verlag nicht nur das – wiederum von Dick verfasste - Buch zum Film (438 S.) veröffentlicht (in dem neben der 60-seitigen Titelstory noch acht weitere Kurzgeschichten enthalten sind), sondern eine wunderschön aufgemachte sechsbändige TB-Edition mit den wichtigsten Werken des 1982 verstorbenen Autors. Da darf der bereits 1968 verfasste Klassiker „Blade Runner“ (269 S.) um den Androiden-Jäger Rick Deckard ebenso wenig fehlen wie das Kultbuch „Die drei Stigmata des Palmer Eldritch“ (313 S.), in dem Dick so deutlich wie kaum ein anderer beschreibt, wie man durch den Konsum einer Droge zwischen verschiedenen Identitäten wechseln kann. In „Marsianischer Zeitsturz“ (350 S.) dient die erfolgreiche Kolonisierung des Mars als Hintergrund für eine irrwitzige Geschichte eines Jungen, der durch seine Zeit-Reisen die gewohnte Ordnung der Dinge vollkommen auf den Kopf stellt. Und mit „Zeit aus den Fugen“ (288 S.) hat Dick schon 1959 die Idee der „Truman Show“ vorweg genommen.
„Die Valis-Trilogie“ (926 S.), bestehend aus den drei Romanen „Valis“, „Die göttliche Invasion“ und „Die Wiedergeburt des Timothy Archer“, ist sicher Dicks metaphysischstes Werk, das neben der Frage der Transzendenz der Realität auch ein treffendes Bild der amerikanischen Kultur der 70er zeichnet. Und in „Der unmögliche Planet“ (832 S.) sind dreißig der besten Kurzgeschichten von Philip K. Dick zusammengefasst. Vor- und Nachworte runden oft die einzelnen Bände wunderbar ab. Diese sorgfältig editierte Edition bietet den bestmöglichen Einstieg in das Werk eines der bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts.

Iain Pears - „Scipios Traum“

Sonntag, 5. April 2009

(Droemer, 608 S., HC)
Mit seinem ersten großen historischen Kriminalroman „Das Urteil am Kreuzweg“ wurde der britische Kunsthistoriker Iain Pears bereits in einem Atemzug mit Umberto Eco genannt. Mit seinem neuen Epos „Scipios Traum“ entführt der begnadete Autor den Leser nach Avignon in die südfranzösische Provence und in gleich drei Zeitebenen, die jeweils die schwierige Entscheidung der Protagonisten zwischen Verstand und Gefühl illustrieren. Da ist auf der einen Seite Manlius Hippomanes, ein römischer Aristokrat des 5. Jahrhunderts, der sich in seinem Traktat „Scipios Traum“ philosophisch mit den moralischen Problemen seiner Zeit auseinandersetzt.
Während er taktische Kompromisse eingeht, um die römische Zivilisation gegen die anstürmenden Germanen zu verteidigen, wird er von seiner tief verehrten Freundin Sophia verstoßen. Auf der anderen Seite ist Olivier de Noyen, Dichter und Sekretär im 14. Jahrhundert, als Kurier an einer Verschwörung der Kardinäle beteiligt, die sich für eine Rückkehr des Papstes nach Rom einsetzen. Und schließlich übernimmt zur Zeit des Zweiten Weltkriegs Julien Barneuve ein Ministeramt in der Hoffnung, Schlimmeres unter deutscher Besatzung zu verhindern, doch kann er seine jüdische Frau nicht vor den Deutschen beschützen. Auf eindringliche Weise beschreibt Pears die moralischen Konflikte dreier Männer, die sowohl von philosophischer Neugier als auch der Liebe zu einer Frau getrieben sind. Das eindringliche wie vielschichtige Werk ist als Auseinandersetzung mit wichtigen philosophischen Ideen und der europäischen Geschichte ebenso gelungen wie auch als leidenschaftliches Epos über die Liebe.

William Gibson - „Virtuelles Licht“ + „Idoru“ + „Futurematic“

(Heyne)
Mit der 1984 begonnenen “Neuromancer”-Trilogie hat William Gibson einen echten Science-Fiction-Klassiker abgeliefert. Von 1993 bis 1999 entstand seine zweite Zukunfts-Trilogie, die so utopisch gar nicht zu sein scheint. Gibson beschreibt das 21. Jahrhundert als eine Welt des globalen Marktes, bei dem genmanipulierte Produkte zum Alltag gehören und die Grenzen zwischen Wirklichkeit und virtueller Realität immer mehr verwischen.
In „Virtuelles Licht“ (364 S., Tb.) beschreibt Gibson ein Amerika, in dem die Kluft zwischen Arm und Reich weit auseinanderdriftet und die Riesenstädte nur mit Überwachungssatelliten kontrolliert werden können. Auf der Suche nach einer Brille, die verschiedene Simulationen von Realität zu erzeugen hilft, kommt der Sicherheitsbeamte Berry Rydell einer Verschwörung auf der Spur, deren Ursprung in San Francisco zu liegen scheint, wo eine riesige High-Tech-Kommune liegt. In „Idoru“ (333 S., Tb.) verliebt sich der Rock-Star Rez in seine schöne Kollegin Rei Toei, die allerdings eine Idoru ist, ein virtueller Popstar, der von Imageberatern perfekt konstruiert wurde. Durch ihre Liebe zu Rez beginnt sie allerdings, einen eigenen Willen zu entwickeln und sich danach zu sehnen, ihr Gefängnis aus Bits und Bytes zu verlassen. Der Abschluss der Trilogie, „Futurematic“ (395 S., Tb.), führt den Leser über Tokio zurück nach San Francisco. Dort glaubt der Netzläufer Colin Laney etwas Bedeutendes vorauszusehen, das die uns bekannte Welt für immer verändern wird. Auf spannende Weise beschreibt Gibson mit seiner neuen Trilogie die Aussichten der neuen Welt, ohne die technischen Errungenschaften zu verteufeln, wohl aber auf ihre möglichen Auswirkungen hinzuweisen.

Christopher Frayling - „Alpträume - Die Ursprünge des Horrors“

(vgs, 224 S., HC)
Dass sich die archetypischen Horror-Themen, wie sie einst Mary Shelley mit „Frankenstein“, Bram Stoker mit „Dracula“, Robert Louis Stevenson mit „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ und Sir Arthur Conan Doyle mit „Der Hund von Baskerville“ geschaffen haben, auch heute noch so großer Beliebtheit erfreuen, wird nicht zuletzt an den immer wieder erfolgreichen Neuverfilmungen ihrer Geschichten eindrucksvoll dokumentiert. Der Kulturhistoriker Christopher Frayling macht sich in seinem wundervoll illustrierten Werk „Alpträume“ auf die Suche nach den historischen Quellen dieser vier Eckpfeiler der Horrorliteratur, die wie kaum ein anderes Werk die Phantasie ihrer Leser anzuregen wussten und dies in immer neuer Gestalt auch heute noch tun.
Ausgehend von Johann Heinrich Füsslis berühmtes Gemälde „Der Nachtmahr“ von 1782 setzt sich Frayling im Prolog mit der Natur der Träume auseinander und berichtet vom Streben romantischer Dichter, sich mittels verschiedener Techniken und Hilfsmittel in die Welt der Träume zu begeben, geht aber auch kurz auf Freuds Definition von Träumen ein.
In den folgenden vier Kapiteln rekapituliert Frayling jeweils die Entstehungsgeschichte der vier Horrorwerke, gibt jeweils eine kurze Inhaltsangabe und beschreibt sehr detailliert die persönlichen Umstände der Autoren zusammen mit dem gesellschaftlichen Umfeld und den Quellen, die Shelley, Stoker, Stevenson und Doyle zu ihren Geschichten inspiriert haben. Schließlich werden auch die Reaktionen des Publikums erwähnt, als die Werke veröffentlicht und bald für die Theaterbühne, im 20. Jahrhundert auch für die Kinoleinwand adaptiert wurden. All dies wird illustriert mit Fotos historisch relevanter Stätten, Portraits der Autoren, Plakat- und Filmabbildungen.

Thomas Karsten - „Model Years“

(Schwarzkopf & Schwarzkopf, 240 S., HC)
Es gibt erotische Bildbände, die allein des Fotografen künstlerische Visionen abbilden bzw. das voyeuristische Bedürfnis der Betrachter befriedigen sollen. Einen angenehm anderen Ansatz verfolgt der renommierte Aktfotograf Thomas Karsten, der mit „Model Years“ nach „Heute nackt“ seinen zweiten, aufwändig gestalteten Fotoband bei Schwarzkopf & Schwarzkopf präsentiert.
Waren es in „Heute nackt“ noch junge Männer und Frauen an der Schwelle zum Erwachsensein, die Kasten portraitierte, stellen sich in „Model Years“ junge Frauen zwischen 20 und 25 nicht allein vor Kastens Kameraobjektive, sondern auch sich selbst vor. Statt allein als fotografisches Objekt zu fungieren, hat Kasten seinen Models, die oft nicht die klassischen Model-Attribute besitzen, die Möglichkeit zur Selbstdarstellung geboten und sie in ganz unterschiedlichen Umgebungen fotografiert, in der freien Natur, in Kinosälen, Duschen, Badewannen, vor mal mehr kühl-sterilem Hintergrund, dann wieder in behaglich-vertrauter Atmosphäre von Wohnzimmer-Sofas. Man merkt dabei deutlich die Lust der jungen Frauen an ihrer selbstbewussten Zurschaustellung in kecken, ungehemmten, selten etwas verbergenden Situationen. Ein ausführliches Vorwort von Fotohistoriker Fritz Franz Vogel, der den künstlerischen Ansatz von Thomas Kasten anschaulich darstellt, und Statements einiger Models zu ihrer Zusammenarbeit mit dem Fotographen runden den prächtigen Bildband im Großformat ab.

Arne Dahl - „Tiefer Schmerz“

(Piper, 411 S., HC)
Ein griechischer Zuhälter zieht sich abends auf der menschenleeren Vattugränd in Stockholm ein paar Linien rein und fühlt sich plötzlich von Tieren und merkwürdigen Schatten verfolgt, gibt wahllos ein paar Schüsse ab und landet in einem Vielfraßgehege, dessen Bewohner nicht viel von ihrem unfreiwilligen Besucher übrig lassen. Paul Hjelm und seine Kollegen können den Mann zunächst nicht identifizieren, finden aber die Buchstaben „Epivu“ in den Boden geschrieben und ein Seil am Bein des Opfers.
Die beiden Ermittlerinnen Kerstin Holm und Sara Svenhagen suchen ein Motel auf, das als Flüchtlingsunterkunft dient und dessen Verwalter acht Frauen als vermisst meldet, die offensichtlich Prostitution betrieben haben. Und auf einem jüdischen Friedhof wird der einst für den Nobelpreis nominierte Hirnforscher Leonard Sheinkman über Kopf an einer Eiche aufgehängt vorgefunden – mit einem Metalldraht in seinem Kopf.... Derweil nimmt sich Arto Söderstedt mit seiner Familie in der Toskana eine Auszeit von den turbulenten Fällen, die er in der letzten Zeit mit seiner so genannten A-Gruppe, der Spezialeinheit beim Reichskriminalamt für Gewaltverbrechen von internationalem Charakter, zu betreuen hatte. Doch die Vermutungen, dass die drei Fälle miteinander in Verbindung stehen, beenden die südländische Idylle abrupt. Im Auftrag von Europol führen ihn seine Ermittlungen über Mailand, Weimar bis in die dunklen Kapitel der schwedischen Geschichte... Arne Dahl hat mit seinen Romanen um die A-Gruppe und ihren charismatischen ErmittlerInnen schnell zu seinen berühmten Kollegen Henning Mankell und Hakan Nesser aufschließen können. Mit „Tiefer Schmerz“ erweist er sich einmal mehr auch als hervorragender Stilist mit einem sicheren Gespür für kuriose, spannende Mordfälle.

Timo Denz - „Fairies and Fiends …“

(Ubooks, 130 S., HC)
Nach “Modern Times Witches” und “FreakShowDiary” legt der Fotograf Timo Denz mit “Fairies and Fiends” bereits sein drittes Buch vor und hat sich einmal mehr mit bezaubernden, schaurig-schönen, manchmal auch unheimlichen Fabelwesen auseinandergesetzt. Schon der Hardcovereinband offenbart die Dualität der im Innern abgebildeten Märchengestalten. Während auf der „fairies“ betitelten Vorderseite ein zartes Mädchen in unschuldigem Weiß den Inbegriff einer zauberhaften Fee darstellt, ist auf der „fiends“ betitelten Rückseite nur der ausgestreckte Arm eines hexenähnlichen Wesens zu sehen, von dessen Zeigefinger Blut tropft.
In dem einleitenden Text „Die schmutzigen Kinder“ erfahren wir etwas über die Geschichte von Feen und Naturgeistern, dann verzaubern den Betrachter ganz in Weiß gewandete Feen vor ebenfalls weißem Hintergrund oder in ihrer natürlichen Umgebung des Waldes, dann finden auch andere Farben wie Grün und Blau Eingang in die ausgefallenen Kostüme und Frisuren, ehe Timo Denz auch die dunklen Schwestern der Feen würdigt, doch die zerbrechlich wirkenden Geschöpfe in Weiß bleiben das zentrale Thema des rundherum aufwändig gestalteten Buchs, an dem auch Corinna Schwerdtfeger mit ihren Illustrationen und Sybille Werthner mit ihren Kostümen und Make-up-Kreationen ihren Beitrag leisteten.

Ignacio Martínez de Pisón - „Mein Vater, die Göttin und ich“

(Hoffmann und Campe)
Eigentlich könnte es dem fünfzehnjährigen Felipe und seinem Vater richtig gut gehen, schließlich stammt ihre spanische Familie aus gutem Hause. Doch nach einem Zerwürfnis über den verlorenen Job als Gerichtsmediziner verlässt der Vater die Heimatstadt Vitoria und macht sich mit seinem Sohn auf eine abenteuerliche Odyssee. Mit krummen Geschäften halten sich die beiden am Leben, residieren im Winter in Strandhäusern oder billigen Wohnungen mit Telefonen, die sie als private Telefonzellen „vermieten“, bis sie die Rechnungen nicht mehr zahlen können und weiterziehen müssen.
Papas Stolz ist ein schwarzer Citroën DS 19, den er als seine „Göttin“ bezeichnet und ihm das Gefühl gibt, etwas Klasse in seinem Leben zu besitzen. Doch Felipe ist das ewige Herumreisen bald leid, zumal er in Zaragoza, wo er sich auf dem amerikanischen Stützpunkt in die zauberhafte Miranda verliebt, endlich seine Unschuld verliert und mit dem Verkauf von amerikanischen Produkten etwas selbstständig Geld verdienen kann. Schließlich landet Felipes Vater im Gefängnis, und er selbst wird von seinem großzügigen Onkel aufgezogen. Auf einmal merkt Felipe, dass ihm sein Vater doch ähnlicher ist, als er immer angenommen hat … Wunderbar poetischer Road-Movie-Roman und eine berührende Geschichte über eine besondere Vater-Sohn-Beziehung.

Thomas van de Scheck - „Cuts“

(art-manufaktur, 208 S., HC)
S/M- und Fetisch-Fotografie ist mittlerweile so populär, dass sie teilweise den subkulturellen Kontext bereits verlassen und Alltagscharakter angenommen hat. Selten jedoch stößt man noch auf künstlerische Arbeiten in diesem Gebiet, die den Betrachter wirklich schockieren. Inwieweit das die Fotografien im ersten Bildband von Thomas van de Scheck vermögen, wird jeder selbst für sich entscheiden müssen, doch gänzlich unberührt wird man „Cuts“ nach der Auseinandersetzung mit den eigenwilligen Portraits nicht weglegen.
Obwohl der Künstler, der bereits als Tontechniker, freier Redakteur und Werbetexter gearbeitet hat und Bassist bei Cancer Barrack gewesen ist, auch viel mit Make-up und „Special Effects“ gearbeitet hat, wirken seine Bilder meist schmerzlich/sinnlich realistisch, präsentieren eine morbide Ästhetik im besten Sinne. Dass sich die fast ausschließlich weiblichen Motive so stark ins Bewusstsein brennen, liegt zweifellos auch in der Tatsache begründet, dass van de Scheck seine Modelle stets vor absolut weißem Hintergrund abgelichtet hat, dass der Betrachter gezwungen ist, seine volle Aufmerksamkeit auf das Model zu fokussieren. Es ist eben nichts da, wohin der Blick abschweifen könnte. Der erste, „Beautiful Strangers“ betitelte Teil von „Cuts“ bietet noch recht harmlose Portraits von Gothic-Leuten in Lack und Leder, Samt und Pelzen und den üblichen Accessoires, mal mehr, mal weniger bekleidet und geschminkt. Derart eingestimmt geht es im nächsten Kapitel, „Secret Wishes“, um, wie es Matthias T. J. Grimme („Schlagzeilen“, Bondage Project u.a.) im Vorwort zum Kapitel nennt, inszenierte „Begehrlichkeiten“, aber um welche, um die des Betrachters? „Sind es die Träume der dargestellten Protagonisten? Die Deutungen des Foto-Künstlers?“ Interessant sind diese in klaren, bunten Farben gegossenen Fantasien allemal. Und schließlich entführt uns der Künstler im abschließenden „Wild Cuts“ in die manchmal schwer nachzuvollziehende Welt der Autoaggression, doch hier vermag bereits das Vorwort eines „Opfers“ für Aufklärung sorgen. „Cuts“ ist auf jeden Fall ein Werk, das der Auseinandersetzung lohnt und zum Glück trotz der Klischee-Nähe nie zu plump und aufgesetzt wirkt.

Isaac Asimov - „Azazel“

(Edition Phantasia, 232 S., Pb.)
Der 1992 verstorbene Schriftsteller Isaac Asimov zählt zu den großen Ikonen der Sci-Fi-Literatur. Mit dem Geschichtenband „Azazel“ in der neu entstandenen Paperback-Reihe des Liebhaber-Verlags Edition Phantasia wird mal ein weniger populäres, aber gewiss nicht weniger lesenswertes Gesicht des grandiosen Autors präsentiert. Er enthält nämlich achtzehn Geschichten, die ihren Anfang 1980 in einem Auftrag für ein Krimi-Magazin nahmen, dessen Herausgeber Eric Protter monatlich eine Story von Asimov haben wollte.
Den Anfang machte eine Story, in denen ein zwei Zentimeter kleiner Dämon namens Azazel im Mittelpunkt stand. Da die zweite Story um den kleinen Dämon abgelehnt wurde, Asimov es aber hasste, Geschichten nicht zu veröffentlichen, entschloss er sich, weitere Geschichten über Azazel zu schreiben, die er in verschiedenen Magazinen wie Magazine of Fantasy and Science Fiction und Isaac Asimov’s Science Fiction Magazine veröffentlichte. In ihnen geht es um den Schnorrer George und den – wenn auch nicht namentlich genannten – Ich-Erzähler Isaac Asimov, der von George oft genug übel beleidigt wird, während dieser ebenso von seiner eigenen Würde und Eleganz eingenommen ist. Bei den regelmäßigen Treffen der beiden Freunde beim Essen erzählt George von FreundInnen, denen er durch Azazels dämonischen Kräften stets helfen wollte, doch die Auswirkungen sind oft anders als erhofft, so dass sich George statt der oftmals erwarteten Belohnung eher den Unwillen seiner „Patienten“ zuzieht. Asimov sind damit wundervoll humorvolle, fantasiereiche Erzählungen in bester Club-Geschichten-Tradition gelungen.

George P. Pelecanos - „Wut im Bauch“

Samstag, 4. April 2009

(Rotbuch, 360 S., Tb.)
Mit „Wut im Bauch“ präsentiert der aus Washington, D.C. stammende Autor George P. Pelecanos den zweiten Fall des ungleichen Ermittlerpaars Derek Strange und Terry Quinn. Der erste Fall, „Schuss ins Schwarze“, wurde bereits mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet und wird gerade von Curtis Hanson („Die Hand an der Wiege“, „L.A. Confidential“) verfilmt. In „Wut im Bauch“ haben es die ehemaligen Polizisten gleich mit mehreren Fällen zu tun.
Zunächst – und dieser Fall zieht sich von Anfang bis Ende des Romans durch – werden Strange und Quinn, die in ihrer Freizeit auch noch eine Jugend-Footballmannschaft trainieren, werden sie von zwei Frauen der Aiding Prostitutes in Peril damit beauftragt, ein 14-jähriges Mädchen aufzuspüren, das in die Fänge des brutalen Revierbosses Worldwide Wilson geraten ist. Dann sollen sie den zukünftigen Ehemann der hübschen Tochter eines Freundes checken. Und schließlich wird der Mord an einem Jungen ihres Teams zu einer ganz persönlichen Sache für Strange und Quinn. Zu allem Überfluss läuft Stranges Beziehung zu seiner tüchtigen Bürovorsteherin Janine nicht mehr so gut, nachdem sie feststellen musste, dass er sich in der Mittagspause mal gern in einem japanischen Massagesalon verwöhnen lässt… In seiner unprätentiösen Sprache zieht Pelecanos den Leser rücksichtslos und packend in den Bann großstädtischer Hoffnungslosigkeit und Gewalt, spart dabei aber weder mit Humor noch Sex.

Kazuo Ishiguro - „Alles, was wir geben mussten“

(Blessing, 349 S., HC)
Seit elf Jahren arbeitet die 31-jährige Kathy H. als Betreuerin von „Spendern“, doch erst seit den letzten sechs Jahren darf sie sich auch aussuchen, wen sie betreuen möchte. Eine der ersten Fälle, den sie sich selbst aussuchen durfte, war ihre Freundin Ruth, mit der sie das englische Internat Hailsham besucht hat. Überhaupt hat Kathy bevorzugt ehemalige Hailsham-Kollegiaten ausgewählt.
Zwar existiert das Internat längst nicht mehr, aber immer wenn Kathy übers Land fährt, erinnert sie so vieles an Hailsham, und diese Erinnerungen lässt Kathy nun Revue passieren. Vor allem ihre Freundschaft zum aufbrausenden Außenseiter Tommy und zur mit ihm liierten Ruth rufen die lebendigsten Bilder hervor. Wie sie sich im Unterricht beispielsweise künstlerisch betätigen sollten und die besten Erzeugnisse von den Erziehern in einer geheimnisvollen „Galerie“ aufbewahrt wurden. Wie Kathy an einer Musikcassette hängt, die ihr abhandenkommt, sie aber wieder in einem Second-Hand-Laden in Norfolk wieder findet, wie Tommy fast daran verzweifelt, dass er keine künstlerische Ader zu haben scheint, insgeheim aber merkwürdige Tiere zeichnet. Erst nach und nach wird offenbart, um was für eine Art Internat es sich bei Hailsham handelt und wie es um die „Kollegiaten“ bestellt ist … Ishiguro („Was vom Tage übrigblieb“) schrieb seinen neuen Roman in Form klassischer Internatsgeschichten und lüftet das Geheimnis, das sich hinter seinen Mauern verbirgt, sehr behutsam, während er sich vordergründig auf die üblichen Verwirrungen von erster Liebe und den Problemen des Erwachsenwerdens konzentriert …

James Herbert – „48“

(Bastei Lübbe, 391 S., Tb.)
Der britische Autor James Herbert, dessen Roman „Besessen“ erfolgreich als „Haus der Geister“ verfilmt worden ist, hat mit „‘48“ ein intensives, hochdramatisches Kammerspiel inszeniert. Der Roman spielt im Nachkriegs-London, wobei die Stadt 1948 durch eine Wunderwaffe völlig zerstört worden ist. Nur wenige Menschen, nämlich die Angehörigen der Blutgruppe AB-negativ, entkommen dem schleichenden Tod. Fünf recht unterschiedliche Menschen suchen Zuflucht in den Ruinen eines verlassenen Grandhotels und müssen der Zerstörungswut von draußen durch Zusammenhalt standhalten.
Doch die Lage spitzt sich immer dramatischer zu, je näher sich die zwei befreundeten Frauen, ein undurchsichtiger Deutscher, ein weltfremder Engländer vom Zivilschutz und ein Kriegsfreiwilliger aus Kanada kennenlernen.
James Herbert verband so in „‘48“ seine bekannte Vorliebe für apokalyptische Szenarien, die er besonders eindrucksvoll in seiner Ratten-Trilogie zeichnete, mit nervenaufreibendem psychologischem Grauen zu einem klaustrophobisch beängstigenden Roman.