Als Papst Benedikt XVI. am 11. Februar 2013 überraschend verkündete, wegen seines fortgeschrittenen Alters zurückzutreten, sorgte er für ein Novum in der Kirchengeschichte. Erstmals seit 1415 würde die katholische Kirche zwei lebende Päpste an ihrer Spitze haben. Neben dem „Papa emeritus“ würde der wenige Tage später zum neuen Papst Franziskus gewählte Argentinier Jorge Bergoglio dafür sorgen, die Geschicke der vor allem durch weltweit bekannt gewordene Missbrauchsfälle ins Trudeln geratene katholischen Kirche zu lenken.
Der in Neuseeland geborene und in London lebende Autor Anthony McCarten („Englischer Harem“, „Jack“), selbst eingefleischter Katholik, hat sich die spannendste Episode der jüngeren Kirchengeschichte vorgenommen, um ein Sachbuch darüber zu schreiben. Nachdem der zweifach Oscar-nominierte McCarten bereits die Drehbücher für Filme wie „Die Entdeckung der Unendlichkeit“, „Die dunkelste Stunde“ und „Bohemian Rhapsody“ verfasst hatte, dient seine Biografie über die beiden so unterschiedlichen Päpste als Grundlage für den im November anlaufenden Netflix-Film mit Anthony Hopkins und Jonathan Pryce in den Hauptrollen.
Die Gegensätzlichkeit der beiden Figuren arbeitet McCarten in den jeweiligen Biografien von Josef Ratzinger und Jorge Bergoglio auf. Abwechselnd beschreibt der geschulte Autor den Werdegang der beiden Männer. Während sich der Argentinier dabei vor allem als „Sünder“ betrachtete, der zu den Jesuiten ging, um in den Elendsvierteln bei den Menschen zu sein, war Ratzingers Kindheit von der Herrschaft des Hitler-Regimes geprägt, bevor er systematisch die Karriere zum Priester einschlug und sich dabei den intellektuellen Problemen in der Kirche widmete und nicht in der Seelsorge tätig wurde wie sein späterer argentinischer Konkurrent und Nachfolger.
Trotz aller – anhand umfangreicher Sekundärliteratur – herausgearbeiteter Unterschiede waren beide Männer von einer tiefen Skepsis gegenüber ihrem Amt ausgestattet, das ihnen zu schwer auf den Schultern zu liegen schien. Die ausführlich geschilderten Vorgänge in den jeweiligen Konklaven zur Papstwahl machen auch deutlich, in welche Lager die zur Wahl stehenden Kardinäle aufgeteilt waren, wie konservative Kräfte immer wieder versucht haben, revolutionär anmutende Thesen, wie sie gerade Bergoglio vertreten hat, in Schacht zu halten. Bergoglio hing vor allem sein zweifelhaftes Verhalten während der argentinischen Militärdiktatur (1976 – 1983) nach, als er sich nicht vehement genug gegen die unmenschlichen Verhältnisse in seiner Heimat zur Wehr setzte, denn offensichtlich lagen der Kirche stichhaltige Beweise dafür vor, in welchem Ausmaß die Junta ihre Kritiker beseitigte. Auf der anderen Seite machte Ratzinger in seiner Funktion als Erzbischof von München und Freising (1977 – 1981) die Affäre um einen Priester zu schaffen, der trotz verschiedener sexueller Missbrauchstaten weiterhin in der Seelsorge eingesetzt worden war. Aber auch die 2007 auf Druck der Traditionalisten wieder gestattete Missa Tridentina (die ein Karfreitagsgebet enthält, in dem die Juden aufgefordert werden, Jesus Christus anzuerkennen, und die die Blindheit des jüdischen Volkes gegenüber Christi Wahrheit thematisiert) setzte Papst Benedikt zu.
„Nicht umsonst wurde daraufhin spekuliert, ob dieser Papst arrogant, inkompetent, wenig vorausschauend oder einfach nur gleichgültig war. War Benedikt derart selbstbewusst bezüglich theologischer Fragen, dass er ohne Berater agierte? Oder besser: War er so blauäugig, dass er mit nichts anderem als positiven Reaktionen rechnete? Wie dem auch sei, eines war gewiss: Der Papst war unfähig, aus seinen Fehlern zu lernen.“ (S. 207)McCarten macht durch solche Kommentare deutlich, wie seine Sympathien zwischen den beiden Päpsten verteilt sind, dennoch beschreibt er die Vorgänge hinter den Kulissen des Vatikans mit sachlicher Distanz, indem er auf eine Menge Quellenmaterial zurückgreift (die Anmerkungen nehmen immerhin volle 40 Seiten des Buches ein). Der Autor beschreibt die Entwicklung der Kirche vor allem seit dem Wirken von Papst Johannes Paul II., dokumentiert die interessante Prozedur der Wahl zum Papst, macht dabei auf das Dilemma der „päpstlichen Unfehlbarkeit“ aufmerksam und legt dar, wie die beiden Päpste mit den Herausforderungen umzugehen pflegten, die durch die Krise der römisch-katholischen Kirche mit ihren 1,28 Milliarden Mitgliedern noch immer zu bewältigen sind. Auch für Nicht-Katholiken und überhaupt Nicht-Gläubige ist die Aufarbeitung der Geschichte, die Anthony McCarten anhand der beiden zwei letzten Päpste erzählt, äußerst aufschlussreich und spannend geschrieben. Auf die Verfilmung von Fernando Mereilles („Der ewige Gärtner“) darf man also gespannt sein!
Leseprobe Anthony McCarten - "Die zwei Päpste"
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