Ray Bradbury – „Fahrenheit 451“

Samstag, 13. Juni 2020

(Diogenes, 228 S., HC)
In einer unbestimmten Zukunft leben die Menschen in einer totalitären Gesellschaft, in der die Feuerwehr nicht mehr damit beauftragt wird, Feuer zu löschen, sondern Bücher zu verbrennen. Die darin vermittelten Gedanken wurden vom politischen System nämlich dafür verantwortlich gemacht, dass sich die Menschen ihrer Individualität bewusst geworden sind, so dass Andersartige und -denkende diskriminiert, ausgebeutet und in Kriegen bekämpft wurden. Diese Entwicklung hat man nicht nur durch das Verbot des Besitzes von Büchern in den Griff bekommen, sondern auch durch die massenhafte Verbreitung von Rauschmitteln und Videoleinwänden, die für unangestrengte Zerstreuung sorgen. Einer dieser Feuerwehrmänner ist der 30-jährige Guy Montag, der mit seinen Kollegen immer dann ausrückt, wenn irgendwo in der Stadt verbotene Bücher ausfindig gemacht worden sind. Während sich die Feuerwehr um die Bücher kümmert, sorgen mechanische Spürhunde dafür, dass die bücherbesitzenden Staatsfeinde aufgespürt und festgesetzt bzw. sofort getötet werden.
Doch als er eines Nachts beim Spazierengehen die 17-jährige Clarisse McClellan kennenlernt, gerät sein systemkonformes Denken ins Wanken. Nicht nur ihr weltoffenes, neugieriges Wesen irritiert Montag, sondern letztlich die Frage, ob er glücklich sei, denn er kann sich weder erinnern, wie er seine Frau Mildred überhaupt kennengelernt hat, noch was an ihr besonders liebenswert sein soll, da sie über keine nennenswerte Eigenschaften verfügt.
Als Mildred auch noch an einer vermeintlich versehentlichen Überdosis Beruhigungspillen beinahe stirbt und Montag bei einem seiner Einsätze erleben muss, wie eine Frau sich lieber mit ihren Büchern verbrennen lässt, als sich dem System zu unterwerfen, lässt sich Montag krankschreiben und wird von seinem Captain Beatty besucht, der ihn darüber aufklärt, wie das rapide Bevölkerungswachstum mit den zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufkommenden Massenmedien wie die Fotografie, das Fernsehen und der Rundfunk dafür sorgten, dass sich die Medien auf den niedrigsten gemeinsamen Nenner einigen mussten und literarische Klassiker wie politische Diskurse auf Zusammenfassungen von Zusammenfassungen reduziert wurden. Unter der Last des Beruflebens wurde das Lernen vernachlässigt, Vergnügungen in Form von Sportveranstaltungen, Cartoons in Buchform und Filmen in Massen produziert. Da das Unvertraute Grauen verursachte und ‚intellektuell‘ zu einem Schimpfwort wurde, musste jeder gleich gemacht und damit glücklich gemacht werden, denn wo es nichts mehr Überragendes gab, musste man sich nicht mehr miteinander messen.
Doch Montag gibt sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden und beginnt, Bücher in seine Wohnung zu schmuggeln, um sie mit Mildred zu lesen. Doch Mildred ist alles andere als davon angetan, so dass sich Montag Unterstützung bei dem pensionierten Literaturprofessor Faber holt. Als seine Frau ihn schließlich denunziert und Montag seinen Vorgesetzten in Brand setzt, wird er zur Flucht in die nahe gelegenen Wälder gezwungen, wo er auf eine Gruppe von Dissidenten stößt, die Montag in ihre Mitte nehmen.
„In der kommenden Woche werden wir eine Menge einsamer Menschen treffen, und den ganzen nächsten Monat und das ganze nächste Jahr. Und wenn man uns fragt, was wir eigentlich tun, könnt ihr sagen: ‚Wir erinnern uns.‘ Damit werden wir uns auf Dauer durchsetzen. Und eines Tages erinnert sich der Mensch an so viel, dass er den größten Bagger aller Zeiten herstellt und das größte Grab aller Zeiten aushebt und den Krieg hineinbefördert und das Ganze zuschüttet.“ (S. 213) 
In der Neuausgabe zum 50. Jubiläum dieses dystopischen Klassikers der Science-Fiction-Literatur hat Ray Bradbury sowohl im neuen Vorwort als auch im Nachwort eindringlich geschildert, wie er natürlich durch die Bücherverbrennung im Hitler-Deutschland, die Gerüchte über Stalins Streichholzmänner und die Hexenjagd von Salem einerseits, von der römischen, griechischen und ägyptischen Mythologie andererseits zu „Fahrenheit 451“ inspiriert wurde, einem Konglomerat aus den fünf Kurzgeschichten „Scheiterhaufen“, „Strahlender Phönix“, „Die Verbannten“, „Usher II“ und „Der Fußgänger“, das zunächst als 25.000 Wörter umfassende Novelle „The Fire Man“ 1951 in Galaxy Science Fiction veröffentlicht wurde und nach der Verdoppelung der Wortanzahl schließlich 1953 als Roman „Fahrenheit 451“ das Licht der Welt erblickt.
Auch wenn das Streben des politischen Systems nach in jeder Hinsicht betäubten Gesellschaft in Bradburys Klassiker thematisiert wird, geht es dem 2012 verstorbenen Schriftsteller vor allem um die Gefahr, die den Büchern durch niveaulose Massenmedien droht, wie er im Nachwort betont. Seit der früh eingeführten Begegnung zwischen Montag und dem aufgeweckten Mädchen Clarisse macht Bradbury in „Fahrenheit 451“ (bekanntermaßen ist der Titel der Temperatur abgeleitet, bei der Papier Feuer fängt und verbrennt) deutlich, welch mannigfaltige Gefühle und Denkweisen und Geschichten Romane, Gedichte und auch Sachbücher beim Leser erwecken und so dazu anleiten, einen eigenen Sinn im Leben zu finden und sich selbst und sein Denken im Spiegel anderer Menschen und ihren Gedanken und Gefühlen zu reflektieren. Dabei findet Bradbury stets selbst wunderschön poetische Worte, um auf der einen Seite die trostlose Welt der konturlosen Menschen in einem totalitären System und auf der anderen Seite die mannigfaltigen Sinneseindrücke und Gedankengänge weltoffener und nachdenkender Bürger darzustellen. Ein Blick auf die geopolitische Weltkarte zeigt, dass Bradburys Werk leider nach wie vor sehr aktuell ist.

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