James Sallis – „Der Killer stirbt“

Samstag, 29. Januar 2022

(Liebeskind, 251 S., HC) 
Nicht nur mit seinen beiden Reihen um den Privatdetektiv Lew Griffin und den Ex-Cop, Ex-Häftling und Ex-Psychiater John Turner hat sich der US-amerikanische Autor James Sallis in die Herzen von Kritikern und Lesern geschrieben, populär wurde er vor allem durch seinen 2008 mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichneten Roman „Drive“, den Nicolas Winding Refn drei Jahre später mit Ryan Gosling in der Hauptrolle verfilmte. 2011 legte Sallis mit „Der Killer stirbt“ erneut einen mehrfach (u.a. mit dem Hammett Prize und dem Grand prix de littérature policière) ausgezeichneten Roman vor, der zwar von Mord und Tod und Ermittlungen handelt, aber jede Erwartung an einen konventionellen Kriminalroman unterläuft. 
Der alternde und sterbende Auftragsmörder Christian soll den unbedeutenden Buchhalter John Rankin ausschalten. Tagelang verfolgt der Killer den sehr strukturierten Tagesablauf des Hyundai fahrenden Mannes und muss dann erstaunt feststellen, dass ihm offensichtlich ein anderer Kollege zuvorgekommen ist, es aber vermasselt hat. Als der angeschossene Rankin aus dem Bürogebäude getragen und ins Krankenhaus gefahren wird, versucht Christian herauszufinden, was da genau passiert ist und wie seine Auftraggeber auf die gescheiterte Mission reagieren. 
Währenddessen träumt der elfjährige Jimmie davon, wie dem ihm unbekannten Wayne Porter die Kehle durchgeschnitten wird. Im Wachzustand versucht er das Leben in dem Haus zu regeln, in dem er seit einem Jahr schon ganz allein lebt. Erst war seine Mutter von einem Tag auf den anderen verschwunden, wenig später suchte auch sein Vater das Weite. Jimmie verkaufte das Auto seines Vaters, die Silbermünzen seiner Mutter und fing schließlich an, übers Internet Sachen zu kaufen und zu verkaufen, so dass er von der Gesellschaft und den Institutionen unbemerkt sein eigenverantwortliches Leben führen kann. Einzig die aufmerksame Nachbarin Mrs. Flores weiß von seinem Geheimnis und versorgt den Jungen, der jede Woche im Altenheim aus einem Buch vorliest, gelegentlich mit Essen. 
Die beiden Cops Sayles und Graves versuchen, den Mordanschlag auf Rankin zu untersuchen, kommen aber keinen Schritt weiter. Sayles ist ohnehin in Gedanken oft bei seiner Frau Josie, die im Hospiz auf ihren Tod wartet. Schließlich kreuzen sich die Wege von Christian und Sayles … 
„Sayles beugte sich zum Bett hinunter. Ihm fielen alle möglichen Dinge ein, die er sagen könnte. Über das Verständnis, was jetzt wichtig war. Dass es okay war, loszulassen. Ruhe zu finden. Aber was er flüsterte, mit den Lippen nur Zentimeter vom Ohr des Mannes entfernt, war etwas viel Einfacheres: Du bist nicht allein.“ (S. 247) 
Bereits in seinen ersten Romanen um den Privatdetektiv, Literaturdozenten und Autor Lew Griffin hat James Sallis sich von den gängigen Konventionen von Dramaturgie und Erzählfluss entfernt und sich darauf konzentriert, durch detailliert geschilderte Augenblicke und Erinnerungsfetzen ein Gefühl für seine Figuren zu entwickeln. Mit „Der Killer stirbt“ hat Sallis diese Kunst perfektioniert. Es nimmt etwas Zeit in Anspruch, bis sich der Leser in die letztlich miteinander verwobenen Einzelschicksale hineinfindet. Die beiden Detectives Sayles und Graves versuchen ebenso wie der allmählich von seiner tödlichen Krankheit gezeichnete, langsam erblindende Killer Christian herauszufinden, wie es zu dem Attentat auf den unbedeutenden Buchhalter gekommen ist. 
Doch die Aufklärung wird zur Nebensache, schließlich muss sich Christian mit seiner eigenen Sterblichkeit und Sayles mit dem nahenden Tod seiner Frau auseinandersetzen. Jimmie ist schließlich durch seine Alpträume mit Christian verbunden, sucht den Sinn des Lebens im Internet, wo er auf ein interessantes Blog stößt, in dem ein Autor namens Traveler mit seinen Beiträgen das Leben seiner Leser verändert hat. 
Sallis geht es nicht darum, eine klassische Whodunit-Geschichte zu erzählen. Er bringt auf einzigartige Weise die Schicksale einzelner Menschen zusammen, verzichtet auf chronologische Kohärenz, wechselt ständig zwischen den Figuren und ihren Gedanken, Erinnerungen, Träumen und Erlebnissen hin und her. Verlust und Tod und Angst verbindet sie alle miteinander, doch die Beziehungen zwischen ihnen sind fragil, lassen sich lange Zeit nur erahnen. 
Mit seinen gerade mal 250 Seiten ist „Der Killer stirbt“ zu kurz geraten, um sich auch nur mit einer der Figuren identifizieren zu können, die kaum miteinander ins Gespräch kommen, aber in den messerscharf formulierten Beobachtungen und Gedanken kommt die ganze Tragik des menschlichen Daseins zum Ausdruck. Das ist vielleicht weniger ein gelungener Kriminalroman als große, wenn auch sperrige Literatur. 

 

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