Jim Thompson – „Liebe ist kein Alibi“

Freitag, 18. Februar 2022

(Heyne, 128 S., Tb.) 
Tommy Carver ist ein guter Student, aber als adoptierter Sohn eines bettelarmen Farmers sieht er sich eines Tages sogar gezwungen, ein angebissenes Brot aus dem Papierkorb der Englischlehrerin Miss Trumbull zu fischen, für die er seit vier Jahren Korrekturen an der Highschool von Burdock County, Oklahoma, liest. Der an sich harmlose Vorfall bleibt allerdings nicht ohne Folgen. Der für seine langen Finger weitaus berüchtigter Hausmeister Abe Toolate beobachtet die Szene und berichtet dem Schulleiter Mr. Redbird davon, der den Jungen auf unbestimmte Zeit beurlaubt. Tommys Probleme werden größer, als sein Vater es mit einem Mann von der Öl-Gesellschaft zu tun bekommt, der ihm ein großzügiges Angebot unterbreitet, dass Mr. Carver allerdings nicht annehmen kann, denn die fünfzehn Morgen der Carvers nützen der Öl-Gesellschaft wenig, wenn sie nicht auch das fünftausend Morgen umfassende Umland für sich gewinnen können, das wie das von den Carvers bewirtschaftete Land Matthew Ontime gehört, der nicht das geringste Interesse daran hat, Versuchsbohrungen auf den Ackerflächen zuzulassen. 
Als Matthew Ontime, mit dessen Tochter Donna ein heimliches Liebesverhältnis hat, eines Morgens tot im Pferch seines eigenen Schweinestalls aufgefunden wird, gerät Tommy in Verdacht, da der Mann mit Tommys Messer ermordet wurde. Weder sein Pa noch die ebenfalls adoptierte Mary wollen Tommy ein Alibi geben, was Tommy wenig verwundert, schließlich unterhält sein Dad ein verbotenes Verhältnis mit Mary, die wiederum auch schon Tommy verführt hat. Mr. Redbird und Miss Trumbull besorgen Tommy einen Anwalt aus Oklahoma City, doch selbst der bissig auftretende Kossmeyer kann nicht verhindern, dass der Junge zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit verurteilt wird … 
„Sein Gedankenapparat arbeitete ganz anders als meiner. Ich könnte nie so denken wie er. Aber als ich jetzt den Ausdruck in seinen Augen sah, da wusste ich, dass alles, was er getan hatte, ebenso schwer für ihn gewesen war wie für mich. Schwerer vielleicht, weil er nämlich nicht um sein Leben, sondern um meines gekämpft hatte. Und ich wusste jetzt, dass er es nicht des Geldes wegen getan hatte.“ (S. 110) 
Mit seinem fünften, 1952 veröffentlichten und 1972 erstmals ins Deutsche übersetzten Roman „Cropper’s Cabin“ erzählt der mittlerweile kultig verehrte Jim Thompson weit mehr als nur eine einfache Kriminalgeschichte. Thompson, dessen Romane wie „Getaway“, „After Dark, My Sweet“, „Grifters“ und „Der Mörder in mir“ verfilmt wurden und der die Drehbücher zu den beiden Stanley-Kubrick-Filmen „Wege zum Ruhm“ und „Die Rechnung ging nicht auf“ schrieb, zeichnet in dem dünnen Büchlein das Bild einer Gesellschaft, die allein als Folge staatlicher Willkür tief zerrissen erscheint. So lässt Thompson seinen Ich-Erzähler erklären, dass die in Oklahoma häufig anzutreffenden Namen Toolate und Ontime darauf zurückzuführen sind, dass das Stammeseigentum der fünf zivilisierten Indianerstämme vor der Bildung des Staates Oklahoma verteilt werden musste. Jedes vor dem dann bestimmten Zeitpunkt geborene Kind bekam ein Anteil von dem Stammesbesitz, jedes danach geborene bekam nichts und war zu einem Leben als einfacher, armer Indianer verdammt. Während das Mordopfer Matthew Ontime von dieser Regelung profitierte und als Besitzer von fast achttausend Morgen einer der reichsten Männer im Staat gewesen wäre, wenn er sein Land für Ölbohrungen verpachtet hätte, muss Abe Toolate seinen Lebensunterhalt als Hausmeister in einer Highschool verdienen. 
Thompson gewährt darüber hinaus auch Einblicke in die Bewirtschaftung des Ackerlandes und die Schwierigkeiten der Pächter, mit den Erträgen ihrer harten Arbeit über die Runden zu kommen. Aber auch Tommys schwierige Beziehungen zur wohlhabenden Ontime-Tochter Donna und der ehemaligen Prostituierten Mary, die sein Vater adoptiert hatte, damit sie sich um Tommy kümmern konnte, spielen eine Rolle in einem Roman, der eine recht unspektakuläre Geschichte erzählt, aber durch die atmosphärische Dichte gefällt. „Liebe ist kein Alibi“ erschien dann 1988 bei Goldmann Verlag erstmals in vollständiger Übersetzung und wurde leider nicht wie die meisten anderen bei Heyne oder Ullstein veröffentlichten Thompson-Werke neu von Diogenes aufgelegt. 

 

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