Das unterirdische Höhlensystem mit dem Lake Charon ist die große touristische Aktion im Pleasant Valley und der einzige Grund, warum das darüber erbaute Hotel auf Übernachtungsgäste zählen kann. Die junge Darcy Raines führt hier regelmäßig Touristen durch die Höhle, die erst 1923 öffentlich zugänglich gemacht worden ist, als Ely Murdock Aufzüge bauen ließ und eine Mauer errichtete, die zur Bildung des Stausees führte. Doch die Mauer markiert auch die Tragödie, bei der Elys Frau Elizabeth im selben Jahr in eine Felsspalte fiel und nie geborgen werden konnte.
Allerdings hat die geschönte Legende nur wenig mit der Wahrheit zu tun, wie die Murdock-Erben sehr wohl wissen und was Darcys Truppe leider am eigenen Leib erfahren muss. Als nämlich nach einem Feuer im Hotel die Aufzüge ausfallen, sitzen die Höhlenbesucher fest, darunter auch der 15-jährige Kyle Murdock, der gerade erst von seinem Vater angelernt worden ist, wie man sich in dem speziell ausgestatteten Zimmer 115 mit ausgesuchten weiblichen Gäste amüsieren kann. Auch unter Tage versucht Kyle, die unangenehme Situation auszunutzen, und macht sich an die gleichaltrige Paula ran, deren Vater Hank zur Zeit des Unglücks am Hotelpool Paulas Mutter Chris kennenzulernen begann. Als Chris und Hank endlich einen Eingang in die Höhle gefunden haben, werden sie umgehend mit dem Grauen konfrontiert, dem auch ihre Kinder ausgesetzt sein müssen.
„Hank hatte schon zuvor Massaker gesehen. Er hatte schreckliche Leichenschändungen gesehen. Doch noch nie etwas, das mit solch perverser Kunstfertigkeit arrangiert worden war – das Werk eines verrückten Bildhauers. Und wir sind in seiner Galerie, dachte Hank. Der Schein der zischenden Laterne offenbarte über ein Dutzend Beispiele der Arbeit des Wahnsinnigen.“ (S. 243f.)Unterirdische Höhlen sind immer wieder ein beliebtes Sujet im Horror-Genre, man denke nur an die eindrucksvollen „The Descent“-Filme. Richard Laymon hat gleich mehrere Horror-Komponenten in seinem 1988 veröffentlichten Roman „Midnight’s Lair“ vereint, der nun erstmals in deutscher Sprache erschienen ist. Neben der an sich schon beängstigenden Dunkelheit einer Höhle ohne offensichtliche Zugänge kommen grässliche Verbrechen aus der Vergangenheit, eine soziopathische Hotelbesitzerfamilie und gruppendynamische Rangeleien hinzu, die dem Geschehen immer neue Wendungen und spannenden Grusel verleihen. Bei Richard Laymon darf man sich auch gewiss sein, dass neben der für das Genre üblichen Blut-und-Gewalt-Mixtur auch eine Menge Sex im Spiel ist, allerdings von einem Mann für Männer inszeniert, die hier ihre voyeuristischen Gewaltphantasien widergespiegelt bekommen. Davon abgesehen bietet „Die Familie“ wie immer Laymon-typische kurzweilige Horror-Spannung mit lebendig beschriebenen Figuren in einem außergewöhnlichen Setting.
Leseprobe: Richard Laymon – “Die Familie”