Jonathan Lee – „Der große Fehler“

Montag, 28. März 2022

(Diogenes, 368 S., HC) 
Andrew Haswell Green (1820 – 1903) hat wesentlich dazu beigetragen, New York City zu der Metropole zu machen, wie man sie heute kennt. Als Stadtplaner hat der Sohn eines mittellosen Farmers dafür gesorgt, mit dem Central Park einen Erholungsraum für alle Bürger der Stadt zu schaffen, außerdem war er verantwortlich für die öffentliche Bibliothek, den Zoo in der Bronx sowie das American Museum of Natural History und das Metropolitan Museum of Art. Am 13. November 1903 fand sein Leben ein gewaltsames Ende, als ein Schwarzer namens Cornelius Williams ihn vor seiner Haustür erschoss. Jonathan Lee zeichnet in seinem Roman „Der große Fehler“ nicht nur das Leben und Wirken des prominenten „Father of Greater New York“ nach, sondern thematisiert vor allem auch die innige Beziehung zu seinem Freund Samuel Tilden und die Ermittlungen der Polizei. 
Als Andrew Haswell Green am Freitag, 13. November 1903 vor seinem Haus in der Park Avenue erschossen wird, üben sich die großen Tageszeitungen – die New York Times, der Herald, die Tribune und die Sun – in wilden Spekulationen über die Tat. Da ein Motiv noch nicht erkannt werden konnte, thematisieren sie die Berühmtheit des Opfers oder die fünf auf ihn abgegebenen Schüsse. Zurück auf Anfang. Andrew Haswell Green wird als siebtes von insgesamt elf Kindern einer einst angesehenen Familie geboren, die sich während seiner Jugend verschuldet. 
Der Junge hilft auf der Farm und erklärt seinem Vater, wie er das Land besser aufteilen könnte. Später schickt ihn sein Vater nach New York, um eine Lehre in dem Handelsgeschäft von Mr. Hinsdale anzufangen. Später geht er für ein Jahr nach Trinidad, um auf einer Plantage zu arbeiten, nach seiner Rückkehr schlägt er eine Laufbahn als Anwalt ein. Er setzt sich für ein faireres, geordnetes öffentliches Schulsystem ein, plant Parks, Brücken und Museen, kämpft als oberster New Yorker Rechnungsprüfer gegen die Korruption und gründet nach dem Tod seines Freundes Samuel Tilden im Jahr 1886 die erste öffentliche Bibliothek. 
Als Inspektor McClusky die Ermittlungen zur Greens Ermordung aufnimmt, führt ihn eine Spur zur wohlhabenden schwarzen Prostituieren Bessie Davis, die einige der prominentesten New Yorker Bürger zu ihren Kunden zählt. So allmählich entwickelt McClusky eine Theorie über den Mord an Mr. Green, der letztlich als zutiefst einsamer Mann verstarb. 
„Es war so leicht, im Leben nichts zu erreichen, wenn man sich immer allen Launen hingab – der Laune des Augenblicks, des Tages, der Jahreszeit, des Jahres. Launen hatten Folgen. Sie kosteten. Es war zu spät, sich Dingen zu ergeben, die er nicht kontrollieren konnte. Er würde sich nicht im Schmutz der Vergangenheit wälzen, würde nicht betrunken in Zimmer hinaufsteigen, die für die Vergnügungen anderer Leute gedacht waren, würde keinen zufälligen Kuss am Fenster riskieren, einen Kuss, der alles zerstören und eine große Flucht erforderlich machen würde.“ (S. 285) 
Der 1981 im englischen Surrey geborene, in New York lebende Drehbuchautor und Schriftsteller Jonathan Lee legt mit „Der große Fehler“ das Portrait eines außergewöhnlichen Selfmade-Mannes vor, der New York zu einer lebenswerteren Stadt für alle Bürger machen wollte. Zwar beginnt der Roman mit der Berichterstattung über den Mord und den Beginn der Ermittlungen durch Inspektor McClusky, doch bilden seine Verhöre und Gedankenspiele nur den Rahmen für eine vielschichtige Biografie. Dabei nimmt vor allem die homoerotisch geprägte Freundschaft zu Samuel Tilden eine Schlüsselstellung ein. Lee springt zwischen den Zeiten und Schauplätzen der Handlung hin und her, benennt die Kapitel nach den Toren des von ihm geplanten Central Parks und wechselt auch die Perspektiven von seinem Protagonisten zu den Leuten, die in Greens Leben und danach eine besondere Rolle gespielt haben, wobei Bessie Davis eine besonders interessante Rolle einnimmt. 
Lee erweist sich als sprachgewandter Autor, der sich an weitschweifigen Beschreibungen und Gedankengänge seiner Figuren berauscht, dabei aber ein schillerndes Gesellschaftsbild New Yorks zur Jahrhundertwende präsentiert, das – trotz kleinerer Längen - einfach fesselt.  

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