(Diogenes, 154 S., TB.)
Mit Romanen wie „Amour fou“, „Monogam“ und „Mit Haut und Haaren“ hat der niederländische Schriftsteller und Blogger Arnon Grünberg vornehmlich sexuelle Gelüste, wie auch immer geartete Beziehungen thematisiert und damit teilweise messerscharfe Sittenbilder gezeichnet, die die oft kurios anmutenden Kontaktsuchen in der modernen Mittelschicht ebenso amüsant wie scharfsinnig reflektierten. Insofern bietet auch der bereits 2006 erschienene, nun wiederveröffentlichte Kurzroman „Gnadenfrist“ wenig Neues, gibt sich aber nicht mit Nebenschauplätzen ab, sondern zeigt fokussiert auf, wie ein Diplomat durch eine unglückselige, zerstörerische Liebesbeziehung all das zerstört, was er sich sein Leben lang aufgebaut hat.
Eigentlich hat Jean Baptist Warnke alles, wovon ein Mann nur träumen kann: Eine kluge wie schöne Frau, in die er auch nach acht Jahren noch verliebt ist, zwei kleine Töchter im Alter von anderthalb und vier Jahren sowie einen einträglichen und aussichtsreichen Job als zweiter Mann der niederländischen Botschaft im peruanischen Lima. Dabei hat er nichts weiter zu tun, als repräsentative Aufgaben bei Botschaftsessen wahrzunehmen oder niederländischen Gefangenen Mut zuzusprechen.
Zu den Höhepunkten seiner eintönigen Arbeitstage zählt der tägliche Besuch im Café El Corner, wo er zu seinem Kaffee stets die recht aktuelle Newsweek durchblättert. Dort lernt er die junge Soziologie-Studentin Malena kennen, die ihn zu einer Gesangsaufführung einlädt. Warnke sieht die Einladung als willkommene Gelegenheit, sich mit der einheimischen Bevölkerung zu befassen, und geht hin. Nach der Aufführung ist Warnke mit Malena allein.
„Die herrliche Hand des Mädchens liegt in seinem Schritt. Dort gehört sie nicht hin, das weiß er, doch er will sie nicht wegschieben. Das hier ist eine andere Kultur, da muss man Brücken bauen, gerade als Diplomat. Eine Hand im Schritt bedeutet in diesem Milieu etwas anderes als in Den Haag oder Voorschoten. Warnke will niemanden vor dem Kopf stoßen, darum lässt er die Hand liegen. Und er findet es herrlich, wie weich, wie warm, wie klein diese Hand ist.“ (S. 57)
Es ist der Beginn einer leidenschaftlichen sexuellen Beziehung, die jedoch von einem schrecklichen Ereignis überschattet wird. In der japanischen Botschaft kommt es zu einer schrecklichen Geiselnahme. Eigentlich sollten Warnke und sein Botschafter ebenfalls zu dem dortigen Empfang gehen, doch Malena riet ihm eindringlich davon ab. Nach dem Vorfall ist Malena spurlos verschwunden, und nicht nur in Den Haag fragt man sich, warum die Niederländer nicht zu dem Empfang gegangen sind, was Warnke zunehmend in Erklärungsnöte bringt…
„Er tue nichts“, antwortet der Diplomat Jean Baptist Warnke auf die Frage des Mädchens, was er beruflich mache. Die Langeweile und Wirkungslosigkeit seines Jobs sind vielleicht ein Grund dafür, warum der Protagonist in Grünbergs kurzer Erzählung so offen für die Affäre mit der schönen einheimischen Studentin ist. Jedenfalls beschreibt Grünberg genüsslich, wie der eigentlich mit allen Wassern gewaschene Diplomat und Familienvater durch den liebestollen Rausch, den er mit Malena erfährt, sein Leben völlig aus den Fugen geraten lässt.
Dabei geht der Autor nicht besonders subtil vor, sondern beschreibt den tiefen moralischen Fall seines unglückseligen Antihelden mit lakonischer Präzision. Vor allem der Gegensatz zwischen der unterkühlt wirkenden, sachlich und politisch geprägten diplomatischen „Arbeit“ und der destruktiven Liebesbeziehung macht „Gnadenfrist“ zu einem kurzweiligen, bitter-melancholischen, wenn auch allzu vorhersehbaren Lesevergnügen.
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