Tammy Armstrong – „Pearly Everlasting“

Montag, 7. April 2025

(Diogenes, 368 S., HC)
An der University of British Columbia hat die Kanadierin Tammy Armstrong in Literatur und Critical Animal Studies promoviert und so die idealen Voraussetzungen geschaffen, um mit ihrem Roman „Pearly Everlasting“ eine einfühlsame Geschichte über die innige Verbundenheit eines jungen Mädchens und eines Bären in einer unwirtlichen Umgebung zu erzählen.
Im Januar 1918 wird der Bär Bruno im Bau unter einer Tanne geboren, irgendwann im Februar auch ein Mädchen, das nach der weißblühenden Silberimmortelle Pearly Everlasting getauft wird. In diesem „falschen Frühling 1918“ stillt Pearlys Mutter Eula das Kind und den Bären an ihren Brüsten, so dass Pearly von Beginn an Bruno als ihren Bruder betrachtet. Doch das Leben in dem Holzfällercamp 33, in dem Pearlys Vater Edon als Koch arbeitet, ist alles andere als unbeschwert, vor allem mit der Ankunft des neuen Campleiters Heeley O. Swicker, dem die Bosheit schon im Gesicht geschrieben steht und der die Männer drangsaliert, wo er nur kann. Als Pearly eines Tages Swicker leblos mit blutigen Wunden auffindet, dauert es nicht lange, bis Bruno für den Mord an dem Mann verantwortlich gemacht und verschleppt wird. Pearly, mittlerweile fünfzehn Jahre alt, erträgt es nicht, ihren Bruder nicht bei sich zu haben, und macht sich auf die Suche, begibt sich in der rauen Wildnis und unter ihr nicht immer freundlich gesinnten Menschen immer wieder in Gefahr. Als sie ihn endlich findet, hängt Brunos Leben am seidenen Faden. In Bracken findet sie in Amaël einen Tierarzt, der sich rührend um den verletzten Bären kümmert, während Pearly Arbeit in der Pension von Mrs. Prue findet und hofft, dass sie mit Bruno bald wieder nach Hause zurückkehren kann…

„Ich lauschte, wie sich in Bruno Saiten dehnten und kreuzten. Seine Pfade klangen und führten uns in die Wälder und zu den Gerüchen zurück: eine Andeutung von Mäusen in der Ecke eines Schuppens, die gähnen und sich dann im feuchten Stroh umdrehen. Handöl auf einem Türknauf. Tote Asseln, die in Dielenritzen stecken. Wirbelnde, aufsteigende Nachtluft. Essig, der in Gurkenhaut eindringt. Menthol auf Zungenbiss. Ich bin in dir, sagte ich zu Brunos schlafender Gestalt. Sein Gesichtsausdruck jetzt immer derselbe, wenn Bären denn Lebewohl sagen könnten.“ (S. 315)

Wie die Autorin in ihrer Danksagung am Ende ihres Buches erwähnt, hat der Naturfotograf William Lyman Underwood im Winter 1903 tief in den Wäldern von Maine eine Frau fotografiert, die ihre neugeborene Tochter zusammen mit einem verwaisten Bärenjungen stillte. Dieses Foto und ein dazugehöriger Auszug aus Underwoods Memoiren inspirierte Tammy Armstrong zu ihrem rein fiktiven Roman, den sie in New Brunswick angesiedelt ist und eine berührende Geschichte über die innige Verbundenheit erzählt, die ein junges Mädchen seit seiner Geburt mit dem gleichaltrigen Bärenjungen Bruno empfindet. Armstrong versteht es hervorragend, die von harter Arbeit, vielen Entbehrungen und frostigen Temperaturen geprägte Lebensweise der Holzfäller, Flößer und Waldarbeiter während der Großen Depression in bildgewaltiger Sprache zu beschreiben und über die Perspektive der Ich-Erzählerin Pearly Everlasting hinaus nicht nur ein Gespür für die Figuren zu entwickeln, die eine mehr oder weniger wichtige Rolle im Leben des Mädchens und ihres Bruders spielen, sondern auch die mythische Welt, in der die Menschen dort lebten, vor Augen zu führen. 
Die Geschichte der Verbundenheit, Trennung, Suche, Wiedervereinigung und Heimkehr verläuft zwar in vorsehbaren Bahnen und verliert so ab der Hälfte an Spannung, aber dafür wird deutlich, wie die junge Pearly aus Liebe zu ihrem Bären die größten Anstrengungen unternimmt, um wieder mit ihm vereint zu sein, und durch die gefährliche Reise und teilweise gewalttätigen Begegnungen mit skrupellosen, bösartigen und verhärmten Menschen viel zu früh erwachsen wird. „Pearly Everlasting“ stellt eine interessante Mischung aus Coming-of-Age-, Liebes- und historischem Roman dar, überzeugt als Charakter- und Gesellschaftsstudie und vor allem als sprachlich fesselndes Werk - wenn man sich denn für das Thema erwärmen kann.

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