(Diogenes, 368 S., HC)
An der University of British Columbia hat die Kanadierin
Tammy Armstrong in Literatur und Critical Animal Studies promoviert und
so die idealen Voraussetzungen geschaffen, um mit ihrem Roman „Pearly
Everlasting“ eine einfühlsame Geschichte über die innige Verbundenheit
eines jungen Mädchens und eines Bären in einer unwirtlichen Umgebung zu
erzählen.
Im Januar 1918 wird der Bär Bruno im Bau unter einer Tanne
geboren, irgendwann im Februar auch ein Mädchen, das nach der weißblühenden
Silberimmortelle Pearly Everlasting getauft wird. In diesem „falschen Frühling
1918“ stillt Pearlys Mutter Eula das Kind und den Bären an ihren Brüsten, so
dass Pearly von Beginn an Bruno als ihren Bruder betrachtet. Doch das Leben in
dem Holzfällercamp 33, in dem Pearlys Vater Edon als Koch arbeitet, ist alles
andere als unbeschwert, vor allem mit der Ankunft des neuen Campleiters Heeley
O. Swicker, dem die Bosheit schon im Gesicht geschrieben steht und der die
Männer drangsaliert, wo er nur kann. Als Pearly eines Tages Swicker leblos mit
blutigen Wunden auffindet, dauert es nicht lange, bis Bruno für den Mord an dem
Mann verantwortlich gemacht und verschleppt wird. Pearly, mittlerweile fünfzehn
Jahre alt, erträgt es nicht, ihren Bruder nicht bei sich zu haben, und macht
sich auf die Suche, begibt sich in der rauen Wildnis und unter ihr nicht immer
freundlich gesinnten Menschen immer wieder in Gefahr. Als sie ihn endlich
findet, hängt Brunos Leben am seidenen Faden. In Bracken findet sie in Amaël
einen Tierarzt, der sich rührend um den verletzten Bären kümmert, während Pearly
Arbeit in der Pension von Mrs. Prue findet und hofft, dass sie mit Bruno bald
wieder nach Hause zurückkehren kann…
„Ich lauschte, wie sich in Bruno Saiten dehnten und kreuzten. Seine Pfade klangen und führten uns in die Wälder und zu den Gerüchen zurück: eine Andeutung von Mäusen in der Ecke eines Schuppens, die gähnen und sich dann im feuchten Stroh umdrehen. Handöl auf einem Türknauf. Tote Asseln, die in Dielenritzen stecken. Wirbelnde, aufsteigende Nachtluft. Essig, der in Gurkenhaut eindringt. Menthol auf Zungenbiss. Ich bin in dir, sagte ich zu Brunos schlafender Gestalt. Sein Gesichtsausdruck jetzt immer derselbe, wenn Bären denn Lebewohl sagen könnten.“ (S. 315)
Wie die Autorin in ihrer Danksagung am Ende ihres Buches
erwähnt, hat der Naturfotograf William Lyman Underwood im Winter 1903 tief
in den Wäldern von Maine eine Frau fotografiert, die ihre neugeborene Tochter
zusammen mit einem verwaisten Bärenjungen stillte. Dieses Foto und ein
dazugehöriger Auszug aus Underwoods Memoiren inspirierte Tammy Armstrong
zu ihrem rein fiktiven Roman, den sie in New Brunswick angesiedelt ist und eine
berührende Geschichte über die innige Verbundenheit erzählt, die ein junges
Mädchen seit seiner Geburt mit dem gleichaltrigen Bärenjungen Bruno empfindet. Armstrong
versteht es hervorragend, die von harter Arbeit, vielen Entbehrungen und frostigen
Temperaturen geprägte Lebensweise der Holzfäller, Flößer und Waldarbeiter
während der Großen Depression in bildgewaltiger Sprache zu beschreiben und über
die Perspektive der Ich-Erzählerin Pearly Everlasting hinaus nicht nur ein Gespür
für die Figuren zu entwickeln, die eine mehr oder weniger wichtige Rolle im
Leben des Mädchens und ihres Bruders spielen, sondern auch die mythische Welt,
in der die Menschen dort lebten, vor Augen zu führen.
Die Geschichte der
Verbundenheit, Trennung, Suche, Wiedervereinigung und Heimkehr verläuft zwar in
vorsehbaren Bahnen und verliert so ab der Hälfte an Spannung, aber dafür wird
deutlich, wie die junge Pearly aus Liebe zu ihrem Bären die größten Anstrengungen
unternimmt, um wieder mit ihm vereint zu sein, und durch die gefährliche Reise
und teilweise gewalttätigen Begegnungen mit skrupellosen, bösartigen und
verhärmten Menschen viel zu früh erwachsen wird. „Pearly Everlasting“ stellt
eine interessante Mischung aus Coming-of-Age-, Liebes- und historischem Roman dar,
überzeugt als Charakter- und Gesellschaftsstudie und vor allem als sprachlich fesselndes
Werk - wenn man sich denn für das Thema erwärmen kann.
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