Val McDermid - „Echo einer Winternacht“

Freitag, 3. April 2009

(Droemer, 557 S., HC)
Sie nennen sich selbst die Laddies fi’ Kirkcaldy und sind seit ihrer Jugend die besten Freunde: Alex „Gilly“ Gilby, Sigmund „Ziggy“ Malkiewicz, Davey „Mondo“ Kerr und Tom „Weird“ Mackie. Als die vier Studenten am 16. Dezember 1978 nach einer Party im schottischen Universitätsstädtchen St. Andrews aber auf einem alten keltischen Friedhof über die neunzehnjährige Kneipenbedienung Rosie Duff stolpern, die schwer verletzt im Schnee liegt, kann selbst Medizinstudent Ziggy ihr nicht mehr helfen. Da andere Tatverdächtige nicht auszumachen sind und sich jeder der vier von der Party hätte stehlen können, um das Mädchen zu vergewaltigen und zu erstechen, werden aus den Zeugen schnell mutmaßliche Täter. Da ihre Schuld aber nicht bewiesen werden kann, bleiben sie abgesehen von ein paar üblen Drohungen, bösen Scherzen und Prügeleien ungeschoren…
25 Jahre später werden ungelöste Mordfälle wieder aufgerollt, die man mittels neuer Verfahren wie DNA-Analyse nun doch noch aufzuklären hofft. Doch während die Beweise im Fall Rosie Duff bei einem Umzug abhanden gekommen zu sein scheinen, nimmt offensichtlich jemand anderer die Gerechtigkeit in seine Hand: Ziggy verbrennt in seinem Haus, Davey wird nach einem Einbruch erstochen. Vor allem Alex glaubt nicht an Zufall und macht sich auf die Suche nach dem Rachetäter. Dabei sind nicht nur Rosies Brüder Colin und Brian verdächtig, sondern auch der plötzlich auftauchende Programmierer Macfadyen, der behauptet, Rosies Sohn zu sein…
Extrem spannende Tätersuche, aber auch einfühlsames Portrait einer anfangs eingeschworenen Jungen-Clique, die unter dem öffentlichen Druck allmählich auseinander fällt.

Jonathan Ames - „Henry und Louis“

(Europa, 448 S., HC)
Bereits mit seiner Geschichtensammlung „Flüchtig wie die Nacht“ hat sich der junge Kolumnist der „New York Press“, Jonathan Ames, als talentierter Erzähler mit viel Witz, melancholischer Gelassenheit und einer unbekümmerten Sexualität erwiesen. Sein Roman „Henry und Louis“ erzählt die aberwitzige Geschichte einer ganz außergewöhnlichen Männerfreundschaft.
Louis Ives, ein romantischer, stets elegant wie ein junger Gentleman gekleideter Englischlehrer aus New Jersey, verliert seinen Job, als er mit dem Büstenhalter einer Kollegin im Lehrerzimmer erwischt wird. Ein Foto auf einem Buchumschlag von Henry James bringt ihn auf die Idee, nach New York zu ziehen. Er findet Unterschlupf bei dem komischen Kauz Henry Harrison, einem ehemaligen Schauspieler und wenig beachteten Dramatiker, dessen Lebenssinn darin besteht, sich unbemerkt in Opern und Musicals zu schmuggeln und kostenlose Mahlzeiten bei älteren Frauen aus guter Gesellschaft abzustauben. Während Louis seine Leidenschaft für Frauenwäsche durch Verabredungen mit Transsexuellen auslebt, versucht er verzweifelt, auch Henrys sexuellem Leben auf die Spur zu kommen. Obwohl die beiden Männer auch ständig über Kleinigkeiten aneinander geraten, wird immer wieder deutlich, wie sehr sie einander brauchen. Jonathan Ames beschreibt die Freundschaft zweier völlig unterschiedlicher Männer mit einem erfrischenden Humor und frech-frivolen Episoden kurioser sexueller Abenteuer.

Peter Ackroyd - „William Blake. Dichter, Maler, Visionär“

(Knaus, 475 S., HC)
Der Untertitel der Biografie über William Blake (1757-1827) deutet bereits an, über welche vielschichtigen Qualitäten das wahnsinnige Genie William Blake verfügt hat. In seinem umfangreichen Werk beleuchtet der Autor vor dem Hintergrund einer aufregenden Epoche, die vom Vorabend der Französischen Revolution bis zur Restauration währte, das Leben und Werk eines Künstlers, der auf der einen Seite die sozialen Missstände in seiner Gesellschaft beklagte, auf der anderen Seite Gedichte über die freie Liebe schrieb.
Er idealisierte Englands Vergangenheit und verschmolz biblische und keltische Mythen zu einer eigenen Kosmologie, verkehrte als religiöser Mystiker mit den Himmelsboten und brach in seinen Kupferstichen mit erotischen Tabus, während der 45 Jahre lang treu an der Seite seiner Frau Catherine lebte. Er erfand für sich neue Drucktechniken und fertigte ca. 580 Kupferstiche als Auftragsarbeiten an. Vor allem ist uns William Blake aber als der letzte religiöse Dichter Englands in Erinnerung geblieben. Ackroyd macht all die oft gegensätzlichen Facetten von Blakes Genius transparent und hat sein Werk mit vielen wunderbaren s/w- und Farb-Abbildungen bereichert.

Axel Schmidt/Klaus Neumann-Braun - „Die Welt der Gothics – Spielräume düster konnotativer Transzendenz“

Donnerstag, 2. April 2009

(Verlag für Sozialwissenschaften, 336 S., Pb.)
Bereits der Untertitel macht deutlich, dass es sich bei vorliegendem Buch um eine streng wissenschaftliche Abhandlung über das kulturell immer signifikanter werdende Phänomen der schwarzen Szene handelt, die in den letzten Jahren aus einem subkulturellen Randphänomen zu einem elementaren Bestandteil der Popkultur gewachsen ist. Da als Ausgangspunkt der wissenschaftliche Studie das „Phänomen des jugendzentrischen Satanismus“ gewählt wurde, muss man zunächst Schlimmes befürchten, aber die Autoren haben sich tatsächlich die Mühe gemacht, Interviews mit den Gothics zu führen, Clubs wie das KUZ in Mainz, das „Rind“ in Rüsselsheim und das „Nachtleben“ in Frankfurt mit ihren szenespezifischen Veranstaltungen ebenso zu besuchen wie das WGT und das M’era Luna in den Jahren 2000 und 2001.
Es wird die Geschichte, die Wertvorstellungen, das Lebensgefühl und die ästhetischen Praxen der schwarzen Szene beschrieben, um sich abschließend mit dem Religionsbegriff innerhalb der Gothics zu befassen. Schon früh stellen die Autoren dabei fest, dass eine scharfe Trennung zwischen Gothic-Szene und satanistischen Kreisen besteht. Fazit: „Gothic lässt sich zusammengefasst begreifen als ein flexibler und nicht verpflichtender, synkretistisch-patchwork-artiger, stilistisch-ästhetischer überformter, damit auf die individuelle Kreativität und Originalität setzender, stark individualisierter/privatisierter und moderat gegenkultureller resp. `spielerisch-häretischer´ Rekurs auf traditionelle Glaubens- und Ideologiesysteme mit dem Ziel, sich auf der Basis dieser Glaubens- und Religions-Bricolage von der `Normalgesellschaft´ in kontrollierbaren Grenzen abzuheben“ (S. 321). Doch von solchen wissenschaftlichen Analysen sollte man sich nicht zu sehr abschrecken lassen. Die Studie erweist sich nämlich als überaus fundiert und gewährt faszinierende Einblicke in die schwarze Szene.

Klaus Farin & Kirsten Wallraff - „Die Gothics“

(Tilsner, 216 S., Pb.)
Vor zwei Jahren hat der Gründer und Leiter des Berliner Archivs der Jugendkulturen e.V., Klaus Farin, mit „Die Gothics“ bereits einen informativen Führer durch die Schwarze Szene veröffentlicht, der sich nicht nur durch eine differenzierte, wenn auch nur einführende Auseinandersetzung mit szenerelevanten Themen wie Ursprung und Entwicklung der Schwarzen Szene, literarischen Vorlieben, Sex, Satan, Tod und Faschismus auszeichnete, sondern vor allem die Anhänger der Szene selbst zu Wort kommen ließ und ablichtete. Damit wurde erstmals ein authentisches Bild der Grufti-Szene gezeichnet, die in den Medien sonst immer schlagzeilenadäquat in ein diffuses Licht von Grabschändungen, Schwarzen Messen und Vampir-Erotik gestellt worden ist.
Für die Neuauflage wurde das ursprünglich 128 Seiten umfassende Buch um den gut 90 Seiten langen Beitrag „Weiß wie Schnee, rot wie Blut und schwarz wie Ebenholz“ von Kirsten Wallraff erweitert, die sich 1994 in ihrer Sozialpädagogik-Diplomarbeit mit der Schwarzen Szene auseinandersetzte, aber auch selbst seit über fünfzehn Jahren in sie involviert ist. Sie macht von vornherein deutlich, dass es nicht möglich ist, ein umfassendes Bild der Schwarzen Szene zu kreieren, da es gerade hier um das Ausleben von zwar gemeinsamen, aber vor allem stark individuellen Vorlieben und Gefühlen geht. Die Gemeinsamkeiten zeigen sich rein äußerlich vor allem im Outfit und musikalischen Präferenzen, und so nimmt die Auseinandersetzung mit der Mode samt Hairstyling und Körperschmuck sowie den Farben Schwarz und Weiß fast die Hälfte des Beitrags ein, während die Beschäftigung mit der Musik, Literatur und religiös-philosophischen Themen eher oberflächlich bleibt und gerade bei den musikalischen Zuordnungen böse Patzer passiert sind (so werden Skinny Puppy in die Gothic-, Delerium und Kirlian Camera in die Industrial- und Omala in die Ritual-Ecke gesteckt). Interessant ist allerdings die abschließende Beurteilung bezüglich der Einbindung der Szene in den soziokulturellen Kontext, bei dem deutlich wird, wie schwierig gerade in einer so gefühlsbetonten Szene die Gratwanderung zwischen gesellschaftlichen Zwängen und individuellen Bedürfnissen ist, was in der Regel dazu führt, die rein äußerlichen Merkmale im „Alter“ abzulegen und sich allenfalls noch mit szenerelevanten Inhalten auseinanderzusetzen.

Klaus N. Frick - „Zwei Whisky mit Neumann“

(Tilsner, 92 Seiten, Softcover)
Seit 1986 bringt der Punk Klaus N. Frick sein Egozine „ENPUNKT“ heraus, das mit teils ironischen Untertiteln wie „Fanzine für Science Fiction, Punk und Dosenbier“, „Zeitschrift für angewandtes Spießertum“, „Das Fanzine für Spät-Pubertierende“ oder „Die Zeitschrift für die spießige Frau von heute“ überwiegend Erlebnisberichte des Herausgebers und alleinigen Autors veröffentlicht und weniger Reflexionen von kulturellen Ereignissen in der Szene. „Beim ENPUNKT ging es nie um scharfsinnige Analysen oder seriöse Berichterstattung - das ist auch nicht Sinn eines Egozines“, schreibt Frick im Vorwort der Anthologie seiner Kurzgeschichten.
„Sinn eines Egozines ist die Kommunikation einerseits und die Förderung des Egos des Herausgebers andererseits.“ Die zwanzig Geschichten aus 34 bis 2000 erschienenen „ENPUNKT“-Ausgaben sind - bis auf eine Ausnahme - reine Erlebnisberichte und besitzen alle „streng subjektiven Charakter“. Nach einem sechsseitigen Fotoalbum und einem Vorwort, in dem der Autor den Unterschied zwischen Fanzine und Egozine erläutert, folgt schließlich die lose Aneinanderreihung verschiedener Erlebnisse, die im Prinzip so trivial wie unspannend sind. Interessent ist allein der authentische Charakter, den eigentlich alle Publikationen des in Berlin ansässigen „Archiv der Jugendkulturen“ besitzen. Aus erster Hand bekommt der Leser einen Einblick in das Denken und Fühlen und die Überzeugungen eines Punks, doch wird man zumindest bei Frick über eine oberflächliche Betrachtung nicht hinauskommen. So erfährt man in der Geschichte „Nazis aufm Flohmarkt“, dass sich der Autor gern mal Naziplatten in seinen „Giftschrank“ stellt, um die Leute zu irritieren, als es dann zur Begegnung mit einem Neonazi kommt, geht Frick eben nach Hause, weil es ihm reicht. Andere Geschichten handeln vom Saufen und dem Morgen danach, als man sich nicht mehr daran erinnert, was man mit dem Mädchen, das morgens neben einem aufwacht, zu tun hat.

Gilbert Furian & Nikolaus Becker - “Auch im Osten trägt man Westen”

(Tilsner, 122 S., Pb.)
In Sachen Jugendkulturen leistet das Berliner Archiv der Jugendkulturen beispielhafte Arbeit nicht nur hinsichtlich der Sammlung von Materialien, sondern auch im Bereich eigener Veröffentlichungen zu verschiedenen Aspekten jugendlicher Protestbewegungen. Im Gegensatz zu vielen Publikationen der sogenannten seriösen Presse, in denen Außenstehende Phänomene zu beschreiben und zu analysieren versuchen, die sie weder verstehen wollen, noch ausreichend kennen, liegt der Hauptaugenmerk der in Zusammenarbeit mit dem Archiv der Jugendkulturen veröffentlichten Bücher eindeutig auf der direkten Einbezugnahme der jeweiligen Jugendgruppierungen.

Auch in dem aktuellen Werk, das sich mit Punks in der DDR befasst, stehen ausführliche und vor allem auch aussagekräftige Interviews mit und Fotos von ehemaligen DDR-Punks im Mittelpunkt, so dass der Leser ein faszinierend authentisches Bild der Punk-Szene im ehemaligen Ostdeutschland erhält. Die Gründe, warum man in der DDR Punk geworden ist, welche Vorstellungen man damit verbunden hat und was letztlich aus den Punks von damals heute geworden ist, stellen sich dabei ebenso vielseitig dar wie das individualistische Outfit der einzelnen Punks. Einen besonderen Aspekt, der im vorliegenden Werk auch entsprechend gewürdigt wird, stellt allerdings die Konfrontation zwischen Punks und DDR-Staatsorganen dar. Mit Abbildungen von Dokumenten, die die staatlichen Ermittlungen, Kontrollen und Strafverfolgungen demonstrieren, wird deutlich aufgezeigt, wie man in der DDR mit Hetzern “gegen die bestehende gesellschaftlichen Verhältnisse” umgegangen ist, aber das Buch zeigt auch, wie die Punks ihren Willen zur Selbstentfaltung bis heute gestärkt haben und in der Lage sind, “mit kraftvoller Phantasie ihre Lebensentwürfe zu zeichnen und zu leben” (Furian).

Archiv der Jugendkulturen e.V. (Hrsg.) - „50 Jahre BRAVO“

(Archiv der Jugendkulturen e.V., 264 S., Pb.)
Als am 26. August 1956 die erste BRAVO mit einer Startauflage von 30.000 Exemplaren erschien, konnte man für 50 Pfennig eine „Zeitschrift für Film und Fernsehen“ erwerben, deren Titelbild Marilyn Monroe und Richard Widmark zierten und die den farbigen Roman „Gepeinigt bis aufs Blut!“ enthielt. Seitdem hat die BRAVO wie kaum eine andere Zeitschrift jugendkulturelle Trends dokumentiert und bedient, bis sie Ende der 70er und Anfang/Mitte der 90er auf eine stolze Auflage von 1,4 Millionen verkaufter Exemplare Woche für Woche kommt.
Der Schwerpunkt der vorliegenden Dokumentation liegt bei den Aspekten „BRAVO als Spiegelbild des Zeitgeistes“, „Kommerzialisierung von Jugend(kulturen)“ und „Sexualität“. Dr. Martin Goldstein alias „Dr. Jochen Sommer“ schreibt hier erstmals über seine 15-jährigen Erfahrungen als Deutschlands bedeutendster Sexualaufklärer. Weitere Schwerpunkte liegen in der BRAVO-Berichterstattung über Punk, Techno und Drogen. Das ist alles sehr fundiert recherchiert und analysiert, mit vielen BRAVO-Scans illustriert und schließlich durch einen ausführlichen Anhang mit etlichen Charts abgerundet. Insofern stellt dieses großformatige Buch auch eine wunderbare Zeitreise durch die bundesdeutsche Jugendkultur(en) dar.

Irmela Schneider/Christian W. Thomsen (Hrsg.) - “Hybridkultur. Medien - Netze - Künste”

Mittwoch, 1. April 2009

(Wienand, 368 S., Paperback)
Was Kraftwerk seit den 70er Jahren mit ihrem Mensch-Maschine-Konzept thematisiert haben, ist mittlerweile zu einer weit verbreiteten kulturellen Phänomen geworden, das kaum noch mit dem Instrumentarium moderner und postmoderner Theorien erklärt werden kann. Die vorliegende Aufsatzsammlung versucht, die gewaltigen sozialen und kulturellen Veränderungen unserer Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Hybridkultur, also der Vermischung und Durchdringung von bislang getrennten sozio-kulturellen Aspekten und dem damit einhergehenden Wertewandel, zu erklären, wobei die fünfzehn Autoren zwar aus ihren jeweiligen Disziplinen der Philosophie, Soziologie, Medien- und Kulturwissenschaft, Kunst-, Musik- und Literaturgeschichte heraus die Positionen ihrer Forschungsgebiete markieren, aber dabei die Notwendigkeit eines fruchtbaren Dialogs zwischen den Wissenschaften erkennen.
Nur der grenzüberschreitende Blick auf die Erscheinungen, wie sie in der Transkulturalität, der virtuellen Realität, dem Infotainment und der allseitigen Multimedialität zum Ausdruck kommen, so die These des Buches, lasst ein erhellendes Licht auf fundamentale Umstrukturierungen auch in der Art, Entwicklungen zu beobachten und zu beschreiben, werfen. Den Autoren geht es dabei nicht um eine neue Form einer den Kulturverfall thematisierenden Medienkritik, sondern zunächst um die Bewusstmachung, dass Medien, Künste und Wissenschaften immer mehr miteinander verwoben sind. Die Fragen, die sich aus diesen Erkenntnissen auch für die Zukunft stellen - und das ist der eigentlich bemerkenswerte Beitrag des Buches -, betreffen dabei aber nicht nur die manchmal die Alltagsrealität nur peripher durchdringenden Kunst- und Medienformen, sondern ganz elementar auch die Ausgestaltung sozialer Rollen und das Verhältnis der Geschlechter.

George Lipsitz - „Dangerous Crossroads - Popmusik, Postmoderne und die Poesie des Lokalen“

(Hannibal, 262 S., Pb.)
Dass sich die heutige Musikszene auf eine spannend zu beobachtende Öffnung der einzelnen Stile und Gattungen hin zu mehr oder weniger benachbarten musikalischen Ausdrucksformen eingelassen hat, ist sicherlich ein hervorragendes Beispiel für die postmoderne Vielfalt und Beliebigkeit, die mittlerweile in fast allen kulturellen Bereichen zu beobachten ist. Der an der Universität von San Diego Ethnic Studies lehrende Professor George Lipsitz entwirft in seinem nachdenklich stimmenden, ungemein anregenden Buch „Dangerous Crossroads“ ausgehend von der sogenannten Weltmusik ein vielschichtig angelegtes Panorama von sich einander begegnenden und miteinander vermischenden Musikstilen, wobei sich Lipsitz nicht mit der Analyse der rein musikalischen Stilmittel begnügt, sondern in erster Linie auf die Auswirkung der Weltökonomie auf kultureller Ebene abzielt, was gleichermaßen Chancen und Risiken birgt.
Bereits im umfangreichen Vorwort zur deutschen Ausgabe zieht der Autor Parallelen zwischen den Unruhen in Los Angeles von 1992 und den fremdenfeindlichen Gewaltanschlägen in Deutschland nach der Wende, sieht die Ursachen in jahrelanger rassischer, ökonomischer und politischer Unterdrückung ethnischer Minderheiten. Lipsitz beschreibt im folgenden, wie interethnische Zusammenarbeit zwar nicht unbedingt zu mehr sozialer Gerechtigkeit führt, aber doch gewisse nationale kulturelle und politische Diskurse über die engen Staatsgrenzen hinaus anregen kann. Wer sich nicht scheut, den allgegenwärtigen Crossover auch jenseits seiner populären Ausprägungen, nämlich im indischen Reggae, in der Discomusik oder in der haitianischen Popmusik zu betrachten und seine politischen und interkulturellen Dimensionen zu erfassen, erhält mit Lipsitz’ detaillierter und anregend geschriebener Analyse einen interessanten Blick auf die Mechanismen und Auswirkungen von Begegnungen verschiedener Musikstile und -traditionen.

Ruth Mayer & Mark Terkessidis (Hrsg.) - „Globalkolorit - Multikulturalismus und Populärkultur“

(Hannibal, 340 S., Pb.)
Einen interessanten Beitrag zur Diskussion um die Mechanismen und Auswirkungen des Multikulturalismus, wie in er in der Postmoderne zur alltäglichen Wirklichkeit auch in Deutschland geworden ist, leistet die von Ruth Mayer und Mark Terkessidis zusammengestellte Aufsatzsammlung „Globalkolorit“, in der Autoren aus der ganzen Welt Beobachtungen und Analysen zu einzelnen multikulturellen Phänomen angestellt haben.
Dabei konzentrierten sie sich auf das vielschichtige Feld der Populärkultur, weil diese nicht mehr nur als verflachende, gleichgeschaltete Kultur der Massen zu begreifen ist, sondern als ambivalenter und dynamischer Prozeß wechselseitiger Abgrenzungen und Aneignungen.
Wie sehr sich Mainstream und Subkulturen mittlerweile durchdringen, demonstriert jedes Jahr aufs Neue die Berliner Love Parade. Der Tenor der hier versammelten Aufsätze geht schließlich auch hinsichtlich der multikulturellen Thematik des Bandes in die Richtung, vom Kulturbegriff als ein für allemal gegebenes Gut Abstand zu nehmen, da in ihm auch stets „rassistische“ Konnotationen mitschwingen. Dagegen wird hier Kultur als dynamischer Prozess, als flexible Struktur verstanden, die sich über die Verdichtung von Machtkämpfen, über Verschiebungen und Umkehrungen politischer, sozialer und ökonomischer Hierarchien und ästhetischer Symbolsysteme immer wieder neu gestaltet. An Beispielen wie Graffiti, einem türkischen Männercafé, deutsch-türkischem Rap in Berlin, dem Zusammenhang von schwarzer Musik und weißer Identität, deutschem Alternativtourismus in Griechenland oder Multikulturalismus und Aliens bei „Independence Day“ versuchen die Autoren des anspruchsvollen Bandes, mögliche Bezugspunkte für eine Diskussion um Multikulturalismus und Populärkultur in Deutschland zu geben und damit den Blick des Lesers für kulturelle Erscheinungen zu öffnen, die auch mal jenseits trivialer alltagsästhetischer Schemata streng nationaler Ausprägung zum Ausdruck kommen.

William Peter Blatty - „Der Exorzist“ + David Seltzer - „Das Omen“ + Ira Levin - „Rosemaries Baby“

(Area, 800 S., HC)
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Lust am Grauen für lange Zeit gestillt, so dass die Horror-Literatur bis in die 70er Jahre hinein kaum nennenswerte Höhepunkte zu verzeichnen hatte. Schriftsteller wie Shirley Jackson, Richard Matheson und Fritz Leiber blieben vereinzelte Ausnahmen. Das änderte sich erst 1971 mit William Peter Blattys Roman „Der Exorzist“, der auf fesselnde Weise die Besessenheit des 12jährigen Mädchen Regan durch den Teufel und der Versuch seiner Austreibung durch einen Exorzisten schildert.
Die Angst vor einem Atomkrieg wich in den 70ern nun der Sorge um die Herrschaft des Antichristen, die auch in David Seltzers „Das Omen“ aufgegriffen wurde. Hier schlüpft der Antichrist in den Körper des Jungen David Thorn, der am 6. Juni um 6 Uhr geboren wurde und in dessen Umgebung die Menschen auf mysteriöse Weise sterben, bis sich die dunkle Prophezeiung von Satans Königreich auf Erden zu erfüllen scheint. Und in Ira Levins „Rosemaries Baby“ geht der erfolglose Schauspieler Guy Woodhouse einen Pakt mit dem Teufel ein, um seine Karriere anzukurbeln. Seine schwangere Frau Rosemarie, ohnehin von Sorgen und Ängsten gequält, ahnt nicht, dass bei der Geburt ihres Sohnes der Teufel seine Finger im Spiel hat. Zwar sind vor allem die erfolgreichen Verfilmungen durch William Friedkin („Der Exorzist“), Richard Donner („Das Omen“) und Roman Polanski („Rosemaries Baby“) berühmt geworden, doch es lohnt sich auf jeden Fall, auch die packenden literarischen Vorlagen zu studieren, die der Area-Verlag in einer extrem preisgünstigen und sehr handlichen gebundenen Ausgabe zusammengefasst hat.

Uli Wunderlich - „Der Tanz in den Tod“

(Eulen, 144 S., HC)
Wie so viele andere Themen, die im Mittelalter von alltäglicher Bedeutung waren und uns heute so geheimnisvoll anmuten, üben auch die Totentänze noch immer eine ausgesprochen ausgeprägte Faszination auf uns aus. Uli Wunderlich, Präsidentin der „Europäischen Totentanz-Vereinigung“, zeigt in ihrem reichhaltig illustrierten Buch die Ursprünge und Bedeutungen des Totentanzes zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Kulturen. Deutlich wird vor allem die enge Verbindung der Totentänze mit der uralten Angst des Menschen vor dem Tod und seine starke Ausprägung gerade im christlichen Europa. Schließlich diente der Totentanz im mitteleuropäischen Raum vor allem dazu, Tänze und Totenkult in Nähe von Gräbern als Teufelswerk zu verdammen.
 In allen Teilen der Welt symbolisieren die Darstellungen von tanzenden Skeletten Fürsorge und Abwehrriten, denn das Bild vom Tod war stets ambivalent, ein Helfer und Zerstörer. Ausgehend vom spanischen Danza de la Muerte, dem französischen Danse Macabre und dem ober- wie niederdeutschen Totentanz, spannt die Autorin einen weiten Bogen über Legenden, Totentanzaufführungen in der restlichen Welt über Totentanzdarstellungen in der Kunst bis hin zu seiner Bedeutung im 20. Jahrhundert. Eine Bibliografie und ein Verzeichnis der Totentänze im deutschsprachigen Raum rundet das mit 82 Farb- und 117 Schwarzweißabbildungen herrlich anschauliche Werk ab.

Kevin Brockmeier - „Die Stadt der Toten“

Sonntag, 29. März 2009

(Luchterhand, 256 S., Pb.)
Wie mag ein mögliches Dasein nach dem Tod aussehen? Einige afrikanische Kulturen teilen die Vorstellung von drei Kategorien, in die die Menschheit unterteilt werden kann: die Lebenden, die lebendig Toten und die Toten. Die Stadt der Toten ist im Szenario des amerikanischen Schriftstellers Kevin Brockmeier jenes Zwischenreich, in dem die lebendig Toten so lange verweilen, bis sie in den Erinnerungen der noch Lebenden verblasst sind. Hier finden sich alte Freunde und Liebespaare wieder, es gibt Geschäfte, Bistros und überhaupt ein recht munteres gesellschaftliches Leben.
Durch eine als „Blinks“ bezeichnete, schnell um sich greifende Viruserkrankung geraten die Lebenden auf der ganzen Welt urplötzlich in jene Stadt der Toten, deren Grenzen sich ganz von selbst ausdehnen. Die junge Biologin Laura Byrd bekommt von dieser Epidemie nichts mit. Zusammen mit ihren zwei männlichen Kollegen Puckett und Joyce ist sie nämlich im Rahmen einer Marketing-Aktion von Coca-Cola in der Antarktis unterwegs. Als die Funkverbindung zu ihrem Arbeitgeber abbricht, machen sich die beiden Männer auf den Weg zur nächsten Beobachtungsstation, finden diese aber verlassen vor, da auch hier bereits das Virus um sich gegriffen hat. Nach zwei Wochen macht sich Laura auf die Suche nach ihren beiden Kollegen und findet in der Station ein Tagebuch mit Eintragungen, die sie mit blankem Entsetzen erfüllen. Derweil reduziert sich auch die Bevölkerung in der Stadt der Toten auf unerklärliche Weise. Ob es daran liegt, dass es auf einmal immer weniger Menschen gibt, die sich an sie erinnern können? Die wunderbar erzählte Geschichte von den Lebenden und den lebenden Toten wird gerade von Chris Columbus verfilmt und fasziniert vor allem als Auseinandersetzung mit der Erinnerung.

Åsa Larsson - „Sonnensturm“

Donnerstag, 26. März 2009

(C. Bertelsmann, 348 S., HC)
Die psychisch labile Sanna Strandgard findet frühmorgens ihren Bruder Viktor bestialisch ermordet mit ausgestochenen Augen und abgetrennten Händen vor dem Altar der Kirche der Kraftquelle auf. Vor einigen Jahren erlangte Viktor Strandgard Berühmtheit, als er nach einem Unfall mit seinem Fahrrad klinisch tot gewesen ist und nach seiner wundersamen Wiederbelebung als charismatischer Führer und Medienstar drei freikirchliche Sekten zu einer großen gemeinsamen Erweckungsgemeinde zusammengeführt hatte. Sanna bittet ihre alte Jugendfreundin Rebecka Martinsson, die als Steueranwältin in einer bekannten Stockholmer Kanzlei arbeitet, zur Unterstützung herbei.
Bei ihren Ermittlungen, die sie teilweise zusammen mit der hochschwangeren Kommissarin Anna-Maria Mella durchführt, stößt sie nicht nur auf den mächtigen Wirtschaftsapparat, die die gemeinnützige und daher steuerbefreite Kirchengemeinde unter dem Deckmantel des Verlagshauses VictoryPrint unterhält, sondern wird auch mit Ereignissen ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert, die sie damals nach Stockholm ziehen ließen. Auf jeden Fall scheucht sie Viktors Mörder so auf, dass sie bald selbst in sein Visier gerät … Das spannende, psychologisch vielschichtige Debüt der schwedischen Autorin wurde als bestes Krimidebüt des Jahres ausgezeichnet und garantiert rasantes Lesevergnügen.

Erik Larson - „Der Teufel von Chicago“

Mittwoch, 25. März 2009

(Scherz, 448. S., HC)
Auch wenn er längst nicht die Berühmtheit von Jack The Ripper, der 1888 im Londoner Whitechapel-Viertel fünf Prostituierte auf grausamste Weise ermordet hatte, erreichen sollte, darf man Dr. Herman W. Mudgett als einen der gerissendsten Serienmörder bezeichnen, den die Welt je erlebt hat. 1886, also in dem Jahr, als Sir Arthur Conan Doyle erstmals seinen berühmten Detektiv präsentierte, nahm Mudgett den Namen Holmes an und wurde 1895 wegen mehrerer Morde zum Tode durch den Strang verurteilt.
Auch wenn der Titel des Buchs und der Text auf der Buchrückseite annehmen lassen, dass hier die Geschichte des Serienkillers erzählt wird, belehrt einen bereits der Klappentext eines besseren. Der „Time Magazine“-Autor Erik Larson beschreibt nämlich in erster Linie das Ringen um die Weltausstellung, die 1889 in Paris für Furore gesorgt hatte und 1893 nun in Amerika neue Maßstäbe setzen soll. Nachdem Chicago das Rennen um die Ausrichtung für sich entscheiden konnte, sorgen der berühmte Architekt Daniel Burnham und seine Kollegen für ein schillerndes Wunder, das bald nur noch „die Weiße Stadt“ genannt wird. Innerhalb von nur drei Jahren Bauzeit entstehen prachtvolle Plätze und Gebäude, ziehen unzählige Männer und Frauen nach Chicago, um dort im Rahmen der Ausstellung Arbeit zu finden. Bei diesem gewaltigen Menschenstrom fällt es überhaupt nicht auf, dass immer wieder junge Frauen spurlos verschwinden… Larsen hat akribisch recherchiert, um eine spannende Geschichte rund um die Weltausstellung und Amerikas ersten Serienkiller zu stricken. Schade nur, dass dem Killer dabei so wenig Platz eingeräumt wird und die Portraits der Stadt Chicago und ihrer Erbauer so im Mittelpunkt stehen.

T.C. Boyle - "Dr. Sex"

(Hanser, 471 S., HC)
Pünktlich zum Filmstart von "Kinsey" erscheint auch die deutsche Übersetzung von T.C. Boyles "Inner Cirlcle", der in spannender wie erregender Romanform die Karriere des Zoologen (mit dem Spezialgebiet Gallwespen) Alfred C. Kinsey (1894 bis 1956) rekapituliert. Die von Kinseys fiktivem Mitarbeiter John Milk aufgezeichnete Geschichte beginnt 1939 mit Kinseys harmlos klingender Uni-Vorlesung "Ehe und Familie", zu der aber nur Verlobte Zutritt hatten, und dokumentiert vor allem die aufreibende, minutiös gewissenhaft durchgeführte Dokumentation des amerikanischen Sexuallebens, für die Kinsey und seine Mitarbeiter in den 40ern durch Amerika reisten, um allen möglichen Orten die Sexualpraktiken von Strichern, Hausfrauen, Studenten, Vertretern, Prostituierten etc. anhand standardisierter Interviews zu erforschen, um sie dann in den beiden Aufsehen erregenden Bänden "Das sexuelle Verhalten des Mannes" (1948) und "Das sexuelle Verhalten der Frau" (1953) darzulegen.
Dabei wird schon anhand der Sexualgeschichte von John Milk deutlich, wie es um die Sexualmoral der Amerikaner in der Zeit vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs stand. Kinsey selbst lebte die freizügige Moral, für die er kämpfte, ebenso frei aus, unterhielt mit Milk und anderen Mitarbeitern "H-Geschichten" aus, überließ es seiner Frau Mac, Milk in die Freuden heterosexueller Liebe einzuführen, und erfreute sich vor allem daran, Pärchen beim Sex hinter Kleiderschranktüren zu beobachten - alles für die Wissenschaft. Doch Boyle ist mit seinem Roman nicht darauf aus, den Sex zu entmystifizieren. Vielmehr schildert er eine spannende Biografie und die aufzubrechende verklemmte Sexualmoral an der Schwelle zu einer neuen, freizügigeren Auffassung der menschlichen Sexualität.

Julie Garwood - „Ein mörderisches Geschäft“

Freitag, 20. März 2009

(Ullstein, 511 S., HC)
Drei Tage nach der Geburt ihrer Tochter Avery machte sich die soziopathische Jilly Delaney auf und davon, während Avery von ihrer Großmutter Lola und ihrer Tante Carolyn aufgezogen wurde. Im Alter von elf Jahren wird Avery aber von ihrer Mutter und ihrem Begleiter angeschossen und für tot gehalten, während Grandma tatsächlich getötet wurde.
Mittlerweile hat sich Avery beim FBI verdingt, zwar nicht als Agentin, sondern nur als Typistin, aber schon bald muss sie echte Agentin-Qualitäten unter Beweis stellen, als ihre Tante Carrie bei einem Besuch auf der Wellness-Farm Utopia, zu der Carrie auch Avery eingeladen hat, gekidnappt wird. Schnell findet sie heraus, dass sie zusammen mit einer Richterin und einer anderen Frau in einem Haus in den Bergen von Colorado in der Nähe von Utopia von ihrer tot geglaubten Mutter Jilly und dem Auftragskiller Monk gefangen gehalten wird. Zum Glück ist auch der ehemalige CIA-Agent John Paul dabei, Monk auszuschalten. Gemeinsam müssen sie einen raffinierten Plan entwickeln, der wahnsinnigen wie rachsüchtigen Jilly und ihrem hörigen Liebhaber das Handwerk zu legen … Spannender Psycho-Thriller um einen „weiblichen Hannibal Lecter“, psychologisch aber längst nicht so ausgefeilt wie die großartige „Hannibal“-Trilogie von Thomas Harris. Für einen kurzweiligen Lesethrill langt es aber allemal.

Henning Boëtius - „Rom kann sehr heiß sein“

(btb, 284 S, HC)
Der Kommissar Piet Hieronymus ist so etwas wie das holländische Pendant zum seinem schwedischen Kollegen Kurt Wallander. Hieronymus war einst praktizierender Psychologe und arbeitet seit einigen Jahren als Sonderermittler bei der Groninger Polizei. Er wird immer dann herbeigerufen, wenn Landsleute im Ausland in kriminelle Handlungen verstrickt werden und die örtlich ansässigen Ermittler Probleme mit ihrer Arbeit haben. In seinem neuen Fall macht er sich auf die Suche nach seiner Freundin Dale Mackay, einer schottischen Kollegin, die er bei seinem letzten Fall „Das Rubinhalsband“ kennen- und liebengelernt hat.
Zunächst verschwindet seine Mutter aus dem Pflegeheim, dann taucht Dale für zwei Tage auf, bevor sie nach Bern zu einem Italienischkurs weiterreist. Dort trifft sie zwar ein, scheint sich dann aber direkt weiter nach Italien zu begeben, wo sich ihre Spur verliert. Hieronymus pfeift sogar auf seinen Job, um Dale in Rom zu finden, wo auch sein verstorben geglaubter Vater im Krankenhaus mit dem Tode ringt. Dort stößt er auf eine Gruppe von Wissenschaftlern und Ordensträgern, die die Genforschung bis zum Klonen von Menschen vorangetrieben haben.
Im Gegensatz zum eher nüchternen Stil Mankells versteht es Boëtius hervorragend, nicht nur die wissenschaftlichen Fakten um das Klonen und seine moralische Problematik hervorzuheben, sondern vor allem seinen Figuren eine psychologische Vielschichtigkeit zu verleihen, die die Lektüre des Romans zum reinen Lesegenuss machen.

Anne Rice - „Vittorio“

Montag, 16. März 2009

(Fischer, 334 S., Tb.)
Mit ihrer „Chronik der Vampire“ und dem verfilmten Welterfolg ihres Bestsellers „Interview mit einem Vampir“ hauchte die Schriftstellerin aus New Orleans dem langlebigen Vampir-Mythos frisches Blut ein. Seither hat die beliebte Autorin unzählige Vampir-Romane verfasst, die den Vampir als äußerst fragiles und verletzliches Wesen mit romantischen Zügen und verzweifelten Sehnsüchten darstellten und nicht als blutrünstiges Monster, dessen Dasein man mit den ausgefallensten Methoden ein Ende bereiten muss.
Das Setting ihres neuen Romans „Vittorio“ versprach eigentlich, diesem Thema neue Aspekte verleihen zu können, denn er erzählt die Geschichte des gerade mal 16-jährigen Vittorio, der im Florenz der blühenden Renaissance zum Vampir wird, nachdem eine ganze Horde von Vampiren des Blutroten Grals den Hof seiner reichen Familie vernichtet. Auf seinem Rachefeldzug gegen die Peiniger seiner Familie verfällt er allerdings der schönen Vampirin Ursula... Leider versteht es Anne Rice nie, den Leser mit ihrer unspektakulären Geschichte zu fesseln. Nur die Namen Cosimo de Medicis, Filippo Lippis und Donatellos lassen den strahlenden Glanz von Florenz erahnen, viel zu weitschweifig wird der Initiationsritus von Vittorios Vampirweihe geschildert, auch die Dialoge wirken seltsam gestelzt und fremdartig. Da wird man nie wirklich in die Geschichte eingeführt, viel mehr fragt man sich, wann es denn endlich losgeht. Enttäuschend schwache Vorstellung der großen Dame des Vampirromans.