Joachim Lottmann - „Die Jugend von heute“

Samstag, 25. April 2009

(Kiepenheuer & Witsch, 319 S., Pb)
Mit seinem letzten Roman „Mai, Juni, Juli“ hat der 48-jährige Publizist Joachim Lottmann (u.a. Jungle World, die tageszeitung, de:bug, Neues Deutschland) einen Roman über die ausgehenden 80er veröffentlicht, nun begibt er sich als Ich-erzählender Onkel Jolo ins beginnende 21. Jahrhundert und will noch mal ganz jugendlich sein, genießt das nur offensichtlich sehr lockere Beisammensein mit seinem Neffen Elias, dem er unbedingt die erste Freundin besorgen möchte, dessen Freund Lukas und vor allem mit all den unglaublich hübschen, jungen Frauen, zwischen denen man sich irgendwie gar nicht entscheiden kann und die deshalb von den unbeschwerten Jugendlichen entsprechend wahllos ausgetauscht werden.
Zunächst will Jolo erst einmal weg aus Berlin, der Stadt der Jugend, in der er aber seit dreieinhalb Jahren keine Geliebte gehabt hat, in der er 16 Stunden am Tag schlafen musste, um „dieses Leben ohne Liebe“ überhaupt auszuhalten. Elias kommt extra aus Köln, um ihn von diesem Vorhaben abzubringen. Dabei behilflich soll ihm die neue Superdroge Samsunit sein, die angeblich ohne Nebenwirkungen antidepressiv, angstlösend, euphorisierend und sexuell stimulierend wirkt. Jolo hält sich von Samsunit fern, doch später wird der Leser Zeuge, welchen Sexhöllentrip die Kombination aus Viagra und Lexatonil verursacht. Letztlich zieht es ihn doch von Berlin weg, mal nach Köln, mal nach München und auch nach Wien, doch so richtig glücklich will er nirgends werden. Stattdessen wundert er sich über die irgendwie ziellose, krampfhaft Spaß haben wollende, unentschlossene Jugend. Das liest sich recht amüsant und bringt stellenweise „die Jugend von heute“ ganz treffend auf den Punkt, verpufft aber ebenso schnell wie das Leben der beschriebenen Jugendlichen.

Ha. A. Mehler - „Pokerspiel“

(Silberschnur, 309 S., HC)
Der Plot erinnert zunächst etwas an die intelligente „Final Destination“-Filmreihe der beiden „Akte X“-Autoren Glen Morgan und James Wong: Gevatter Tod streckt seine grabeskalten Fühler aus, einen Schriftsteller aus dem Reich der Lebenden zu entführen und zu sich zu holen, doch im Gegensatz zu dem gestaltlosen Tod aus „Final Destination“ nimmt der Schnitter in „Pokerspiel“ die ganz reale Form eines dürren, bösartigen und obszönen alten Mannes an, der wie ein Halloween-Spuk an die Tür des noch ahnungslosen Autors klopft.
Doch bevor der Tod zuschlagen kann, gelingt dem Schriftsteller die Flucht und kann ein um das andere Mal der kalten Hand des Todes ein Schnippchen schlagen. Überzeugt davon, dass der Tod nicht das schreckliche Gesicht haben muss, das die ängstlichen Menschen von ihm haben, lässt ihm die Natur des Todes keine Ruhe, sodass er verschiedene religiöse Geheimzirkel aufsucht, um dort letztlich nur zu erfahren, dass sich tatsächlich niemand vor dem Tod fürchten muss. Doch schließlich muss sich auch der Schriftsteller ein letztes Mal dem Tod stellen. Bei einem Pokerspiel geht es dabei um alles oder nichts … Die Auseinandersetzung mit dem Tabuthema Tod wird bei Mehler in einen spannenden Kriminalroman mit spiritueller Ausrichtung gepackt und regt dabei den Leser dazu an, seine eigene Einstellung zum Tod zu überdenken.

David Gilbert - „Die Normalen“

(Eichborn, 400 S., HC)
Zwar hat der 28jährige Billy Shine seinen Abschluss in Harvard gemacht, hält sich aber nur mit Zeitarbeits-Jobs über Wasser und verkehrt mit seiner Freundin Sally nur wegen des notwendigen Austauschs von Körperflüssigkeiten. Desillusioniert sowohl in beruflichen wie Liebesdingen, labt sich Billy an seinen Krankheiten auch nur, weil er vollkommen gesund ist. Nur die hartnäckige Inkassofirma Ragnar & Sons, die seine säumigen Studienschulden eintreiben will, machen Billy echte Sorgen.
Da kommt ihm das Angebot von Hargrove Anderson Medical, an einer Studie zur Erprobung eines atypischen Psychopharmakon zur Behandlung von Schizophrenie gerade recht. Recht gelangweilt und teilnahmslos lässt Billy alle medizinischen Prozeduren über sich ergehen und lässt sich auch von den ersten Nebenwirkungen nicht erschrecken, nicht mal als ihn sein Vater Abe um Sterbehilfe für ihn selbst und seine seit Jahren an Alzheimer leidenden Frau bittet … Mit „Die Normalen“ ist dem amerikanischen Autor David Gilbert eine ganz spezielle Hommage an Ken Keseys Klassiker „Einer flog über das Kuckucksnest“ gelungen, nur dass Billy eben gar keine rebellischen Züge hat und sich stattdessen in sein Schicksal ergibt. Vor allem die skurrilen Charaktere, die überzogenen Dialoge, die sehr mikrokosmische Behandlung von Themen wie Ethik in der Medizin und die Bedeutung von Liebe machen „Die Normalen“ zu einem vorzüglichen Lesevergnügen.

David Ellis - „Die Schuldigen“

Donnerstag, 16. April 2009

(Rütten & Loening, 448 S., HC)
Eigentlich könnte es für den jungen, aufstrebenden Anwalt Jon Soliday kaum besser laufen. Als rechte Hand des demokratischen Senators Grant Tully organisiert er dessen Wahlkampf zum Gouverneur von Illinois und hat gerade entdeckt, wie der republikanische Gegenkandidat John Trotter wegen eines Formfehlers bei der Bewerbung aus dem Rennen gekickt werden kann. Doch bevor dieses As ausgespielt werden kann, gerät Soliday in einen Strudel katastrophaler Ereignisse. Erst streckt sein Partner und Freund Bennett Carey einen Einbrecher mit drei Schüssen in den Rücken nieder, dann erhält er einen Erpresserbrief mit der Forderung, 250.000 Dollar aus dem Wahlkampffonds abzuzweigen, um ein bestimmtes „Geheimnis“ nicht preiszugeben.
Als Soliday schließlich Dale Garrison, eine ebenfalls für Senator Tully arbeitende Anwalt-Legende, tot in dessen Büro auffindet und dabei vom Sicherheitsdienst entdeckt wird, sieht er sich auch noch mit einer Mordanklage konfrontiert. Während der Ermittlungen, die er selbst anstellt, wird schnell deutlich, dass Ereignisse von vor über 21 Jahren ihren Schatten in die Gegenwart werfen. Damals hatte Soliday im Drogenrausch Sex mit einem Mädchen, das tags darauf tot war. Soliday hatte keine Erinnerung an die Ereignisse in der Nacht, wurde von seinem Freund Tully und seiner Familie aber aus der Sache rausgehalten. Nun versucht jemand, die wahren Hintergründe von damals aufzudecken. Soliday ist sich bewusst, dass einige politische Karrieren auf dem Spiel stehen, wenn er selbst mit allen Mitteln seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen versucht... Spannender, mit dem Edgar Allan Poe Award ausgezeichneter Justiz-Thriller des Juristen David Ellis.

Dennis Lehane - “Shutter Island”

Sonntag, 12. April 2009

(Ullstein, 366 S., HC)
Aus dem Ashecliffe Hospital für psychisch kranke Straftäter auf Shutter Island ist im Sommer 1954 eines Nachts die Patientin Rachel Solando aus ihrer zugesperrten Zelle entflohen. Als US-Marshal Teddy Daniels sich mit seinem neuen Kollegen Chuck Aule von Boston aus auf dem Weg zur Insel in die Festungs-ähnliche Einrichtung machen, erfahren sie, dass auch Dr. Sheehan, der Leiter der Gruppentherapie, an der Rachel am Abend zuvor teilgenommen hatte, verschwunden ist, ohne eine Spur zu hinterlassen. In Rachels Zelle finden die Marshals zwar eine Notiz mit kryptisch anmutenden Zahlenspielereien, aber sonst finden die Cops keine Hinweise auf ihr Verschwinden. Bei ihren Befragungen des Direktors und des Pflegepersonals bekommen Chuck und Teddy immer mehr den Eindruck, dass ihnen bei ihren Ermittlungen Steine in den Weg gelegt haben.
Als Chuck erfährt, dass Teddy auch nach einem Andrew Laeddis sucht, der Teddys Frau Dolores vor zwei Jahren durch eine Brandstiftung umgebracht hat, vermutet er, dass Teddy ganz persönliche Gründe hatte, sich den Fall Rachel Solando anzueignen. Zwar freunden sich die beiden ungleichen Männer immer weiter miteinander an, vermag Teddy aufgrund seiner ehemaligen Nachrichtendiensttätigkeit auch allmählich Rachels Code zu entschlüsseln, dennoch scheint hinter Rachels Verschwinden mehr zu stecken, als die Anstaltsleitung einzuräumen gewillt ist. Nach dem erfolgreich von Clint Eastwood verfilmten „Mystic River“ legt Dennis Lehane mit „Shutter Island“ einen weiteren filmreifen Roman vor.

Joe Meno - „Verdammte Helden“

Samstag, 11. April 2009

(Heyne, 413 S., Pb.)
Der 17-jährige Brian Oswald hängt am liebsten mit seiner besten Freundin Gretchen herum. In ihrem Ford Escort funktioniert zwar selten die Anlage, doch wenn sie mal läuft, bekommt Metal-Head Brian kuriose Mixtapes mit Soundtracks zu seinem Leben zu hören, Tracks von den Ramones, The Clash, The Dead Milkmen und den Misfits. Obwohl Gretchen etwas pummelig ist, verliebt sich Brian in sie und träumt davon, sie zu entjungfern.
Doch Gretchen überlässt diese heikle Aufgabe dem Fascho-Schläger Tony Degan, worauf sich die Wege von Brian und Gretchen eine Weile trennen. Dafür hängt Brian oft mir Mike zusammen, der immer coole Mädchen zu sich einlädt und Brian so auch sein erstes Sex-Erlebnis besorgt. Brian rutscht immer mehr in die Punk-Szene hinein und erfährt dort, wie cool es sein kann, mit Gleichgesinnten sein Anderssein zu teilen. Als Brian von seiner Freundin Dorie wegen ihres Ex-Freundes verlassen wird, sehnt er sich aber umso mehr nach Gretchen …
Mit seinem dritten Roman ist Joe Meno der große Durchbruch in den USA gelungen. „Verdammte Helden“ schildert auf amüsante, aber auch mitfühlende Art und Weise die Probleme des Erwachsenwerdens. Eine Art „High Fidelity“ für Teenager …

Faye Kellerman - „Und der Herr sei ihnen gnädig“

(C. Bertelsmann, 448 S., HC)
Cindy Decker, eine ehrgeizige junge Polizistin beim LAPD, die gern in die Stapfen ihres geschätzten Vaters, Detective Peter Decker, treten möchte, wird bei einer Streifenfahrt von einem wild gestikulierenden Mann angehalten, der ein Wimmern in einem Müllcontainer hörte. Als Cindy in den Container steigt, rettet sie einem gerade entbundenen Mädchen das Leben und besucht es anschließend im Mid-City Pediatric Hospital, wo sie auch den attraktiven ägyptischen Juden Yaakov Kutiel kennen lernt.
Die Mutter des Mädchens ist schnell gefunden – ein behindertes Mädchen namens Sarah Sanders, das während der Vernehmung berichtet, von vier Jungen vergewaltigt worden zu sein, die auch ihren Freund David besinnungslos schlugen und in einen Müllcontainer steckten. Seitdem wird David vermisst. Wenig später wird Cindy auch noch Zeugin, wie ein weiteres Mädchen auf offener Straße überfahren wird. Wie sich herausstellt, wurde dieses Mädchen wie Sarah im Fordham Communal Center for the Developmentally Disabled betreut wurde. Während Cindy Vorgesetzten den Fall nicht wirklich ernst nehmen, ermittelt sie auf eigene Faust, berät sich aber immer wieder mit ihrem Vater. Schließlich kommt sie den vermutlichen Vergewaltigern auf die Spur, sucht aber auch weiterhin den vermissten David… Erstmals lässt die Cop-Thriller-Spezialistin Faye Kellerman nicht Peter Decker, sondern seine pfiffige Tochter Cindy ermitteln. In einer Nebenhandlung hilft er seiner zweiten Frau, Rina, bei der Suche nach den Umständen des Todes von Rinas Mutter in Deutschland. Neben der spannenden Handlung, die zum Ende leider etwas abflacht, sind es vor allem die zwischenmenschlichen Beziehungsgeflechte, die „Und der Herr sei ihnen gnädig“ so lesenswert machen.

Michael Robotham - „Adrenalin“

Freitag, 10. April 2009

(Goldmann, 447 S., HC)
Als der bekannte Psychotherapeut Joe O’Loughlin den 17-jährigen Krebspatienten Malcolm davon abhalten kann, sich vom Dach des Royal Marsden Hospital zu stürzen, verbleibt ihm nicht viel Zeit, sein Heldentum zu genießen. Wenig später wird er nämlich von dem Londoner Kommissar Vincent Ruiz um eine Expertise bei einem Mordfall gebeten. Die übel zugerichtete Leiche der Krankenschwester Catherine McBride wurde am Ufer eines Kanals in der Nähe des Friedhofs gefunden, den O’Loughlin gerade mit seiner schönen Frau Julianne und seiner Tochter Charlie besucht haben.
Nach Sichtung der Leiche fällt O’Loughlin auf, dass die selbst beigebrachten Schnittwunden der Toten Ähnlichkeit mit den Gewaltphantasien seines Patienten Bobby Moran haben. Doch aus dem zu Gewaltausbrüchen neigenden jungen Mann wird der Psychologe nicht schlau. Stattdessen gerät O’Loughlin, dem gerade erst die Parkinson-Krankheit diagnostiziert wurde, selbst unter dringenden Tatverdacht, da eine ganz besondere Verbindung zwischen ihm und dem Opfer bestand. Als Julianne erfährt, dass ihr Mann in der fraglichen Nacht des 13. November auch noch mit einer Prostituierten geschlafen hat, droht das Leben des Psychotherapeuten gänzlich aus den Fugen zu geraten … Raffinierter und extrem spannender Psycho-Thriller in bester „Schweigen der Lämmer“-Tradition!

Anthony Lee - „Der Deal“

(Europa, 413 S., HC)
Dass ein Krimi/Thriller mit einem Mord anfängt, ist nicht weiter ungewöhnlich, doch Anthony Lee beginnt seinen Debütroman mit einem Auftakt, der einem fulminanten Showdown gleicht. „Du legst ihn nicht um. Er sagte es sich noch mal. Der Gedanke war wie ein Erwachen.“ Martin Quinn entschließt sich, seinen besten Freund Felix Pasko am Leben zu lassen. Eigentlich sind die beiden zu Felix’ Landhaus in den Catskills gefahren, um Felix’ Vater zu hintergehen, damit sich der ungeliebte Sohn endlich aus den Fängen des übermächtigen Vaters befreien kann.
Doch die Sache läuft völlig aus dem Ruder. Denn auf einmal erscheint Terry auf der Bühne, will die beiden umlegen, schießt erst auf Martin, dann auf den flüchtenden Felix, legt dem tot geglaubten Martin die Pistole in die Hand, was Terry zum Verhängnis wird. Gerade als Martin Terry niederstreckt, taucht das FBI auf und klagt Martin wegen Mordes an. Der sieht seine Chance nur noch in einem Deal, da das FBI scharf auf Felix’ Vater ist. In Rückblenden erfährt der Leser, wie die Freundschaft von Martin und Felix beginnt, wie sie dieselbe Frau lieben, wie sie ihre Geschäfte im russischen Mafia-Milieu von New York machen und ihren eigenen Club „Anastasia“ führen. Der komplexe Roman ist zugleich packender Thriller wie die Geschichte des Aufwachsens zweier Männer in engen familiären Bindungen, intensive Milieubeschreibung und auch die Geschichte einer Frau zwischen zwei Männern.

Philippe Fichot/Die Form - „The Visionary Garden 2“

(Ultra Mail Prod., 192 S. mit CD, HC)
Bereits vor zehn Jahren präsentierte Die-Form-Mastermind Philippe Fichot mit dem auf 999 Exemplare limitierten Fotoband „The Visionary Garden“ einen ersten umfassenden Einblick in sein fotographisches Werk, nachdem zuvor schon die Artworks zu seinen Veröffentlichungen und vor allem das Booklet zur ersten Auflage der „Archives & Doküments“-LP-Box sehr stark zum Ausdruck brachten, dass Die Form nicht nur im musikalischen Kontext als S/M-Projekt funktionierte, sondern auch stets mit einer ausgeprägten visuellen Struktur verbunden gewesen ist.
Davon zeugten nicht zuletzt die obligatorischen Filmprojektionen bei den Live-Performances und auch die Darstellungen auf der Bühne an sich. Mit „The Visionary Garden 2“ ist bei dem in Hong Kong ansässigen Label/Verlag Ultra Mail Prod. keine echte Fortsetzung des damals gut 100 Seiten starken Buchs erschienen, sondern eine fast auf den doppelten Seitenumfang erweiterte Neuauflage von Fichots oftmals mehr als verstörenden Schwarz/Weiß-Fotographien. Im Mittelpunkt seiner stark künstlerisch bearbeiteten Bilder stehen mit allen möglichen Utensilien gefesselte, halb oder völlig nackte Frauen, die Lust, Schmerz und Tod in sich zu vereinen scheinen. Die durchweg entspannten Gesichtszüge lassen aber eher auf freiwillige Opferbereitschaft hinzudeuten - die Frau als willfähriges Objekt der ausgefallensten männlichen Begierden … In den neueren Bildern aus der „Extremum“-, „Zoopsia“- und „InHuman“-Phase nimmt der Tod in Skelettform konkretere Züge an, andere Bilder weisen fast surrealen Charakter auf. Es ist schon eine sehr eigene Ästhetik, die Fichot zum Ausdruck bringt. Für S/M-Anhänger auf jeden Fall ein opulenter Sinnesreigen … Die damals separat von Hyperium veröffentlichte „Soundtrack zum Buch“-CD „The Visionary Garden“ ist nun in remasterter Qualität dem Buch beigelegt und enthält zudem mit „The Scavenger“ einen bislang unveröffentlichten Film aus dem Jahre 1982.

Wolfgang Flür - „Kraftwerk - Ich war ein Roboter“

(Hannibal/vgs, 300 S., Pb.)
Mit Tim Barrs kürzlich, bislang leider nur auf Englisch erschienener Kraftwerk-Biographie wurde eine längst überfällige Lücke geschlossen, was die ausführliche Auseinandersetzung mit einer der bedeutendsten deutschen Kulturexporte angeht. Tim Barr und sein englischer Kollege Dave Thompson („Industrial Revolution“) waren es schließlich auch, die ex-Kraftwerker Wolfgang Flür zu seinen ganz persönlichen Erinnerungen anregten, die er in „Kraftwerk - Ich war ein Roboter“ auf sehr unterhaltsame Weise niederschrieb. Tim Barr wollte nämlich unveröffentlichte Fotos von früheren Kraftwerk-Auftritten zusammenstellen, und als Flür in seinem Aluminium-Koffer stöberte, geriet er in eine Art Rausch, als er seinen „deutschgedanklichen Kulturbeutel“ durchwühlte, ließ Erinnerungen an Hotelzimmer, Flugzeuge und andere Länder wieder aufleben, zu denen alte Polaroids, Zeitungsartikel, Pressefotos und anderes mehr die entsprechenden Initialzündungen lieferten. Und Thompson wollte der von Journalisten meistgestellten Frage nachgehen, warum Flür Kraftwerk verlassen habe, was den ehemaligen Kraftwerk-Trommler letztlich zu dem vorliegenden Buch inspirierte.
Dabei geht es Flür vor allem darum, dass man sein „romantisches Herz“ und seine „teutonische Seele“ besser versteht, weshalb er oft in eine frühere Zeit zurückblendet, „als die Lust am Leben und der Spaß am Klang in mir geweckt wurden“. Flür langweilt den Leser dabei nicht mit den Arbeitsprozessen, präzisen Anordnungen, dem Aufbau des elektronischen Instrumentariums oder technischen Fachausdrücken, die man zunächst mit einer die elektronische Musik maßgeblich beeinflussten Band wie Kraftwerk zwangsläufig assoziiert, sondern stellt eher Erlebnisse in den Vordergrund, die die zwischenmenschlichen Beziehungen der Kraftwerk-Mitglieder erhellen. Doch zunächst beschreibt Flür seine Kindheit, seine Entwicklung vom Beatnik zum Mod, seine aufkeimende Leidenschaft für das Trommeln, in dessen Felle er all seine Energien und seinen ständigen Liebeskummer schlug. Ausführlicher beschreibt Flür natürlich die Anfänge und den Werdegang von Kraftwerk, die Entstehung und Ausbreitung des Phänomens „Krautrock“ in Amerika aus ganz persönlicher Perspektive, die sich vor allem in Reisebeschreibungen durch Amerika im Jahr 1975 niederschlägt. Schließlich die längere Kreativpause, die Trennung von Kraftwerk und die Gründung des eigenen Projekts Yamo. Angereichert mit vielen s/w- und Farbfotos aus Flürs Privatarchiv, bietet „Kraftwerk - Ich war ein Roboter“ einen informativen, intimen, eben sehr persönlichen Einblick in die Geschichte Kraftwerks, wie ihn nur ein direkt Beteiligter geben kann.

Tim Barr - „Kraftwerk - From Düsseldorf to the Future (with Love)“

(Ebury Press, 216 S., Pb)
Es ist ja schon seltsam, dass das ultimative Buch über die so einflussreiche Düsseldorfer Electro-Formation Kraftwerk aus dem englischsprachigen Raum kommt, aber auf den zweiten Blick ist dieses Phänomen doch wieder nicht so überraschend, wie man anfangs glauben mag. Schließlich ist der Einfluss von Kraftwerk auf die britische Industrial- und Dance-Szene der 80er Jahre (mit Bands wie Ultravox, The Human League, Cabaret Voltaire und Heaven 17) sowie die amerikanische und europäische Electro-, House- und Techno-Szene weitaus größer gewesen als auf die deutsche Musikszene.
Tim Barr, der als Experte für die Detroiter Techno-Szene gilt und über elektronische Musik für Blätter wie „The Face“, „NME“ und „Melody Maker“ geschrieben hat, versucht mit seinem Buch „Kraftwerk“ das Geheimnis zu lüften, das die stets im Verborgenen agierende Düsseldorfer Band seit gut zwanzig Jahren umgibt.
Nachdem Barr in einem historischen Überblick auf prägnante Weise die Katalysator-Funktion von Musik für gesellschaftliche Veränderungen seit den 50er Jahren rekapituliert, beginnt er Kraftwerks Geschichte mit dem Zeitpunkt, als die Popkultur mit den Beatles hoffähig geworden war und die Titelblätter der Boulevardpresse belegte. Die Bedeutung von Kraftwerk in diesem Prozess wird schon allein durch die Tatsache deutlich, dass die Düsseldorfer Band die erste gewesen ist, die die alleinbestimmende Rolle der amerikanischen und britischen Künstler - von Elvis über Chuck Berry, The Who, The Beatles bis zu den Rolling Stones - bei der Formulierung einer neuen Sprache in der Pop- und Rockgeschichte beenden konnte und fortan die elektronische Musik rund um den Globus beeinflussen sollte.
Barr behält bei der Verfolgung von Kraftwerks Geschichte stets das musikalische Umfeld im Blick, auf das das Quartett seinen Einfluss ausüben sollte, aber auch die Inspirationen, der Kraftwerk unterlagen. Durch eigene Interviews, ausgewählte Zitate, Schwarz-Weiß-Fotos und eine ausführliche Diskografie (samt Bootlegs) ist dem Autor ein leicht verständliches, aber umfassendes und interessantes Portrait einer Band gelungen, deren Bedeutung einem nach der Lektüre von „Kraftwerk“ erst richtig bewusst wird.

J.G. Ballard - „Kristallwelt“

Mittwoch, 8. April 2009

(Edition Phantasia, 159 S., Pb.)
Als der Lepraarzt Dr. Sanders mit dem wöchentlichen Passagierschiff von Libreville nach Port Matarre reist, erholt sich Kamerun noch von einem missglückten Staatsstreich, bei dem Rebellen zehn Jahre zuvor die Smaragd- und Diamantminen in Mont Royal erobert hatten. Zu seinen Reisegefährten zählen Pater Balthus, der Sanders auf die drückende Dunkelheit in Port Martarre hinweist, und der undurchsichtige Ventress, dem Sanders in der gemeinsamen Kajüte die Pistole aus dessen Koffer entwendet und dem er während seiner Reisen immer wieder auf mysteriöse Weise begegnet. Er selbst ist auf dem Weg zu seinen beiden Freunden Max und Suzanne Clair, die gemeinsam eine kleine Klinik betreiben. Im letzten Brief seiner ehemaligen Geliebten Suzanne liest Sanders von einem schillernden Wald, wo das Licht „alles mit Diamanten und Saphiren“ überzieht.
Nachdem Sanders eine kurze Affäre mit einer Frau erlebt hat, die Suzanne sehr ähnlich sieht, trifft er seine Freunde endlich nach einer abenteuerlichen Odyssee, doch merkt er schnell, dass mit den beiden etwas nicht stimmt. Er stellt aber auch fest, dass Suzanne in ihrem Brief keineswegs übertrieben hat. Der Wald ist tatsächlich von leuchtenden Kristallen überzogen und breitet sich weiter aus. Ähnliche Phänomene wurden bereits in Florida und Russland entdeckt. Die Bewohner und auch die Reisenden geraten bei dem prächtigen Farbenspiel fast in religiöse Verzückung … Das 1966 erstmals von Ballard veröffentlichte Buch „Kristallwelt“ wurde mit seinen halluzinatorischen, surrealistischen Qualitäten bereits zu seiner Zeit ein absolutes Kultbuch und erscheint nun in neuer, vollständiger Übersetzung von Joachim Körber und darf so auch heute noch mal zu einem Kultbuch werden …

Alan Hollinghurst - „Die Schönheitslinie“

Montag, 6. April 2009

(Blessing, 572 S., HC)
Nachdem bereits das 1988 veröffentlichte Debüt des britischen Autors Hollinghurst, „Die Schwimmbadbibliothek“ im Jahre 1983 spielte, begibt sich auch das Szenario seines neuen Romans in dieses, vor Thatchers zweiter Amtszeit stehendes Jahr, wo sich mit Nick Guest der Sohn eines Antiquitätenhändlers ins noble Notting Hill begibt, wo er von den Eltern seines Collegefreundes Toby Fedden aufgenommen wird.
Nicks Gastvater Gerald Fedden ist Staatssekretär bei der „eisernen Lady“, so dass Nick schnell die High Society in London kennen und lieben lernt. Etwas schwieriger gestaltet sich das homosexuelle Coming-Out des Zwanzigjährigen, da man zu jener Zeit erst ab 21 Sex mit Männern haben durfte. Im privaten Park gleich in der Nähe der Fedden-Residenz hat Nick sein erstes schwules Sex-Erlebnis und kann jahrelang seine homosexuelle Gesinnung geheim halten. Drei Jahre später ist Nick mit Wani liiert, mit dem er ein exklusives Lifestyle-Magazin auf die Beine bringen will, aber außer Parties feiern bekommen die beiden nicht viel auf die Reihe. Derweil spürt man, dass die Heimlichtuerei nicht lange gut gehen kann, und tatsächlich: als Nicks sexuelle Gesinnung öffentlich wird, ist es mit aller Herrlichkeit und dem Schwelgen im Luxus bald vorbei … Hollinghurst versteht es mit schonungsloser Offenheit und enorm viel erzählerischer Raffinesse, die Faszination der Jugend für den Luxus und einen abgehobenen Lifestyle darzustellen.

Philip K. Dick - „Auf der Suche nach Valis“

(edition phantasia, 495 S., HC)
Der amerikanische Sci-Fi-Autor Philip K. Dick ist vor allem durch seine verfilmten Romanvorlagen zu „Blade Runner“, „Total Recall“ und „Minority Report“ zu einem höchst populären Phänomen geworden, gilt aber auch als einer der visionärsten Schriftsteller, die Amerika je hervorgebracht hat. 1974 glaubt Dick beim Anblick eines goldenen Fisch-Kettenanhängers, das er gleich als Symbol für die im Römischen Reich verfolgten Christen erkennt) eine Art göttliche Vision zu haben, wird von Datenübermittlungen per Laserstrahl, Durchsagen aus einem abgeschalteten Radio und Berichten aus der Zukunft in Werbespots heimgesucht.
Schließlich wird ihm auch offenbart, dass das Universum, in dem wir leben, nur eine Täuschung ist. Die letzten acht Jahre seines Lebens (Dick starb 1982 an den Folgen eines Schlaganfalls) verbrachte er damit, das Rätsel dieser Visionen zu entschlüsseln. In seinem Alterswerk, der „Valis“-Roman-Trilogie, wagte Dick einen Blick hinter die Kulissen der Realität und das Geheimnis der Raum-Zeit-Matrix, in der wir leben. Darüber hinaus verfasste Dick ein über achttausend Seiten umfassendes Tagebuch, seine ganz persönliche Exegese, die jetzt erstmals in Auszügen in deutscher Übersetzung erscheint. Für den Normalsterblichen stellenweise kaum nachzuvollziehen, macht „Auf der Suche nach Valis“ wenigstens das Ringen Dicks um Verständnis des ihm Widerfahrenen deutlich. Wenn man zuvor nicht die „Valis“-Trilogie gelesen haben sollte, die sehr zum besseren Verstehen dieser Lektüre beiträgt, hilft einem wenigstens die schöne Einführung von Lawrence Sutin und das Nachwort von Terence McKenna. Das Buch ist auf eine handnummerierte Auflage von 250 Exemplaren limitiert.

Philip K. Dick - „Minority Report“ + “Die große Philip K. Dick Edition“

(Heyne)
Obwohl der amerikanische Schriftsteller Philip K. Dick mit seinen visionären Geschichten nicht nur das Science-Fiction-Genre maßgeblich erneuert, sondern mit seinen literarischen Vorlagen für Filmklassiker wie „Blade Runner“ und „Total Recall“ bemerkenswerte Beiträge zum Thema Authentizität der Wirklichkeit abgeliefert. Pünktlich zum Start des neuen Steven-Spielberg-Films „Minority Report“ hat der Heyne-Verlag nicht nur das – wiederum von Dick verfasste - Buch zum Film (438 S.) veröffentlicht (in dem neben der 60-seitigen Titelstory noch acht weitere Kurzgeschichten enthalten sind), sondern eine wunderschön aufgemachte sechsbändige TB-Edition mit den wichtigsten Werken des 1982 verstorbenen Autors. Da darf der bereits 1968 verfasste Klassiker „Blade Runner“ (269 S.) um den Androiden-Jäger Rick Deckard ebenso wenig fehlen wie das Kultbuch „Die drei Stigmata des Palmer Eldritch“ (313 S.), in dem Dick so deutlich wie kaum ein anderer beschreibt, wie man durch den Konsum einer Droge zwischen verschiedenen Identitäten wechseln kann. In „Marsianischer Zeitsturz“ (350 S.) dient die erfolgreiche Kolonisierung des Mars als Hintergrund für eine irrwitzige Geschichte eines Jungen, der durch seine Zeit-Reisen die gewohnte Ordnung der Dinge vollkommen auf den Kopf stellt. Und mit „Zeit aus den Fugen“ (288 S.) hat Dick schon 1959 die Idee der „Truman Show“ vorweg genommen.
„Die Valis-Trilogie“ (926 S.), bestehend aus den drei Romanen „Valis“, „Die göttliche Invasion“ und „Die Wiedergeburt des Timothy Archer“, ist sicher Dicks metaphysischstes Werk, das neben der Frage der Transzendenz der Realität auch ein treffendes Bild der amerikanischen Kultur der 70er zeichnet. Und in „Der unmögliche Planet“ (832 S.) sind dreißig der besten Kurzgeschichten von Philip K. Dick zusammengefasst. Vor- und Nachworte runden oft die einzelnen Bände wunderbar ab. Diese sorgfältig editierte Edition bietet den bestmöglichen Einstieg in das Werk eines der bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts.

Iain Pears - „Scipios Traum“

Sonntag, 5. April 2009

(Droemer, 608 S., HC)
Mit seinem ersten großen historischen Kriminalroman „Das Urteil am Kreuzweg“ wurde der britische Kunsthistoriker Iain Pears bereits in einem Atemzug mit Umberto Eco genannt. Mit seinem neuen Epos „Scipios Traum“ entführt der begnadete Autor den Leser nach Avignon in die südfranzösische Provence und in gleich drei Zeitebenen, die jeweils die schwierige Entscheidung der Protagonisten zwischen Verstand und Gefühl illustrieren. Da ist auf der einen Seite Manlius Hippomanes, ein römischer Aristokrat des 5. Jahrhunderts, der sich in seinem Traktat „Scipios Traum“ philosophisch mit den moralischen Problemen seiner Zeit auseinandersetzt.
Während er taktische Kompromisse eingeht, um die römische Zivilisation gegen die anstürmenden Germanen zu verteidigen, wird er von seiner tief verehrten Freundin Sophia verstoßen. Auf der anderen Seite ist Olivier de Noyen, Dichter und Sekretär im 14. Jahrhundert, als Kurier an einer Verschwörung der Kardinäle beteiligt, die sich für eine Rückkehr des Papstes nach Rom einsetzen. Und schließlich übernimmt zur Zeit des Zweiten Weltkriegs Julien Barneuve ein Ministeramt in der Hoffnung, Schlimmeres unter deutscher Besatzung zu verhindern, doch kann er seine jüdische Frau nicht vor den Deutschen beschützen. Auf eindringliche Weise beschreibt Pears die moralischen Konflikte dreier Männer, die sowohl von philosophischer Neugier als auch der Liebe zu einer Frau getrieben sind. Das eindringliche wie vielschichtige Werk ist als Auseinandersetzung mit wichtigen philosophischen Ideen und der europäischen Geschichte ebenso gelungen wie auch als leidenschaftliches Epos über die Liebe.

William Gibson - „Virtuelles Licht“ + „Idoru“ + „Futurematic“

(Heyne)
Mit der 1984 begonnenen “Neuromancer”-Trilogie hat William Gibson einen echten Science-Fiction-Klassiker abgeliefert. Von 1993 bis 1999 entstand seine zweite Zukunfts-Trilogie, die so utopisch gar nicht zu sein scheint. Gibson beschreibt das 21. Jahrhundert als eine Welt des globalen Marktes, bei dem genmanipulierte Produkte zum Alltag gehören und die Grenzen zwischen Wirklichkeit und virtueller Realität immer mehr verwischen.
In „Virtuelles Licht“ (364 S., Tb.) beschreibt Gibson ein Amerika, in dem die Kluft zwischen Arm und Reich weit auseinanderdriftet und die Riesenstädte nur mit Überwachungssatelliten kontrolliert werden können. Auf der Suche nach einer Brille, die verschiedene Simulationen von Realität zu erzeugen hilft, kommt der Sicherheitsbeamte Berry Rydell einer Verschwörung auf der Spur, deren Ursprung in San Francisco zu liegen scheint, wo eine riesige High-Tech-Kommune liegt. In „Idoru“ (333 S., Tb.) verliebt sich der Rock-Star Rez in seine schöne Kollegin Rei Toei, die allerdings eine Idoru ist, ein virtueller Popstar, der von Imageberatern perfekt konstruiert wurde. Durch ihre Liebe zu Rez beginnt sie allerdings, einen eigenen Willen zu entwickeln und sich danach zu sehnen, ihr Gefängnis aus Bits und Bytes zu verlassen. Der Abschluss der Trilogie, „Futurematic“ (395 S., Tb.), führt den Leser über Tokio zurück nach San Francisco. Dort glaubt der Netzläufer Colin Laney etwas Bedeutendes vorauszusehen, das die uns bekannte Welt für immer verändern wird. Auf spannende Weise beschreibt Gibson mit seiner neuen Trilogie die Aussichten der neuen Welt, ohne die technischen Errungenschaften zu verteufeln, wohl aber auf ihre möglichen Auswirkungen hinzuweisen.

Christopher Frayling - „Alpträume - Die Ursprünge des Horrors“

(vgs, 224 S., HC)
Dass sich die archetypischen Horror-Themen, wie sie einst Mary Shelley mit „Frankenstein“, Bram Stoker mit „Dracula“, Robert Louis Stevenson mit „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ und Sir Arthur Conan Doyle mit „Der Hund von Baskerville“ geschaffen haben, auch heute noch so großer Beliebtheit erfreuen, wird nicht zuletzt an den immer wieder erfolgreichen Neuverfilmungen ihrer Geschichten eindrucksvoll dokumentiert. Der Kulturhistoriker Christopher Frayling macht sich in seinem wundervoll illustrierten Werk „Alpträume“ auf die Suche nach den historischen Quellen dieser vier Eckpfeiler der Horrorliteratur, die wie kaum ein anderes Werk die Phantasie ihrer Leser anzuregen wussten und dies in immer neuer Gestalt auch heute noch tun.
Ausgehend von Johann Heinrich Füsslis berühmtes Gemälde „Der Nachtmahr“ von 1782 setzt sich Frayling im Prolog mit der Natur der Träume auseinander und berichtet vom Streben romantischer Dichter, sich mittels verschiedener Techniken und Hilfsmittel in die Welt der Träume zu begeben, geht aber auch kurz auf Freuds Definition von Träumen ein.
In den folgenden vier Kapiteln rekapituliert Frayling jeweils die Entstehungsgeschichte der vier Horrorwerke, gibt jeweils eine kurze Inhaltsangabe und beschreibt sehr detailliert die persönlichen Umstände der Autoren zusammen mit dem gesellschaftlichen Umfeld und den Quellen, die Shelley, Stoker, Stevenson und Doyle zu ihren Geschichten inspiriert haben. Schließlich werden auch die Reaktionen des Publikums erwähnt, als die Werke veröffentlicht und bald für die Theaterbühne, im 20. Jahrhundert auch für die Kinoleinwand adaptiert wurden. All dies wird illustriert mit Fotos historisch relevanter Stätten, Portraits der Autoren, Plakat- und Filmabbildungen.

Thomas Karsten - „Model Years“

(Schwarzkopf & Schwarzkopf, 240 S., HC)
Es gibt erotische Bildbände, die allein des Fotografen künstlerische Visionen abbilden bzw. das voyeuristische Bedürfnis der Betrachter befriedigen sollen. Einen angenehm anderen Ansatz verfolgt der renommierte Aktfotograf Thomas Karsten, der mit „Model Years“ nach „Heute nackt“ seinen zweiten, aufwändig gestalteten Fotoband bei Schwarzkopf & Schwarzkopf präsentiert.
Waren es in „Heute nackt“ noch junge Männer und Frauen an der Schwelle zum Erwachsensein, die Kasten portraitierte, stellen sich in „Model Years“ junge Frauen zwischen 20 und 25 nicht allein vor Kastens Kameraobjektive, sondern auch sich selbst vor. Statt allein als fotografisches Objekt zu fungieren, hat Kasten seinen Models, die oft nicht die klassischen Model-Attribute besitzen, die Möglichkeit zur Selbstdarstellung geboten und sie in ganz unterschiedlichen Umgebungen fotografiert, in der freien Natur, in Kinosälen, Duschen, Badewannen, vor mal mehr kühl-sterilem Hintergrund, dann wieder in behaglich-vertrauter Atmosphäre von Wohnzimmer-Sofas. Man merkt dabei deutlich die Lust der jungen Frauen an ihrer selbstbewussten Zurschaustellung in kecken, ungehemmten, selten etwas verbergenden Situationen. Ein ausführliches Vorwort von Fotohistoriker Fritz Franz Vogel, der den künstlerischen Ansatz von Thomas Kasten anschaulich darstellt, und Statements einiger Models zu ihrer Zusammenarbeit mit dem Fotographen runden den prächtigen Bildband im Großformat ab.