Andrea De Carlo – „Villa Metaphora“

Mittwoch, 16. September 2020

(Diogenes, 1088 S., HC)
Der prominente Architekt Gianluca Perusato ist endlich am Ziel seiner Träume: Sieben Jahre nach Baubeginn steht sein erstes eigenes Projekt vor der Einweihung durch einige höchst illustre Gäste. Wie oft stand er schon davor, alles hinzuschmeißen, zumal die Baukosten zwischenzeitlich schon auf das Doppelte angewachsen waren. Doch nun blickt er stolz von der Hauptterrasse seines Luxusresorts Villa Metaphora auf das die südlich von Sizilien zwischen Malta und Tunesien liegende Insel Tari umgebende Mittelmeer. Hier hofft er für die internationale Prominenz, die für eine Übernachtung pauschal 5000 Euro hinblättern darf, ein abgeschiedenes, diskretes Refugium geschaffen zu haben, das das grandiose Naturschauspiel der Vulkaninsel mit seinem kühnen Umbau der einst vom Gelehrten, Linguisten, Kosmopoliten und Schriftsteller Baron von Canistraterra ab 1946 erbauten Villa zu einem einzigartigen Kunstwerk verschmilzt.
Zusammen mit seiner Assistentin und Geliebten Lucia erwartet die Ankunft der Gäste, darunter die alkoholsüchtige junge Hollywood-Diva Lynn Lou Shaw, die während der Dreharbeiten zu ihrem neuen Film in Rom einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte und nun mit ihrer Freundin und Assistentin Lara Laremi in der Villa Metaphora wieder zu Kräften kommen will. Während sein spanischer Koch Ramiro Juarez für das leibliche Wohl der Gäste zuständig ist, ist der Bootsmann Carmine Alcuanti für den Transport der illustren Gäste vom Festland zum Resort zuständig. Neben der Schauspielerin sind das die inkognito anreisende französische Hotelkritikerin Simone Poulanc, der mit Lynn Lou verheiratete, kontrollsüchtige amerikanische New-Age-Guru Brian Neckhart und der deutsche Bankier Werner Reitt mit seiner Frau Brigitte sowie seinem Assistenten Matthias. Die schillernde Runde wird durch den italienischen Abgeordneten Piero Gomi, der unbedingt einen Termin mit Reitt ergattern möchte.
Beginnend mit dem Unfalltod eines Fotografen, der Lynn Lou gar nicht so heimlich fotografierte, weil sie den fremden Beobachter entdeckt und sich im Swimming Pool für ihn in sehenswerte Posen geworfen hat, gehen innerhalb einer Woche alle Höflichkeitsformen flöten, werden Beziehungsdramen auf die Spitze getrieben, Sehnsüchte und Ängste geweckt, die zugleich das Beste und das Schlimmste in den hochfeinen Gesellschaftsschichten schonungslos offenbart. Als auch noch ein schwerreicher russischer Unternehmer hemmungslos seine Gelüste in der Villa zu befriedigen versucht und ein Erdbeben nicht nur die Strom- und Wasserversorgung kappt, sondern auch einen Vulkanausbruch ankündigt, liegen die Nerven bei allen Beteiligten mehr als blank …
„Erneut drängen sich Gedanken über unsere Abhängigkeit von technologischen Hilfsmitteln auf und darüber, wie diese künstlichen Erweiterungen unserer Gehirne, unserer Hände, ja sogar unserer Herzen wiederum vom Vorhandensein eines funktionierenden Stromnetzes abhängen. Fällt der Strom aus, ist es in kürzester Zeit – wir reden von Stunden, nicht von Tagen – vorbei mit Informationen, Speichern, Kontaktnetzen, Fernbeziehungen. Ender der täuschenden Geschwindigkeit, Ende der virtuellen Allgegenwart, Ende der permanenten Erreichbarkeit. Plötzlich gilt und zählt nur das, was man vor Augen hat, in der Hand hält, zu Fuß erreichen kann.“ (S. 913f.) 
Was ist nur aus dem Mailänder Bestseller-Autor geworden, der nach seinem Literaturstudium, seiner Karriere als Fotograf, Rockmusiker und Regieassistent von Federico Fellini mit „creamtrain“, „Zwei von zwei“ und „Techniken der Verführung“ in den 1980er und beginnenden 1990er Jahren zum Sprachrohr seiner Generation wurde? Andrea De Carlo hat sich nämlich mit seinem im italienischen Original 2012 veröffentlichten Roman „Villa Metaphora“ – der epische Umfang von knapp 1100 Seiten lässt es fast vermuten – leider mächtig verhoben. Bereits die Grundidee, eine Gruppe von Menschen auf eine Insel zu schicken, von der sie so schnell nicht runterkommen, wirkt schon ausgelutscht. Ärgerlich ist aber vor allem, dass sich De Carlo zwar viel Mühe gibt, seinem durchaus überschaubaren Figuren-Ensemble wortgewaltig Konturen und Persönlichkeit zu verleihen, bedient aber nur die üblichen Klischees von der verzogenen Hollywood-Diva, dem temperamentvoll-launischen und natürlich doch irgendwie korrupten italienischen Politiker, dem ichbezogenen, substanzlosen LifeSolving-Gurus und des deutschen Bankiers, der anderthalb Jahre eine Affäre mit der nicht mal volljährigen besten Freundin seiner Tochter unterhalten hat, was ihm nun zum Verhängnis zu werden droht.
Die dunklen Geheimnisse und persönlichen Abgründe, die nach und nach offenbart werden, wirken so überraschend also nicht und bringen den Plot auch nicht wirklich voran. Letztlich werden über Hunderte von Seiten vor allem die affektiert erscheinenden Befindlichkeiten der Haute Volee seziert und der Lächerlichkeit preisgegeben. Ein munteres Zitatenspiel soll am Ende noch etwas tiefschürfenden Sinn und zumindest ein fundiertes Allgemeinwissen der Gäste vermitteln, doch was der Autor am Ende mit seinem misslungenen Versuch einer Satire zu sagen beabsichtigt, bleibt bis zum quälend geschwätzigen Finale unbeantwortet. Einen neuen Blick auf die Welt der Superreichen und Mächtigen gewährt uns De Carlo mit seinem überbetont zivilisationskritischen Roman jedenfalls nicht.
Leseprobe Andrea De Carlo - "Villa Metaphora"

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