Dan Simmons – „Olympos“

Sonntag, 19. November 2023

(Heyne, 958 S., Tb.) 
Obwohl Dan Simmons auch sehr erfolgreich in den Genres Horror und historischem Abenteuer-Roman unterwegs gewesen ist, bleibt sein Name nach wie vor mit seiner vielfach preisgekrönten „Hyperion“-Tetralogie verbunden, die 1989 mit „Hyperion“ ihren Anfang nahm und über die Romane „Das Ende von Hyperion“, „Endymion. Pforten der Zeit“ und „Endymion. Die Auferstehung“ in den 1990er Jahren fortgeführt wurde. Nach seinem Ausflug in konventionellere Gefilde mit Thrillern wie „Fiesta in Havanna“, „Das Schlangenhaupt“ und „Eiskalt erwischt“ legte Simmons 2003 mit „Ilium“ sein nächstes Sci-Fi-Epos vor. Schon ein Jahr später präsentierte er mit „Olympos“ die Fortsetzung/den Abschluss seiner fantastischen Geschichte über den Kampf zwischen antiken Göttern auf einer alternativen Erde. 
Der aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stammende Altphilologe Thomas Hockenberry wurde nach seinem Tod im Jahr 2006 von den Göttern aus alten Knochen, DNA und Erinnerungsfragmenten wiederbelebt, um für die Musen am Olymp Bericht vom Kampf um Troja zu erstatten. Mit der ihm zur Verfügung stehenden High-Tech-Ausrüstung war es Hockenberry und seinen Kollegen nicht nur möglich, mitten im Kampfgetümmel zu erscheinen (und zu verschwinden), ohne von den Beteiligten wahrgenommen zu werden, sondern er konnte die Ereignisse auch verändern. 
Dabei stellte der „Ilias“-Kenner fest, dass sich der Olymp der Götter nicht auf der Erde, sondern auf einem bewohnbaren Mars befindet, während der Trojanische Krieg auf der historischen Erde stattfand. Nach zehn Jahren sorgte allerdings ein Bündnis zwischen Achilles und Hektor, mit dem Ziel, Krieg gegen die Götter zu führen, für Verwirrung, und auf einem fernen Mars der Zukunft begann der trojanische Krieg von neuem. Während Zeus verschwand, kamen die Götter und Göttinnen herunter, um an der Seite ihrer jeweiligen Favoriten zu kämpfen. 
Im Zuge der Kampfhandlungen sorgt das Abreißen der Verbindung zwischen dem Mars mit dem Olymp und der Erde dafür, dass die Moravecs genannten biologische Maschinenwesen und die Griechen fliehen müssen, während Achilles auf dem Mars zurückbleibt und sich mit Hephaistos’ Hilfe auf eine aberwitzige Reise durch die Unterwelt begibt. Auf der zukünftigen Erde wiederum sehen sich die wenigen „Altmenschen“ einem Krieg ausgesetzt, den sie nicht gewinnen können, weil die unzähligen Voynixe, jene halbmechanischen Helfer, die ihnen zuvor ein bequemes und sorgenfreies Leben gewährleistet haben, plötzlich zur unbezwingbaren, tödlichen Bedrohung geworden sind. Und wieder muss sich Hockenberry an einen Ort teleportieren, an dem man ihn nicht sieht… 
„Wo genau will ich eigentlich hin? Wie kann ich diejenigen, zu denen ich will, dazu bewegen, den Griechen bei der Flucht zu helfen? Wohin könnten die Griechen fliehen? Ihre Familien, Bediensteten, Freunde und Sklaven sind alle in den blauen Strahl gesaugt worden, der von Delphi emporsteigt.“ (S. 751) 
Wer von „Ilium“ und „Olympos“ erwartet, ein ähnlich packendes Science-Fiction-Epos wie die „Hyperion“-Tetralogie genießen zu dürfen, wird sicher enttäuscht. Zwar ist Simmons‘ Grundidee, Homers berühmte „Ilias“ auf verschiedenen Raum- und Zeitebenen zwischen Mars und Erde zu verlegen, höchst interessant, aber auf den am Ende fast zweitausend Seiten des zweibändigen Epos treibt es der Autor dann doch etwas weit mit unzähligen Figuren, die am Trojanischen Krieg teilgenommen haben, und diversen technologischen Erfindungen, die oft nicht näher erläutert werden. Dass Simmons immer wieder zwischen den Zeiten, Orten und handelnden Personen/Göttern und literarisch bewanderten Moravecs hin- und herspringt, ist dem Lesegenuss ebenfalls wenig zuträglich. Dabei gewinnen die unzähligen Figuren kaum Kontur. Hockenberry, der als Ich-Erzähler, noch das alles verbindende Glied in „Ilium“ gewesen ist, taucht in der Fortsetzung erstmals ab Seite 650 auf, worauf seine Rolle fast darauf beschränkt bleibt, die bisherigen Ereignisse seit seiner Reaktivierung zusammenzufassen. 
Shakespeare- und „Ilias“-Kenner sind sicher im Vorteil, wenn es um die Einordnung literarischer Referenzen geht, die vor allem durch die beiden sympathischen Moravecs Mahnmuth und Orphu ins Spiel gebracht werden, aber hilft das kaum weiter, um die technologischen Finessen, quantenphysikalischen Phänomene und interpersonelle Verstrickungen zwischen den Alt-, und Nachmenschen, Göttern und Halbgöttern, Maschinenwesen und Monstern mit gehirnähnlichem Aussehen so einzuordnen, dass man als Leser mit Spannung das Finale erwartet. Das fällt nämlich mit einem Ausblick nach der Zerstörung Iliums eher metaphysisch aus. Simmons‘ Ideenreichtum, umfängliches Wissen und sprachliche Gewandtheit machen sich auch in „Olympos“ bemerkbar, aber weniger wäre gerade im vorliegenden Werk mehr gewesen.


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