(Heyne, 400 S., Tb.)
Auch wenn sich Dan Simmons mit teils epischen Horror- und Science-Fictions-Romanen wie „Kraft des Bösen“, „Sommer der Nacht“ und den jeweils zweibändigen Sagen um „Hyperion“ und „Endymion“ einen Namen gemacht hat, fand er – ebenso wie sein weitaus prominenterer Kollege Stephen King – immer wieder mal die Zeit, Kurzgeschichten zu schreiben. Nach „Styx – Dreizehn dunkle Geschichten“ und „Lovedeath. Liebe und Tod“ präsentierte er mit „Worlds Enough & Time“ im Jahre 2002 eine dritte Sammlung, diesmal mit längeren Erzählungen, die überwiegend der Science Fiction zuzuordnen sind, 2004 bei Festa in der wortwörtlichen Übersetzung als „Welten und Zeit genug“ veröffentlicht wurden und vier Jahre später als „Helix“ bei Heyne als Neuauflage erschienen ist.
„Auf der Suche nach Kelly Dahl“ ist erstmals in der von Steve Rasnic Tem herausgegebenen Hardcover-Anthologie „High Fantastic“ mit Beiträgen von Autoren phantastischer Literatur aus Colorado abgedruckt worden und wirkt wie eine klassische „Twilight Zone“-Episode.
Als Roland Jakes eines Morgens im Camp aufwacht, muss er feststellen, dass nichts mehr so ist, wie es einmal war. Der Highway nach Boulder war ebenso verschwunden wie das National Center for Atmospheric Research und die Hochhäuser von Denver. Dafür erstreckte sich nach Osten, Süden und Norden ein Binnenmeer so weit das Auge reichte. Diese Erfahrungen hängen mit dem Wiedersehen einer früheren Schülerin namens Kelly Dahl zusammen. Eigentlich wollte der Vietnam-Veteran und ehemaliger Lehrer irgendwo am Peak to Peak Highway oder im Staatsforst im Left Hand Canyon in einem der verlassenen Minenschäfte seinem Leben so ein Ende setzen, dass es wie ein Unfall aussah. Doch ausgerechnet Kelly Dahl, die er nur für kurze Zeit unterrichtete, an die er sich allerdings besonders gut erinnert, rettet ihn und fordert ihren alten Lehrer zu einem tödlichen Spiel heraus…
Mit „Die verlorenen Kinder der Helix“ kehrt Simmons in die Welt von „Hyperion“ zurück, nachdem der Plan, ein Drehbuch für eine „Star Trek: Voyager“-Episode zu schreiben, nicht verwirklicht worden ist. Als sich das Spinschiff Helix mit über 680.000 Menschen im Kälteschlaf einem Doppelsternsystem nähert, entscheiden die fünf KIs unter Führung von Dem Lia, neun der Menschen an Bord aufzuwecken, um sich mit ihnen über einen eingegangenen Hilferuf von Ousters zu beraten. Während die Menschen eigentlich den menschlichen und postmenschlichen Aenea-Raum für immer verlassen wollten, um mit ihrer Amoiete-Spectrum-Helix-Kultur einen eigenen, von aeneanischer Einmischung unbeeinflussten Weg zu gehen, versuchten die Ousters einen anderen evolutionären Weg zu gehen und sich dem Weltraum anzupassen. Mit einer Sonde untersucht eine kleine Delegation der Spectrum-Helix und der Ousters die Möglichkeit, mit dem Hawkingantrieb zum Roten Riesen zu springen und zurückzukehren, bevor der Zerstörer mit seinem Werk beginnen kann.
„Mit Kanakaredes auf dem K2“ ist sicherlich die beste Geschichte in dieser Sammlung und wirkt wie eine Sci-Fi-Variante von Simmons‘ historischem Epos „Der Berg“, nur dass hier drei Bergsteiger von einem wanzenähnlichen Alien begleitet werden.
„Ich warf einen Blick zu Kanakaredes. Wer konnte schon den Gesichtsausdruck einer Wanze deuten? Dieser riesige Mund mit seinen Auswüchsen und Höckern, der zwei Drittel rings um den Kopf bis fast zu dem höckerigen Kamm verlief und vorn einen schnabelartigen Vorsprung hatte, schien immer zu lächeln. War das Lächeln jetzt etwa ein wenig breiter geworden? Schwer zu sagen, und ich war nicht in der Stimmung, ihn zu fragen.“ (S. 288)
„Das Ende der Schwerkraft“ thematisiert schließlich die Reise des amerikanischen Pulitzer-Preisträgers Norman Roth nach Moskau, um für das New York Times Magazine, das einen neuen Blick auf das Raumfahrtprogramm der Russen gewinnen möchte. Doch der Trip erweist sich für den herzkranken Skeptiker zu einer gefährlichen Mission.
Im Gegensatz zu den epischen Science-Fiction-Romanen, in denen Dan Simmons genügend Raum zur Verfügung hat, neue Welten vor den Augen des Lesers entstehen zu lassen, reichen die Beschränkungen selbst längerer Kurzgeschichten nicht aus, um sich in den fremden Welten, die hier einerseits im „Hyperion“-Reich angesiedelt sind, andererseits auf das nachfolgende „Ilium“ verweisen, sofort heimisch zu fühlen. Das gelingt dem preisgekrönten Autor in den Erzählungen, die auf der uns bekannten Erde angesiedelt sind, weitaus besser, wo die Science-Ficition-Elemente einfach den Horizont der Möglichkeiten, zu denen sich menschliches Leben und Denken entwickeln könnte, erweitern.
Dass Heyne die Neuauflage allerdings als „das große Zukunftsepos“, als „Geschichte von Ereignissen, die die Welt für immer verändern werden“, anpreist, spottet jeder Beschreibung, denn von einem zusammenhängenden Epos kann hier wirklich nicht die Rede sein. Interessanter als die einzelnen Geschichten selbst sind stellenweise die ausführlichen Einführungen des Autors zu ihrer Entstehung und Entwicklung.
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