Jim Nisbet – „Tödliche Injektion“

Mittwoch, 5. Oktober 2022

(Pulp Master, 234 S., Tb.) 
Der am 28. September 2022 im Alter von 75 Jahren verstorbene Jim Nisbet hat seit den 1970er Jahren Romane, Lyrik, Theaterstücke, Artikel, Essays und Shortstorys in Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien sowie ein Sachbuch über Bau und Design retro-futuristischer Möbel geschrieben ist hierzulande nur mit den wenigen bislang bei Pulp Master veröffentlichten Noir-Krimis bekannt geworden, dabei gehören seine Krimis zu den kompromisslosesten Meisterwerken, die das Genre zu bieten hat, wie sein 1987 veröffentlichtes Zweitwerk „Lethal Injection“ eindrucksvoll beweist. 
Der Schwarze Bobby Mencken verlebt in der Todeszelle seine letzten Stunden auf Erden. Nachdem er seine Henkersmahlzeit zu sich genommen hat, verschafft ihm Dr. Franklin Royce, der Gefängnisarzt von Huntsville, Texas, mit einer Dosis Morphium verbotenerweise etwas Gelassenheit, doch bevor er die tödliche Giftspritze verabreicht bekommt, schafft er es noch, den sadistischen Wärter Pit Bull Peters zu töten, der bereits fünf Gefangene auf dem Gewissen hatte, aber für keine dieser Taten zur Rechenschaft gezogen worden war. Dagegen beteuert Mencken mit seinen letzten Worten auf Erden, dass er nicht die Frau in dem Laden mit fünf Schüssen ins Gesicht getötet habe, wofür er zum Tode verurteilt worden ist. „Colleen, ich … hab es nicht getan …“, flüstert er noch und küsst den Arzt auf die Lippen. In einer Bar, wo er sich ein paar Whiskeys gönnt, erfährt Royce durch das Fernsehen noch ein paar Hintergründe. Demnach sei Mencken bei der Flucht vom Tatort festgenommen, seine Fingerabdrücke auf der Tatwaffe sichergestellt worden. Zeugen oder echte Beweise gab es allerdings nicht. 
Royce ist neugierig. Da seine hysterische Frau ohnehin nichts mehr mit ihm zu haben will, macht sich der Arzt auf den Weg nach Dallas, um in den Elendsvierteln dort mehr über Mencken und den Mord herauszufinden. 
„Die Fahrt hat sich hingezogen, über acht Stunden lang. In dieser Zeit hat er sich an den Gedanken von Menckens Unschuld angefreundet, dass er im Begriff stand, einen Vorstoß zu wagen, um herauszufinden, weshalb Mencken den äußersten Weg für etwas gegangen war, was er vielleicht nicht getan hatte. Was er machen würde, wenn oder falls er eine Antwort fände, darüber hatte Royce noch nicht nachgedacht.“ (S. 110) 
Dabei macht er die Bekanntschaft von Menckens Freundin Colleen Valdez, die ihm gleich den Kopf verdreht, und ihrem Mitbewohner Eddie Lamark, die beide ebenfalls am Tatort gewesen waren. Während er mit den beiden abhängt, kommt er der wahren Geschichte auf die Spur… 
„Tödliche Injektion“ weist gerade mal einen Umfang von gut 230 Seiten auf, entwickelt in der Kürze aber eine enorme Spannung, wobei die Hinrichtung von Mencken bereits 60 Seiten einnimmt, die erst einmal ein leidenschaftliches Plädoyer gegen die Todesstrafe darstellt, bevor die Erzählperspektive von dem Todeskandidaten zu dem Teilzeit-Gefängnisarzt wechselt. Dabei verströmt die Geschichte zunächst den typischen Noir-Touch. 
Der zum Tode verurteilte Mencken kann seine Unschuld nicht mehr beweisen, aber vielleicht derjenige, der ihn mit der Giftspritze ins Jenseits befördert hat. Dabei ist Royce auch ein gebrochener Mann, gefangen in einer scheußlichen Ehe und beruflich längst nicht mehr auf der Höhe. Als er sich auf die Suche nach Menckens Freundin Colleen macht und sie schließlich findet, taucht Royce gänzlich in die schäbige Welt der Drogen, der Beschaffungskriminalität und von heißem Sex ein, dass es ihm die Sinne völlig vernebelt. 
Meisterhaft beschreibt Nisbet nicht nur die bedrohlich-prickelnde Atmosphäre und die unerwartete ménage à trois mit Colleen und Eddie, sondern kommt allmählich hinter den wahren Ablauf der Ereignisse, die am Ende zu Menckens Verurteilung geführt haben. Im Finale wartet Nisbet mit einer furiosen Sequenz auf, die die seltsame Odyssee zu einem konsequenten Ende führt. Denn am Ende hat Royce zwar das Verbrechen aufgeklärt, aber seine eigene Selbstzerstörung kann er nicht mehr aufhalten. Mit seiner schnörkellosen Sprache und einem feinen Gespür für die Figuren und die Geschichte entführt Nisbet seine Leser in eine zynische Welt, in der es kein Glück und keine Gerechtigkeit zu geben scheint. Das ist Noir im allerbesten Sinne. 

 

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