Statt sich dem Willen ihrer Eltern zu beugen und das Wellesley College zu besuchen, um nach ihrem Abschluss als vorzügliche Heiratskandidaten zu gelten, schmeißt Jenny Fields das College zugunsten einer Karriere in der Krankenpflege, zumal sie bei ihren Kommilitonen im Hauptfach Anglistik ohnehin nur den Eindruck gewonnen hat, dass sie neben der Bildung vor allem den sicheren Umgang mit Männern erlernen wollen. An Männern ist Jenny überhaupt nicht interessiert. 1942 wird sie in Boston sogar festgenommen, weil sie einen Mann, der ihr im Kino zu aufdringlich wurde, verletzte. Um sich trotzdem ihren Kinderwunsch zu erfüllen, bedient sie sich im Krankenhaus bei dem Technical Sergeant Garp, der als britischer Kugelturmschütze über Rouen abgeschossen wurde und sich mit schwerer Hirnverletzung in Jennys Obhut befindet.
Für seine kleine Statur besitzt der schwachsinnige Vollwaise, der nur noch seinen Namen sprechen kann, einen erstaunlich großen Penis, den Jenny sich eines Abends einführt. Das Ergebnis dieser Vereinigung mit Garp, der kurz darauf stirbt, nennt sie T. S. Garp und zieht ihn allein auf, während er die Steering School besucht, wo seine Mutter als Krankenschwester arbeitet. Von seinem Vater weiß Garp nur, dass er Soldat war, im Krieg gefallen war und dass seine Eltern während des Krieges keine Zeit zum Heiraten hatten. Seine Mutter legt eine von ihrer Umwelt skeptisch wahrgenommene Ernsthaftigkeit an den Tag, liest unzählige Bücher und besucht in ihren Freistunden Kurse, die den Lehrern, Mitarbeitern und ihren Ehegatten an der Steering School kostenlos zur Verfügung stehen. Zu den prägenden Erfahrungen während seiner Schulzeit zählt die Begegnung Cushie Percy, der Tochter des Schulsekretärs Stewart Percy, mit der Garp seine erste sexuelle Erfahrung teilt, aber vor allem Helen Holms, die belesene Tochter seines Ringen-Lehrers, hat es ihm angetan. Da sie nur einen „richtigen“ Schriftsteller zu heiraten beabsichtige, steht Garps Entschluss fest.
Mit seiner Mutter zieht er nach seinem Schulabschluss nach Wien, wo Jenny Fields an ihrer Autobiographie mit dem Titel „Eine sexuell Verdächtige: Die Autobiographie von Jenny Fields“ schreibt, mit der sie schließlich zur Gallionsfigur der Frauenbewegung avanciert. Garp selbst verfasst die Kurzgeschichte „Die Pension Grillparzer“ und gewinnt so das Herz seiner geliebten Helen, die nach der Hochzeit Literaturgeschichte an einer Universität lehrt, während Garp mit „Zaudern“ seinen ersten Roman veröffentlicht. Es folgen zwei Kinder und Partnertausch mit den befreundeten Fletchers, was Garp zu seinem zweiten Roman „Der Hahnrei fängt sich“ inspiriert.
„Der Roman handelte zwar nicht von Helen und Garp und Harry und Alice, aber er handelte von vier Menschen, deren letztlich ungleiche und sexuell angespannte Beziehung ein Reinfall ist. Alle vier sind körperlich gehandikapt. Einer der Männer ist blind. Der andere Mann stottert dermaßen, dass seine Dialogpartien eine quälende Lektüre sind. Jenny verübelte Garp diesen billigen Hieb auf den armen verblichenen Mr. Tinch, aber Schriftsteller, sagte Garp traurig, seien bloß Beobachter – gute und rücksichtslose Nachahmer des menschlichen Verhaltens.“ (S. 315)Helen beginnt eine Affäre mit dem selbstgefälligen Studenten Michael Milton ein, die in einer Katastrophe endet und Garp zu seinem nächsten Roman inspiriert, „Bensenhaver und wie er die Welt sah“. John Wolf, Garps Verleger, legt seinem Schützling nahe, die USA für eine Weile zu verlassen, bis sich der zwangsläufige Medienrummel gelegt hat, doch bei einer Wahlkampfveranstaltung, bei der seine Mutter die Kandidatur einer Frau für das Gouverneursamt in Maine unterstützt, ereignet sich die nächste Tragödie …
Mit seinem vierten Roman nach „Lasst die Bären los!“, „Die wilde Geschichte vom Wassertrinker“ und „Eine Mittelgewichts-Ehe“ beschreibt der US-amerikanische Bestseller-Autor John Irving nicht nur verschiedene Aspekte der Frauenbewegung und Geschlechter-Identität, sondern auch den Zusammenhang von Dichtung und Wahrheit. Die Beweggründe der Frauenbewegung werden dabei durchaus kritisch thematisiert. Während Irving auf der einen Seite starke Frauen als Protagonistinnen etabliert, handeln sich beispielsweise die Ellen-Jamesianerinnen harsche Kritik ein. Aus Solidarität zu dem damals elfjährigen Mädchen Ellen James, dem nach seiner Vergewaltigung auch noch die Zunge entfernt wurde, damit sie ihren Peiniger nicht verraten konnte, lassen sich auch ihrer Anhängerinnen die Zungen rausschneiden. Um sich von dieser ungewollten Aufmerksamkeit durch die grotesken Selbstverstümmelungen zu distanzieren, hat nicht nur Ellen James einen Aufsatz mit dem Titel „Warum ich keine Ellen-Jamesianerin bin“ veröffentlicht, auch Garp äußerst sich kritisch gegenüber dieser Bewegung und macht sich ebenso wie seine Mutter zur Zielscheibe eines Attentats.
Welche Probleme die Fragen nach der eigenen sexuellen Identität bereiten, muss auch Roberta Muldoon erfahren, die zuvor als Mann noch ein erfolgreicher Football-Spieler gewesen war und von ihren alten Fans mit hämischen, verächtlichen Kommentaren bedacht wird. Einen besonderen thematischen Schwerpunkt bildet darüber hinaus das Wechselspiel von Wirklichkeit und Fiktion bzw. die Frage, inwieweit das reale Leben das Schreiben inspiriert. Das wird gleich bei der vollständigen Wiedergabe von Garps erster Erzählung, die von Marc Aurel mitgeprägte Geschichte „Die Pension Grillparzer“ demonstriert, die nicht nur auf die eigenen Erfahrungen von Garp und seiner Mutter während ihrer Zeit in Wien verweist, sondern auch auf Irvings nachfolgenden Roman „Das Hotel New Hampshire“. Aber auch die nachfolgenden Romane und auf besonders drastische Weise „Bensenhaver und wie er die Welt sah“ machen deutlich, wie epochale Ereignisse im Leben des Schriftstellers sich auf sein Werk auswirken, und interessanterweise finden sich die Themen, die Irving/Garp in „Zaudern“ und „Ein Hahnrei fängt sich“ angerissen hat, in Irvings früheren Büchern „Lasst die Bären los!“ und „Eine Mittelgewichts-Ehe“ wieder.
Was „Garp und wie er die Welt sah“ aber über die epische Länge von über 800 Seiten aber neben den interessanten Figuren und Themen jederzeit so lesenswert macht, ist die Unvorhersehbarkeit der Ereignisse, so wie es Jillsy, die Putzfrau von Garps Verlegers John Wolf, beschreibt, der Wolf die Manuskripte seiner Klienten vorab zur Begutachtung zu lesen gibt.
„,Bei den meisten Büchern weiß man, dass nichts passiert‘, sagte Jillsy. ,Gott, das wissen Sie doch. Bei anderen Büchern‘, sagte sie, ,weiß man schon, was passiert, die braucht man also auch nicht zu lesen. Aber dieses Buch‘, sagte Jillsy, ,dieses Buch ist so krank, dass man weiß, es passiert was, aber man kann sich nicht vorstellen, was. Man muss selbst krank sein, um sich vorstellen zu können, was in diesem Buch passiert‘, sagte Jillsy.“ (S. 624)