(Heyne, 320 S., Tb.)
Bei seinem ersten Außeneinsatz in seiner neuen Dienststelle Homicide Special wird Detective Harry Bosch um Mitternacht zum Aussichtspunkt über dem Mulholland Damm geschickt, wo ein Mann mit zwei Schüssen in den Hinterkopf hingerichtet wurde. Bosch informiert seinen neuen Partner – den mehr als zwanzig Jahre jüngeren Ignacio „Iggy“ Ferras – und ist selbst weitaus schneller am Tatort, wo der Tote als Stanley Kent identifiziert wird. Der 42-Jährige hatte quasi zu allen Hospitälern im Großraum Los Angeles Zugang zu radioaktivem Material, das meist gezielt bei bestimmten Krebstherapien zum Einsatz kommt. Das erklärt auch die Anwesenheit von FBI-Agentin Rachel Walling, mit der Bosch während des „Echo Park“-Falls eine alte Affäre wiederaufleben ließ, doch fiel der Abschied am Ende weniger harmonisch aus.
Walling hatte mit ihrem Partner schon vor einem Jahr Kontakt zu Kent und seiner Frau Alicia aufgenommen, um sie vor einer möglichen Bedrohung durch Terroristen zu warnen. Dieser Verdacht scheint sich zu bestätigen, als Bosch mit Walling zur Wohnung des Opfers fährt, wo sie Alicia Kent nackt und gefesselt in einer Urinlache auf ihrem Bett finden. Ihrer Aussage zufolge wurde sie von zwei maskierten Männern dazu gezwungen, eine Mail an ihren Mann mit dem Foto ihrer Fesselung zu schicken, worauf sie ihren Mann erpressten, ihnen das in der Klinik St. Aggy’s gelagerte Caesium zu übergeben.
Tatsächlich ergibt die Überprüfung der Caesium-Vorräte, dass das radioaktive Material abhandengekommen ist, was allerlei nationale Sicherheitsbehörden auf den Plan ruft. Zum Glück findet Boschs Partner Ferras in der Nähe des Tatorts mit Jesse Mitford einen kanadischen Jugendlichen, der sich am früheren Anwesen von Madonna versteckt hielt und beobachtete, wie ein Maskierter zwischen den beiden Schüssen „Allah“ gerufen habe. Bosch hält seinen Zeugen in der Hinterhand, um an den Ermittlungen weiterhin beteiligt zu sein, denn aus Erfahrung weiß Bosch, dass das FBI die lokalen Polizeibehörden gerne außen vor lässt und sie nur die Drecksarbeit machen lässt. Schließlich bekommt Bosch im Tausch gegen den Namen seines Zeugen von Walling die Namen zweier mit Al-Kaida in Verbindung stehenden Terroristen, die sich nach neuesten Erkenntnissen in den USA aufhalten sollen …
„Stanley Kent war gewarnt worden, dass ihn sein Beruf verletzlich machte. Seine Reaktion darauf war gewesen, sich zu seinem Schutz eine Schusswaffe zuzulegen. Und jetzt wäre Bosch jede Wette eingegangen, dass die Waffe, die er gekauft hatte, gegen ihn verwendet worden war, und zwar von einem Terroristen, der den Namen Allahs rief, bevor er abdrückte. Was war das für eine Welt, dachte Bosch, wenn sich jemand den Mut, einen anderen Menschen zu erschießen, dadurch holte, dass er den Namen seines Gottes rief.“ (S. 123)
Mit seinem 13. Harry-Bosch-Abenteuer liefert Connelly ein ungewohnt kurzes Leseabenteuer ab, was vor allem dem Umstand geschuldet ist, dass „The Overlook“ als 16-teiliger Fortsetzungsroman in der „New York Sunday“ veröffentlicht wurde. So konzentriert sich Connelly ganz auf den Fall und lässt die emotionalen Querelen, die den störrischen und unbequemen Protagonisten wegen seiner Ex-Geliebten Rachel Walling umtreiben, weitgehend außen vor. Dass der Caesium-Diebstahl innerhalb von zwölf Stunden aufgeklärt wird, trägt natürlich ebenfalls zum straff inszenierten Plot bei.
Der ist wiederum stark von den Ereignissen rund um 09/11 geprägt, vor allem von den anschließenden Restrukturierungen der unterschiedlichen Geheimdienste, die lapidar als „Buchstabensuppe“ zusammengefasst werden. Der Fall selbst beginnt vielversprechend, wirkt aber zum Ende hin zunehmend konstruiert und unglaubwürdig. Wie Bosch am Ende seiner Kollegin vom FBI in einem Quasi-Monolog die Ereignisse und Zusammenhänge erläutert, macht zwar deutlich, was für ein toller Ermittler Bosch doch ist, trägt aber nicht dazu bei, die Geschichte plausibler zu machen.
So bietet „Kalter Tod“ zwar einen knackig straffen Krimi-Plot, kann aber an die psychologische Tiefe „normaler“ Bosch-Krimis nicht anknüpfen.