Robert Bloch – „Der große Kick“

Dienstag, 13. Mai 2025

(Diogenes, 260 S., Tb.)
Ähnlich wie sein gleichermaßen in den Genres Krimi, Horror und Science-Fiction bewanderter Zeitgenosse Ray Bradbury hat „Psycho“-Autor Robert Bloch zwar auch einige Romane geschrieben, doch sein liebstes Betätigungsfeld schien das der Short Story gewesen zu sein, sind doch auch im deutschsprachigen Raum neben seinen ebenfalls allesamt kurzen Romanen etliche Kurzgeschichten-Sammlungen von ihm veröffentlicht worden. Dazu zählt auch „Der große Kick“, eine Zusammenstellung von zwölf Geschichten, die im Original in den Sammelbänden „Such Stuff As Dreams Are Made of“ (1979), „Cold Chills“ (1977) und „Mysteries of the Worm“ (1981) erschienen sind, somit dem Spätwerk des 1994 verstorbenen Autors zuzurechnen sind.
„Der Spiegelfluch“ erzählt zu Beginn die Geschichte von Ron, der als Ansager auf einem Rummelplatz nicht nur „exotische Menschenwesen“ vorstellt, sondern auch das gefürchtete Rummelplatzmonster, das tief unten in einer Grube haust und Hühnern, die dort hinuntergeworfen werden, im Nu den Kopf abbeißt. Tatsächlich handelt es sich bei dem „Monster“ um einen armen Schlucker, der bereit ist, alles für seine tägliche Ration Schnaps zu tun. Als sich Ron mit Cora, der Enkelin der Handlesedame Madame Sylvia, vergnügt und sie schwängert, hat das fatale Auswirkungen auf ihn…
Auch „Die Tierschau“ thematisiert das nicht immer koschere Treiben auf einem Rummelplatz, diesmal sorgt Captain Ryders Hollywood-Dschungelsafari für eine unangenehme Wendung im Leben des Anhalters Dave, der den Fehler macht, Ryder auf einen kränklich wirkenden Gorilla anzusprechen…
Schließlich bleibt „Die Karten lügen nicht“ diesem Gewerbe verhaftet, begleitet den Showstar Danny Jackson dabei, wie er mit der Prophezeiung, dass er auf Sonntag sterben würde, wie es in den Karten zu lesen stand, umgeht. Es ist Mittwochabend, also noch genügend Zeit, den Unsinn, den die alte Frau verzapft hat, zu vergessen. Doch Danny hat noch ein anderes Problem: Er ist hochverschuldet, seine letzten drei Filme waren Flops, nun enden auch die Probeaufnahmen für ein lukratives Fernsehprojekt in einem Fiasko…
Mit „Der Tempel des Schwarzen Pharaos“ und „Das Geheimnis des Sebek“ begibt sich Robert Bloch in die Tiefen der ägyptischen Mystik. Da begibt sich der Protagonist der zuletzt erwähnten Geschichte in Louisiana auf das Kostümfest von Henricus Vanning, wo der Autor von ägyptischen Geschichten auf einen Mann trifft, der wie Priester des alten Ägypten gekleidet ist und der eine schreckliche Entdeckung macht, als er die Krokodilsmaske zu ergreifen versucht…

„Das Ägypten meiner Träume – war es real? Warum hatte der eine Blick auf den rätselhaften Mann mit der Maske solchen Eindruck auf mich gemacht? Die Priester Sebeks hatten Blut vergossen, um sich die göttliche Rache zu sichern – konnten sie einen uralten Fluch Wirklichkeit werden lassen?“ (S. 136)

Diogenes veröffentlichte 1994 mit „Der große Kick“ eine durchaus interessante Kurzgeschichten-Sammlung von Robert Bloch, der ja auch vor allem in seinen produktiven 1960er Jahren Drehbücher zu Horrorfilmen wie „Das Kabinett des Dr. Caligari“, „Der Puppenmörder“, „Der Foltergarten des Dr. Diabolo“ und „Totentanz der Vampire“ geschrieben hatte, wobei einmal mehr die flüssige, leicht verständliche Sprache und die Fähigkeit zu komprimierten Pointen im letzten Satz den Reiz der Geschichten ausmachen. Das Rummelplatz-Thema wird zu Anfang etwas arg ausgereizt, während „Der Dickschädel“ auch Blochs Hang zu schwarzem Humor deutlich macht. Aber diese zwölf Geschichten sind trotz ihres Unterhaltungswerts weit von Blochs besten Erzählungen entfernt, präsentieren sie doch kaum wirklich neue Ideen.


Håkan Nesser – (Gunnar Barbarotti: 1) „Mensch ohne Hund“

Samstag, 10. Mai 2025

(btb, 542 S., HC)
Nachdem der schwedische Bestseller-Autor Håkan Nesser mit dem zehnten Buch „Sein letzter Fall“ seinen Kommissar Van Veeteren in Rente schickte, sollte es immerhin drei Jahre dauern, bis Nesser in Inspektor Barbarotti einen „Nachfolger“ präsentierte. Allerdings ist ihm in dem hierzulande 2007 veröffentlichten Debüt „Mensch ohne Hund“ fast nur eine Art Nebenrolle beschieden.
Wenige Tage vor Weihnachten bereitet Rosemarie Wunderlich Hermansson das große Familientreffen anlässlich des gemeinsamen Geburtstages ihres verhassten Ehemanns Karl-Erik und ihrer gemeinsamen Tochter Ebba vor. Die ehemalige Handarbeits- und Deutschlehrerin sieht mit Grauen dem Ruhestand entgegen, den ihr Mann, den sie wenig liebevoll als „pädagogische Fichte“ bezeichnet, mit ihr in Spanien an der „Rentnerküste“ verbringen will. Das Familienfest steht allerdings unter einem ungünstigen Stern, vor allem, weil ihr Sohn Walter, einst ein erfolgreicher Sportler, in einer TV-Reality-Soap dabei gefilmt wurde, wie er am Strand der Masturbation frönte und fortan als „Wichs-Walter“ die schwedische Boulevard-Presse beherrschte. Die Ärztin Ebba, die ihren 40. Geburtstag begeht, wird von ihrem Ehemann, dem Supermarkt-Leiter Leif, und den halbwüchsigen Söhnen Henrik und Kristoffer begleitet. Die jüngere Schwester Kristina erscheint mit ihrem Gatten, dem reizbaren Fernsehproduzenten Jakob und dem zweijährigen Sohn Kelvin. Unter der Oberfläche der Feierlichkeiten, des vermeintlich ausgelassenen Essens und Trinkens brodelt es allerdings. Kristoffer kommt dahinter, dass sein älterer Bruder offensichtlich schwul ist. Als sich Henrik nachts aus dem Zimmer schleicht, glaubt er noch, dass er sich mit dessen Freund Jens treffen will. Stattdessen ist Henrik zu seiner Tante Kristina unterwegs, die sich mit Jakob und Kelvin in einem Hotel eingemietet haben, das Jakob allerdings wegen einer Konferenz vorzeitig verlassen musste. Nachdem Kristina ihren Neffen davon überzeugen kann, dass er nicht homosexuell ist, verschwinden sowohl Walter als auch Henrik spurlos. Hauptkommissar Asunander beauftragt Inspektor Gunnar Barbarotti mit dem Fall, der sich mit konventionellen Mitteln nicht aufklären lässt.

„Wen zum Teufel hatte Henrik Grundt in Kymlinge treffen wollen? Sein kleiner Bruder hatte ja auch darauf hingewiesen: Er kannte keine Menschenseele dort. Konnte es sein, dass es sich um einen Bekannten aus Uppsala handelte, mit dem er das Stelldichein verabredet hatte? Ein Bekannter, der sich auch in dieser Landesecke aufhielt, um Weihnachten zu feiern? (…) Und hing das wirklich nicht mit Walters Verschwinden in der Nacht zuvor zusammen?“ (S. 295)

Mittlerweile machen sich vor allem Rosemarie und dann ihre Tochter Ebba nach einem Hinweis eines Hotelportiers vermehrt Gedanken um das Schicksal ihrer vermissten Familienmitglieder, bis sich auch Kristoffer zu einer fatalen Entscheidung durchringt…
Allein die Tatsache, dass Inspektor Barbarotti erst nach 200 Seiten erstmals in die Handlung eingeführt wird, veranschaulicht, dass es sich bei „Mensch ohne Hund“ nicht um einen klassischen Krimi handelt. Der Titel bezieht sich übrigens auf ein gut 650 Seiten umfassendes gleichnamiges Romanmanuskript des vermissten Walter Hermansson, spielt für die Handlung aber keine entscheidende Rolle. Barbarotti wird als sympathischer und geschiedener Mittvierziger vorgestellt, der über die Feiertage seine achtzehnjährige Tochter Sara zu Besuch hat und eine Affäre mit der Urlaubsbekanntschaft Marianne unterhält. Der Schwerpunkt des Romans liegt allerdings in der Beschreibung der angespannten Verhältnisse innerhalb der Hermansson-Familie. Ausgedehnte innere Monologe der einzelnen Familienmitglieder sorgen für die Charakterisierung sowohl der Figuren als auch ihrer Beziehungen zueinander. Was sich aus diesen zwischenmenschlichen Dramen entwickelt, macht den eigentlichen Reiz der Handlung aus, wobei die Aufklärung der Schicksale der beiden Vermissten fast in den Hintergrund gerät. 
Nesser erweist sich in „Mensch ohne Hund“ weniger als Kriminalist, sondern als guter Beobachter menschlicher Befindlichkeiten, die zu tragischen Entscheidungen führen können. Das ist nicht besonders spannend, aber die gefällige, mit vielen humorvollen Einschüben versehene Sprache des Autors macht Lust auf die Fortsetzung der Barbarotti-Reihe.

David Baldacci – (Amos Decker: 7) „Long Shadows“

Montag, 5. Mai 2025

(Heyne, 510 S., HC)
Der ehemalige Strafverteidiger und Wirtschaftsjurist David Baldacci hat sich seit seinem von und mit Clint Eastwood verfilmten Romandebüt „Absolute Power“ (dt. „Der Präsident“) zu einem der meistgelesenen Thriller-Autoren weltweit entwickelt und vor allem in den 2000er und 2010er Jahren eine beeindruckende Anzahl an Romanreihen um charismatische Protagonist:innen entwickelt. Mit „Long Shadows“, dem siebten Band um den mit einem fotografischen Gedächtnis gesegneten FBI-Berater Amos Decker, führt der sogenannte „Memory Man“ nun allein die Spitze hinsichtlich der Anzahl der in einer Reihe veröffentlichten Romane an. Und auch qualitativ bewegt sich die Reihe nach wie vor auf hohem Niveau.
Als hätte Amos Decker nicht schon genug daran zu leiden, dass er während seiner Laufbahn als Detective seine Tochter Cassie, seine Frau Molly und deren Mann in seinem Heim bestialisch ermordet vorfand, verfügt er als ehemaliger Footballspieler nach einem Zusammenstoß mit einem gegnerischen Spieler über ein fast perfektes autobiografisches Gedächtnis und über die Fähigkeit der Synästhesie, die sich bei Decker u.a. in der Fähigkeit manifestiert, Zahlen, Personen und Empfindungen in Farben zu sehen. Für seine jetzige Tätigkeit als Berater für das FBI sind diese Fähigkeiten Gold wert, verfügt Decker doch über eine Aufklärungsquote von hundert Prozent. Dennoch ist die unorthodoxe Art, mit der Decker auftritt und arbeitet, bei seinen Vorgesetzten ein Dorn im Auge. 
Nun muss Decker einen weiteren Verlust verkraften. Seine ehemalige, an Demenz leidende Partnerin beim Burlington Police Department in Ohio, Mary Lancaster, ruft Decker mitten in der Nacht an, um ihm zu berichten, dass sie ihre eigene Tochter vergessen habe. Dann wird Decker Zeuge, wie sich Mary mit ihrer Pistole das Leben nimmt. 
Für Trauerarbeit bleibt jedoch keine Zeit. Mit seiner neuen Partnerin Frederica White wird Decker nach Florida geschickt, um den Doppelmord an einer Bundesrichterin und ihrem Bodyguard aufzuklären, wobei sie von dem dort zuständigen Beamten Doug Andrews unterstützt werden. Interessant ist nicht nur, dass der Bodyguard mit zwei Schüssen niedergestreckt worden ist, während die Richterin mit mehreren Messerstichen getötet wurde, sondern auch, dass die Richterin eine durchlöcherte Augenbinde umgebunden bekam, dem Bodyguard dagegen alte slowakische Geldscheine in den Hals geschoben wurden. Zu den Verdächtigen zählt natürlich der Ex-Mann der Richterin, der sich offenbar mit der Trennung nicht abfinden konnte, aber auch die Firma, bei der der Bodyguard angestellt war, scheint etwas zu verbergen zu haben. Jedenfalls verschwinden nach und nach wichtige Zeugen, und die wenigen, mit denen Decker und White sprechen können, sind nicht so auskunftsfreudig wie erhofft…

Was wirst du jetzt tun, Decker? Du hast einen Fall aufzuklären, aber kaum Spuren, nur einen großen Haufen Sand, in dem du nach irgendeinem Körnchen suchst, das dir weiterhelfen könnte. Du wirst mit einem Wust an Informationen konfrontiert, von denen viele keinen erkennbaren Sinn ergeben, und sollst irgendeinen Zusammenhang herausfiltern, ein Muster erkennen. Er seufzte tief. Ich weiß nicht, ob ich das kann. Ob ich es überhaupt will.“ (S. 143)

Mit den letzten „Memory Man“-Romanen drohte sich der versierte Autor an dem komplexen Arrangement an Figuren, Action und Zusammenhängen zu verheben, doch hat Baldacci mit „Long Shadows“ nun wieder etwas mehr die Kurve gekriegt. Nach dem erschütternden Auftakt mit dem Selbstmord seiner früheren Partnerin und der Tatsache, dass sich Decker nun an eine neue Partnerin gewöhnen muss, kommt Baldacci mit einem interessanten Doppelmord schnell zur Sache, wobei er nicht auf einen handlungsgetriebenen Plot setzt, sondern auf hartnäckige Ermittlungsarbeit, die sich in vielen, zuweilen etwas ermüdenden Dialogen Ausdruck verschafft. Auf die neue Arbeitsbeziehung zwischen Decker und White hätte dabei etwas tiefer eingegangen werden können, um dem Thriller auch eine emotionale Gewichtung zu verleihen. Meist beschränken sich die persönlichen Themen nämlich auf Erinnerungen an die Familienangehörigen, die sowohl Decker als auch White verloren haben. Dafür beweist Baldacci mit wiederholten Verhören, die sein neues Ermittler-Duo durchführt, echte Steher-Qualitäten, mit denen Stück für Stück die wahren Motive für den Doppelmord herausgearbeitet werden. Und das Ende macht Hoffnung, dass die Reihe um den „Memory Man“ weiterhin fortgesetzt wird, zumal noch die Frage im Raum steht, wie sehr sich Deckers Persönlichkeit mit der vorhergesagten Veränderung seiner Gehirnstruktur entwickeln mag.