Brian Lowry - „Akte X - Das offizielle Kompendium: Die Wahrheit ist irgendwo dort draußen“ + „Akte X - Das offizielle Kompendium, Band 2: Vertrauen Sie niemandem!“

Donnerstag, 12. März 2009

(vgs, 286 S. + 304 S., Pb.)
„Akte X“-Fans, die gern mehr über „die unheimlichen Fälle des FBI“, über die faszinierenden Hintergründe der paranormalen Ereignisse erfahren möchten, denen die FBI-Agenten Fox Mulder und Dana Scully jede Woche nachspüren, werden bei ihrer „Suche nach der Wahrheit“, die „irgendwo dort draußen“ lauert, zunächst wohl auf die umfangreichen und informativen Kompendien stoßen, die Brian Lowry zusammengestellt hat.
In der Einführung zum ersten Band beschreibt Lowry ganz zutreffend von der Faszination, die die Serie ausmacht, die zunächst als Krimiserie angekündigt wurde, aber ganz unterschiedliche Facetten aufweist, nämlich einmal die Beschäftigung mit UFOs und anderen bizarren Vorfällen, dann die ungewöhnliche Partnerschaft zwischen dem felsenfest ans Paranormale glaubenden Agenten Fox Mulder und der ihm zugeteilten Agentin Dana Scully, die als strenggläubige Wissenschaftlerin Mulders X-Akten die Aura des Unerklärlichen nehmen soll. Und schließlich werden die oftmals recht komplexen Handlungen durch Verschwörungen und Verschleierungen, in denen die Regierung verwickelt ist, angereichert, so dass die Suche nach der Wahrheit ein manchmal ungewisses und auch unbefriedigendes Ende nimmt - doch gerade diese Bestandteile machen die Serie so „unheimlich“ und ließen sie nach „Twin Peaks“ als erste Mystery-Krimi-Serie etablieren, die etliche Nachfolger wie „Dark Skies“, „Profiler“ oder „Millennium“ nach sich ziehen sollte.
Brian Lowry geht der Geschichte von „Akte X“ von ihren Ursprüngen an nach und beginnt folgerichtig mit der Karriere von „Akte X“-Schöpfer Chris Carter und seiner Konzeption der Kultserie, die eine zeitgemäße Version der Serie „Nachtjäger“ und nach dem Oscar prämierten Kinohit „Das Schweigen der Lämmer“ das FBI als ständige Ausgangsbasis benutzen sollte. Lowry rekapituliert dann die Schwierigkeiten bei der Besetzung der Hauptrollen und wirft einen Blick „hinter die Kulissen“, wobei Produzenten, Drehbuchautoren, Regisseure und Schauspieler zu Wort kommen. In den „Pro-files“ werden die einzelnen Hauptdarsteller der Serie vorgestellt.
Im Hauptteil des ersten Bandes folgen dann die Inhaltsangaben, Facts, Besetzungslisten zu jeder Folge der ersten und zweiten Staffel auf je zwei bis drei Seiten.
Abgeschlossen wird das erste Werk der Kompendium-Reihe durch eine Vorstellung der „X-Philes“-Aktivitäten, also die der „Akte X“-Fans, sowie Einschaltquoten, Pressestimmen und Auszeichnungen, die die Serie bislang verliehen bekam - und schließlich Infos zu den Charakteren der Serie.
Da sich Band 2 bei gleichem Umfang mit nur einer, nämlich der dritten Staffel auseinanderzusetzen hat, wurde das Konzept entsprechend verändert. Auf eine längere Einführung zu „Akte X“ generell konnte ja ebenso verzichtet werden wie auf die Portraits der Serienstars. In der Einführung beschreibt der Autor diesmal den Umgang der „Akte X“-Verantwortlichen mit dem doch etwas überraschenden Erfolg der Serie, die Roman-, Novel-, Comic- und CD-Veröffentlichungen nach sich zog, ganz zu schweigen von dem Wust an sonstigen Merchandising-Produkten wie T-Shirts, Kaffeebecher, Poster, Kalender, Schlüsselanhänger...
Auf über 70 Seiten rekapituliert Lowry dann die Entstehung von der Folge „Talitha Cumi“, die als „Der Tag steht schon fest“ den Cliffhanger der dritten Staffel bildet.
Hier erhält der Leser eine detaillierte Vorstellung davon, wie eine „Akte X“-Folge innerhalb von acht zur Verfügung stehenden Tagen realisiert wird, vom Boarding über das Verfassen des Drehbuchs, das seine Basis mit der Darstellung des Cigarette-Smoking-Man als Großinquisitor erhält, die dann mit Fleisch gefüllt wird, bis zu den Dreharbeiten und der Postproduktion am Schneidetisch sowie mit der Musik- und Soundeffects-Untermalung.
Der Episodenführer zur dritten Staffel ist im Vergleich zu Band 1, in dem zwei Staffeln untergebracht werden mussten, natürlich ausführlicher ausgefallen, so dass jeder Folge sechs bis sieben Seiten eingeräumt wurden. Abgeschlossen wird Band 2 des „Akte X Kompendiums“ mit der Schilderung, wie die „Akte X“-Drehbuchautoren arbeiten und einem Dossier mit den 12 am häufigsten Fragen und dazugehörigen Antworten zu „Akte X“.
Fazit: Als echter „X-Phile“ kommt man um diese beiden informativen Kompendien, denen im Januar der dritte Band folgen soll, kaum umhin. Abgesehen von den Infos zu den einzelnen Folgen bekommt man hier einen schönen Einblick in die Konzeption und Entstehung der Mystery-Serie.

Jane Goldman - „Die wahren X-Akten - Das Buch der unerklärlichen Phänomene“, Band 1+2

(vgs, 352 S. + 352 S., HC)
Millionen von Zuschauern saßen in den 90ern jede Woche gebannt vor dem Bildschirm, um „die unheimlichen Fälle des FBI“ mitzuverfolgen, die den beiden so unterschiedlichen, sich aber so perfekt ergänzenden Agenten Fox Mulder und Dana Scully anvertraut werden. Das Erfolgsrezept der Serie von Chris Carter liegt sicher nicht nur in seiner für das Medium Fernsehen ungewöhnlich aufwendigen Produktionsweise und den spannenden Erzählweise - „Akte X“ spricht vor allem unsere ureigensten Ängste, Träume und Vorstellungen von dem an, was „irgendwo da draußen“ vor sich geht, handelt es sich nun um außerirdisches Leben, um internationale Verschwörungen, Monströsitäten, die die Natur und die Wissenschaft hervorbringen, oder um alte Mythen und geheimnisvolle Rituale, Geister und Dämonen.
Die Journalistin Jane Goldman leistet (nicht nur) dem treuen Akte-X-Fan eine fast unentbehrliche Hilfestellung bei seiner Suche nach der Wahrheit, die die FBI-Agenten Mulder und Scully stellvertretend für uns jede Woche unternehmen.
In „Die wahren X-Akten“ geht Goldman den in der Kult-Serie thematisierten seltsamen Phänomenen auf den Grund und unterstützt den Leser damit bei der Entwicklung einer eigenen Meinung. Zwar beruhen die in „Akte X“ thematisierten Phänomen nicht - wie so oft behauptet wird - auf wahren Begebenheiten, sehr wohl weisen die Geschichten aber durchaus reale Hintergründe auf, denen Jane Goldman gewissenhaft nachgeht.
In Band 1 der „wahren X-Akten“ werden aber nicht nur Phänomene aufgegriffen wie „Wildlebende Menschen“, „Künstliche Intelligenz“, „UFO-Erfahrungen“; es wird nicht nur dem Werwolf-Mythos oder indianischen Mythen nachgespürt - der Zusammenhang mit „Akte X“ wird immer wieder durch Zitate von Scully und Mulder sowie den Produzenten der Serie hergestellt, durch „Fallnotizen“, wie sie meist zum Ende einer Serienfolge von Scully oder Mulder niedergeschrieben werden, und vor allem wunderbares, farbiges Bildmaterial auf Hochglanzpapier ergänzt. Am Ende des Buches werden vier Männer aus dem wirklichen Leben vorgestellt, die ähnlich wie Mulder „auf der Suche nach der Wahrheit“ sind, und mit Nick Pope wird ein leitender Angestellter des britischen Verteidigungsministeriums portraitiert, der ähnliche Aufgaben wahrnimmt wie Fox Mulder in „Akte X“.
Das erfolgreiche und grafisch so ansprechend aufbereitete Buch musste natürlich eine Fortsetzung finden: Band 2 beschäftigt sich mit den Ereignissen, die in der zweiten und dritten Staffel von „Akte X“ thematisiert wurden: Seeungeheuer, körperliche Anomalien, halluzinogene Ausflüge, Voodoo, Gedankenkontrolle, Träume. Dazu kommen wieder die Macher und Beteiligten der Serie zu Wort, aber auch Wissenschaftler, die ihre Kommentare zu den „Akte X“-Phänomenen und den neuesten Entwicklungen in den Grenzwissenschaften abgeben.
Zum Schluss gewährt Goldman dem Leser einen Einblick in die Geschichte des FBI und lässt wieder Forscher und Wissenschaftler ihre Wahrheitssuche schildern.

Iain McCalman - „Der letzte Alchemist – Die Geschichte des Grafen Cagliostro“

Mittwoch, 11. März 2009

(Insel, 332 S., HC)
Giuseppe Balsamo oder - wie er sich später selbst nannte – Graf Cagliostro zählt bis heute zu den schillerndsten Persönlichkeiten zu Beginn der Moderne. Der 1743 in Palermo geborene Balsamo bereiste bereits im Alter von zwanzig Jahren Nordafrika und unter seinem edleren Namen zehn Jahre lang Europa, wo er als Geisterbeschwörer, Wunderheiler und Prediger für Aufsehen sorgte und gern gesehener Gast bei seinen Gönnern in Rom, Venedig, St. Petersburg, London, Warschau und Paris gewesen ist – bis er aufgrund seiner freimaurerischen Aktivitäten vor allem bei der katholischen Kirche unbeliebt machte und zur Flucht/Weiterreise gezwungen wurde.
Der in Australien lebende Kulturhistoriker Iain McCalman hat sich auf die Spurensuche begeben und auf historischen Dokumenten und seinem Besuch der Wirkungsstätten des Grafen Cagliostro basierend ein äußerst faszinierendes wie spannendes Portraits des Mannes gezeichnet, der seine eigene Freimaurerloge gründete, mit seiner bezaubernden Frau Serafina immer wieder auf Casanova traf und durch seine alchemistischen Kunststücke stets der kirchlichen Verfolgung ausgesetzt war. Wegen der berüchtigten Halsbandaffäre landete er in der Bastille, wurde von seiner Frau der römischen Inquisition ausgeliefert und musste die letzten sechs Jahre seines Lebens im vatikanischen Staatsgefängnis verbringen. McCalman zeichnet die Stationen im Leben des Grafen Cagliostros als Freimaurer, Geisterseher, Schamane, Prophet und Ketzer auf unterhaltsame Weise nach und entwirft so ein farbenprächtiges Bild einer der vielschichtigsten und einer enorm einflussreichen Persönlichkeit des 18. Jahrhunderts.

Florian Illies - „Generation Golf zwei“

(Blessing, 256 S., HC)
Vor drei Jahren gelang dem 1971 geborenen, ehemaligen Leiter der Berliner Seiten in der FAZ, Florian Illies mit „Generation Golf“ eine witzige Inspektion seiner in den 80ern Jahren von Modern Talking sozialisierten Generation, die ganz unbelastet von Holocaust und Studentenrevolte einen ausschweifenden Hedonismus pflegte. In der Welt von Nutella, „Wetten, dass...?“, Cappuccino, dem von den Eltern bezahlten VW Golf, Rubik’s Cube, Kajagoogoo und A-ha schien alles einfach wunderbar und bunt und einfach zu sein.
Illies gelang damit ein Bestseller, dem ursprünglich keine weitere Bestandsaufnahme folgen sollte. Der Autor vermutete, dass sich in Zukunft nicht viel ändern würde. Weit gefehlt. Nach dem 11. September 2001, dem Einbruch der Aktienkurse und dem Irak-Krieg scheint auf einmal nichts mehr so zu sein wie zuvor. Die erfolgsverwöhnte Generation der um 1970 Geborenen hat mit bis in den engsten Bekanntenkreis vordringenden Arbeitslosigkeit, gescheiterten Beziehungen, der Wahl des richtigen Wohnbezirks in Berlin und Kommunikationsdefiziten durch den Siegeszug von Handys, Chat-Rooms und Internet zu kämpfen. So treffend und witzig Illies’ zweite Bestandaufnahme seiner Generation auch ausfällt, ein wenig kritischer hätte sie trotzdem ausfallen können. Nicht mal im Ansatz wird auf Möglichkeiten für einen Weg aus der vorverlegten Quarterlifecrisis hingewiesen. Illies scheint sich selbst im Dschungel der Lebensgestaltung zwischen Aldi, Ikea und Wellness-Angeboten verirrt zu haben und beschreibt daher seine ganz eigenen Erinnerungen an die 80er. Ab und zu ein Blick über den eigenen Tellerrand hinaus hätte dem Buch sicher gut getan.

Ethan Coen - „Falltür ins Paradies“

Dienstag, 10. März 2009

(Goldmann, 253 S., Tb.)
Cineasten geraten bei dem Namen Ethan Coen ins schmunzelnde Schwärmen, schließlich ist Ethan zusammen mit seinem Bruder Joel für so groteske und ironische filmische Leckerbissen wie „Fargo“, „Blood Simple“ und „No Country For Old Men“ verantwortlich gewesen, wobei Joel in der Regel Regie führte und Ethan für die Produktion zuständig war, beide zusammen aber für das Drehbuch verantwortlich gewesen sind. Mit „Falltür ins Paradies“ legt der jüngere Coen-Bruder seine erste Geschichten-Sammlung vor, die zum Glück für alle Coen-Fans den gleichen hintergründigen Charme und absurden Humor besitzt wie die stilistisch eigenwilligen Filme der Coen-Talentschmiede.
Die vierzehn, in der Regel zehn- bis zwanzigseitigen Geschichten erzählen abenteuerliche, unglaubliche, kuriose, aber immer doch noch absolut vorstellbare Episoden aus dem Leben von sympathischen Verlierern und verhinderten Helden, und als Leser kommt man nicht umhin, in dem selben Moment, in dem man über die eine wieder mal mißglückte Situation lacht, ehrliches Mitgefühl zu empfinden, und das macht Ethan Coens Geschichten so lesenswert. So bezieht Joseph Carmody in „Bestimmung“ nicht nur im Boxring ordentlich Prügel, sondern auch bei einem wenig lukrativen Job, bei dem er die Frau seines Auftraggebers in flagranti mit einem Geschäftspartner fotografieren soll, dabei aber nicht unentdeckt bleibt. „Im Blut“ erzählt die seltsame Geschichte des Privatdetektivs Victor Strang, dem bei einer Auseinandersetzung mit einem Ganoven das Ohr abgebissen wird und der nach dem Schock im Krankenhaus taub aufwacht und von merkwürdigen Träumen heimgesucht wird. In der Titelgeschichte ist Eichmeister Joe Gendreau Betrügern auf der Spur, die ihre Kunden beim Wiegen der Ware betrügen, gerät dabei aber in die Hände der japanischen Mafia. So reiht sich eine absurde Story an die nächste, und fast ist man froh, dass das eigene Leben - im Vergleich zu den bemitleidenswerten Protagonisten von Coens Geschichten - in verhältnismäßig geordneten, vorhersehbaren Bahnen verläuft.

Jonathan Kellerman - „Das Buch der Toten“

(Manhattan, 574 S., HC)
So wie James Patterson seinen Alex Cross und Jeffery Deaver seinen Lincoln Rhyme hat, schickt der gelernte Kinderpsychologe und erfolgreiche Krimi-Autor Jonathan Kellerman den Psychologen Dr. Alex Delaware im Kampf gegen das Verbrechen ins Rennen. Beim „Buch der Toten“ handelt es sich um ein edles Fotoalbum, das Alex anonym zugeschickt wird. Als er das Album seinem Freund, dem Polizeidetective Milo Sturgis, zeigt, hält dieser beim Durchblättern der Tatortfotos schockiert inne.
Ein Bild zeigt nämlich die grässlich zugerichtete Leiche des jungen Mädchens Janie Ingalls – einer der ersten Mordfälle, die Milo zu bearbeiten hatte, und einer der wenigen, die er nicht lösen konnte. Damals wurde er nämlich mit seinem damaligen Partner Pierce Schwinn von dem Fall abgezogen: Schwinn wurde in Pension geschickt, Milo zu einer anderen Einheit versetzt. Doch nach zwanzig Jahren nimmt Milo die Spur wieder auf. Schon die Tatsache, dass Janie vor ihrem Tod auf einer Party der Kinder des reichen Unternehmers Garvey Cossack gewesen war, lässt Milo und Alex Unheilvolles ahnen: der Fall führt die beiden Freunde in die höchsten Gesellschaftskreise, und das Fotoalbum erweist sich zunehmend als mysteriöser Fingerzeig, nachdem auch Schwinn angeblich einem Reitunfall zum Opfer gefallen ist. Schon bald stochern die beiden Ermittler in einem undurchdringlichen Dschungel aus Lügen, Korruption, Gewalt und Macht. Spannender wie einfühlsamer Psycho-Thriller von einem Meister seines Fachs!

Alain Demurger - „Der letzte Templer – Leben und Sterben des Großmeisters Jacques de Molay“

(C.H. Beck, 390 S., HC)
Seit jeher ranken sich um den Templerorden, der 1120 in Jerusalem zunächst als Schutz der Pilger gegründet wurde, dann zu einer kampfstarken Eliteeinheit des Rittertums im Glaubenskampf avancierte, bis der unmittelbar dem Papst unterstellte, unermesslich reiche Orden schließlich nicht nur den Neid der Kirchen, sondern auch von Frankreichs König Philipp der Schöne zu spüren bekam, der die Ordensritter diskreditierte , bis die Scheiterhaufen brannten, wo im März 1314 auch Jacques de Molay, der dreiundzwanzigste und letzte Großmeister des Ordens, sein bedauernswertes, schreckliches Ende nahm. Noch auf dem Scheiterhaufen, so will es die Legende, soll de Molay König und Papst verflucht haben, die daraufhin noch im selben Jahr einen grausamen Tod starben.
Der französische Experte für die Geschichte der Ritterorden, Alain Demurger, der bei Beck 1991 bereits das Standardwerk „Die Templer“ veröffentlichte, beschreibt in seinem faszinierenden Abriss , wie der Orden zum Schutz der Kreuzfahrer auf ihrer Pilgerfahrt ins befreite Jerusalem gegründet wurde und sein Haupthaus auf dem heutigen Tempelberg hatte, was dem Orden seinen Namen gab. Molay trat 1265 in den Orden ein, der ihn bereits 1292 zum Großmeister kürte. Doch dem Komplott gegen seinen Orden durch Papst Clemens V. und Philipp den Schönen konnte er nicht rechtzeitig entgegenwirken … Demurger zeichnet sein Portrait des Großmeisters und damit auch der letzten Tage des Ordens anhand zeitgenössischer Chroniken und Briefe, vor allem aber mittels der Verhörprotokolle aus dem Prozess gegen die Templer. So ergibt sich ein schillerndes und packendes Portrait nicht nur von de Molay, sondern gleichsam eine Kulturgeschichte der Endzeit des Templerordens.

Richard Jones - „Verwunschenes England und Irland“

Montag, 9. März 2009

(Bechtermünz, 160 S., HC)
Spätestens durch die prächtigen Fotobände von Simon Marsden und Gerald Axelrod im Eulen Verlag ist das Interesse an britischen Spukorten und Gespenstergeschichten sprunghaft gestiegen. Der englische Forscher, Geisterjäger und Touristenführer Richard Jones unternimmt mit seinem üppig ausgestatteten Reiseführer eine unheimliche Exkursion zu über 130 gespenstischen Orten auf der britischen Insel und verbindet dabei historische Legenden, mündliche Überlieferungen und Augenzeugenberichte zu einem höchst unterhaltsamen, schaurig-schönen Lesevergnügen.
Die einzelnen Kapitel sind nach geografischen Kriterien geordnet, eine Landkarte mit Legende erleichtert die Verortung der einzelnen, zumeist öffentlich zugänglichen Spukorte, so dass jeder Geisterjäger sich leicht selbst auf die Suche nach diesen verwunschenen Orten begeben kann. So erfährt man von irischen Feen, Elfen und Kobolden, von Hexen in Suffolk, Norfolk und Essex, von grausamen Morden und Horrorgeschichten rund um London und dem Grauen, das vom Meer auf die Insel überschwappte. Historische Dokumente, Zeichnungen, unzählige, teils farbige, teils in atmosphärischem Duoton abgelichtete Fotografien (natürlich auch von Simon Marsden) und ein ausführliches Register runden das informative wie unterhaltsame Werk wunderbar ab.

Jerome Delafosse - „Im Blutkreis“

(Limes, 414 S., HC)
Nachdem der Wissenschaftler Nathan Falh nach einer missglückten Tauchexpedition mit der „Pole Explorer“ in der Arktis verunglückt ist, wacht er in einem norwegischen Krankenhaus aus dem Koma aus und kann sich an nichts erinnern. Als man ihm im Treppenhaus aber ans Leben will, erwachen Nathans nahkampferprobten Instinkte. Er entledigt sich der Killer und flüchtet nach Paris, wo er seinen ständigen Wohnsitz hat. Doch auch in der leeren Wohnung kommen die Erinnerungen an sein früheres Leben nicht zurück. Ein Fax führt ihn allerdings ins italienische Cesena, wo in einer Bibliothek das mysteriöse „Elias“-Manuskript aufbewahrt wird.
In ihm ist von einem Geheimbund namens „Der Blutkreis“ die Rede. Zusammen mit dem Bibliothekar Ashley Woods versucht Nathan nicht nur, das Geheimnis des mysteriösen Manuskripts und des darin erwähnten Geheimbundes zu entschlüsseln, sondern vor allem auch seine eigene Identität zu erfahren, die nach wie vor im Dunkeln liegt. Doch je mehr das Manuskript seinen Inhalt preisgibt und Nathan die Stätten seines früheren Wirkens aufsucht, desto unheimlicher offenbart sich seine eigene düstere Vergangenheit … Natürlich wird auch das Debüt dieses Franzosen mit Dan Brown verglichen. Obwohl es spannend geschrieben ist, entwickelt sich die Geheimbund-Geschichte erst nach über der Hälfte des Romans und hat dann wenig mit den derzeit so beliebten christlichen Verschwörungstheorien zu tun.

John J. Dunne - „Irland - Die Welt der Geister“

(Eulen, 120 S., HC)
Dass die britischen Inseln einen wahren Fundus an Geistergeschichten besitzen, hat vor allem der englische Fotograf Simon Marsden ausgiebig in seinen schaurig-schönen Bildbänden über Spuk und Gespenster in Großbritannien dokumentiert. Aus seinem Archiv stammen auch die vierzig Fotografien, die die von John J. Dunne gesammelten Spukgeschichten aus Irland stimmungsvoll illustrieren.
Er berichtet von der typisch irischen Banshee, die als Art Todesbotin betrachtet wird, von Phantomhunden (man erinnere sich nur an Sherlock Holmes’ Abenteuer in „Der Hund von Baskerville“) und grauenhaften schwarzen Katzen, von ruhelosen Geistern in alten Herrenhäusern, merkwürdigen Todesfällen und noch unheimlicheren Geräuschen in den Gemäuern labyrinthartiger Schlösser. Ob es sich um „dämonische Heimsuchungen“, „Todesboten“ oder „Vorzeitiges Ableben“ handelt, um nur einige Kapitel zu nennen, stets wird deutlich, dass in den noch immer lebendigen Geschichten eine uralte Tradition Irlands bewahrt wird, die den Geistern eine unheimliche Macht zugesteht. Wie faszinierend diese Geschichten auch für uns noch sind, bewies erst Tim Burton mit „Sleepy Hollow“, wo genau eine dieser Geschichten über einen kopflosen Reiter erzählt wurde, die auch John J. Dunne wiedergibt. Neben Marsdens atmosphärischen Bildern sorgen auch Gedichte von Thomas Moore und Gerald Griffin für angenehmes Gruseln. Und wer dann erst richtig Lust aufs Gruseln bekommen hat, kann sich im Internet unter www.irelandseye.com/ghost/index.shtm selbst auf Geistersuche begeben.

Rainer Rother - „Leni Riefenstahl. Die Verführung des Talents“

Sonntag, 8. März 2009

(Henschel, 288 Seiten, HC)
Lange Zeit ist Leni Riefenstahl einfach ein Tabu-Thema, eine Unperson gewesen. Es reichte die Vorstellung vom Werk, nicht seine genaue Analyse, dass auf die „NS-Filmerin“ reduziert wurde. Seit einigen Jahren findet allerdings eine sachorientiertere Diskussion um die wohl umstrittenste Regisseurin aller Zeiten statt, wobei man sich um eine kulturgeschichtliche Einbettung in das Deutschland der 30er und 40er Jahre bemüht. Genau hier setzt Rother mit seinem Bemühen an, etwas mehr Licht in das Dunkel der rätselhaften Persönlichkeit Riefenstahl zu nähern, die selbst in ihren Memoiren noch behauptete, von Hitler zu Parteitagsfilmen gezwungen worden zu sein, die Regie für „Olympia“ (1938) nur widerwillig angenommen zu haben und sich „Tiefland“ (1940/1954) nur gewidmet zu haben, weil ihr eigenes Projekt „Penthesilea“ zu Zeit des Krieges nicht recht am Platze schien.
Rother rekonstruiert dagegen das Bild einer ungewöhnlich willensstarken Frau, die sich in der Männerdomäne des Films gegen alle Widerstände zu behaupten wusste. Er zeichnet das Portrait einer ebenso talentierten wie durchsetzungsfähigen Frau, deren bemerkenswerteste Filme ausgerechnet Propagandawerke gewesen sind. Doch ihre nachhaltige Wirkung ist noch heute in der Sportberichterstattung, in der Werbung und in Historienfilmen zu erkennen. Rother beschäftigt sich bei seiner nüchternen, aber analytisch genauen Auseinandersetzung mit Leni Riefenstahls Leben und Werk konsequenterweise auch mit der Nachkriegszeit, für die die Regisseurin und Fotografin ebenso Symbolfigur wurde wie für den Nationalsozialismus. Er zeigt dabei, wie stark die öffentliche Ablehnung Riefenstahls mit der Verdrängung des einstmals vielgeliebten NS-Regimes zusammenhängt und wie zerrissen Riefenstahl selbst ihre Rolle im Hitler-Deutschland erlebt hat. Das vor allem auch in historisch interessante Werk räumt mit einigen Legenden auf, die sich um die mal als „Genie“, mal als „Propagandistin“ bezeichnete Riefenstahl ranken, und wird durch einen wundervollen Bildteil entsprechend abgerundet.

Alfred Pfabigan - “Gottes verbotene Worte. Was die Bibel verschweigt”

(Eichborn, 432 S., HC)
Obwohl die christliche Kirche in ihrer jahrhundertelangen Geschichte immer alles daran gesetzt hat, alle Texte christlichen Ursprungs, die nicht dem offiziellen Kanon der Bibel entstammen, zu unterschlagen, zu verdrängen und zu verteufeln, haben die sogenannten Apokryphen (griechisch: das Verborgene) gerade im heutigen, immer mehr von verschiedenen esoterischen Lehren durchsetzten Jahrhundert nichts von ihrer Anziehungskraft verloren und waren schon in der frühchristlichen Ära Inspiration für gnostische und manichäische Sekten.
Während die Bibel nur einen Bruchteil der koptischen, altjüdischen und aramäischen Quellen enthält, hat der Professor für Philosophie, Politik- und Kulturwissenschaftler Alfred Pfabigan nun einige der unterschlagenen und durch päpstliches Dekret verteufelten Texte zusammengesucht und sie mit dem Alten Testament, den Schöpfungsgeschichten, Evangelien, Apostelgeschichten und der Apokalypse so zusammengestellt, dass sie dem Aufbau der offiziellen Version der Bibel folgen.
Bei der unterhaltsamen Lektüre der Texte, die sich teilweise stark von der kanonisierten Variante unterscheiden, wird schnell deutlich, warum sie bei der Zusammenstellung der offiziellen Bibel unter den Tisch fielen: So schlugen sich nach dem Buch Ephraim Kain und Abel nicht um Gottwohlgefälligkeit, sondern um eine verführerische Frau. Der kleine Jesus lässt einen Spielkameraden verdorren und tötet einen anderen mit bloßen Worten. Und im Evangelium Barnabas wurde nicht etwa Jesus gekreuzigt, sondern - als Strafe für seinen Verrat - Judas. Der überlebende Jesus verkündete, dass nicht er der Messias sei, sondern Mohamed. Obwohl natürlich klar wird, warum solche Texte von der Kirche verboten wurden, plädiert Pfabigan nicht für eine andere Kirche, sondern nur für einen weniger ängstlichen Umgang mit unserer Tradition. Auf jeden Fall bietet „Gottes verbotene Worte“ rätselhafte, sinnliche und amüsante Unterhaltung. Zudem zeigt der Autor in einem längerem Vorwort die interessante Entstehungsgeschichte der Bibel, die Machtkämpfe während der Kanonisierung ihrer Texte und auch Freuds psychoanalytische Auseinandersetzung mit der Bibel auf, deren Geschichten auch heute noch in der Hoch- und Populärkultur stetig wiederholt werden.

Peter O. Chotjewitz - „Machiavellis letzter Brief“

(Europa, 452 S., HC)
Christian Weise ist ein junger und hochtalentierter, aber noch recht unbekannter Dichter und Philosoph, der im Jahre 1664 den delikaten Auftrag erhält, für die berühmte Wolfenbütteler Bibliothek den angeblich letzten Brief des großen Florentiner Denkers und Dichters Niccolò Machiavelli käuflich zu erwerben. Der Leser wird in Form eines Reiseberichts, den Weise in Art von Tagebuchaufzeichnungen seinem Herrn, den Herzog August d. J. von Braunschweig-Wolfenbüttel vorlegt, Zeuge einer recht abenteuerlichen Reise, die den jungen Philosophen von Braunschweig über Augsburg nach Sant’ Andrea bei Florenz führt, wo eine gewisse Ippolita Machiavelli im Besitz des unglaublichen Dokuments sein soll.
 Über einige Umwege endlich am begehrten Ziel angekommen, legt ihm Ippolita nicht nur einen Brief, sondern gleich eine längere autobiographische Erzählung Machiavellis vor. Allerdings bleibt dem deutschen Philosophen nicht viel Zeit zur Überprüfung der Echtheit des Manuskripts. Als Ippolita ermordet aufgefunden wird, gerät Weise unter dringenden Tatverdacht. Seine Flucht verläuft ähnlich abenteuerlich wie die beschwerliche Hinreise. Wenn man genügend Interesse an historischen Stoffen aufbringen mag und sich weder von der altertümlichen Sprache noch den unzähligen Namen abschrecken lässt, erhält man einen wundervollen Einblick in die italienische Kultur sowohl aus der Zeit Machiavellis (1469-1527) als auch aus der Zeit der Reise anderthalb Jahrhunderte später. Vor allem das gut fünfzigseitige Nachwort des Autors erhellt einige wichtige Zusammenhänge und historische Hintergründe.

Henri Loevenbruck - „Das Jesusfragment“

(Knaur, 431 S., Pb.)
Mit seiner HBO-Fernsehshow „Sex Bot“ ist der französische Drehbuchautor Damien Louvel in New York momentan total angesagt. Doch die gescheiterte Ehe mit einer schlechten Schauspielerin und die Absage an frühere Alkohol- und Kokain-Exzesse haben den jungen Mann geläutert. Die Nachricht vom Unfalltod seines verhassten Vaters, den er seit dem Tod seiner Mutter vor elf Jahren nicht mehr gesehen hatte, berührt ihn zunächst wenig. Dennoch reist er nach Paris, um als einziger noch lebender Verwandter die letzten Angelegenheiten seines Vaters zu regeln.
Überrascht stellt er dabei fest, dass dieser neben seiner geliebten Wohnung in Paris noch ein Haus auf dem Lande in Gordes gekauft hat, das – wie er später erfährt – Chagall gehört hatte. Als er sich mit einer Harley auf den Weg nach Gordes macht, lernt er die attraktive Journalistin Sophie de Saint-Elbe kennen, die durch Damiens Vater Informationen über zwei geheimnisvolle Dokumente erhielt, die mit dem Stein von Iorden zusammenhängen und beweisen sollen, dass diese Reliquie tatsächlich existiert haben soll. Bei ihren gemeinsamen Recherchen stoßen Damien und Sophie auf verschiedene Geheimorganisationen wie den Bilderberg, Opus Dei und Acta Fidei, die offensichtlich auch ein starkes Interesse an dem Stein haben, denn schon bald geraten die beiden Ermittler in deren Schussfeuer … Dass nach den anhaltenden Bestsellererfolgen von Dan Browns Vatikan-Mystery-Thrillern immer mehr Nachahmungstäter auftauchen würden, war vorauszusehen, und das nicht nur in den USA. Nach Julia Navarros „Die Bruderschaft“ aus Spanien sorgt nun Henri Loevenbruck aus Frankreich für kurzweilige, spannende Unterhaltung rund um die dunkle Seite des Vatikans.

Michael Baigent/Richard Leigh - „Verschlusssache Magie - Wir werden noch immer von magischen Kräften gesteuert“

(Droemer Knaur, 496 S., HC)
Angesichts des weithin verbreiteten und kaum, wenn mittlerweile auch immer häufiger angezweifelten Glaubens an die Wissenschaft und Technologie wirkt der Untertitel des neuen Werks der Erfolgsautoren Baigent/Leigh („Verschlusssache Jesus“, „Der Tempel und die Loge“) etwas unglaubwürdig, ja sogar provozierend. Das englische Autorengespann behauptet nämlich, dass der Erfolg der westlichen Zivilisation nicht auf der Vernunft und der Wissenschaft beruht, die seit dem 17. Jahrhundert im letztlich erfolgreich verlaufenden Wettbewerb mit der Philosophie, den Künsten und der etablierten Religion stand, sondern auf einer von Zauberern, Magiern, Schamanen und Sehern begründeten uralten Tradition.
Dass wir diesen magischen Kräften auch heute noch unterliegen, auch wenn wir sie bewusst nicht mehr wahrnehmen, machen Baigent und Leigh an der Tatsache fest, dass wir immer noch für Manipulationen durch Werbung, Musik und Propaganda anfällig sind, ohne dass die einseitige Ausrichtung auf die Rationalität etwas dagegen ausrichten könne.
Baigent/Leigh gehen mit „Verschlusssache Magie“ auf die Spurensuche nach diesen magischen Einflüssen in unserem Leben und versuchen darzustellen, auf welche Weise sie in der heutigen Zeit noch ihre Wirkung ausüben. Eine Schlüsselstellung nimmt dabei die Hermetik ein und eine als Corpus Hermeticum bezeichnete geheimnisvolle Lehre, denn diese bot Perspektiven, die über die engen Grenzen der Wissenschaft hinausführten, und Einsichten, wie die Magie von den Mechanismen der modernen westlichen Gesellschaft benutzt und ausgebeutet wurde.
Im ersten Teil ihres Buches machen uns Baigent/Leigh mit den magischen Traditionen des Abendlands vertraut, mit Hermes, den alexandrischen Mysterien, der Alchemie und der Magie im frühen Mittelalter, in der Renaissance. Sie erläutern die okkulten Lehren eines Agrippa von Nettesheim, John Dee und Giordano Bruno, um dann Verbindungen zwischen dem hermetischen Denken und den Künsten herzustellen.
Magie definieren die Autoren kurz als „die Kunst, Dinge geschehen zu machen“. Dazu zählen natürlich auch manipulative Techniken, und diese sind es, mit denen sich Baigent/Leigh zunächst im zweiten Teil ihres Werkes auseinandersetzen: Manipulation in den Sekten, in der Politik, in der Werbung und in den Medien. Manipuliert wird die Wirklichkeit, die menschliche Wahrnehmung und das Image.
Offensichtlich scheint allein die Kunst im 20. Jahrhundert zum Überlebungsraum der Hermetik geworden zu sein. Der von Baigent/Leigh viel zitierte Autor Lawrence Durrell jedenfalls prophezeite, dass die Menschheit erst dann Reife erlangen würde, „wenn der Mob zum Künstler wird“. Davon sind wir heute zwar noch weit entfernt, aber schließlich fangen auch immer mehr sogenannte normale Menschen an, sich in die Bereiche von Psychologie, Philosophie und Kunst vorzuwagen. Laut Baigent/Leigh sollte die Phantasie nämlich integraler Bestandteil all unserer mentalen Fähigkeiten sein. „Sie ermöglicht es uns, vielleicht zum ersten Mal die Auswirkungen und Folgen unseres Tuns zu erkennen; und somit hilft sie uns, einen moralischen Rahmen für unser Leben zu schaffen“, schreiben sie zum Schluss. „Die Phantasie benutzen heißt wach werden.“
Es ist äußerst spannend und unterhaltsam, den beiden Autoren bei ihrem Streifzug durch die Geschichte der Magie und ihren Erscheinungsformen in der heutigen Zeit zu begleiten. Darüber hinaus versteht das Buch aber auch vielleicht wirklich, den für solche Fragen offenen Leser dazu zu bewegen, seine Lebensumstände zu überdenken und gefeiter gegen die suggestiven Kräfte gerade der Medien zu werden.

Arnold Stadler - „Sehnsucht“

Freitag, 6. März 2009

(Du Mont, 328 S., HC)
Er wollte schon immer mal „mein Buch“ schreiben, eine Art „Apologia pro vita sua“, eine Verteidigung des eigenen Lebens, ein Buch über seine Erinnerungen vom ersten Mal und von der Sehnsucht. Es könnte aber auch die Autobiographie seines Schwanzes sein, den er liebevoll Max nennt. Tatsächlich schlägt Arnold Stadler nach seinem hochgelobten Roman „Ein hinreißender Schrotthändler“ einen weiten Bogen quer durch sein Leben und wieder zurück, macht mal hier Station, mal dort, immer ganz episodenhaft und spontan.
Wie er nach Berlin geflüchtet ist, um dem Wehrdienst zu entgehen, erfährt man, über seinen Vortrag, den er in Bleckede hält, von seiner Reise durch die Lüneburger Heide und den sinnlichen Erinnerungen an seine Friseurbesuche, wo sein Kopf bei der eigentlich zu kostspieligen Haarwäsche im Busen seines Schwarms, über den Schulausflug mit Herrn Schultze, von der Sehnsucht nach dem Meer. Vor allem lässt sich Stadler über seine ständigen Erektionen lang und breit aus – deshalb hätte das Buch auch die besagte Autobiographie seines Schwanzes sein können, was es letztlich vielleicht auch ist. Hat man sich erst einmal an Stadlers manchmal etwas gezwungen umständliche Sprache gewöhnt und an die willkürlich wirkenden Zeitsprünge, vermag der komische wie melancholische Ton seiner Lebensgeschichte durchaus zu unterhalten.

Till Lindemann - „Messer“

(Eichborn, 176 S., HC)
In erster Linie kennt man Till Lindemann als Frontmann von Rammstein. Mit seinen expliziten, manchmal fast schaurig und brutal wirkenden Texten hat er stets für die passende Begleitung der schneidend scharfen Rammstein-Gitarren- und Rhythmus-Attacken gesorgt. Doch Till Lindemann hat seit jeher auch abseits des Rammstein-Song-Kontextes geschrieben.
Sein langjähriger Freund Gert Hof hat aus über tausend ihm vorliegenden Texten eine erste Auswahl getroffen und sie für den vorliegenden Band in Zusammenhang mit einer Foto-Reihe veröffentlicht, die wenig dazu geeignet ist, die ungewöhnlichen Gedichte zu illustrieren, aber durchaus demonstrieren, dass Till Lindemann sich tatsächlich als Kunstprodukt in einer artifiziellen Umgebung betrachtet und nicht der brutale Gewaltverbrecher und Menschenschlächter ist, der da manchmal aus seinen Texten zu sprechen scheint. Vielmehr ist der stark vom Schweizer Symbolisten Conrad Ferdinand Meyer beeinflusste Lindemann ein sensibler Beobachter seiner Umwelt, der mit seinen messerscharfen Texten oft genug in die Wunden unserer verletzlichen Seelen sticht. Gert Hof beschreibt die Gedichte treffend als „verbale Hinrichtungen“, „poetischen Suizid“ und „Wunden aus Verzweiflung und Hoffnung“. Rammstein-Kenner werden den unverwechselbaren Stil Lindemanns sofort erkennen und doch wirken die drastisch formulierten Texte persönlicher und oft schockierender.

Carlos María Domínguez - „Das Papierhaus“

(Eichborn, 93 S., HC)
Als die an der Universität Cambridge lehrende Literaturdozentin Bluma Lennon mit einem Gedichtband von Emily Dickenson aus einer Buchhandlung tritt, wird sie – wie selbst einmal vorausgesagt hat – von einem Auto überfahren. Wenig später nimmt ihr Kollege und Nachfolger ein in Uruguay aufgegebenes Päckchen für sie an, in dem sich ein von Zement verklebtes Exemplar von Joseph Conrads „Die Schattenlinie“ befindet, das mit einer Widmung Blunas an einen gewissen Carlos versehen ist.
Blunas Kollege vermutet, dass es sich um eine der Affären handeln muss, die seine alternde Kollegin zu ihrer Eitelkeit unterhielt, und versucht, sich selbst einige interessante Fragen zu beantworten, vor allem, warum das Buch nach zwei Jahren, nachdem es von Bluna verschenkt worden ist, wieder nach Cambridge zurückkehrt und was es mit der Zementkruste auf sich hat. Also macht sich der Dozent auf die Reise, zunächst in seine Heimatstadt Buenos Aires, dann nach Montevideo, wo er Jorge Dinarli in einer der größten antiquarischen Buchhandlungen der Stadt aufsucht, der ihn wiederum an Delgado verweist, einen alten Freund von Carlos Brauer. Dieser, selbst ein Büchersammler, erzählt ihm von Brauers Dasein, das ganz dem Lesen und Sammeln von Büchern gewidmet war und irgendwo an einem Strand bei La Paloma mündete, wohin Brauer ausgewandert war, um aus seinen Büchern ein Haus zu bauen. Dort wird dem Erzähler endgültig klar, wie Bücher das Leben von Menschen prägen und auch zerstören können … Wunderbar melancholische, poetische und geistreiche Erzählung über die manchmal auch zerstörerischen Leidenschaften des Lesens und Büchersammelns, letztlich aber über die Magie von Büchern schlechthin.

Kjell Johansson - „Die Traumseglerin“

Donnerstag, 5. März 2009

(Claassen, 336 S., HC)
Als Evas Mutter im Juni 1993 beerdigt wird, empfindet sie wenig Trauer, sondern eher ein Gefühl der Erleichterung und Befreiung. Auf der anderen Seite erfasst die Lehrerin an einem Abendgymnasium eine seltsame Unruhe. Als sie mit ihrem Bruder Einar am nächsten Tag die letzten Sachen ihrer Mutter aus der Wohnung ihrer Mutter räumt, beschließt sie, nach Skogstorp zu fahren, wo sie mit ihrem Bruder mal einen Sommer bei ihren Verwandten verbracht hatte. Im November macht sie sich schließlich auf den Weg und stattet ihrer Tante Helga, Onkel Elis, ihrem Cousin Bruno und allen weiteren Verwandten einen Besuch ab.
Die Erinnerungen an den geheimnisvollen Landstreicher, dem sie zu essen brachten, an ihren gleichaltrigen Freund Axel und andere Jungs, mit denen sie flirtete, scheinen Evas eintönigem Leben als Lehrerin wieder etwas Glanz zu verleihen, doch der Aufenthalt in Skogstorp bleibt nicht ganz ohne Konflikte und Eifersuchtsszenen. Mit der Zeit weiß Eva nicht mehr, ob sie ihren Erinnerungen trauen darf, denn immer wieder werden schreckliche Ereignisse von damals ins Hier und Jetzt reflektiert, so dass Traum und Wirklichkeit, Gegenwart und Vergangenheit immer diffuser ineinander übergehen… Sehr gefühlvolle wie aufwühlende Geschichte über die merkwürdige Kraft der Erinnerungen.

Kenneth Cook - „In Furcht erwachen“

(C.H. Beck, 191 S., HC)
Nachdem er ein Jahr lang 28 Schüler zwischen fünf und siebzehn in der Schule des australischen Wüstendorfes Tiboonda unterrichtet hatte, stehen dem jungen Lehrer John Grant sechs Wochen bezahlte Winterferien bevor, die er in Sydney bei Verwandten verbringen möchte, um dort nach einem neuen Job zu suchen. Mit seinem Lohnscheck über hundertvierzig Pfund und zwanzig Pfund Bargeld macht er sich nach am Abend auf den Weg nach Bundanyabba, von wo er tags darauf mit dem Flugzeug weiter nach Sydney fliegen will. Doch dann zieht es ihn in das schummrige Hinterzimmer einer Kneipe, wo er sich schnell an einem Two-up-Münzwettspiel beteiligt.
Berauscht von seinem unverhofften Gewinn über zweihundert Pfund macht er sich auf den Weg ins Hotel und überlegt, was er mit dem Geld anfängt. Grant beschließt, sein Glück noch einmal zu versuchen, kehrt in den Club zurück – und verliert alles! Was folgt, ist eine wenig erbauliche Reise. Er betrinkt sich besinnungslos, geht mit ein paar Typen auf Känguru-Jagd und versucht, nach Sydney zu trampen. Dabei wird ihm immer wieder bewusst, dass er auch andere Entscheidungen in seinem Leben hätte treffen können … Das 1961 erstmals veröffentlichte Buch des 1987 verstorbenen Kenneth Cook ist nicht nur als „Outback“ erfolgreich verfilmt worden, sondern die erschütternde Geschichte in der existentialistischen Tradition von Camus und Hemingway ist auch Schullektüre in Australien geworden.