Fünf Jahre in der Tretmühle von Chicagos renommierter Kanzlei Rogan Rothberg sind für David Zinc mehr als genug. Fünf Jahre, in denen Zinc sechs Tage die Woche von frühmorgens bis spätabends schuftete, aber immerhin gutes Geld nach Hause brachte. Doch eines Tages steigt er nicht aus dem Fahrstuhl im Trust Tower aus, um sich zu seinen sechshundert Kollegen zu gesellen, sondern fährt wieder nach unten und fühlt eine enorme Erleichterung, als er den Entschluss fasst, nie wieder zurückzukehren. Stattdessen kehrt er in eine Bar ein und lässt sich den ganzen Tag volllaufen. Anschließend torkelt er in die nächstbeste Kanzlei und bittet um einen Job. Bei der zufällig ausgesuchten „Boutiquekanzlei“ handelt es sich um Finley & Figg, die überwiegend Personenschäden bearbeitet, die sie an der nahen Kreuzung aufgabelten, wenn es mal wieder ordentlich krachte.
Der 62-jährige Seniorpartner Oscar Finley leidet vor allem daran, noch immer mit seiner ersten Frau verheiratet zu sein, die ihm das Leben zur Hölle macht, sein 45-jähriger Juniorpartner Wally Figg ist vor allem für die billige Kanzleiwerbung zuständig und markiert den knallharten Prozessanwalt. Als sich Zinc bei einem dieser Unfälle positiv hervortut, nehmen Finley & Figg den jungen Mann bei sich auf und bekommen bald an einen Fall, der endlich das große Geld bringen könnte. Durch einen ihrer Mandanten erhalten sie den Hinweis, dass das cholesterinsenkende Medikament Krayoxx Menschenleben kostet. Eifrig suchen Finley & Figg nach weiteren Todesfällen und hängen sich an die große Kanzlei Zell & Potter, die auf Sammelklagen spezialisiert ist. Das Ziel ist ein Vergleich, der nicht nur die Klägerparteien entschädigt, sondern auch für die beteiligten Anwälte ein hübsches Sümmchen abwirft. Tatsächlich scheint der immer wieder in den Schlagzeilen stehende Pharmakonzern Varrick Labs ungewöhnlich schnell auf einen Vergleich eingehen zu wollen.
„Warum war David beunruhigt? Schließlich würde es ja keine Verhandlung geben, richtig? Alle Anwälte auf seiner Seite des Gerichtssaals glaubten, hofften und beteten, dass Varrick Labs für Krayoxx einen Vergleich schließen würde, lange bevor es mit den Verhandlungen losging. Und wenn man Barkley von der Gegenseite glauben konnte, rechneten auch die Anwälte der Beklagten mit einem Vergleich. War das Ganze ein abgekartetes Spiel? Funktionierte so das Sammelklagengeschäft? Jemand stellt fest, dass ein Medikament gesundheitsschädlich ist, die Anwälte der Kläger sammeln so viele Mandate wie möglich, Klagen werden eingereicht, die Verteidiger des Beklagten reagieren mit endlosem Nachschub an teuren Rechtsbeiständen, beide Seiten kämpfen mit harten Bandagen und so lange, bis der Hersteller des Medikaments es leid ist, andauernd fette Schecks auszustellen. Daraufhin wird ein Vergleich ausgehandelt, die Anwälte der Kläger stecken ein gigantisches Honorar in die Tasche, und ihre Mandanten bekommen viel weniger, als sie erwartet haben. Wenn der Staub sich gelegt hat, sind die Anwälte auf beiden Seiten ein gutes Stück reicher, und das Pharmaunternehmen bereinigt seine Bilanz und entwickelt ein neues Medikament. War das Ganze nichts anderes als unterhaltsames Theater?“ (S. 228)David Zincs Unruhe ist nicht unbegründet, wie sich bald herausstellt, denn es fehlen dringend benötigte Beweise, die Krayoxx mit den Todesfällen in Verbindung bringt. Vor Gericht entwickelt sich das Verfahren schnell zu einem Rohrkrepierer, das die Zukunft der Kanzlei gefährdet …
John Grisham hat sich in den meisten seiner Justiz-Thriller auf Fälle spezialisiert, in denen junge Anwälte den Kampf gegen übermächtige Konzerne aufnehmen. In dieser Tradition steht auch „Verteidigung“. Während sich der Verhandlungsverlauf in absolut vorhersehbaren Bahnen bewegt und wenig Spannung aufbauen lässt, sind es vor allem die charismatischen Protagonisten, die dem Thriller Leben einhauchen und das Lesevergnügen begründen. „Verteidigung“ zählt sicher nicht zu den Highlights unter den über zwanzig Romanen, die Grisham bereits auf seinem Konto verbuchen kann, dazu wirkt die Geschichte doch sehr wie am Reißbrett konstruiert. Aber die lebendigen Portraits der ganz unterschiedlichen Anwaltsfiguren machen das Buch letztlich doch lesenwert.
Leseprobe John Grisham – „Verteidigung“
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