(Droemer, 570 S., Pb.)
Seit Gabriel „Gabe“ Dickinson bei einem Segelausflug unverschuldet seinen Schwager verloren hat, weil dieser gegen jede Vernunft schwimmend das scheinbar rettende Ufer erreichen wollte, ist er nur noch ein Schatten seiner selbst und dem Alkohol verfallen, als er auch noch von seiner Frau verlassen worden ist. Von seinem Chef wird er kurzerhand in die eigens für ihn eingerichtete Abteilung „Cold Cases“ abgeschoben. Im sogenannten „Verlies“ wühlt er sich zusammen mit seiner neuen und ebenfalls traumatisierten Kollegin Marta Rodriguez-Johnson durch nicht abgeschlossene Fälle aus der Vergangenheit, wobei das angeschlagene Duo Weisung erhalten hat, bei Hinweisen die entsprechenden Akten in die Hände der Kollegen von der Mordkommission zu übergeben.
Überraschenderweise stoßen Gabe und Marta nach kurzer Zeit tatsächlich auf einen Fall, der sie nicht zur Ruhe kommen lässt. Vor zwanzig Jahren ist die dreizehnjährige Tessa Gibson auf dem kurzen Heimweg von ihrer Freundin nicht zuhause angekommen. Ausgedehnte Suchaktionen in dem noblen Viertel fördern nur ihren blutbefleckten Rucksack zutage, von Tessa selbst fehlt bis heute jede Spur.
Besonders merkwürdig ist allerdings der Umstand, dass kurze Zeit nach Tessas Verschwinden vier brutale Morde an jungen Männern verübt worden sind, die ebenfalls nicht aufgeklärt worden sind – obwohl die damaligen Top-Detectives O’Hara und Martin die Ermittlungen geleitet haben.
Als Gabe und Marta die beiden pensionierten Detectives aufsuchen, wecken sie schlafende Hunde und werden immer wieder von ihren aufgebrachten Vorgesetzten zurückgepfiffen. Doch gerade der einstige Bürohengst Gabe mutiert zu einem forschen Ermittler, der kein Blatt mehr vor den Mund nimmt.
„Wenn er zusammen mit Marta unterwegs war und mit den Leuten über Tessa oder die toten Vier sprach, wenn er den Ermittler spielte, der er eigentlich nicht war, schlüpfte er in eine andere Haut. Er war wie ein unbeschriebenes Blatt und konnte für ein paar Stunden seine quälende Vergangenheit hinter sich zu lassen. Auch wenn ich mich nicht gerade wie ein Profi dabei anstelle, Leute zu befragen, gibt es mir wenigstens das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun.“ (S. 281)
Mit Psycho-Thrillern wie „Der Patient“, „Die Anstalt“ und „Der Psychiater“ hat sich der ehemalige Polizeireporter John Katzenbach einen Stammplatz auf internationalen Bestseller-Listen gesichert. Mit seinem neuen Roman „Die Grausamen“ liefert er nun seinen ersten Krimi ab und folgt dabei den erfolgreichen Spuren von Jussi Adler-Olsens Reihe um das Kopenhagener „Sonderdezernat Q“, das sich wie Gabe Dickinson und Marta Rodriguez-Johnson um alte ungeklärte Fälle kümmert.
Dabei sind ihm mit den psychisch labilen Protagonisten ganz starke Figuren gelungen, die ihre tragischen menschlichen Verluste einfach nicht verwinden können, hier der auf See umgekommene Schwager, dort der versehentlich in Ausübung des Dienstes im dunklen Keller erschossene Partner. Wie sich das „Cold Cases“-Duo aber schnell zusammenrauft und Gefallen an der zunächst unliebsamen neuen Aufgabe findet, ist ebenso stark von Katzenbach in Szene gesetzt wie das Erwachen des Ermittler-Instinktes, mit dem Gabe und Marta ordentlich Staub aufwirbeln.
Die kalten Fälle sind dazu packend geschrieben und erhalten durch gelegentliche Rückblenden immer wieder eine neue Perspektive.
„Die Grausamen“ bietet so fesselnde Spannung, dass man nur hoffen kann, dass Katzenbach Gabe und Marta eine ganze Reihe widmet, denn selten hat die Kriminalliteratur so eindringlich gezeichnete Ermittler gesehen.
Leseprobe John Katzenbach - "Die Grausamen"
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