Die 24-jährige Eileen Dunlop blickt an Weihnachten 1964 in einer Kleinstadt, die sie selbst als X-ville bezeichnet, auf ein ganz unspektakuläres Leben zurück. Obwohl sie sich nicht gerade als hässlich, sondern als normal und durchschnittlich betrachtet, versteckt sie ihren unscheinbaren Körper unter einer dicken Schicht von Klamotten, bis oben hin zugeknöpft, schmort gern in ihrem eigenen Saft, so dass ihr auch ja niemand zu nahekommt. Sie ist ebenso prüde wie permanent unglücklich, extrem unbeholfen und auf alles und jeden zornig.
Zu allem Überfluss lebt sie mit ihrem alkoholsüchtigen und paranoiden Vater zusammen, einem ehemaligen Cop, der keine Gelegenheit auslässt, seine Tochter zu schikanieren, herunterzuputzen und loszuschicken, seine Gin-Vorräte aufzufüllen. Ihren Lebensunterhalt verdient sie als Sekretärin in der Jugendvollzugsanstalt Moorehead, wo sie vor allem damit beschäftigt ist, sich mit den wartenden Müttern abzuplagen, denen sie zum Zeitvertreib selbsterstellte Fragebögen aushändigt („Essen Sei lieber Erbsen aus der Dose oder Karotten aus der Dose?“, „Glauben Sie, dass es Leben auf dem Mars gibt?“), und den Wärtern die Besuchszeiten der Jungen mitteilt.
Am liebsten verbringt Eileen ihre Zeit damit, sich romantischen Phantasien hinzugeben, in denen der attraktive Wärter Randy die Hauptrolle spielt, rein platonisch natürlich. Erst als die elegant gekleidete, wunderschöne Harvard-Absolventin Rebecca Saint John als Erziehungsbeauftragte eingestellt wird, ändert sich Eileens Leben innerhalb einer Woche.
Völlig fasziniert von dem selbstbewussten, charismatischen Auftreten der attraktiven Frau, setzt Eileen alles daran, ihrer neuen Kollegin nicht nur zu gefallen, sondern auch ihre beste Freundin zu werden.
„Vielleicht hatte ich nichts Besseres verdient, als sie aus der Ferne zu bewundern, dachte ich. Es war vermessen von mir zu glauben, dass eine Frau wie Rebecca – unabhängig, schön, erfolgreich – sich für mich interessieren könnte. Was hatte ich schon zu bieten? Ich war ein Langweiler, ein Nobody. Ich konnte dankbar sein, dass ich nichts zu sagen brauchte.“ (S. 269)Doch kaum lernt Eileen Rebecca näher kennen, wird sie unvermittelt in ein Verbrechen hineingezogen …
Nach ihrem preisgekrönten Debüt mit der Novelle „McGlue“ legt die in Boston geborene Autorin mit kroatisch-persischen Wurzeln Ottessa Moshfegh mit „Eileen“ nun ihr ebenso gefeiertes Romandebüt vor und findet sich mittlerweile auf die Granta-Liste der zwanzig besten jungen Autoren aus den USA wieder.
Ihre eigentlich recht unsympathische, aber aufrichtige Protagonistin erzählt die Geschichte aus der lange zurückliegenden, aber erstaunlich akribischen Erinnerung heraus, die gerade mal eine Woche vor Heiligabend umfasst. In dieser Woche verwandelt sich die unscheinbare junge Frau allerdings zu einer selbstbewussten Frau, die zwar von ihrem Idol auf einen abtrünnigen Pfad der Gewalt geführt wird, aber dadurch zu einem selbstbestimmten, nicht mehr von Angst und Wut geprägten Leben findet.
Der Autorin gelingt es von Beginn an, einen erzählerischen Sog zu entwickeln, in dem Eileen ihre eigentlich absolut bemitleidenswerten Lebensumstände schildert, ohne dabei allerdings in Selbstmitleid zu verfallen. Die ausführliche Schilderung ihres Alltags und Lebensgefühls reicht völlig aus, um die Aufmerksamkeit des Lesers zu fesseln. Eileens Schwärmereien für Randy und dann für Rebecca wirken wie nachvollziehbare Fluchten aus der erniedrigen, drögen Welt, in die Eileen hineingeboren wurde und die sie nur in ihrer Phantasie entfliehen kann.
Allerdings bietet ihr Rebecca im Gegensatz zu Randy erstmals die Möglichkeit, ihre Träume auch Wirklichkeit werden zu lassen, denn Rebecca scheint sich tatsächlich für Eileen zu interessieren. Sowohl Eileens problematische Beziehung zu ihrem Vater als auch ihr Verlangen, Rebecca als Freundin zu gewinnen, beschreibt Moshfegh jederzeit so glaubwürdig, als der Leser Teil von Eileens Leben, stets an ihrer Seite, ihre Gedanken und Gefühle teilend.
Erst zum Finale hin verliert der so sorgfältig inszenierte erzählerische Sog seine Kraft und Intensität. Die finale Begegnung zwischen Eileen und Rebecca wirkt etwas holprig und überhastet inszeniert. Doch für einen Erstlingsroman weist „Eileen“ eine erstaunliche hypnotische Kraft auf, die weitere Werke der jungen Autorin mit Spannung erwarten lässt.
Leseprobe Ottessa Moshfegh - "Eileen"
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