(Diogenes, 202 S., HC)
Während die zwischen 2013 und 2016 erschienenen Romane „Love Song“, „Chéri-Chéri“ und „Dispersez-vous, ralliez-vous!“ noch auf ihre deutschsprachige Veröffentlichung warten, knüpft der französische Erfolgsautor Philippe Djian („Betty Blue - 37,2 Grad am Morgen“, „Oh…“) mit seinem neuen Roman an die kurze, aber knackige Prosa an, die bereits seine vorangegangenen Werke „Marlène“ und „Morgengrauen“ ausgezeichnet haben.
Seit Patrick in den Armen seiner Frau Diana gestorben ist, kümmert sich sein Bruder Marc um die immer wieder von depressiven Stimmungen, die schon mal in Selbstmordversuchen münden, gezeichnete Zahnärztin, ist sogar in ihre Wohnung gezogen, wo er sie besser im Blick hat. Im Gegensatz zu seinem ebenso charismatischen wie temperamentvollen Bruder hat Marc nicht den gewissen Schlag bei Frauen, ist mit seinen knapp dreiunddreißig Jahren noch immer Jungfrau. Dass er mal den Platz seines Bruders bei Diana einnimmt, kommt weder für ihn noch seine Schwägerin in Frage. Aber als Marc, der viel zu viel Zeit mit Online-Poker verbringt und dabei sukzessive seine Geldreserven aufbraucht, eines frühen Morgens am Strand drei Päckchen mit Koks vom Meer angeschwemmt findet, hofft er durch Dianas Bruder Joël die Drogenpäckchen zu Geld machen zu können. Der über Sechzigjährige hat sich nicht nur mit seiner Schwester entzweit, sondern auch mit seiner dreißig Jahre jüngeren Frau Brigitte. Die Dinge verkomplizieren sich nicht nur dadurch, dass sich Joël in der Drogensache mit den falschen Leuten anlegt, sondern auch durch die gar nicht so heimlich Affäre, die Diana mit dem Bürgermeistersohn Serge unterhält …
„Joël pflegte nicht nur guten Umgang, das lag auf der Hand, und Patrick hatte ihm in dieser Hinsicht nicht nachgestanden. Der Jachthafen und die paar Straßen im Umkreis brachten keine Messdiener und Kirchenleute hervor, und das war das Ergebnis, Geschichten wie aus einem Film, mit Engeln und bösen Jungs.“ (S. 60)
Was den Umfang seiner Geschichten angeht, bewegt sich Djian weiterhin in Richtung zunehmend minimalistischer Regionen, von 280 Seiten („Marlène“) über 236 Seiten („Morgengrauen“) auf nunmehr 202 Seiten, doch qualitativ bewegen sich seine Geschichten auf etwa ähnlichem Niveau.
Djian hat es sich angewöhnt, ohne große Einleitung gleich zur Sache zu kommen und den Plot wie ein Feuerwerk abzufackeln, ohne viel Mühe darauf zu verwenden, seinen Figuren und Lesern mal eine Ruhepause zu gönnen. Immerhin versteht er es in „Die Ruchlosen“, mit nur wenigen Skizzen sowohl Marc als auch der fast fünfzigjährigen Diana, aber auch dem vor fast einem Jahr verstorbenen Patrick, dessen Geist die Atmosphäre der Geschichte maßgeblich mitprägt, und dem zerstörerischen Joël Charakter zu verleihen.
Die Frauenfiguren bleiben bis auf Diana aber recht blass, bleiben Sexgespielinnen oder Gefährten beim Rauchen eines Joints. Djian etabliert ein dichtes Geflecht von mehr oder weniger kranken Beziehungen, die durch den Drogendeal, Affären und schließlich Todesfälle das Drama zu einem echten Thriller werden lassen. Es ist Djians nach wie vor ungewöhnlichem sprachlichen Geschick, seiner einzigartigen Art, mit kurzen Sätzen und knackigen Dialogen Tempo zu machen, zu verdanken, dass sich „Die Ruchlosen“ sehr kurzweilig lesen lässt.
Allerdings überschlagen sich im Finale die Ereignisse dann doch auf recht unglaubwürdige Art und Weise, die das zuvor schon bizarr anmutende Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren noch absurder erscheinen lässt. Spaß macht dieser teuflische literarische Ritt aber doch!
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