Ray Bradbury – „Die Mechanismen der Freude“

Montag, 25. August 2025

(Diogenes, 318 S., Tb.)
Ray Bradbury zählt neben Richard Matheson und Robert Bloch zu den großen Fantasy- und Horror-Erzählern vor allem der 1960er Jahre und lieferte die (teilweise berühmten) literarischen Vorlagen zu François Truffauts „Fahrenheit 451“ (1966), Jack Smights „Die Mars-Chroniken“ (1980) und Jack Claytons „Das Böse kommt auf leisen Sohlen“ (1983). Unter Kennern ist Bradbury allerdings für seine Vielzahl an thematisch breit angelegten Kurzgeschichten bekannt, die in unzähligen Sammelbänden erschienen sind, nachdem sie erstmals in Magazinen wie „Playboy“, „Saturday Evening Post“ und vor allem dem „Magazine of Fantasy and Science Fiction“ veröffentlicht wurden. Eine Zusammenstellung von 21 Geschichten, die Bradbury zwischen 1949 und 1964 für ebendiese Magazine geliefert hat, bietet „Die Mechanismen der Freude“.
In der eröffnenden Titelgeschichte erfahren die beiden irischen Priester Brian und Kelly von ihrem italienischen Kollegen Vittorini, dass Papst Pius XII. sich vor den Delegierten des Internationalen Astronautischen Kongresses wohlwollend zur Eroberung des Weltraums durch den Menschen geäußert habe, damit dieser eine neue Beziehung zu Gott und seinem Universum finden könne, und darüber hinaus auch noch eine Enzyklika über due Raumfahrt verfasst habe. Gemeinsam beobachten sie den Start einer bemannten Rakete von Cape Canaveral – mit durchaus gemischten Gefühlen…
„Ich warte“ thematisiert die Landung einer Raumfahrtmission auf dem Mars, wobei die Astronauten auf einen Brunnen stoßen, der als Seelenbrunnen bezeichnet wird und in dem ehemals Wesen aus Fleisch und Blut warten und warten…
„Tyrannus Rex“ erzählt die Geschichte einer Filmproduktion mit ungewöhnlichen Miniaturen, die John Terwilliger für einen Stop-Motion-Film mit Dinosauriern kreiert hat.
„Der Trommlerjunge von Shiloh“ beleuchtet eine ungewöhnliche Episode aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, während „Jungens! Züchtet Riesenpilze in eurem Keller!“ eine Variante außerirdischer Invasion präsentiert. „Die illustrierte Frau“ und „Die Beste aller möglichen Welten“ beschreiben auf unterschiedliche Weise die Faszination, die Frauen auf das männliche Geschlecht ausüben, „Vielleicht gehen wir fort“ beleuchtet die Perspektive der Indianer bei der Ankunft der europäischen Eroberer.
„Ein Wunder von seltener Kunst“ erzählt die Geschichte zweier Abenteurer, deren Glück stets von einem Dritten getrübt wird, der nur darauf aus ist, ihnen den Ertrag ihrer Entdeckung abzuluchsen.
Zu den schönsten Geschichten zählt „Der Bettler auf der O’Connell-Brücke“ über ein Paar, das in einem Dubliner Hotel residiert und unterschiedliche Erfahrungen mit Bettlern in der Stadt macht:

„Wer macht sich schon die Mühe, sich über die Bettler von Dublin den Kopf zu zerbrechen, zu schauen, zu sehen, zu wissen, zu verstehen? Doch die äußere Schale des Auges sieht, und die innere Schale des Gehirns registriert, und man selbst, gefangen zwischen diesen beiden, ignoriert den kostbaren Dienst, den diese beiden Hälften eines klaren Verstandes dir anbieten. So kümmerte ich mich und kümmerte ich mich nicht um Bettler. Abwechselnd wich ich ihnen aus oder ging ihnen entgegen.“ (S. 226)

Ray Bradbury beweist mit den hier versammelten Geschichten einmal mehr nicht nur seine grenzenlos anmutende Vorstellungskraft, die bis in den Weltraum, ferne Vergangenheit und geträumte Zukunft reicht, sondern vor allem sein vor poetischer Eindringlichkeit strotzendes Sprachvermögen, mit dem er jede Figur und jede Geschichte zu etwas Besonderem macht.  

 

Stephen King – „Das Spiel“

Sonntag, 24. August 2025

(Heyne, 346 S., Jumbo)
Es muss kein mörderischer Clown in der Kanalisation von Derry („Es“), ein verwunschener „Friedhof der Kuscheltiere“ oder ein mit durchaus menschlichen Gefühlen versehenes Auto („Christine“) sein, das bei dem „King of Horror“ für gruselige Stimmung sorgt. Bereits mit „Sie“ hat Stephen King eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass Horror auch ohne übernatürliche Elemente funktionieren kann. Mit dem 1992 veröffentlichten Roman „Das Spiel“ treibt der US-amerikanische Bestseller-Autor seine Kunst auf die Spitze.
Nach siebzehn Ehejahren ist bei Gerald und Jessie Burlingame die Lauft aus dem Liebesleben raus. Doch der erfolgreiche Anwalt Gerald hat sich etwas einfallen lassen, dass wieder für etwas Pepp beim Sex sorgt. Sie verbringen ein Wochenende in ihrem abgeschiedenen Sommerhaus am Lake Kashwakamak im Westen Maines, wo Gerald nach ersten Versuchen mit Schals mittlerweile dazu übergegangen ist, die Hände seiner Frau mit Handschellen ans Bett zu fesseln, bevor er so richtig in Fahrt kommt. Doch Jessie hat längst die Lust an diesen für sie öden und erniedrigenden Spielen verloren, doch will Gerald natürlich nichts davon hören. Selbst als sie diesmal ihrem Abscheu lautstark Ausdruck verleiht, will Gerald nicht von ihr ablassen, bis sie ihm mit ihren Füßen einen kräftigen Tritt in die Eier verpasst. Doch ihr Mann klappt nicht nur mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen, sondern erleidet auch einen tödlichen Herzinfarkt. Da hängt sie nun, nahezu nackt, mit nur einem hauchdünnen Höschen bekleidet, ans massive Holzbett gefesselt, ohne Chance, sich selbst daraus zu befreien, mitten im Nirgendwo. Ein streunender Hund macht sich an Gerald zu schaffen, der Durst und die Krämpfe machen Jessie zu schaffen. Verzweifelt versucht sie, an das Glas Wasser am Kopfende des Bettes zu gelangen, und während sie immer wieder in die Bewusstlosigkeit abdriftet, denkt sie an die Sonnenfinsternis in ihrer Kindheit zurück, die sie mit ihrem Vater beobachtete, und während sie auf seinem Schoß saß, ergoss er seinen Samen auf ihr Unterhöschen. Doch mehr noch als diese schmerzlichen Erinnerungen an den Missbrauch macht ihr der Besuch eines nächtlichen Eindringlings zu schaffen…

„Sie konnte den Wind wehen und den Hund bellen hören, war wach, aber nicht wissend, hörte, aber verstand nicht, verlor alles im Grauen des halb erblickten Schemens, des grässlichen Besuchers, des ungebetenen Gasts. Sie konnte nicht aufhören, über den schmalen, missgestalteten Kopf nachzudenken, die weißen Wangen, die hängenden Schultern … aber ihre Augen wurden immer häufiger zu den Händen der Kreatur gezogen: den baumelnden, langfingrigen Händen, die weiter an den Beinen hinabreichten als es normale Hände eigentlich dürften.“ (S. 140)

Mit „Das Spiel“ hat es Stephen King tatsächlich geschafft, ein Ein-Personen-Stück mit wenigen weiteren Nebenfiguren zu einem Schreckensszenario der besonders intensiven Art zu inszenieren, das 2017 sogar als Netflix-Film adaptiert worden ist. Die Qualen, die die tapfere, bereits in ihrer Kindheit missbrauchte Jessie in der Einsamkeit eines idyllisch gelegenen Landhauses erleben muss, beschreibt Stephen King so intensiv, als erlebe man selbst diese Schmerzen, den quälenden Durst, die Muskelkrämpfe, die Erinnerungen und Halluzinationen (?) und die verzweifelten Befreiungsversuche und ungehörten Hilfeschreie. Der Roman zeigt mit viel Empathie für die weibliche Protagonistin auf, wie die Macht und Gewalt, die Männer gegenüber Frauen ohne Rücksicht auf deren Gefühle ausüben, zu langanhaltenden Traumata führt, die die Opfer nur schwer verarbeiten.
Vor allem in den Selbstgesprächen mit ihren „Freundinnen“, aber auch mit den einfühlsam geschilderten Erinnerungen an den Missbrauch durch Jessies Vater bringt uns King die Figur näher, macht sie zu einem Menschen, mit dem wir mitfühlen und dem wir wünschen, sich aus der tödlichen Notlage befreien zu können. Allerdings kommt „Das Spiel“ nicht ganz ohne Längen aus und verliert zum Ende hin an Überzeugungskraft. Doch der psychische Horror, den King so eindringlich beschreibt, hallt lange nach.

Henning Mankell – (Kurt Wallander: 11) „Der Feind im Schatten“

Sonntag, 17. August 2025

(Zsolnay, 592 S., HC)
Mit der kulturpessimistischen Figur des schwedischen Kommissars Kurt Wallander hat Henning Mankell maßgeblich dazu zur weltweiten Popularität der skandinavischen Kriminalliteratur beigetragen. Nach dem ersten Auftritt in „Mörder ohne Gesicht“ Anfang der 1990er Jahre war die Reihe 1998 mit dem achten Fall „Die Brandmauer“ eigentlich schon abgeschlossen, doch dann erschien mit „Wallanders erster Fall“ noch ein Band mit zusammengefassten Erzählungen die Vorgeschichte sowie 2002 mit „Vor dem Frost“ der erste (und einzige) Band um Wallanders Tochter Linda, in dem er selbst nur als Nebenrolle auftaucht. Umso überraschender war 2009 die Veröffentlichung von „Der Feind im Schatten“, dem letzten großen Fall des mittlerweile sechzigjährigen Kommissars.
Nachdem Kurt Wallander vor fünf Jahren seine Wohnung in Ystad aufgegeben hat und in ein Haus auf dem Land bei Löderup gezogen ist, hat sich einiges getan im Leben des alternden Kommissars. Mit Jussi legte er sich einen schwarzen Labradorwelpen zu und nimmt freudig die Nachricht entgegen, dass seine Tochter Linda, die als Polizistin in Ystad arbeitet und in einer Neubausiedlung bei Malmö wohnt, ein Kind erwartet. Sie zieht mit dem fünfunddreißigjährigen Finanzmakler Hans von Enke zusammen und bringt am 30. August 2007 im Krankenhaus von Ystad mit Klara eine Tochter zur Welt.
Wallander wird zum 75. Geburtstag von Hans von Enkes Vater nach Stockholm eingeladen. Der Korvettenkapitän a. D. Håkan von Enke erzählt ihm in einer vertraulichen Situation, dass mehrere Male fremde U-Boote in schwedischen Gewässern entdeckt wurden, doch der Abwurf einer Unterwasserbombe, die das mutmaßlich sowjetische U-Boot zum Auftauchen zwingen sollte, wurde von der schwedischen Marineführung im letzten Moment verhindert. Es gab noch weitere Vorfälle dieser Art. Wallander kann sich keinen Reim auf die Erzählung des Mannes machen, doch dann kehrt Håkan von Enke von seinem täglichen Spaziergang nicht zurück, und seine Ehefrau Louise meldet ihn als vermisst. Während Kommissar Ytterberg in Stockholm die Ermittlungen leitet, unterstützt ihn Kurt Wallander während seines Urlaubs und macht zwei langjährige Freunde des Vermissten ausfindig, zum einen den Maschineningenieur Sten Nordlander, der mit Håkan von Enke bei der Marine war, zum anderen den pensionierten US-amerikanischen U-Boot-Kapitän Steven Atkins, den von Enke 1961 in Berlin kennengelernt und den er häufig in den USA besucht hat. Kurz darauf wird auch Louise von Enke vermisst. Die frühere Wasserspringerlehrerin soll die sagenumwobene schwedische Spionin gewesen sein, von der seit Jahrzehnten in Geheimdienstkreisen gemunkelt worden ist. Als Louise unter merkwürdigen Umständen tot aufgefunden wird, ist Wallander ratlos, was er von den Enkes halten soll…

„Lindas feste Überzeugung, dass Louise keine Spionin war, machte ihn nachdenklich. Es handelte sich nicht um einen Beweis, sondern um eine Überzeugung: Es konnte nicht sein. Aber wenn es so ist, dachte Wallander, was ist dann die Erklärung? Konnten Louise und Håkan trotz allem irgendwie zusammengearbeitet haben? Oder war Håkan von Enke so kaltblütig verlogen, dass er von seiner großen Liebe zu Louise sprach, damit niemand auch nur auf den Gedanken kam, er könne sie nicht geliebt haben? Steckte er hinter ihrem Tod und versuchte, alle Nachforschungen in eine falsche Richtung zu lenken?“ (S. 487)

Doch Wallander hat neben diesem undurchsichtigen Fall vor allem mit persönlichen Problemen zu kämpfen. Nach einem weinseligen Abend in einem Restaurant hat er dort seine Waffe liegengelassen, was ihm eine disziplinarische Strafe einbringt, dann macht seine Ex-Frau Mona, Lindas Mutter, einen Alkoholentzug in einer Klinik. Am schwersten trifft Wallander aber der Besuch seiner großen Liebe Baiba aus Riga, die unheilbar an Krebs erkrankt ist und nicht mehr lange zu leben hat. Und dann sind da diese Gedächtnislücken, die Wallander sich nicht erklären kann und die immer häufiger auftreten…
Der 2015 verstorbene Henning Mankell bereitete seiner Lieblingsfigur in „Der Feind im Schatten“ einen großartigen Abgang. Der Fall um die vermissten Eheleute Håkan und Louise von Enke macht vor allem deutlich, wie unsicher sich die Schweden im Spannungsfeld des Kalten Krieges zwischen der Sowjetunion auf der einen und den USA auf der anderen Seite fühlten. Wer wie für wen spioniert haben könnte, wird allerdings nebensächlich bei den privaten Problemen, mit denen sich Wallander herumschlagen muss, vor allem die Sorge um die drei wichtigsten Frauen in seinem Leben – Mona, Baiba und Linda – sowie die eigene, vor allem geistige Gesundheit. Zwischendurch kommt natürlich immer wieder der obligatorische Kulturpessimismus durch, wenn Mankell seinen Protagonisten über die maroden Polizeistrukturen, rassistische Tendenzen und überteuerte Preise schwadronieren lässt. Das ist nicht unbedingt spannende Kriminalliteratur, aber auf jeden Fall emotional berührender Stoff, der Mankell- und Wallander-Fans im Besonderen versöhnlich stimmt.

 

Richard Matheson – „Die besten Erzählungen“

Sonntag, 10. August 2025

(Festa, 2 Bd., 874 S., HC im Schuber)
Heutzutage gerade im deutschsprachigen Raum nahezu unbekannt, zählte der US-amerikanische Schriftsteller Richard Matheson in den 1950er Jahren zu den populärsten Science-Fiction-Autoren seiner Zeit, wurden doch schon seine ersten Romane „I Am Legend“ (1954) und „The Shrinking Man“ (1956) später verfilmt. Neben diesen beiden international bekannten Romanen ist hierzulande aber wenig von Matheson erschienen, der von seinem Zeitgenossen Ray Bradbury als einer „der größten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet wurde. Dieses Manko versucht nun der Festa-Verlag zu beheben, indem er zu Beginn eine luxuriöse, auf 1250 limitierte Ausgabe von Mathesons besten Erzählungen veröffentlicht, darunter die Vorlage zu Steven Spielbergs Frühwerk „Duell“.
Nach einem Vorwort von Horror-Autor F. Paul Wilson beginnt der erste, „Albtraum über den Wolken“ betitelte Band mit Richard Mathesons berühmter Geschichte „Von Mann und Frau geboren“, die der Autor im zarten Alter von 23 Jahren geschrieben hatte und 1950 im „Magazine of Fantasy & Science Fiction“ veröffentlichen konnte und die von seinen Eltern im Keller eingesperrten Kind handelt, das sie als „Monstrum“ betrachten. Die ebenfalls berühmte Geschichte „Der Dritte von der Sonne“ erzählt von einem Astronauten, der einen vermeintlichen Testflug dazu nutzen will, um mit seiner Familie zu einem neuen Planeten zu fliehen, „Sohn des Blutes“ von einem Jungen, der sich nichts sehnlicher wünscht, als ein Vampir zu sein.
In „Hexenkrieg“ werden sieben junge Mädchen dazu eingesetzt, mit ihren paranormalen Kräften in Kriegshandlungen einzugreifen, in „Die Rückkehr“ reist Professor Robert Wade weiter in die Zeit voraus als jemals zuvor, ins 25. Jahrhundert – mit ungeahnten Folgen.
„Im Slaughter-Haus“ versuchen zwei Brüder, ein seit ihrer Kindheit zum Verkauf stehendes Haus für ihre künstlerischen Ambitionen zu nutzen, und obwohl sie nicht abergläubisch sind, werden sie kurz nach ihrem Einzug mit Hinweisen auf weitere Hausbewohner konfrontiert…
In „Das Ferngespräch“ wird die alte Miss Keene von einem Anrufer belästigt, der sich erst gar nicht meldet und dann auf das „Hallo“ der alten Dame mit einem „H-a-l-l-o“ antwortet. Ihre Beschwerden bei der Telefonistin fruchten nicht, aber deren Nachforschungen ergeben, dass die Anrufe vom Friedhof kommen würden, was eigentlich nicht möglich sei…
„Steel“ erzählt die Geschichte der beiden abgebrannten Freunde Kelly und Pole, die mit ihrem in die Jahre gekommenen B-Zwei-Boxer namens Battling Maxo einen Wettkampf gegen einen viel moderneren B-Sieben bestreiten wollen. Allerdings fehlen noch einige Ersatzteile, was Kelly zu einer drastischen Maßnahme greifen lässt.
Für Mr. Ketchum endet in „Noahs Kinder“ die Heimfahrt nach einem miesen Urlaub in Neuengland mit einer Polizeikontrolle in dem 67-Seelen-Kaff Zachry. Sein erzwungener Aufenthalt dort entwickelt sich zu einem drastischen Albtraum.
In „Die Grillen“ machen Hal und Jean Galloway am Ende ihres Urlaubs in ihrem Hotel die Bekanntschaft von Mr. Morgan, der in dem Zirpen der Grillen dort draußen einen Code zu entdecken glaubte, der die Namen von Toten chiffriert, die der Mann in seinem Codebuch festgehalten hat. In der Nacht macht das Ehepaar eine schreckliche Entdeckung…
Zu den bekanntesten Erzählungen im zweiten Band zählen die von Steven Spielberg verfilmte Geschichte „Duell“ um einen Mann, der von einem mysteriösen Fahrer in einem mörderischen Lastwagen verfolgt wird, und die für Rod Serlings Fernsehserie „Twilight Zone“ adaptierte Geschichte „Albtraum über den Wolken“, in der ein Passagier auf dem Flügel des Flugzeugs ein unheimliches Wesen entdeckt, das allerdings niemand außer ihm selbst zu bemerken scheint.

„Wie konnten die Augen so etwas wahrnehmen, wenn es nicht existierte? Wie konnte das, was in seinem Kopf passierte, den physischen Akt des Sehens so vollständig für seine Zwecke einspannen? Er war nicht erschöpft gewesen, nicht benommen – un es war auch keine formlose, flüchtige Vision gewesen. Sie war scharf und dreidimensional gewesen, voll und ganz der Dinge, die er sah und von denen er wusste, dass sie real waren. Das war das Beängstigende daran. Es war nicht im Geringsten wie in einem Traum gewesen.“ (Bd. 2, S. 81)

Der zweite Band wird zudem mit fast 250 Seiten reich illustriertem Bonus-Material abgerundet, das dem Lesepublikum den Autor und Menschen Richard Matheson näherbringt. Interessant sind vor allem Mathesons eigene Anmerkungen zu den einzelnen Geschichten, aber auch die Einblicke, die beispielsweise sein langjähriger Freund und Verleger Barry Hoffman und Dirk Berger, Herausgeber und Illustrator der vorliegenden Anthologie, in seinem Essay „Er ist Legende“ über den Schriftsteller gewährt, der zusammen mit Ray Bradbury, Charles Beaumont, William F. Nolan und anderen der informellen The Southern California Group of Writers angehörte und weit über das Science-Fiction- und Terror-Genre hinaus gewirkt hatte.
Die hier versammelten Geschichten fesseln nicht nur durch den Einfallsreichtum der minimalistisch inszenierten Plots, sondern vor allem durch die wunderbare Sprache, mit der Matheson sein Publikum aus ganz gewöhnlichen Alltagssituationen in die „Twilight Zone“ entführt. Dass der zurückgezogen lebende Schriftsteller nie die Popularität von modernen Meistern wie Stephen King, Dean Koontz oder Clive Barker erreichte, ist vor allem für die deutschsprachigen Fans ein großes Manko, ist hier doch nur ein Bruchteil seines Werkes übersetzt worden. 
Der Festa Verlag wird hier hoffentlich etwas Abhilfe schaffen, hat er doch bereits eine Neuausgabe des Klassikers „Ich bin Legende“ für dieses Jahr angekündigt. Weitere Werke sollen folgen. Die Ausstattung der limitierten Luxus-Ausgabe ist übrigens vorbildlich und qualitativ hochwertig. Dafür sorgen neben der Auswahl der Geschichten und des umfangreichen Bonus-Materials auch die atmosphärisch stimmigen Illustrationen von Dirk Berger zu fast jeder Geschichte sowie all die Filmposter sowie Cover-Abbildungen der deutschen und amerikanischen Ausgaben von Geschichtensammlungen und Romanen des 2013 verstorbenen Schriftstellers und Drehbuchautors.

Bentley Little – „Der Berater“

(Buchheim, 440 S., HC)
Seit seinem 1990 veröffentlichten, gleich mit dem Bram Stoker Award ausgezeichneten Debütroman „The Revelation“ hat sich der US-amerikanische Schriftsteller Bentley Little einen Namen im Horror-Genre machen können, allerdings ist nur ein Bruchteil der seither erschienenen Werke des produktiven Autors auch in deutscher Übersetzung erhältlich. Nachdem einige Romane wie „Böse“, „Verderben“, „Schemen“, „Furcht“, „Fieber“ und „Unheil“ bei Bastei Lübbe erschienen sind, hat sich in den letzten Jahren der Buchheim Verlag Littles jüngeren Schaffen gewidmet. Neben dem Frühwerk „Die Universität“ ist dort 2019 auch der Roman „Der Berater“ erschienen, der 2023 unter dem Originaltitel „The Consultant“ mit Christopher Waltz in der Hauptrolle als achtteilige Fernsehserie verfilmt werden sollte.
Craig Horne ist Abteilungsleiter für die Softwareentwicklung bei dem kriselnden Unternehmen CompWare und ist nicht wenig überrascht, dass an diesem Morgen bereits vor dem üblichen Arbeitsbeginn um 8 Uhr ein Manager-Meeting von CEO Matthews einberufen worden ist. Wahrscheinlich würde es um das neue Business-Paket OfficeManager gehen, dessen Verkaufszahlen weit hinter den Erwartungen zurückblieben. Matthews unterrichtet die Manager darüber, dass aus der geplanten Fusion mit Automated Interface nichts würde und eine externe Unternehmungsberatung damit beauftragt worden sei, die innere Ordnung bei CompWare wiederherzustellen. Doch die BFG mit ihrem omnipräsenten Geschäftsführer Regus Patoff ist mehr als nur daran interessiert, die Arbeitsabläufe zu optimieren und den Personalbestand zu konsolidieren. Obwohl die BFG Associates beste Referenzen aufweist, stellen sich ihre Methoden sehr schnell als überaus fragwürdig heraus. Patoff erwartet nicht nur, dass Mails rund um die Uhr abgerufen werden, sondern stattet sowohl Matthews als auch Craigs Familie unangenehme Hausbesuche ab. Spätestens als die ersten Kandidaten, die auf Patoffs Abschussliste stehen, bei mysteriösen Unfällen ums Leben kommen bzw. sich selbst töten, sind Craig und seine Frau Angie in höchstem Maße beunruhigt – zumal auch die Notfallambulanz, in der Angie arbeitet, von der BFG unter die Lupe genommen wird…
Bei der CompWare entwickelt sich eine ungesunde Atmosphäre der Paranoia…

„Die Kollegen verdächtigten sich gegenseitig und keiner wusste so recht, wer sich wem gegenüber verpflichtet fühlte und ob nicht vielleicht der eine oder andere den Maulwurf für die BFG spielte. Craig hatte keine Ahnung, ob dieses Gefühl des gegenseitigen Misstrauens absichtlich herbeigeführt worden war, aber es fühlte sich an, als wäre man in der Hitlerjugend gelandet. Die Angst, etwas Falsches zu sagen, war so groß, dass die meisten Mitarbeiter es bevorzugten, ihre Zeit allein in ihren Büros zu verbringen und zu arbeiten. Vielleicht war das der Zweck des Ganzen.“ 

Bentley Little ist dafür bekannt geworden, dass er seine Horror-Werke stets mit einer gesunden Prise Gesellschaftskritik würzt, und es fällt nicht schwer, die Geschäftspraktiken gewinnorientierter, börsennotierter Unternehmen im Zentrum seines Romans „Der Berater“ als übergeordnetes Thema zu identifizieren, das allerdings so grausam auf die Spitze getrieben wird, dass es ins Horror-Genre fällt. Dafür sorgen nicht nur das unmenschliche, nahezu diabolische Auftreten von Regus Patoff, sondern auch die unerklärlichen Veränderungen in dem mehrstöckigen Unternehmensgebäude und das grausame, oft sexistische Gebaren der Angestellten im Verlauf der vermeintlichen Optimierungsmaßnahmen. Leider schafft es der Autor dabei nicht, die übernatürlichen Elemente glaubwürdig darzustellen. Dazu fehlen ihm im Gegensatz zu Stephen King, Clive Barker oder Peter Straub auch einfach die sprachlichen Mittel. Wenigstens ist ihm die Charakterisierung der Mittelstandsfamilie Horne mit ihren Sorgen um Hypothekenzahlungen und Versicherungen so gut gelungen, dass sie ein gewisses Identifikationspotenzial besitzen. Doch das reicht nicht, um „Der Berater“ zu einem guten Genre-Roman zu machen.