James Patterson - (Alex Cross: 6) "Rosenrot Mausetot"

Mittwoch, 5. Januar 2011

(Ehrenwirth, 302 S., HC)
Das sogenannte „Superhirn“ versetzt nicht nur die Bankenwelt in Angst und Schrecken. Mit ausgeklügelten Plänen lässt er der anonyme Gangster seine sorgfältig rekrutierten Lakaien Banken überfallen und die Familie des jeweiligen Direktors als Geiseln nehmen. Der Überfall auf die Citibank in Silver Spring, Maryland, fordert nicht nur Tote in der Filiale, sondern trotz der erfolgreichen Beute auch das Leben der festgehaltenen Geiseln. 
Als Cross und sein Partner John Sampson durch einen Informanten einem Hinweis auf die Bankräuber nachgehen, stoßen sie auf die vergifteten Leichen von Errol und Brianne Parker. Doch ein Überfall auf eine First-Union-Bank in Church Falls, Virginia, erforderte weitere Tote.
„Niemand verstand, was hier geschah, geschweige denn, warum es geschah. Das liebte er. Dieses Gefühl der Überlegenheit, das daraus entstand. Sie alle waren zitternde Schwachköpfe. Auf einer numerischen Skala von 9.9999 bis 10 liefen die Dinge sehr gut. Das Superhirn war sicher, dass er keinen verhängnisvollen Fehler begangen hatte. Besondere Genugtuung bereiteten ihm der Bankraub in Church Falls und vor allem die vier rätselhaften Morde.

Er durchlebte jeden Moment des blutigen Verbrechens, als wäre er selbst dort gewesen anstelle der Glückspilze Rot, Weiß, Blau und Miss Grün. Mit tiefer Freude und Genugtuung stellte er sich die Szene im Haus des Bankdirektors vor, dann die Morde in der Bank. Immer wieder beschwor das Superhirn vor seinem geistigen Auge das Szenario herauf, vor allem jedes einzelne Detail der Morde. Die Kunstfertigkeit und der Symbolismus, die sich darin offenbarten, erfüllten ihn mit Vertrauen in die Klugheit seines Denkens – und mit dem Gefühl, das absolut Richtige zu tun.“ (S. 56)
Cross hat nicht nur alle Hände voll zu tun, an der Seite seines FBI-Freundes Kyle Craig und dessen Team das „Superhirn“ zu jagen. Er muss darüber hinaus die Trennung von seiner Geliebten Christine verdauen, die über ein Jahr auf Bermuda von dem Serienkiller Geoffrey Shafer festgehalten wurde und dabei das gemeinsame Kind Alex zur Welt gebracht hatte. Und dann wird bei seiner Tochter Jannie auch noch ein Gehirntumor diagnostiziert …
Nicht zuletzt durch die erfolgreichen Verfilmungen der ersten beiden Alex-Cross-Romane mit Morgan Freeman in der Hauptrolle des sympathischen wie effektiven Polizeipsychologen hat sich die Thriller-Reihe von James Patterson zu einem Selbstläufer mit hohem Wiedererkennungswert entwickelt. Allerdings wirkt der Plot beim mittlerweile sechsten Fall des Cop-Superhelden bei aller vertrauter Spannung mit den vorhersehbaren Wendungen manchmal doch zu routiniert, zu konstruiert, dass das Lesevergnügen gänzlich ungetrübt genossen werden könnte. Bei gut 300 Seiten bleibt leider zu wenig Raum, um die Psychologie der Protagonisten angemessen zu durchleuchten, selbst Cross‘ eigene, nicht unerheblichen Probleme – die plötzlichen epileptischen Anfälle seiner Tochter, die Diagnostizierung eines Tumors, die Trennung von seiner geliebten Christine und schließlich der zarte Beginn einer neuen Liebelei – können da weniger mehr als Randnotizen einnehmen. Aber Alex-Cross-Romane lassen sich einfach wunderbar schnell weglesen und sind stets auf einem hohen Action- und Spannungsniveau. Da macht auch „Rosenrot Mausetot“ zum Glück keine Ausnahme. Und mit dem furiosen Schluss hat Patterson wirklich einen großen Coup gelandet, der neugierig auf die Fortsetzung macht!

James Patterson - (Alex Cross: 7) „Stunde der Rache“

(Blanvalet, 350 S., Tb.)
Das siebte Abenteuer des enorm erfolgreichen Polizeipsychologen, Familienvaters und Frauenverführers Alex Cross knüpft nahtlos dort an, wo „Rosenrot Mausetot“ aufgehört hat, mit dem blutigen Tatort, an dem die FBI-Agentin Betsey Cavalierre geschändet und ermordet wurde. Kaum hat Cross die Wohnung der Toten, der er zärtlich zugetan war, betreten, erhält er auch schon einen Anruf vom Mörder, dem gefürchteten „Superhirn“, das Cross und seine Kollegen noch nicht fassen konnten.
Doch bevor sich der attraktive wie intelligente 42-Jährige mit der weiteren Jagd auf das „Superhirn“ beschäftigen kann, wird seine Aufmerksamkeit von einem brutalen Doppelmord im Golden Gate Park von San Francisco in Anspruch genommen, für den er ein Rendezvous mit der Anwältin Elizabeth Moore vorzeitig verlassen muss. Wie der Zahnexperte Dr. Pang bei der Autopsie der Leichen feststellt, waren ein Tiger und zwei Menschen für die bestialische Tat verantwortlich, das bei Hippies aufgewachsene Brüderpaar William und Michael Alexander, die als Vampire seit einigen Jahren schon ohne jegliche Moral scheinbar wahllos Menschen ermorden und ihr Blut trinken. Doch das ist nicht mal die Spitze des Eisberges. Cross, das FBI und die Polizistin Jamilla Hughes aus San Francisco müssen den Anführer der Vampir-Sekte finden, um das Morden quer durch die Staaten zu beenden. Während der fieberhaften Suche wird Alex Cross aber immer wieder vom „Superhirn“ auf Trab gehalten und bedroht, so dass der Detective stets in Sorge um seine Liebsten sein muss.
„Superhirn war im Haus der Familie Cross. Es war eine derartig aufregende und außergewöhnliche Erfahrung, wie er sie sich vorgestellt hatte. Nie hatte er sich mächtiger gefühlt als jetzt, als er um drei Uhr morgens im dunklen Wohnzimmer stand. Er hatte den Zweikampf zwischen ihnen gewonnen. Superhirn hatte triumphiert. Cross war der Verlierer. Morgen würde ganz Washington seinen Tod betrauern.“ (S. 164)
Doch auch wenn es etwas dauert, bis Cross dämmert, wer sich hinter dem Superhirn verbirgt (was dem Cross-vertrauten Leser bereits mit dem Schluss des vorangegangenen „Rosenrot Mausetot“ mitgeteilt worden ist), triumphiert er natürlich am Ende über das Superhirn. Bis dahin entwickelt sich eine routiniert inszenierte Verbrecherhatz, die mit der Vampirszene immerhin eine fantastische Komponente erhält. Allerdings kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass Bestseller-Autor James Patterson längst die Luft ausgegangen ist, was die Entwicklung seines unsterblichen Superhelden, zu dem Alex Cross längst avanciert ist, und den Spannungsaufbau seiner Geschichten angeht, und er deshalb auch mal außergewöhnlichere Täter aus dem Hut zaubert als die gewöhnlichen Psychopathen, die Cross sonst zur Strecke bringt. Nachdem nun auch das Superhirn erledigt wurde, ist man so trotzdem nur halbwegs gespannt, wie es mit Alex Cross, seiner Karriere und seinen Liebschaften weitergeht …
Lesen Sie im Buch: Patterson, James - Stunde der Rache

James Patterson – (Alex Cross: 8) „Mauer des Schweigens“

(Blanvalet, 320 S., Tb.)
John Sampson, Alex Cross‘ bester Freund und Kollege, kann es nicht fassen, dass sein alter Armee-Kumpel Ellis Cooper für schuldig gesprochen wurde, eines Abends die drei Frauen Tanya Jackson, Barbara Green und Maureen Bruno bestialisch ermordet und anschließend mit blauer Farbe angemalt zu haben, weshalb man den Fall auch die „Blue Lady“-Morde genannt hat. Obwohl Alex Cross gerade dabei ist, den Polizeidienst niederzulegen, will er seinem Freund noch bei diesem Fall zur Hand gehen.
Doch die Befragungen von Vorgesetzten und Kameraden in Fort Bragg bringen Cross und Sampson keine neuen Erkenntnisse, dafür bekommen sie zunehmend das Gefühl, dass die Armee etwas verheimlicht. Während Ellis in der Todeszelle sitzt, stößt Cross auf weitere Fälle, die in engem Zusammenhang mit dem von Ellis Cooper stehen.
„,Es sieht so aus, als hätte man Soldaten Morde angehängt, die diese nie begangen haben. Der erste war in New Jersey, der letzte scheint Ellis Cooper gewesen zu sein. Es gibt eindeutig Ähnlichkeiten, John. Die Mordwaffen wurden ein bisschen zu leicht aufgefunden. Die Täter wurden aufgrund von Fingerabdrücken und DANN-Spuren überführt. Alle diese Männer hatten hervorragende makellose Personalakten. In der Abschrift des Mordfalls in Arizona stand, dass ‚zwei oder drei Männer‘ in der Nähe des Opfers gesehen worden waren, ehe der Mord geschah. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass man unschuldigen Männern Morde angehängt und sie hingerichtet hat.‘“ (S. 98)
Auch Cross und Sampson stoßen auf einen jungen Zeugen, der drei Männer vor dem Haus gesehen haben will, in dem Ellis Cooper die drei Frauen ermordet haben soll. Und als weitere Frauen ermordet und angemalt aufgefunden werden, wissen Cross und Sampson, dass sie es mit skrupellosen wie handwerklich perfekten Serienkillern zu tun haben …
„Mauer des Schweigens“, immerhin schon der achte Teil Alex-Cross-Thriller, zählt zwar nicht zu den besten der Reihe, unterhält aber doch auf gewohnt spannende Weise. Da der Leser von Beginn an die Täter kennt, stellt sich nur die Frage, wie Cross und Sampson auf ihre Spur kommen und vor allem an ihren Aufraggeber. Interessanter sind diesmal eher die persönlichen Belange des sympathischen Ermittler-Duos.
Cross hat sich im vergangenen Fall „Stunde der Rache“ in die Polizistin Jamilla Hughes verliebt und ist gespannt, wie sich die Beziehung, wenn es denn eine werden soll, wohl entwickelt. Er sorgt sich aber auch um die Gesundheit seiner Nana, die mit ihren über achtzig Jahren noch immer den Haushalt der Cross-Familie schmeißt, aber erstmals Krankheits-Symptome zeigt. Und schließlich hat Alex Cross das Angebot vom FBI zu überdenken, seine Karriere dort fortzusetzen. Aber auch John Sampson verliebt sich in eine Zeugin und scheint erstmals eine längere Beziehung eingehen zu wollen. Allerdings fehlt es diesen zwischenmenschlichen Aspekten oft an der nötigen Tiefe. Im Vordergrund steht eben doch die Auflösung eines kniffligen Falls, bei dem Cross & Co. wieder so einige glückliche Zufälle in die Hand spielen. Wenn man sich aber so allmählich an den Umstand gewöhnt hat, dass Alex Cross über mehr als die sprichwörtlichen sieben Leben besitzt – oder einen ganz besonders fleißigen Schutzengel -, dann sorgt auch „Mauer des Schweigens“ für kurzweiligen Thrill.
Lesen Sie im Buch: „Mauer des Schweigens“

James Patterson - (Alex Cross: 9) „Vor aller Augen“



(Blanvalet, 320 S., Tb.)
Kaum hat Alex Cross seine „Orientierung“ beim FBI begonnen, bekommt er es mit ungewohnt dreisten Entführungen zu tun, die scheinbar ohne erkennbares Muster ablaufen. Wahllos werden am hellichten Tage in aller Öffentlichkeit meist wohlhabende Frauen und Männer entführt, ohne dass Lösegelder verlangt werden. Cross, der von FBI-Direktor Burns persönlich von der Washingtoner Polizei abgeworben wurde, vermutet einen Zusammenhang zu „weißen Sklavenringen“, in denen attraktive weiße Frauen zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreißig in den Nahen Osten oder nach Japan verkauft wurden.
Vor allem ein nur als „Wolf“ bekannter russischer Gangster-Boss , der in Lauderdale als Ari Manning Geschäfte mit Waffen, Erpressung, Drogen, Banken und Medien machte, wird verdächtigt, mit den spektakulären Entführungen zu tun zu haben. Doch während Cross und seine neuen Kollegen nicht nur die entführten Geiseln aufzufinden suchen und den „Wolf“ überführen wollen, hat der gefragte Polizeipsychologe Cross natürlich auch private Probleme um die Ohren. Auf einmal steht nämlich Cross‘ alte Flamme Christine Johnson vor der Tür und beansprucht das alleinige Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn Alex …
Wenn man erst einmal mit der Alex-Cross-Reihe angefangen hat, fällt es schwer, wieder damit aufzuhören. Allerdings wirkten bereits die letzten Teile recht routiniert und lieblos wie am Reißbrett konstruiert, Teil 9 macht da leider keine Ausnahme. Der Umstand, dass Cross seine Karriere nun beim FBI fortsetzt, bietet etliche Möglichkeiten, die James Patterson fahrlässig ungenutzt lässt. Weder werden seine neue Kollegen und Arbeitsabläufe eingehender beschrieben, noch entwickelt sich die Aufklärung des Falls schlüssig. Cross‘ Kommentare und Gedanken zum Fall sind für einen hochdekorierten Psychologen doch etwas arg platt:
„Irgendetwas an diesen Entführungen war für mich nicht stimmig. Zu Beginn waren sie sehr sorgfältig und vorsichtig durchgeführt worden, dann wurden die Entführer plötzlich schlampig. Das Muster war unstet. Warum? Was hatte das zu bedeuten? Was hatte sich verändert? Wenn ich das herausfinden konnte, bestand für uns die Chance auf einen Durchbruch.“ (S. 106)
Und auch die familiäre Tragödie, dass Cross um seinen Sohn kämpfen muss, wird eher lapidar abgehandelt, so dass letztlich wenig Positives über Band 9 der Alex-Cross-Reihe zu sagen ist – außer, dass die 320 Seiten zum Glück schnell ausgelesen sind. Ich bin nur noch vage gespannt, ob das Niveau der Reihe in den nächsten Bänden wieder ansteigt …
 Leseprobe James Patterson - "Vor aller Augen"

Daniel Silva – (Gabriel Allon: 4) „Der Zeuge“

Montag, 3. Januar 2011

(Piper, 416 S., HC)
In einem unscheinbaren Gebäude in Wien residiert der ehemalige israelische Geheimdienstler Eli Lavon, wo er nun – unter der Obhut seines Mentors Ari Schamron - die Organisation für Ansprüche und Ermittlungen wegen Kriegsschäden leitet. Auf dem Weg nach draußen nimmt er gerade noch eine verdächtige Person vor dem Gebäude wahr, dann legt eine Detonation alles in Trümmern. Als der israelische Agent Gabriel Adlon davon in Venedig erfährt, wo er in einer Kirche ein Altarbild von Giovanni Bellini restauriert, reist er sofort nach Wien, um den im Koma liegenden Eli im Krankenhaus zu besuchen. Dort wird Gabriel von Max Klein angesprochen, der behauptet, schuld an dem Attentat zu sein. Er erzählt ihm seine Geschichte, wie die Juden aus Österreich vertrieben wurden, wie er selbst Auschwitz überlebt hat und nach Wien zurückkehren konnte.
In einem Café trifft er auf einen Mann namens Vogel, dessen Stimme Klein sofort als diejenige identifiziert, die ihm in Auschwitz befohlen hat, Geige zu spielen. Als Klein Lavon von dem Vorfall berichtet, verabreden sich die beiden Männer für den nächsten Tag, doch die Bombenexplosion verhindert das Treffen. Adlon erfährt von Klein noch einen weiteren Namen, dann wird auch Klein ermordet. Offensichtlich handelt es sich bei Ludwig Vogel um einen erfolgreichen österreichischen Geschäftsmann, der zudem einer der größten Geldgeber der Österreichischen Nationalpartei ist. Offensichtlich verbirgt sich hinter Vogel der Sturmbannführer Erich Radek, der für eine ungeheure Vertuschungsaktion verantwortlich gewesen ist. Bei seinen Recherchen, die Adlon immer tiefer in die Schrecken des Holocaust hineinziehen, stößt er auch auf einen Bericht seiner verstorbenen Mutter. Nun wird die Jagd auf Radek zu Adlons persönlicher Vendetta, die ihn nach Jerusalem, Rom und Argentinien führt …
Mit „Der Zeuge“ hat der ehemalige CNN-Auslandskorrespondent und erfolgreiche Thrillerautor Daniel Silva eine Trilogie beendet, die sich mit unbeantworteten Fragen des Holocaust auseinandersetzt. Der Kunstraub der Nazis bildete den Hintergrund für „Der Engländer“, die Rolle der Kirche im Holocaust für „Die Loge“. Auch „Der Zeuge“ basiert auf belegten Tatsachen und verknüpft die erschreckend effektive Judenvernichtung mit einer spannenden Spionage-Story. Zwar wechseln häufig die Orte und Personen des Geschehens, doch hat Silva das Thema so spannend aufbereitet, dass man die Jagd nach dem Kriegsverbrecher mit neugieriger Faszination bis zum Schluss atemlos verfolgt.

J.L. Carrell – „Die Shakespeare-Morde“

Sonntag, 2. Januar 2011

(List, 463 S., HC)
Kurz vor der Premiere ihrer „Hamlet“-Inszenierung am Londoner Globe Theatre bekommt die renommierte Shakespeare-Expertin Kate Shelton Besuch von ihrer ehemaligen Mentorin, der Harvard-Professorin Rosalind Howard. Obwohl sie es nie verwunden zu haben scheint, dass Kate ihre akademische Karriere gegen die Liebe zum Theater eintauschte, überreicht Ros ihr eine Schachtel mit den Worten: „Wenn du die Schachtel öffnest, musst du dem Weg folgen, den sie dir weist.“ Doch bevor Ros ihr zum später verabredeten Treffpunkt auf dem Parliament Hill mehr zu der geheimnisvollen Schachtel erzählen kann, bricht ein Feuer am Theater aus, in dem Ros an den Folgen einer tödlichen Kalium-Injektion in bester Shakespeare-Tradition zu Tode kommt.
Als Kate darüber rätselt, warum Ros ausgerechnet zu ihr mit der Kassette gekommen ist, in der sich eine Brosche befindet, die sich als beliebter Trauerschmuck des 19. Jahrhunderts entpuppt, fällt ihr nur ihre eigene Dissertation ein, die sie über die vielen Versuche geschrieben hat, kodiertes Geheimwissen aus Shakespeares Werken herauszulesen. Zusammen mit Sir Henry Lee, dem Grand Seigneur des britischen Theaters, und Ben Pearl, Rosalinds Neffen, macht sich Kate auf die Suche nach einem verschollenen Shakespeare-Stück, das in Zusammenhang mit Cervantes‘ berühmten „Don Quixote“ zu stehen scheint und hinter dem auch Rosalinds Mörder her ist, der seine Widersacher nach Shakespeares literarischen Werken umbringt. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wer ein Interesse daran haben kann, dass das verschollene Shakespeare-Stück unentdeckt bleibt.
Hier kommen die verschiedenen Theorien über Shakespeares Identität ins Spiel.
„Wer müsste überhaupt ein solches Geheimnis um seine Identität machen? Möglicherweise ein Adliger – das Theater wäre ein Fleck auf der Familienweste. Oder natürlich eine Frau, egal welchen Ranges. Dann gibt es angeblich noch die geheimen Botschaften in den Stücken – meistens ist von Freimaurern, Rosenkreuzern oder Jesuiten die Rede. Und die Behauptung, der Autor der Stücke – für gewöhnlich Francis Bacon – sei der Sohn der Königin. Wer an so was glaubt, hält die Maskerade für eine nötige Sicherheitsvorkehrung.“ (S. 270)
Die abenteuerliche, mit vielen Rätseln gespickte Spurensuche führt das Trio von London nach Boston, Arizona, ins spanische Valladolid und nach Tombstone, und je näher man der Auflösung des „Cardenio“ betitelten Stückes kommt, umso mehr Tote pflastern den Weg der detektivischen Shakespeare-Freunde.
Eins muss man Dr. phil. Jennifer Lee Carrell lassen. Die an der Harvard University in Englischer und Amerikanischer Literatur promovierte Shakespeare-Expertin weiß, wovon sie schreibt. Leider spickt sie ihre eigentlich interessante literarische Schnitzeljagd mit dermaßen viel Fachwissen, Shakespeare-Zitaten, dass der Leser spätestens nach 300 Seiten die Lust an dem intellektuell anspruchsvollen Dechiffrierungen verliert. Es werden so viele Verweise, Möglichkeiten, Lebensläufe, Theorien diskutiert, während die Protagonisten mit allerlei Hilfe und Fallstricken durch die Welt jettet, dass einfach der Faden der Geschichte und die Spannung verloren gehen. Dieses Manko wird durch die viel zu seltenen und undurchschaubaren Rückblicke in die Shakespeare-Zeit nicht gerade abgemildert. Somit dürfte „Die Shakespeare-Morde“ nur für außerordentlich interessierte Shakespeare-Anhänger durchweg unterhaltsam sein.

Richard Laymon – „Finster“

Mittwoch, 29. Dezember 2010

(Heyne, 543 S., Pb.)
Der 20-jährige Student Ed Logan ist am Boden zerstört, als seine Freundin Holly Johnson ihn wegen eines anderen Typen namens Jay verlässt, der „so außergewöhnlich und einfühlsam“ sein soll, wie Holly in ihrem Abschiedsbrief meinte. Er entschließt sich zu einem nächtlichen Spaziergang durch Willmington, der ihn zunächst zu Hollys Studentenwohnheim führt, wo er auf Eileen Danforth trifft, eine von Hollys besten Freundinnen. Da sie von Hollys Brief weiß, versucht sie, Ed Gesellschaft zu leisten und ihn etwas aufzumuntern, doch ihren Vorschlag, ihn zum zehn Kilometer entfernten Donut-Shop zu begleiten, lehnt er freundlich ab. Als er von der Division in die Franklin Street abbiegt, entdeckt er ein Mädchen, das vor ihm die gleiche Route einzuschlagen scheint. Ist Ed zunächst ohne Ziel losgelaufen, hat er nun zwei Aufgaben vor sich: Eileen Donuts mitzubringen und seine neue Gefährtin zu beschützen. Als sie in einem Haus verschwindet, beobachtet er sie noch kurz, bis das Licht gelöscht ist, dann setzt er seinen Weg fort und trifft Eileen bei Dandi Donuts, wo sie auf Ed gewartet hat und ihn zurück nach Hause fährt, wo Eileen den liebeskranken Ed verführt.
Doch Eds Gedanken hängen an dem geheimnisvollen Mädchen mit dem Pferdeschwanz. Als er sich in der nächsten Nacht den Wecker stellt, um zum Haus des blonden Mädchens zurückzukehren, entdeckt er eine weitere hübsche Frau in dem geheimnisvollen Haus und beobachtet sie gespannt.
„Nur ein Verrückter würde sich den Wecker stellen, um mitten in der Nacht aufzustehen und die Stadt nach einer völlig Fremden zu durchsuchen, der er in der Nacht zuvor eine Weile nachgeschlichen war. Und sich bei der Gelegenheit an ein Fenster pirschen und eine halbnackte Frau belauern. Unvermittelt war ich zu einem Spanner geworden.
Was würde als Nächstes geschehen?
Was als Nächstes geschehen sollte, dachte ich, dass ich nach Hause gehe. Ich sollte das Ganze abblasen. In meine Wohnung gehen und mich ins Bett legen. Morgen aufstehen und zur Uni gehen. Fleißig sein. Eine ernsthafte Beziehung mit Eileen eingehen. Mach dir nichts vor, sie ist wahrscheinlich in jeder Hinsicht besser, als Holly je war. Ich sah die vergangene Nacht mit Eileen vor mir. Die Überraschung, als ich feststellte, dass sie heimlich ihren BH ausgezogen hatte. Die Lust, als ich meine Hand in ihre Jeans schob und durch ihre feuchte Hitze glitt. Und wie es sich dann anfühlte, als sie sich nass und eng auf mich setzte, sich langsam aufspießte. Was bedeutet es im Vergleich dazu, einem unbekannten Mädchen hinterherzuschleichen? Wie kann eine Frau im Nachthemd, die man durch ein Fenster anglotzt, selbst wenn man eine ihrer Brüste sehen kann, eine größere Versuchung sein als Eileen und die Dinge, die ich mit ihr schon getan hatte?“ (S. 91)
Für Ed beginnt eine Nacht, die er so schnell nicht vergessen wird. Er lernt Menschenfresser und einen perversen Entführer kennen, macht die Bekanntschaft gleich von mehreren hübschen Frauen, muss sich den Annäherungsversuchen seines schwulen Kumpels Kirkus erwehren und schließlich Eileen aus den Fängen eines Entführers befreien …
„Night In Lonesome October“ ist im selben Jahr – 2001 - erschienen, in dem Richard Laymon gestorben ist, doch zählt dieses Spätwerk nicht zu seinen besten Romanen. Zwar hat der Autor mit dem Icherzähler Ed Logan wieder einen überzeugenden jugendlichen Protagonisten geschaffen, doch wirken die Ereignisse, in die der Junge reihenweise stolpert, auf Dauer doch etwas stark bei den Haaren herbeigezogen und die ständigen erotischen Intermezzi wie spätpubertierende Sexphantasien. Natürlich ist „Finster“ wieder in Laymons einfacher, doch plastischer Sprache geschrieben, unterhaltsam und auch spannend, aber eben nicht der große Horrorroman wie viele seiner anderen Veröffentlichungen.

Tom Piccirilli – „Der Geruch von Blut“

Montag, 20. Dezember 2010

(Heyne, 303 S., Pb.)
Anderthalb Stunden nördlich von Manhattan liegt Three Rivers, ein beschauliches Örtchen mit einer fünf Blocks langen Hauptstraße, Fernfahrerkneipen mit schlechtem Essen, ein paar Bars, einer verlassenen Futtermühle und einer geschlossenen Zuckerfabrik. Die „Attraktion“ besteht in dem St. Valarian’s Mädcheninternat, an dem der blinde Finn Literatur lehrt. Der Verlust seines Augenlichts hat irgendwie mit seiner verstorbenen Frau Danielle zu tun, doch wie sich die Tragödie damals zugetragen hat, kann der Leser aus den oft wirren Erinnerungen des ehemaligen Polizisten nur dunkel erahnen.
 Während sein damaliger Partner Ray wegen Verstrickungen mit der Mafia in den Knast wanderte, quittierte Finn den Dienst und fing als Lehrer in dem Mädcheninternat ein neues Leben an, im Schlepptau die drogensüchtige Krankenschwester Roz, die sich zunächst aufopferungsvoll um den nach einer Bombenexplosion verstümmelten Ray kümmerte, wegen ihrer Sucht aber ebenfalls eine neue Stelle suchen musste. Doch auch im kleinen Three Rivers lassen Finn die Geister der Vergangenheit keine Ruhe. Als er auf dem nahe gelegenen Friedhof den verschneiten und misshandelten Körper eines Mädchens, Harley Moon, findet, hat ihn die Vergangenheit endgültig eingeholt, zumal auch wenig später Roz spurlos verschwindet …
„Manchmal hat er das Gefühl, nie wieder irgendeinen Einfluss auf die Welt zu haben. Und manchmal fühlt es sich an, als müsse er nur den Kopf zur Seite legen und mit den Fingern schnipsen, und alles, was er sich erträumt, wird wahr. Kein guter Ort für solche Gedanken. Er merkt, dass er ins Wanken gerät, und lässt die Hand sinken (…) So sieht wahrscheinlich ein Nervenzusammenbruch aus. Leute, die durch die Fifth Avenue laufen und vor sich hin murmeln, ins Gespräch vertieft mit verschollenen Kindern, toten Eltern, Klassenlehrern, Ausbildern bei der Armee, all den Heiligen, Märtyrern und anderen imaginären Bekannten. Finn überlegt, wen oder was Harley Moon wohl repräsentiert, für welche Fehler sie steht. Sein erstes Mal, seine Highschool-Freundin, Danielle, Rays Gespielinnen, Howies Zorn, die Mädchen im Leichenschauhaus. Die Toten und die Vermissten, die aus seinem Unterbewusstsein aufsteigen und ihn auf seltsame Weise am Leben halten.“ (S. 164 f.)
Nach „Killzone“ und „Schmerz“ liegt mit „Der Geruch von Blut“ der dritte Titel des amerikanischen Autors Tom Piccirilli vor, der mit seiner eindringlichen Sprache einen in jeder Hinsicht gebrochenen Mann beschreibt, der einfach nicht zur Ruhe kommt. Nach dem gewaltsamen Tod seiner Frau und dem Verlust seines Sehvermögens rauben ihm die Dämonen von damals, als Finn noch beruflich die Unschuldigen zu schützen versuchte, die letzten Nerven. Erst spät fügen sich für den Leser die Bruchstücke aus Träumen und Erinnerungen zu einem bedrohlichen Puzzle zusammen, das unweigerlich weitere Tote und Misshandelte zur Folge haben wird. Piccirilli zieht den Leser mit seiner poetischen Sprache schnell in den Bann und zeichnet auf spannende Weise das Psychogramm etlicher gescheiterter Lebensentwürfe.

Jeff Lindsay – „Des Todes dunkler Bruder“

Sonntag, 12. Dezember 2010

(Knaur, 351 S., Pb.)
Eigentlich arbeitet Dexter Morgan als Spezialist für Blutanalysen bei der Polizei von Miami, doch seine Passion gilt der Bestrafung von Serienkillern, die durch das Netz der polizeilichen Ermittlungen schlüpfen. Gerade hat sich Dexter eines Priesters angenommen, der nicht nur im St. Anthony’s Waisenhaus Kinder umgebracht hat, sondern offensichtlich zuvor schon in anderen Städten, da wird Miami von einer neuen Mordserie erschüttert.
Der Killer entzieht seinen Leichen das sämtliche Blut und zerschneidet sie mit chirurgischer Perfektion. Dexters Adoptivschwester Deborah, die ebenso wie ihr verstorbener Vater Harry und Dexter bei der Polizei arbeitet, sieht hier die Chance, von der Sitte weg zur Mordkommission befördert zu werden, braucht aber dafür Dexters außergewöhnliche Intuition. Diese führt zu der Vermutung, dass der Killer seine Opfer in einem gestohlenen Kühltransporter verarbeitet. Als Deb und Dexter die nächste kunstvoll verpackte und blutleere Leiche im Tor des heimischen Eishockeystadions finden, beschleicht Dexter das ungute Gefühl, dass der Täter sehr viel mit ihm selbst gemein hat. Detective LaGuerta kann zwar bald mit einer Verhaftung vor der Presse glänzen, doch Dexter weiß, dass die bizarre Mordserie noch längst nicht beendet ist …
Mit seinem Debütthriller „Darkly Dreaming Dexter“ ist dem amerikanischen Autor Jeff Lindsay im Jahre 2004 ein grandioser Wurf gelungen, der CBS Showtime zu einer brillanten Fernsehserie inspiriert hat, in der Michael C. Hall die perfekte Besetzung für den geheimnisvollen Blutanalyse-Spezialisten Dexter Morgan darstellt. Dass der Roman die Grundlage für eine über mehrere Staffeln erfolgreiche TV-Serie bieten kann, ist dabei nicht nur der charismatischen wie enigmatischen Hauptfigur zu verdanken, deren faszinierende und beunruhigende Vergangenheit erst allmählich und nur stückchenweise enthüllt wird. Auch Dexters Schwester Deborah und seine Kollegen bieten viel Raum, um in einer spannenden wie unterhaltsamen Thriller-Serie ausgefüllt zu werden. Lindsay hat sein Debüt dabei so spannend wie humorvoll geschrieben, dass Fortsetzungen zum Glück nicht lange auf sich warten ließen.

Jeff Lindsay – „Die schöne Kunst des Mordens“

Freitag, 3. Dezember 2010

(Knaur, 413 S., Pb.)
Dexter ist gerade von seinen Flitterwochen mit Rita aus Paris zurückgekehrt, da wird seine ganz spezielle Fähigkeit, Tatorte zu lesen, auch schon wieder vom Miami Police Department, wo er als Blutanalyst arbeitet, beansprucht. Zunächst wird er an einen Tatort gerufen, wo die unterhalb des Brustkorbs ausgeweideten Leichen eines blassen, übergewichtigen Paars in den Dreißigern am Strand wie ein Obstkorb inszeniert worden waren. Während Dexter und seine Schwester Deborah noch den Tatort inspizieren, kommt schon der nächste Mord rein, diesmal aus Fairchild Gardens, wo die kopflose Leiche eines Mannes wie ein Blumenstrauß – mir Gedärmen statt Blumen –sitzend an einem Baum lehnte.
Doch selbst mit diesem Fund ist der Arbeitstag für Dexter noch nicht zu Ende. Rita versucht sich gerade an französischer Küche, als er zum nächsten Tatort gerufen wird. Diesmal handelt es sich um einen Mann, dessen Brustkorb von den üblichen Inneren befreit und mit Eis und Bierflaschen gefüllt worden ist. Als Dexter und Deborah überlegen, für wen diese kunstvollen Morde inszeniert wurden, fällt Dexter die Tourismusbranche ein. Offensichtlich will jemand den Sonnenstaat Miami madig machen. Erste Anlaufstelle für die Ermittler ist also die Behörde für Fremdenverkehr, wo sich tatsächlich eine erste Spur auftut. Doch als Deborah und Dexter den Verdächtigen Alex Doncevic aufsuchen, wird Deborah niedergestochen. Doncevic wird zwar wenig später verhaftet, doch da es nicht seine Fingerabdrücke auf der Waffe sind, wird Doncevic wieder auf freien Fuß gesetzt. Dexter tut, was er tun muss und lässt seinen „Dunklen Passagier“ Gerechtigkeit walten, während Deborah im Krankenhaus nur langsam wieder zu Kräften kommt. Doch Dexter muss einsehen, dass er den falschen Mann erwischt hat. Nun macht nämlich Doncevic‘ Liebhaber und Compagnon Brandon Weiss Jagd auf Dexter und seine Liebsten …
Mit seinem ersten Dexter-Roman „Des Todes dunkler Bruder“ hat Jeff Lindsay nicht nur einen außergewöhnlichen Psychothriller vorgelegt, sondern gleich die Vorlage zu der erfolgreichen Fernsehserie „Dexter“, in der Dexter Morgan tagsüber als Blutanalyst für das Miami Police Department arbeitet und nachts die bösen Buben aus dem Verkehr zieht, die durch das Rechtssystem geschlüpft sind. Das ist nicht nur im Fernsehen höchst unterhaltsam, sondern lässt sich nun mittlerweile bereits zum vierten Mal auch wunderbar spannend mit viel schwarzem „Dexter“-Humor lesen. Im vierten Dexter-Roman ist besonders interessant, wie Dexter feststellt, dass Ritas Kinder Cody und Astor ebenfalls eine dunkle Seite in sich haben.
„Ich musterte die beiden, und es kam mir fast so vor, als wohnte ich einem religiösen Wunder bei. Sie wussten vom Schattenmann – ihrem Dunklen Passagier. Ebenso wie ich trugen sie in sich und waren so vertraut mit seiner Existenz, dass sie ihm einen Namen gegeben hatten. Es bestand nicht der geringste Zweifel – sie befanden sich bereits in derselben dunklen Welt, in der ich lebte. Es war ein tiefgreifender Moment der Verbundenheit, und ich wusste, dass ich das Richtige tat: Sie waren meine Kinder und die des Dunklen Passagiers – und die Vorstellung, dass wir dadurch stärker als durch Blutsbande miteinander verbunden waren, war nahezu überwältigend.“ (S. 52)
Darüber hinaus erfährt der Leser, wie Dexter durch seinen Vater Harry mit dem Dunklen Passagier vertraut gemacht worden ist und wie seine Schwester mit dem Wissen umgeht, dass sich Dexter durch seine Selbstjustiz-Aktionen strafbar macht. Alles in allem bietet der neue „Dexter“-Roman einmal tiefere Einblicke in die geheimnisvolle Seele von Dexter Morgan, dazu eine Menge Humor und ganz nebenbei auch eine spannende Kriminalgeschichte.

Jussi Adler-Olsen – (Carl Mørck 1) „Erbarmen“

Freitag, 26. November 2010

(dtv, 424 S., Pb.)
Nachdem der Kripobeamte Carl Mørck nach einer Schießerei noch immer nicht verwunden hat, dass ein Kollege tödlich verletzt wurde und Hardy ab dem Hals abwärts gelähmt im Krankenhaus liegt, nimmt er nur zu gern das Angebot seines Chefs Marcus Jacobsen an, das neue Dezernat „Q“ zu leiten, das sich mit alten ungelösten Fällen befassen soll. Das bedeutet zwar die räumliche Versetzung in den fensterlosen Keller, doch hier hat der Sonderermittler alle Freiheiten und mit dem syrischen Asylanten Hafez el Assad einen Assistenten, der sich nicht nur um die technischen Angelegenheiten in den abgeschiedenen Räumlichkeiten kümmert und mit seinem Charme so einige Gefälligkeiten von den Sekretärinnen der Dienststelle einfordern kann, sondern sich auch als intelligenter Beobachter und Ermittler erweist. Er stößt seinen Chef auf den Fall der Politikerin Merete Lynggaard, die vor fünf Jahren nach dem Aufenthalt auf einer Fähre spurlos verschwunden und mittlerweile für tot erklärt worden ist.
Mørck braucht nicht lange, um festzustellen, dass die Ermittlungen seines Kollegen Bak damals äußerst schlampig durchgeführt worden sind. Zusammen mit dem eifrigen Assad macht Mørck Meretes autistischen Bruder Uffe ausfindig und ermittelt auch in dem politischen Umfeld der Vermissten. Als wichtige Spur erweist sich der Besuch bei einem Fotografen, der Merete wie ein Paparazzi verfolgt und überall fotografiert hat. So stoßen sie auf ein einst einflussreiches dänisches Industrieunternehmen und eine offene Rechnung, die offensichtlich jemand begleichen will. Noch ahnen Mørck und Assad nicht, dass ihnen die Zeit davonläuft, denn Merete wird seit Jahren von ihren Entführern in einem dunklen Raum gefangen gehalten. Ihr Todesdatum steht längst fest …
Was „Erbarmen“ so spannend macht, sind die zwei so unterschiedlichen, über mehrere Jahre hinweg parallel verlaufenden Handlungsstränge – hier die posttraumatische Bewältigung eines gescheiterten Polizeieinsatzes und der Aufbau einer neuen Ermittlungsbehörde; dort die Entführung und Folterung einer attraktiven, aber unnahbaren Politikerin. Gespannt wartet der Leser auf die Zusammenführung dieser zunächst losen Enden. Erfrischend ist vor allem das außergewöhnliche Ermittlerduo. Der obrigkeitsmüde Mørck wird aus dem ihm zugeteilten Assistenten Assad nicht richtig schlau, aber wie gut die beiden letztlich zusammenarbeiten, ist schon manchmal recht erheiternd wie effektiv. Das Motiv für die Tat wirkt allerdings nicht recht schlüssig, doch davon abgesehen bietet dieser dänische Thriller vielschichtige Spannung!

Jussi Adler-Olsen – (Carl Mørck 2) „Schändung“

(dtv, 464 S., Pb.)
Nach der erfolgreichen Aufklärung des Verschwindens der aufstrebenden Politikerin Merete Lynggaard und dem verdienten Sommerurlaub hat es Sonderdezenat-Q-Leiter Carl Mørck erneut mit einem ungelösten alten Fall zu tun. Im Sommer 1987 wurde ein Geschwisterpaar, ein achtzehnjähriger Junge und ein siebzehnjähriges Mädchen, brutal ermordet in einem Sommerhaus in Rørvig aufgefunden. Verdächtigt wurde eine Gruppe von Internatsschülern, deren Eltern zu den höchsten gesellschaftlichen Kreisen zählten. Mittlerweile sind die Kinder in die Fußstapfen ihrer Eltern getreten: Ditlev Pram hat eine Reihe von privaten Kliniken gegründet, Torsten Florin ist ein international renommierter Modedesigner, Ulrik Dybbøl Jensen Aktienhändler an der Kopenhagener Börse und der mittlerweile verstorbene Kristian Wolf war ein erfolgreicher Schiffsreeder gewesen.
Nur zwei der damals verdächtigten Jugendlichen fallen aus der Reihe: Kimmie Lassen hatte zwar auch zum Jet-Set gehört, doch fehlt von ihr mittlerweile jede Spur. Und Bjarne Thøgersen, der den Mord neun Jahre nach der Tat gestanden hatte und dafür im Gefängnis saß, kam als Einziger aus bescheidenen Verhältnissen. Mørck leuchtet zunächst nicht ein, warum ihm sein Assistent Assad die Akte vorgelegt hat, wenn es doch zu einer Verurteilung gekommen ist, doch als sich Mørck, Assad und die neue Aushilfe Rose etwas näher mit dem Fall zu befassen beginnen, unterbindet Mørcks Vorgesetzter Jacobsen weitere Ermittlungen. Doch Mørck, von jeher ein Rebell gegen jede Obrigkeit, leckt nun erst recht Blut und versucht, die untergetauchte Kimmie aufzuspüren. Wie sich herauskristallisiert, hat sie noch eine eigene Rechnung mit ihren drei Internatskameraden von damals offen, und Pram, Florin und Dybbøl versuchen ihrerseits, die Querulantin aus dem Verkehr zu ziehen …
Mit dem sympathischen wie unorthodoxen Ermittlerduo Mørck und Assad hat der norwegische Thriller-Autor Jussi Adler-Olsen mit "Erbarmen" eine Reihe ins Leben gerufen, die gern als legitime Nachfolger von Stieg Larssons „Millennium“-Trilogie gefeiert wird. Tatsächlich sind die beiden Sonderermittler von ähnlich schräger Natur wie Larssons Journalist Mikael Blomkvist und die Ermittlerin Lisbeth Salander, doch hören die – vagen – Gemeinsamkeiten hier auch schon auf. Von der atmosphärischen Dichte der brillanten Thriller des verstrobenen Schweden sind Adler-Olsens Werke weit entfernt. Zwar ist auch „Schändung“ äußerst spannend und kurzweilig geschrieben, aber die stereotyp gezeichneten Bösewichte aus der High Society, mit denen es Mørck & Co. hier zu tun haben, wirken nicht allzu überzeugend. Auch durfte man sich erhoffen, dass die kauzige Beziehung zwischen Mørck und Assad weiter vertieft wird, doch erfährt der Leser in dieser Hinsicht nichts Neues. Dafür bringt die resolute Aushilfe Rose frischen Wind ins Sonderdezernat Q. Auf den nächsten Fall des Trios darf man sich also doch freuen.

Stephen King – „Zwischen Nacht und Dunkel“

Montag, 22. November 2010

(Heyne, 527 S., HC)
In den vergangenen Jahren hat der „King des Horrors“ immer wieder mal zu den literarischen Formen zurückgefunden, die seinen Ruhm mitbegründet haben. Viele seiner Storys aus den Kurzgeschichten- und -romansammlungen wie „Nachtschicht“, „Frühling, Sommer, Herbst und Tod“ oder „Nightmares & Dreamscapes“ sind verfilmt worden und zeugen so von der erzählerischen Qualität des preisgekrönten Bestseller-Autors. „Im Kabinett des Todes“ und „Sunset“ waren die letzten Bücher, die kürzere Werke von Stephen King vereinten, mit „Zwischen Nacht und Dunkel“ legt er nun vier Kurzromane vor.
„1922“ schildert das Geständnis des einfachen Maisfarmers Wilf Leland James, seine Frau Arlette mit Hilfe seines vierzehnjährigen Sohnes Henry umgebracht zu haben. Sie wollte unbedingt die 40 Hektar Land, das ihr von ihrem Vater vermacht worden war, an die Farrington Company verkaufen, am besten zusammen mit den 30 Hektar, die die James-Familie selbst bewirtschaftete, damit sie allesamt ein neues Leben in Omaha beginnen könnten. Doch bevor sie den Handel mit dem Anwalt der Schweinezuchtfabrik abschließen kann, schneidet ihr Wilf die Kehle durch und schmeißt die Leiche in den Brunnen, und die alternde Kuh Elpis gleich obendrauf. Natürlich stellen sowohl Sheriff Jones als auch der Anwalt der Farrington Company Nachforschungen an, doch können sie Wilfs Geschichte, dass Arlette wahrscheinlich nach Omaha getürmt sei, nicht widerlegen. Doch scheint es, dass nicht nur Ratten aus dem zugeschütteten Brunnen an die Oberfläche zurückkehren, sondern etwas viel Schlimmeres …
„Es erwarten uns stets schlimmere Dinge. Man glaubt, das Allerschlimmste gesehen zu haben: diese eine Sache, die alle Albträume, die man je gehabt hat, zu einem grotesken Horror vereinigt, der tatsächlich existiert, und der einzige Trost ist, dass es nichts Schlimmeres geben kann. Auch wenn es etwas gäbe, würde man bei seinem Anblick überschnappen und nichts mehr davon wahrnehmen. Aber es gibt Schlimmeres, und trotzdem schnappt man nicht über und macht irgendwie weiter. Man begreift vielleicht, dass es für einen auf dieser Welt nie wieder Freude geben wird, dass durch die eigene Tat alles, was man zu gewinnen hoffte, unerreichbar geworden ist, und wünscht sich vielleicht, man wäre selbst tot – aber man macht weiter. Man erkennt, dass man in einer selbst geschaffenen Hölle ist, aber man macht trotzdem weiter. Weil einem nichts anderes übrigbleibt.“ (S. 68)
Schlimmes widerfährt in „Big Driver“ auch der Schriftstellerin Tess, die mit ihrer populären Reihe über die Hobbydetektivinnen des Strickclub Willow Grove monatlich eine Lesung veranstaltet, deren Erlös sie in ihren Pensionsfonds einzahlt. Die einzigen Bedingungen, die sie an diese Engagements knüpft, sind ein Mindesthonorar von 1200 Dollar und eine Entfernung, die nicht mehr als eine Übernachtung auf Hin- und Rückfahrt verursacht. Die Einladung von Books & Brown Baggers passte perfekt in dieses Schema. Chicopee war nicht mal sechzig Meilen von Stoke Village entfernt, und das Honorar lag dreihundert Dollar über dem Mindestsatz. Alles geht auch reibungslos über die Bühne, doch als Tess den Vorschlag der Veranstalterin Ramona Norville annimmt, auf dem Rückweg eine Abkürzung zu nehmen, fällt sie nach einer Autopanne einem Riesen in die Hände, der mehr mit Tess vorhat, als ihr nur den Reifen zu wechseln …
Der durch seinen Krebs zum Tode verurteilte Familienvater Dave Streeter erhält eine „Faire Verlängerung“ seines Lebens, als er an der verlassenen Fahrbahn am Derry County Airport einen teuflischen Deal mit George Elvid eingeht: Für mindestens fünfzehn weitere Lebensjahre muss er nicht nur fünfzehn Jahre lang 15% seines Einkommens an Elvid abgeben, sondern das Unglück, das ihm genommen wird, auf jemanden abwälzen, den er aus tiefstem Herzen hasst. Streeter muss eine Weile überlegen, doch dann fällt ihm sein alter Schulkumpel Tom Goddhugh ein, der damals Daves Freundin Norma Witten ausgespannt hat und nun erfolgreicher Unternehmer ist. Tatsächlich wendet sich das Blatt umgehend zu Streeters Gunsten. Während sein Arzt ungläubig den Rückgang der Krebszellen diagnostiziert und Daves Karriere in Schwung kommt, geht es mit Tom, seiner Familie und seinem Wohlstand rasant bergab …
Die unscheinbare Darcellen Madsen führt seit 27 Jahren „Eine gute Ehe“ mit dem ebenso farblosen Steuerberater Bob Anderson. Gemeinsam machten sie 1986 einen Versandhandel für amerikanische Sammlermünzen auf und zogen mit Petra und Donnie zwei bezaubernde Kinder groß. Doch in der Nacht, als die TV-Fernbedienung ihren Geist aufgibt und Darcy in der Garage nach Batterien sucht, stößt sie nicht nur auf Bondage-Sex-Magazine, sondern auch auf Plastikkarten von Marjorie Duvall, deren Leiche in einer Schlucht jenseits der Stadtgrenze von North Conway aufgefunden wurde. Diese Entdeckung stellt das Bild über ihren Ehemann natürlich völlig auf den Kopf. Doch bevor sie überlegen kann, was sie mit diesem schrecklichen Wissen anfangen soll, hat Bob von ihrer Entdeckung schon erfahren …
Stephen King erweist sich in diesen vier Kurzromanen mal wieder als Meister seines Fachs. Mit faszinierender Präzision taucht er in die psychischen Abgründe der menschlichen Seele ein und fördert Erschreckendes zutage. Daraus sind packende, kurzweilige Geschichten entstanden, die wunderbare Drehbuchvorlagen darstellen!
„In ‚Zwischen Nacht und Dunkel‘ habe ich mein Bestes versucht, um festzuhalten, was Menschen tun und wie sie sich unter bestimmten Umständen verhalten könnten. Die Leute in diesen Storys sind nicht ohne Hoffnung, aber sie müssen erkennen, dass selbst unsere kühnsten Hoffnungen (und unsere innigsten Wünsche für unsere Mitmenschen und die Gesellschaft, in der wir leben) manchmal vergeblich sein können. Sogar oft. Aber ich glaube, dass sie auch zeigen, dass Adel sich in erster Linie nicht im Erfolg, sondern in dem Versuch manifestiert, das Rechte zu tun …“, schreibt King im Nachwort (S. 525). 
Dieses Bemühen ist ihm wieder eindrucksvoll gelungen!


 

John Katzenbach – „Der Professor“

Montag, 15. November 2010

(Droemer, 555 S., HC)
Seit drei Jahren ist der vor kurzem pensionierte Psychologieprofessor Adrian Thomas Witwer und verliert den letzten Lebenswillen, als ihm der Arzt die seltene Lewy-Körper-Demenz im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert, bei der rasch mit fortschreitendem Verlust von Körperfunktionen, des kritischen Denkvermögens, sowie von Kurz- und Langzeitgedächtnis zum Krankheitsbild gehören, bis nach fünf bis sieben Jahren mit dem Tod zu rechnen ist. Nun, die im Nachttisch aufbewahrte Neun-Millimeter-Halbautomatik dürfte dem Leiden ein schnelleres Ende bereiten. Noch einmal begibt sich Thomas auf dem Wanderweg zum Mount Pollux hinauf, blickt auf den Universitätscampus hinab, erfreut sich an den Frühlingsboten und hängt schönen Erinnerungen an sein vergangenes Leben nach. Doch auf dem Rückweg bemerkt er ganz in der Nähe seines Hauses ein Mädchen im Teenageralter, dann einen weißen Kleinlastwagen. Plötzlich ist das Mädchen verschwunden. Nur eine rote Baseballkappe erinnert noch daran, dass es eben noch hier war.
Der bereits unter Wahnvorstellungen leidende Thomas berät sich zunächst mit seiner toten Frau, dann auch mit seinem durch eigene Hand gestorbenen Bruder Brian und beschließt, erst die Polizei zu informieren und dann auf eigene Faust zu ermitteln. Während Detective Terri Collins zunächst davon ausgeht, dass Jennifer Riggins einen weiteren Ausreißversuch unternommen hat, befindet sich das Mädchen allerdings in der Hand eines perfiden Verbrecherpaars, das einem wohlsituierten Publikum die filmische Dokumentation ihrer Folter verkauft.
„Das Schöne an Whatcomesnext.com war die Kunst des Unberechenbaren. Niemand konnte je im Voraus wissen, was die Kamera einfangen würde. Niemand sollte den nächsten Schachzug vorhersagen können. Weder die tatsächliche Dauer der Serie noch das spezielle Thema ahnten sie. Ein fast nackter Teenager, der in einem anonymen Raum an eine Wand gekettet war, bot eine Folie für unendlich viele Möglichkeiten.“ (S. 218 f.)
Jennifers Leben hängt vor allem davon ab, dass sie ihr Publikum zu unterhalten versteht. Wird sie nicht vorher gefunden und beginnt sie ihr zahlendes Publikum zu langweilen, ist sie ebenso wie Adrian Thomas dem Tod geweiht …
John Katzenbach hat sich bereits mit Bestsellern wie „Die Anstalt“ und „Der Patient“ erschreckend intensiv mit den Abgründen der menschlichen Psyche auseinandergesetzt. Das Thema, das er sich für „Der Professor“ ausgesucht hat, ist vielleicht nicht gerade neu, aber durchaus packend umgesetzt worden. Zwar werden alle Beteiligten mit ihren Motivationen ausführlich vorgestellt und begleitet, aber der titelgebende Professor steht mit seiner Suche nach dem entführten Mädchen im Mittelpunkt. Spannende Psycho-Thriller-Kost für stahlharte Nerven!

Lee Child – (Jack Reacher: 11) „Trouble“

Donnerstag, 4. November 2010

(Blanvalet, 448 S., HC)
Als der ehemalige Spitzenermittler einer Army-Eliteeinheit Jack Reacher auf seinem Kontoauszug eine Überweisung von exakt 1030 Dollar entdeckt, stellt er schnell fest, dass die Transaktion von seiner ehemaligen Kollegin Frances Neagley getätigt worden ist, die seit dem Ausscheiden aus dem Militärdienst in Chicago eine private Sicherheitsfirma unterhielt, und einen Notfallcode darstellt. Also macht er sich auf den Weg, sie in Los Angeles zu treffen, wo sie ihm erzählt, dass Calvin Franz ermordet worden ist.
Er zählte wie Neagley und Reacher zu einem achtköpfigen Team von Sonderermittlern, das offensichtlich systematisch dezimiert werden soll. Auf ihre Notrufe bei den verbliebenen Ex-Kollegen reagieren nämlich nur noch Dave O’Donnell und Karla Dixon, während die anderen vermisst oder tot aufgefunden werden. Getreu ihrem Motto „Mit Sonderermittlern legt man sich nicht an“ ermittelt das übrig gebliebene Quartett unter Reachers Kommando auf eigene Faust. Doch viele Anhaltspunkte hat das Team nicht. Im Postfach von Calvin Franz findet es Passwort-geschützte USB-Sticks und Listen mit kryptischen Zahlenreihen. Mit seinem speziellen Faible für Zahlen vermutet Reacher einen Zusammenhang mit Glücksspielmanipulationen in ganz großem Stil. Doch in Vegas kommt sein Team einer weitaus brisanteren Geschichte auf die Spur, weshalb Franz & Co. ihr Leben lassen mussten …
In präziser Regelmäßigkeit verwöhnt Lee Child seine Jack-Reacher-Fangemeinde jährlich mit einem neuen Abenteuer seines abgebrannten, aber überaus cleveren Helden. In schnörkelloser Sprache schildert Child auch in „Trouble“ ein gelungenes Husarenstück des ehemaligen Sonderermittlers und lässt den Leser einmal mehr an dessen reichhaltigen Fundus in Sachen Tricks, Auffassungsgabe, Berechnungen, Planung und effizientes Ausschalten von Zielpersonen teilhaben. Das ist einfach packende, mit trockenem Humor und kompromissloser Härte gespickte Unterhaltung auf höchstem Thriller-Niveau!

Joe Hill – „Teufelszeug“

Samstag, 30. Oktober 2010

(Heyne, 543 S., HC)
Ignatius Martin Perrish wächst wohlbehütet in einer prominenten Familie auf. Sein Vater ist ein berühmter Trompeter, der mit Frank Sinatra und Dean Martin Platten aufgenommen hat. Und auch sein zwei Jahre älterer Bruder Terry hat es mit seiner eigenen TV-Show „Hothouse“ zu etwas gebracht. Mit seinem Asthma blieb Ig eine derartige Karriere verwehrt. Stattdessen wurde er angeklagt, vor einem Jahr seine Freundin Merrin Williams vergewaltigt und ermordet zu haben. Da es an Beweisen fehlte, wurde Ig freigesprochen, doch seitdem ist nichts mehr wie zuvor. Sein bester Freund Lee hat ihn im Stich gelassen, und nach dem Verlust seiner großen Liebe unterhält Ig mit Glenna eine leidenschaftslose Beziehung.
Doch dann wacht Ig nach einer durchzechten Nacht mit Teufelshörnern auf der Stirn auf. Glenna kümmert sich nicht weiter um die bizarren Auswüchse im Gesicht ihres Freundes, sondern steckt ihm frei von der Leber weg, dass sie letzte Nacht Lee in Gegenwart seiner Kumpels einen geblasen hat. Doch dieses Geständnis ist nur der Anfang. Auf einmal erfährt Ig auf unerklärliche Weise Dinge von Menschen, die sie lieber für sich behalten sollten. Vor allem wird Ig mit der Tatsache konfrontiert, dass seine ganze Familie Ig für Merrins Mörder hält. Doch Terry weiß, wer für die Tat verantwortlich gewesen ist. Mit diesem Wissen und seiner Fähigkeit, die dunkelsten Geheimnisse seiner Mitmenschen aufzudecken, macht sich Ig daran, seine Welt wieder ins Lot zu bringen …
Joseph Hillstrom King weiß als Sohn des berühmten Stephen King, wie man Horror schreibt. Mit „Teufelszeug“ legt der talentierte Horror-King-Sprössling ein faszinierendes Buch vor, das über lange Strecken gar nicht wie ein Gruselthriller wirkt, sondern erst wie eine Groteske, dann in der Rückblende wie die großartigen Szenarien jugendlichen Lebens, wie sie Stephen King in Werken wie „Atlantis“ oder „Stand By Me“ zur Perfektion gebracht hat. Die Horrormomente hat Joe Hill sehr subtil verarbeitet und kommen eher durch die Darstellung menschlicher Bösartigkeit zum Ausdruck, für die Ig mit seinen teuflischen Hörnern und seiner übersinnlichen Begabung sensibilisiert wird. Obwohl recht früh offenbart wird, wer für den Tod von Igs Freundin verantwortlich gewesen ist, bleibt die Geschichte bis zum Schluss äußerst spannend, weil es Joe Hill hervorragend versteht, die Fäden aus der Vergangenheit in der Gegenwart zusammenzuführen.

Guillermo Del Toro/Chuck Hogan – „Das Blut“

Mittwoch, 20. Oktober 2010

(Heyne, 397 S., HC)
Einen Monat nach dem geheimnisvollen Vorfall auf dem New Yorker JFK-Flughafen, bei dem vier Überlebende des Flugs Regis 753 ein bislang unbekanntes Vampir-Virus verbreiteten, haben die Vampire unter der Führung ihres Meisters in der Gestalt von Josef Sardu begonnen, ihre Macht auszuweiten. Flugzeuge mit der todbringenden Fracht landeten auch in London, Tokio, München, Tel Aviv, Peking und ließen so die Vampirpopulation auf der ganzen Welt in die Höhe schnellen. Ermöglicht hat das der todkranke Milliardär Eldritch Palmer, der mit dem Meister einen Deal abgeschlossen hat, bei entsprechender Unterstützung selbst das ewige Leben geschenkt zu bekommen. Bei dem wütenden Chaos, das die Vampire in New York anrichteten, auf das die staatlichen Behörden viel zu spät reagierten, wurde auch Kelly, die Exfrau von Ephraim Goodweather, der als Teamleiter des Centers for Disease Control die Obduktionen an den Leichen in besagtem Flugzeug durchführte, zu einem Vampir. Sie setzt alles daran, ihren elfjährigen Sohn Zachary aus der Obhut von Eph und dem Völkerkundler Abraham Setrakian zu reißen.

Dieser sieht nur eine Möglichkeit, der Vampirplage effektiv gegenüberzutreten: Das 1667 verfasste „Occido Lumen“, das auf einer Sammlung antiker mesopotamischer Keilschrifttafeln basiert, enthält alle Informationen über die strigoi – und die Mittel und Wege, sie zu vernichten. Im Auktionskatalog von Sotheby’s wird sein Wert mit 15 bis 25 Millionen Dollar beziffert. Da Setrakian und Co. nicht über das nötige Kleingeld verfügen, muss ein anderer Weg gefunden werden, das für das Überleben der Menschheit so wichtige Buch an sich zu bringen. Derweil bietet Palmer der Stadt New York an, ein neues Kernkraftwerk in Betrieb zu nehmen, um das zusammengebrochene Energienetz wieder aufzurichten. Zu spät erkennen die Verantwortlichen, welch perfides Spiel Palmer mit seinem Plan verfolgt …
Nachdem das Autoren-Gespann Chuck Hogan („Mördermond“, „Kopfgeld“) und Guillermo Del Toro (Regisseur von „Pan’s Labyrinth“, „The Devil’s Backbone“, „Blade 2“) mit „Die Saat“ den spektakulären Auftakt ihrer modernen Vampir-Trilogie vorgelegt haben, geht es nun in die Vollen, nämlich um den Endkampf zwischen Vampiren und Menschen. Zwar funktioniert „Das Blut“ auch als eigenständiges Werk, doch für den vollen Genuss ist die Lektüre von „Die Saat“ sehr zu empfehlen. Dann entfaltet sich nämlich ein eindrucksvolles Epos, das sich weniger an der nicht zuletzt durch die „Twilight“-Reihe verstärkten Faszination für Vampire labt, sondern menschliche Tugenden und Schwächen in den Vordergrund stellt. So wird auch viel mehr Wert auf die vielseitigen menschlichen Charaktere gelegt als auf die nur als Monster gezeichneten Blutsauger. Das ist den beiden Autoren so gut gelungen, dass das Grauen, das sie beschreiben, fast körperlich spürbar wird.

Guillermo Del Toro/Chuck Hogan – „Die Saat“

Dienstag, 19. Oktober 2010

(Heyne, 524 S., HC)
Als am 24.09.2010 der Flug Regis 753 von Berlin nach New York auf dem JFK International Airport abgefertigt werden soll, bricht der Funkverkehr unmittelbar nach der Landung ab. In der Maschine herrscht absolute Dunkelheit und Stille. Als die Port Authority das Flugzeug betritt, findet man die Passagiere allesamt tot vor. Ephraim Goodweather von der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC wird von seinem Chef Dr. Everett Barnes zum Tatort geschickt, wo das Carnary-Team doch noch einen Lebenden auffindet.
Währenddessen unterzieht sich der 67-jährige Investor, Geschäftsmann und Theologe Eldritch Palmer in Dark Harbour, Virginia seiner täglichen stundenlangen medizinischen Behandlung, mit der sein Blut gefiltert und gereinigt wird. Als er von der geheimnisvollen Ankunft des Fluges Regis 753 erfährt, ordert er sofort einen Hubschrauber, der ihn nach Manhattan bringt. Schließlich erfährt auch Abraham Setrakian aus dem Fernsehen von der Tragödie. Der angesehene Professor für osteuropäische Literatur und Volkskunde hatte den Holocaust überlebt, doch die Affäre mit einer seiner Studentinnen kostete ihn die Karriere, so dass er jetzt eine Pfandleihe in Spanish Harlem betreibt. Die Fernsehbilder manifestieren sich zu einem sicheren Gefühl, dass sich doch noch eine Chance auf Rache ergeben hat.
Das Team um Eph Goodweather steht derweil bei der Obduktion der Leichen vor einem Rätsel. Schließlich finden seine Leute im Frachtraum einen mit stinkender Erde gefüllten Sarg. Als New York von der mit Spannung erwarteten Sonnenfinsternis heimgesucht wird, bricht das Chaos aus. Als Setrakian Kontakt zum Seuchenspezialisten Goodweather aufnimmt, nimmt dieser die Warnung nicht ernst, dass Vampire für das Chaos in New York verantwortlich sind, doch die Zeichen mehren sich, dass der alte Mann mit seiner abenteuerlichen Behauptung Recht haben könnte …
Chuck Hogan hat bereits mit „Endspiel“ und „Mördermond“ Thriller-Bestseller vorlegen können, nun legt er zusammen mit Ausnahme-Regisseur Guillermo Del Toro („Pans Labyrinth“, „Hellboy“, „Mimic“) den ersten Band einer außergewöhnlichen wie spannenden Vampir-Trilogie vor. „Die Saat“ gefällt durch lebendig geschilderte starke Figuren, ein geheimnisvolles Setting und eine gekonnte Mischung aus Mythen, Wissenschaft und packender Fiktion.

Cesarina Vighy – „Mein letzter Sommer“

Freitag, 15. Oktober 2010

(Hoffmann und Campe, 190 S., HC)
Jahrzehntelang erfreute sich Amelia bester Gesundheit, hatte nie Probleme mit dem Alter, sah eher zehn Jahre jünger aus, ging mit Begeisterung ihrer Arbeit als Bibliothekarin nach, führte die ausgefallensten Recherchen für ihre Leser durch. Doch dann beginnt sie zu schwächeln, wandert von Arzt zu Arzt, bis ihr jemand die erschütternde Diagnose stellt, dass sie an ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) leide. Doch statt leidend ihrem unvermeidlichen Ende entgegenzusehen, nimmt die Siebzigjährige ihr Schicksal mit ironischer Gelassenheit an und blickt auf ihr bewegtes Leben zurück.
Es beginnt in den Wirren des Ersten Weltkriegs, als die Großmutter bei der Geburt ihrer Tochter an Tuberkulose starb, worauf Amelias Mutter Nives bei verschiedenen Tanten in Mailand aufwuchs, von ihrem Vater aber gequält wurde, wo er nur konnte. Nives, die wegen ihres zweiten Namens nur Pina gerufen wurde, ließ sich bald mit einem verheirateten Rechtsanwalt ein, um dem grausamen Vater zu entfliehen, und zeugte mit ihm Amelia. Ihre Geschichte geht weiter über den Zweiten Weltkrieg hinweg, hinein in die turbulenten 70er Jahre, in denen die Roten Brigaden Aldo Moro hinrichteten. In all den unruhigen Zeiten machte Amelia ihren Weg, und sie schreibt liebevoll über ihre Eltern, über ihr Leben in Venedig und Rom. Es entsteht das Portrait einer gut beobachtenden, hoch gebildeten Frau, die ihre Eindrücke stets mit literarischen Vergleichen versieht und sie ebenso poetisch in Worte fasst.
„Die Kranken werden wieder zu Kindern. So bereiten sie sich in den Lehrjahren der Vernunft und Hinnahme der Behandlungen auf jene näher rückende Zeit vor, in der fremde (hoffentlich wenigstens rücksichtsvolle) Hände sie füttern, waschen und ankleiden werden und so aus ihren Körpern jene wehrlosen Gegenstände machen, die sie schon immer gewesen sind.“ (S. 145)
Es ist nicht immer leicht, den zeitlichen Sprüngen und Erzählsträngen zu folgen, die die Erinnerungen einer Todkranken durchziehen, doch in jeder Zeile wird die Intensität eines Lebens transparent, das auch zum Ende hin noch sehr bewusst wahrgenommen wird. Im Mai 2010 erlag die Autorin ihrer schweren Krankheit. „Mein letzter Sommer“ ist ihr ausdrucksvolles literarisches Testament.

Giacomo Cacciatore – Der Sohn“

(Rowohlt, 222 S., HC)
Der neunjährige Giovanni Vetro erlebt in Palermo eine außergewöhnliche Kindheit. Sein Vater Vincenzo arbeitet nicht nur bei der Polizei, sondern dient auch dem lokalen Mafiaboss Matteo Scavone, was Giovannis Familie einige Türen öffnet. Als Giovanni beispielsweise den sehnlichen Wunsch äußert, einen Farbfernseher zu besitzen, damit die vor der Tür stehende Fußball-WM 1978 auch in schillernden Farben verfolgt werden kann, dauert es nicht lange, bis dieses Zaubergerät auch im heimischen Wohnzimmer steht, ohne dass der Papa dafür etwas bezahlen musste. Giovanni verfolgt mit Begeisterung die Fernsehserie „George und Mildred“, vor allem aber „Starsky & Hutch“.
Der Junge bekommt allerdings auch mit, dass das Telefon zu den unmöglichsten Zeiten klingelt. Die nach einem Autounfall psychisch labile Mutter kann mit den Anrufen nichts anfangen, doch als Giovanni seinen Vater belauscht, ahnt er, dass dieser in Schwierigkeit steckt. Wie das enden kann, erfährt er aus den Nachrichten, die von dem Attentat auf aufstrebenden Ganoven Nunzio Cardaci berichten, der Giovanni vor kurzem noch einen japanischen Roboter geschenkt hatte und nun vielleicht „zwischen die Fronten zweier Familien“ geraten ist. Dann fällt auch sein eigener Vater in Ungnade …
Der italienische Journalist, Autor und Schriftsteller Giacomo Cacciatore hat mit „Der Sohn“ eine wunderbare Geschichte über eine komplexe Vater-Sohn-Beziehung geschrieben, die aus der staunenden Perspektive eines kleinen Jungen erzählt wird, der immer mehr in das Geflecht der sizilianischen Mafia eindringt und schließlich alles dafür tut, seinen Vater vor dem drohenden Unheil zu retten. Das ist manchmal rührend, melancholisch oder auch tragisch, oft aber auch warmherzig und voller Humor.