An einem Nachmittag, als ein Zyklon Frösche, Flussbarsche und Elritzen in dem osttexanischen Kaff Camp Rapture vom Himmel regnen lässt, verabreicht der nicht nur leicht angetrunkene Pete Jones seiner Frau Sunset wieder eine ordentliche Tracht Prügel und hat ihr schon fast alle Kleider vom Leib gerissen, als Sunset den .38er Revolver aus dem Holster des Sheriffs holt und ihn mit einem Schuss in den Schädel ins Jenseits schickt. Sie sucht Zuflucht bei ihrer Schwiegermutter Marilyn, die Verständnis für Tat aufbringt, weil ihr eigener Mann auch gewalttätig ist und den sie daraufhin aus dem Haus wirft.
Als Hauptanteilseignerin der örtlichen Sägemühle setzt sie sich dafür ein, dass Sunset (die ihren Namen der Farbe ihres Haars verdankt, das rot wie ein Sonnenuntergang leuchtet) den Job ihres verstorbenen Mannes übernimmt. Sie setzt den gut aussehenden Durchreisenden Hillbilly und den etwas verwahrlosten Clyde als Deputys ein und bekommt es mit einem Fall zu tun, bei der ein Schwarzer die schwangere Geliebte ihres Mannes und den dazugehörigen Säugling in einem Tongefäß auf seinem Feld gefunden hatte.
Viele glauben, dass Sunset Jimmy Joe und das Baby aus Rache getötet hat, also setzt sie sich daran, den Fall selbst aufzuklären. Bei ihren Recherchen stößt Sunset im Nachbardorf auf den skrupellosen McBride mit seinem irren Schläger Two Schläger, die das Leben der Schwarzen zur Hölle machen und ihnen ihr Land wegnehmen, auf dem auch Öl zu finden ist.
„Jede Wette, dass ich mit allen im Einklang bin, die sich hier auf dieser Kugel aus Erde drehen. Im Einklang mit allen, außer mit den Arschlöchern, die Farbige hassen und am liebsten lynchen, auch wenn ihnen eigentlich eine gerechte Verhandlung zusteht. Im Einklang mit allen außer meiner Tochter, von der ich nicht weiß, wie ich mit ihr zurechtkommen soll.“ (S. 331)Sunset hat alle Hände voll zu tun, ihr fast erwachsene Tochter Karen, ihre taffe Schwiegermutter und sich selbst in einer gewalttätigen Männerwelt zu behaupten, in der die Schwarzen und Frauen in Angst vor Mord, Prügel und Vergewaltigung leben, in der uneingeschränkt das Gesetz des Stärkeren zählt und Männer für ihre Taten nicht gradestehen müssen.
Mit diesen Zuständen räumt die unerschrockene Sunset gnadenlos auf, auch wenn sie dabei immer wieder Rückschläge und Enttäuschungen einstecken muss, weitere Morde und Gewalttäten nicht verhindern kann, aber zuverlässige Freunde auf ihrer Seite weiß.
Der mit dem American Mystery Award, dem British Fantasy Award und fünfmal mit dem Bram Stoker Horror Award ausgezeichnete Autor Joe R. Lansdale zählt vor allem mit seinen Krimis, die in seiner texanischen Heimat angesiedelt sind, zu den wichtigsten Vertretern seines Genres. Durch die Veröffentlichung seiner Werke bei Suhrkamp und Heyne findet Lansdale endlich auch in Deutschland die verdiente Anerkennung.
Mit „Kahlschlag“ hat er einen faszinierenden Plot mit einer außergewöhnlichen Ausgangslage kreiert, aus der eine gut aussehende Frau in einer von skrupellosen Männern regierten Welt ihren Weg macht. Die Figuren, die Lansdale dabei ins Spiel bringt, sind dabei selten in klaren Gut- und Böse-Kategorien einzuordnen. Stattdessen muss Sunset erst selbst auf schmerzvolle Weise erfahren, auf wen sie sich verlassen kann, während ihre Gefühle dabei oft widersprüchliche Signale aussenden. Der in den 1930er Jahren angesiedelte Roman strotzt vor Gewalt und sexuellen Anspielungen und beschreibt anschaulich, wie Frauen und Schwarze unterdrückt werden, aber auch ihre Bestimmung finden können. Das ist alles in allem so packend und unterhaltsam geschrieben, als würde dieser Mix aus bewährten Rachemotiven des Westerngenres mit bilderreichen Horrorakzenten und gesellschaftskritischen Tönen das Normalste der Welt sein.
Lansdale entpuppt sich in „Kahlschlag“ einmal mehr als Meister des psychologisch tiefgründigen Thrillers, in dem starke Figuren auch mal Fehler machen dürfen.
Leseprobe Joe R. Lansdale - "Kahlschlag"
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