Håkan Nesser – (Van Veeteren: 3) „Das falsche Urteil“

Donnerstag, 13. Februar 2020

(Weltbild, 310 S., HC)
Am 24. August 1993 wird Leopold Verhaven nach 24 Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen, wo er wegen der beiden Morden an zwei Frauen gesessen hatte. Doch das Glück der Freiheit währt nur kurz. Noch am Entlassungstag wird er selbst ermordet, seine verstümmelte Leiche – ohne Kopf, Hände und Füße – in einem Teppich eingewickelt erst acht Monate später bei einem Ausflug mit vierzehn Kindergarten-Kindern in einem Graben entdeckt. Unter der Leitung von Polizeichef Hiller die Kommissare Münster, Rooth, deBries und Reinhart sowie die Hauptkriminalassistenten Jung und Moreno die Ermittlungen aufnehmen, unterzieht sich ihr Kollege Van Veeteren einer Darmkrebs-Operation.
Da eine Identifizierung des ungefähr sechzigjährigen Toten unmöglich ist, werden zunächst passende Fälle von Vermissten überprüft, doch erst ein Hinweis aus der Bevölkerung, die durch die Medien zur Mithilfe gebeten wurde, gelangen die Ermittler auf die Fährte von Verhaven, der 1962 erst Beatrice Holden und 1981 Marlene Nitsch ermordet haben soll und der Erste in Schweden war, der ohne Geständnis wegen Mordes verurteilt worden war – beide Male durch Richter Heidelbluum. Für den frisch operierten Van Veeteren und seine aktiven Kollegen stellt sich sofort die Frage nach dem Motiv. Fand Verhavens Mörder, dass der Verurteilte noch nicht genug bestraft worden sei?
Oder war Verhaven tatsächlich unschuldig, und der wahre Täter beabsichtigte mit dem Mord an Verhaven, dass dieser nichts mehr ausplaudern könnte, das auf den wirklichen Mörder hingewiesen hätte? Van Veeteren und seine Leute beschließen, die für die Verurteilung maßgeblichen Zeugen noch einmal zu befragen. Dabei erfahren sie nicht nur, dass Verhaven bereits in der Schule ein eigenbrödlerischer Sonderling war, der aber als Mittelstreckenläufer sämtliche Rekorde brach, bis er des Dopings überführt wurde und nach seinem abrupten Karriereende zurückgezogen in einem Dorf eine Hühnerzucht betrieb. Mit seiner Lebensgefährtin Beatrice Holden stritt er sich oft. Deshalb wird Verhaven, als sie nackt in einem Wald tot aufgefunden wird, in einem Indizienprozess erstmals zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Ähnlich liegt der nächste Fall nach Verhavens Entlassung, als er erneut wegen des Mordes an einer Frau aus seinem Umfeld ohne stichhaltige Beweise verurteilt wird. Obwohl Van Veeteren nach seiner Operation noch vom Dienst freigestellt ist, lässt ihn die Suche nach dem wahren Mörder keine Ruhe, da er zunehmend das Gefühl bekommt, dass Verhaven tatsächlich fälschlicherweise vierundzwanzig Jahre seines Lebens hinter Gittern verbracht hat …
„Was zum Teufel, mache ich eigentlich hier, dachte er plötzlich. Was bilde ich mir eigentlich ein, was das helfen soll, dass ich hier herumschnüffele … und selbst, wenn mir das endlich eine Vorstellung davon gibt, wer Verhaven wirklich war, dann bringt mich das doch wohl keinen Zentimeter näher an die Antwort heran?
An die Antwort auf die Frage, wer ihn ermordet hat, nämlich.“ (S. 224) 
In dem dritten Krimi nach „Das grobmaschige Netz“ und „Das vierte Opfer“ um den schon etwas ausgebrannten schwedischen Kriminalkommissar Van Veeteren übernehmen dessen Kollegen die Laufarbeit, während der für seinen guten Instinkt berüchtigte Kommissar sich von seiner Operation erholen muss. Natürlich hält ihn das nicht davor zurück, selbst auf eigene Faust mit einer vorgetäuschten Identität Erkundigungen bei den Zeugen für Verhavens Verurteilung einzuholen. Nesser beschreibt dabei sehr gekonnt, wie sich die Vorurteile in einem Dorf gegen einen Mann verdichten, der schon immer aus der Reihe gefallen ist und ja durch seine Doping-Affäre hinlänglich bewiesen habe, dass er ein Betrüger sei – warum dann nicht auch ein Mörder? Natürlich erweist sich Van Veeterens Instinkt wieder als goldrichtig. Doch so wirklich nah kommt man dem Kommissar und den vielen Figuren dabei nicht. Durch die wechselnden Zeit- und Perspektivwechsel erzeugt der Autor eher ein Gefühl für die Atmosphäre der Vorverurteilung des mutmaßlichen Täters durch die Dorfgemeinschaft als handlungsintensive Spannung.
Leseprobe Hakan Nesser - "Das falsche Urteil"

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