Wegen einer Unmenge an Zivilklagen, die die Kanzlei des jüdischen Rechtsanwalts Marvin B. Kramer seit 1965 wegen diskriminierender Wahlpraktiken gegen lokale Amtsträger in Mississippi angestrengt hat, ist dieser auf der Liste zu verfolgender Juden des Ku-Klux-Klans gelandet. Jeremiah Dogan, Imperial Wizard und Anführer des Klans in Mississippi, plante im Frühjahr 1967, Kramers Büro in die Luft zu sprengen, und engagierte dafür den Klansmann Sam Cayall aus Clanton, Mississippi, sowie den jungen Sprengstoffexperten Rollie Wedge, der für den Anschlag erstmals mit einem Zeitzünder arbeitete. Die Explosion fand allerdings nicht wie geplant am frühen Morgen statt, sondern erst, als Kramer mit seinen beiden fünfjährigen Zwillingssöhnen Josh und John in der Kanzlei eingetroffen war. Während die Kinder bei der Explosion ums Leben kamen, überlebte Kramer zwar den Anschlag, büßte aber seine Unterschenkel ein, 1971 beging er Selbstmord.
Cayall wurde eher zufällig von einer Polizeistreife verhaftet und mit dem Anschlag in Verbindung gebracht. Der von Dogan beauftragte Klan-Anwalt Clovis Brazelton konnte zwar in mehreren Prozessen keinen Freispruch für seinen Mandanten erwirken, aber Cayall durfte bis 1980 in Freiheit leben. Erst als Jerry Dogan ins Visier des FBI geriet und für einen Deal Cayall wegen des Attentats an Kramer ans Messer lieferte, wurde Cayall wieder festgenommen und wegen Dogans Aussage 1981 wegen vorsätzlichen Doppelmords und eines Mordversuchs für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Nachdem verschiedene Anwälte von der Kanzlei Kravitz & Bane den Fall pro bono betreut hatten und Cayall 1990 der Kanzlei ihr Mandat entzogen hatte, versucht der junge Rechtsanwalt Adam Hall den Fall zu übernehmen. Er ist erst seit einem Dreivierteljahr bei Kravitz & Bane, hat bei seiner Einstellung allerdings verschwiegen, dass er der Enkel von Sam Cayall ist. Tatsächlich gelingt es Adam, seinen Großvater davon zu überzeugen, sich von ihm vertreten zu lassen, nachdem er ihn im Todestrakt von Parchman besucht hat.
Da das Gericht des Staates Mississippi den Hinrichtungstermin für den 8. August 1990 bestätigt, bleibt Adam nicht viel Zeit, seinen Großvater vor der Gaskammer zu retten. Während er bei seiner alkoholsüchtigen Tante Lee Booth in Memphis wohnt, arbeitet Adam nicht nur an verschiedenen Möglichkeiten für neue Anträge und Eingaben bei Gericht, um einen Aufschub der Vollstreckung des Todesurteils oder sogar eine Begnadigung bei Gouverneur David McAllister zu erwirken, sondern auch die Identität des mutmaßlichen Komplizen in Erfahrung zu bringen.
Vor allem erhält Adam durch Lee und Sam tiefe, verstörende Einblicke in die dunkle Vergangenheit der Cayall-Familiengeschichte. Doch die Möglichkeiten werden zunehmend begrenzter, nachdem ein Gericht nach dem anderen Sams Berufungen abschmettert.
„Adam war plötzlich nervös. Er hatte Dutzende Fälle von zum Tode Verurteilten gelesen, bei denen die Anwälte in letzter Minute Hebel in Bewegung setzten, die sie zuvor nie angerührt hatten, und Richter dazu brachten, sich noch einmal eine ganz neue Darstellung des Falles anzuhören. Die einschlägige Literatur war voll von Geschichten über juristische Möglichkeiten, die unentdeckt und ungenutzt blieben, bis ein anderer Anwalt mit frischem Blick die Arena betrat und einen Aufschub bewirkte. (…) Sam hatte Glück gehabt. Obwohl Sam die Anwälte von Kravitz & Bane verabscheute, hatten sie ihn exzellent vertreten. Jetzt war nichts mehr übrig, als ein paar verzweifelte Versuche, Griffe nach dem letzten Strohhalm.“ (S. 372f.)Nach seinen ersten, allesamt auch erfolgreich verfilmten Bestsellern „Die Jury“, „Die Firma“, „Die Akte“ und „Der Klient“ legte John Grisham 1994 mit „Die Kammer“ sein bis dato eindringlichstes Werk vor, das nicht nur ein flammendes Plädoyer gegen die Todesstrafe darstellt, sondern auch tiefe Einblicke in eine Familiengeschichte gewährt, die maßgeblich durch die diskriminierende Herrschaft des Ku-Klux-Klans geprägt worden ist. Grisham nimmt sich für alle Bestandteile seines umfassenden Plots viel Zeit. Das beginnt mit der ausführlichen Beschreibung der Vorbereitungen und Ausführung des Attentats auf die Kanzlei von Marvin B. Kramer und setzt sich vor allem in der detaillierten Schilderung der juristischen Angelegenheiten fort, mit denen alle am Prozess Beteiligten betraut werden. Die eindringlichsten Eindrücke hinterlässt allerdings die Schilderung des Alltags im Todestrakt, die eintönige Abfolge von meist sechzehn Stunden Schlaf, schlechtem Gefängnisessen, einer Stunde Aufenthalt im Freien und einigen wenigen Besuchen.
Aber auch die Familiengeschichte, die der junge Adam sowohl durch seine Tante Lee als auch seinen Großvater Sam zu hören bekommt, macht deutlich, wie sehr der zum Tode Verurteilte auch Opfer seiner familiären Wurzeln ist, wie sehr sein eigenes Handeln von den Klan-Aktivitäten seines Vaters geprägt worden ist. Die Spannung erzielt der Roman natürlich aus der Frage, ob es Adam gelingt, noch in letzter Minute etwas für seinen Großvater zu bewirken, und sei es auch nur die Umwandlung der Vollstreckung durch Gas in einer durch eine tödliche Injektion, was viele Bundesstaaten ohnehin schon praktizieren, weil der Tod in der Gaskammer als sehr qualvoll angesehen wird.
Doch auch die Wandlung des rassistischen Verurteilten in ein menschliches Wesen, das seine Taten zutiefst bereut, macht „Die Kammer“ äußerst lesenswert. Grisham versteht es nicht nur, die juristischen Prozesse verständlich aufzuzeigen, die dem jungen Anwalt zur Verfügung stehen, sondern auch die politischen Hintergründe und die gesellschaftlichen Voraussetzungen, unter denen der Ku-Klux-Klan seine Macht entwickeln konnte und wieder einbüßen musste.
1996 wurde auch „Die Kammer“ verfilmt, diesmal unter der Regie von James Foley mit Chris O’Donnell als Adam, Gene Hackman als Sam Cayall und Faye Dunaway als Adams Tante Lee in den Hauptrollen.
Leseprobe John Grisham - "Die Kammer"