(Pendragon, 224 S., HC)
Der frühe Tod von begnadeten Künstlern wie Jim Morrison, Ian Curtis, Janis Joplin, James Dean oder Jimi Hendrix scheint sich in der Regel positiv auf ihre nachfolgende kultische Verehrung und Popularität auszuwirken. Posthumen Ruhm erfuhr auch der französische Journalist, Dichter und Schriftsteller Raymond Radiguet, der im zarten Alter von 17 Jahren seinen ersten, weitgehend autobiografischen Roman „Den Teufel im Leib“ veröffentlichte und das Erscheinen seines zweiten Romans „Der Ball des Comte d’Orgel“ schon nicht mehr miterlebte, da er bereits zwanzigjährig an Typhus verstarb.
Mit seinem 1923 veröffentlichten Erstlingswerk schockierte der junge Mann, der sich im Umfeld der Künstler Jean Cocteau, Max Jacob, George Auric, Francis Poulenc, Picasso und Modigliani bewegte, die literarische Welt, erntete aber auch viel Anerkennung, die letztlich sogar zu mehreren Verfilmungen führte. Nun hat der Bielefelder Pendragon-Verlag den Klassiker mit Illustrationen von Jean Cocteau neu aufgelegt.
Als der Erste Weltkrieg ausbricht, ist der in einem kleinen Dorf an der Marne aufgewachsene François gerade zwölf Jahre alt und erlebt die folgenden vier Jahre vor allem als eine Zeit großer Ferien. Da seine Mutter ihn für zu jung befand, um in Paris aufs Lycée Henri-Quatre zu gehen, verbrachte François die Zeit zuhause, absolvierte das Lernpensum in wenigen Stunden und hatte so genügend Zeit für ausgiebige Wanderungen am Fluss entlang.
Bei einem Ausflug an einem Sonntag im April 1917 nach La Varenne lernt François die achtzehnjährige Marthe kennen und verliebt sich in sie. Da er selbst erst fünfzehn ist und Marthe bereits mit einem Soldaten namens Jacques verlobt ist, steht die Liebe zunächst unter einem ungünstigen Stern. François lässt sich jedoch nicht beirren und findet immer neue Ausreden und Tricks, um sich aus dem elterlichen Haus und in die kleine Wohnung seiner Angebeteten zu schleichen. Schwierig wird es erst, wenn Marthes Verlobter im Fronturlaub nach Hause kommt – und erst recht, als Marthe schwanger wird…
„Wenn das Herz seine Gründe hat, die dem Verstand verborgen bleiben, dann bedeutet das, dass unser Verstand weniger vernünftig ist als unser Herz. Wahrscheinlich ist jeder von uns ein Narziss, der sein Bild liebt und hasst, aber kein anderes ansehen mag. Dieses Gespür für Ähnlichkeit leitet uns im Leben und lässt uns innehalten angesichts einer Landschaft, einer Frau, eines Gedichtes. Bewundern können wir auch andere, aber ohne diesen Ruck zu spüren.“ (S. 108)
Radiguet war zwar ein mittelmäßiger Schüler, machte sich aber frühzeitig mit den Werken von Stendhal, Proust, Verlaine, Mallarmé, Rimbaud, Baudelaire und Lautréamont vertraut. Deren sprachliche Virtuosität hat sich der Teenager schnell zu eigen gemacht, denn sein Romandebüt „Den Teufel im Leib“ fasziniert hundert Jahre nach seiner Erstveröffentlichung vor allem durch die bildreiche Sprache, die die frühreife Geilheit eines Fünfzehnjährigen sehr reflektiert zum Ausdruck bringt.
Als das Buch 1923 veröffentlicht wurde, sorgte vor allem der beschriebene Umstand, dass ein tapfer für Frankreich im Krieg kämpfender Soldat von seiner Frau und ihrem minderjährigen Liebhaber betrogen wird, natürlich für einen Skandal. Heute ist es eher die ausführliche, für einen 15-Jährigen wohl typische narzisstische Beschreibung einer leidenschaftlichen, natürlich alles andere als problemfreien Amour fou, die das Interesse des Lesers weckt, denn Radiguet versteht es, die ganze Bandbreite der Empfindungen, Motive und Entscheidungen seines Alter egos lebensnah zu dokumentieren, mitsamt der Täuschungsmanöver und der Ausgrenzung durch Nachbarn und nahestehende Familienmitglieder.
Die Neuausgabe von „Den Teufel im Leib“ enthält nicht nur Illustrationen von Radiguets Freund und Mentor Jean Cocteau, sondern auch Briefe und Gedichte, die das persönliche Bild um den früh verstorbenen Autors ebenso abrunden wie das kurze Nachwort des versierten Übersetzers Hinrich Schmidt-Henkel.