Paul Tracey und sein Vater Warren haben nie eine wirklich gute Beziehung zueinander gehabt. Tatsächlich hat Paul mit seinem Vater kaum noch gesprochen, seit dieser sich nach zwölf Jahren Ehe von Pauls Mutter scheiden ließ und das Weite suchte, um immer wieder weitere Frauen zu ehelichen. Warren Tracey ist stets ein aufbrausender Mann gewesen, der als Profi-Baseballspieler vor allem für die New York Mets viel unterwegs gewesen ist, sich mit anderen Frauen vergnügte und gern einen über den Durst trank, worauf er zuhause oft gewalttätig geworden ist. Warren Tracey war kein Mann, zu dem man aufschauen, vor allem nicht gern haben konnte.
Was ihn aber in aller Welt zu einem roten Tuch machte, war das denkwürdige Aufeinandertreffen von Warren mit Joe Castle am 24. August 1973. Paul war damals elf Jahre alt und Pitcher bei den Scrappers in der Little League von White Plains und verfolgte wie das ganze Land begeistert mit, wie ein 21-jähriger Rookie namens Jim Castle einen Home Run nach dem nächsten machte und seine Karriere gleich mit einigen Rekorden begann.
„Joe Castle würde sein Debüt in New York haben und mein Vater würde auf dem Wurfhügel stehen. Die Cubs würden dann die Nummer eins in der East Division sein und die Mets aller Wahrscheinlichkeit die Nummer zwei. Wenn ich mir das vorstellte – und das tat ich in dem August damals mindestens zehnmal am Tag -, bekam ich ein flaues Gefühl im Magen und brachte nicht einmal mehr einen Schluck Wasser hinunter. Warren Tracey gegen Joe Castle. Die Gefühle für meinen Vater waren mehr als gemischt. Eigentlich hasse ich ihn ja, aber er war mein Vater und ein Profibaseballspieler, der für die New York Mets pitchte! Wie viele elfjährige Jungen konnten das von ihrem Vater behaupten?“ (S. 100)Das erträumte Zusammentreffen fiel jedoch anders aus als erhofft. Warren Tracey traf Joe Castle mit einem Beanball so schwer am Kopf, dass der Junge einige Tage im Koma verbrachte und nie wieder spielen konnte. Mit dieser mehr als unsportlichen Geste wurde das Band zwischen Warren Tracey und seiner Familie endgültig zerschnitten, und Paul litt noch Jahre unter der Schmach, die sein Vater der Familie und der ganzen Baseballwelt zugefügt hatte. Doch nun liegt Warren Tracey mit Bauchspeicheldrüsenkrebs im Sterben und sein Sohn macht sich auf den Weg nach Calico Rock und dann zu seinem Vater, um eine Aussöhnung zwischen den beiden Männern zu erwirken. Doch Warren Tracey ist nie ein Mann gewesen, der ein Unrecht in dem sah, was er in seinem Leben angerichtet hatte …
John Grisham hat sich vor allem einen Namen als Autor von vielfach verfilmten Justiz-Thrillern wie „Die Firma“, „Die Akte“ und „Der Klient“ gemacht, aber er hat zwischenzeitlich auch immer mal wieder seine Erzählkunst in Romanen wie „Die Farm“, „Der Coach“ und „Touchdown“ bewiesen. In „Home Run“ erweist er seiner Lieblingssportart Baseball seine Referenz und schildert fachlich kompetent wie unterhaltsam die dramatische Geschichte sowohl einer schwierigen Vater-Sohn-Beziehung ebenso wie die unterschiedlichen Erfolgs- und Leidensgeschichten zweier Profi-Baseball-Spieler, die nach ihrem Aufeinandertreffen nicht mehr dieselben Männer sein sollten. Grisham beschreibt die verschiedenen Zeit- und Handlungs-Ebenen auf gewohnt souveräne Weise, mit Begeisterung für den Baseball-Sport und seine Helden, aber auch mit viel Gefühl für seine Protagonisten.
Leseprobe: John Grisham - "Home Run"